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Archiv "Der Beitrag des Anästhesisten zur Schmerzbehandlung" (04.05.1984)

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Der Beitrag

des Anästhesisten zur Schmerzbehandlung

Siegfried Piepenbrock und Michael Zenz

Aus der Klinik für Anästhesiologie und Operative Intensivmedizin (Geschäftsführender Direktor: Professor Dr. med. Klaus Eyrich) des Klinikum Steglitz der Freien Universität Berlin und

dem Zentrum für Anästhesiologie

(Leiterin: Professor Dr. med. Ina Pichlmayr)

Abteilung IV der Medizinischen Hochschule Hannover

Die Arbeit des Anästhesisten muß sich nicht darauf beschränken, während der Operation Schmerzen zu verhindern oder im Rahmen der Intensivtherapie postoperative Schmerzen zu bekämpfen. Die für die operative Analgesie geeigneten Verfahren der Regionalanästhe- sie lassen sich auch zur Behandlung chronischer Schmerzen anwen- den. Hinzu kommen Blockademethoden am autonomen Nervensy- stem und der aus der Akutmedizin vertraute Umgang mit zentral-wirk- samen Analgetika. Die wichtige Aufgabe des Anästhesisten als Schmerztherapeut muß ihren Platz finden im Spannungsfeld zwi- schen den selbstverständlichen Pflichten der klinischen Anästhesie und der Notwendigkeit, chronischen Schmerzkranken zu helfen.

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

ÜBERSICHTSAUFSATZ

Jeder Mensch erfährt im Laufe seines Lebens zu irgendeinem Zeitpunkt Schmerzen. Für einen Arzt kann es keine wichtigere Auf- gabe geben, als Schmerzen und Leiden zu beseitigen bzw. zu lin- dern. Dies mag ein Grund sein, warum manche die Anästhesie als

Lebensaufgabe gewählt haben.

Akuter, komplizierter und chronischer Schmerz

„Akute Schmerzen", die als sinn- volles warnendes Symptom gel- ten, sind für gewöhnlich mittels Medikamenten, operativer Ein- griffe oder auch psychologischer Führung relativ leicht zu beheben.

„Chronische Schmerzen" hinge- gen, die zumeist keinerlei Nutzen für den Patienten bedeuten und eine Krankheit sui generis darstel- len, sind sehr oft außerordentlich schwer zu behandeln. Um so

wichtiger ist es deshalb, wann im- mer möglich, die Entwicklung von

„chronischen Schmerzen" zu ver- hindern. Aus diesem Grund scheint es sinnvoll, den Begriff ei- ner Zwischenform des Schmer- zes, die nach dem „akuten Schmerz" aber vor der „chroni- schen Schmerzphase" liegt, ein- zuführen. Katz (3) nennt diese Schmerzform den „komplizierten Schmerz".

Prophylaxe

chronischer Schmerzen

Als Beispiel sei die Herpes-Zoster- Neuralgie angeführt. In der akuten Phase der Effloreszenz können ty- pische neuralgiforme Schmerzen auftreten. Diese Schmerzen kön- nen im Verlauf einer internisti- schen oder dermatologischen Therapie wieder verschwinden und nie wieder auftreten. Aus dem

akuten Schmerzbild kann jedoch ein persistierendes, chronisches Schmerzsyndrom in Form einer postherpetischen Neuralgie ent- stehen. Es handelt sich hierbei um brennende Schmerzen, die durch äußere Reize wie Kälte und Berührung verstärkt werden und über Jahre anhalten können. Sie beeinträchtigen die gesamte Per- sönlichkeit und das Umfeld des Kranken. Diese Schmerzen sind äußerst therapierefraktär und ge- ben in vielen Fällen Anlaß zu einer chronischen Opiattherapie oder einer destruierenden neurochirur- gischen Maßnahme, die letzten Endes als Ausdruck der therapeu- tischen Ratlosigkeit gelten kön- nen.

Verschiedene Studien haben nachgewiesen, daß diese Schmer- zen verschwinden oder nie auftre- ten, wenn rechtzeitig eine geziel- te Therapie einsetzt. Diese Schmerztherapie besteht in lokal- anästhetischen Blockaden am sympathischen Nervensystem, die in täglichen oder 2tägigen Inter- vallen etwa fünf- bis zehnmal durchgeführt werden müssen (4).

Das Beispiel zeigt, wie wichtig ei- ne fachübergreifende Zusammen- arbeit bei der Betreuung von akut und chronisch Schmerzkranken ist. Der Anästhesist kann hier in das Gesamtkonzept einer Thera- pie seine Möglichkeiten einbrin- gen und auf diese Weise die Ent- wicklung von chronischen Schmerzen verhindern.

Ein weiteres Beispiel stellt die präventive Thererpie von Phan- tomschmerzen dar. Die Amputa- tion einer Extremität kann prinzi- piell in Allgemeinanästhesie oder Regionalanästhesie durchgeführt werden.

Überraschenderweise treten nach Amputationen, die in Regionalan- ästhesie durchgeführt worden sind, nur äußerst selten Phantom- schmerzen auf, während dies nach Allgemeinanästhesie sehr viel häufiger der Fall ist. Der Grund liegt auch hier in einer Blockierung sympathischer Effe- 1450 (64) Heft 18 vom 4. Mai 1984 81. Jahrgang Ausgabe A

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DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Anästhesie und Schmerzbehandlung

renzen, die vielfach für die Ausbil- dung von chronischen Schmerzen eine zentrale Rolle spielen.

Diese beiden Beispiele sollen ver- deutlichen:

0

Wie wichtig es ist, rechtzeitig eine gezielte Schmerztherapie einzuleiten.

f) Mit welchem geringen Zeit- und Kostenaufwand diese Thera- pie durchzuführen ist.

0

Welch großen Nutzen der be- troffene Patient hat und welch ein volkswirtschaftlicher Gewinn er- zielt wird, wenn eine chronische Schmerzkrankheit mit allen Fol- geerscheinungen verhindert wer- den kann.

Chronischer Schmerz - Schmerzkrankheit

Leider sehen wir Anästhesisten die Patienten allzu häufig erst in einem späten Stadium der Schmerzkrankheit Dann hat sich das Vollbild der "chronischen Schmerzen" ausgeprägt, das ne- ben therapierefraktären Schmer- zen durch entsprechende Verän- derungen in der Psyche des Pa- tienten sowie im sozialen und fa- miliären Umfeld charakterisiert ist. Häufig sind solche Patienten frühzeitig berentet; häufig erge- ben sich familiäre Spannungen;

häufig sind Hobbys und Freunde verlorengegangen -und alles zu- sammen oder jedes einzelne Glied dieses Circulus vitiosus wirkt gleichsam als negativer Bio- feedback auf die Schmerzen ein.

Abschätzen läßt sich lediglich die volkswirtschaftliche Bedeutung von chronischen Schmerzen. So veranschlagt Bonica (2) für die USA 700 Millionen verlorene Ar- beitstage und einen Geamtkosten- aufwand von 60 Mrd. Dollar pro Jahr durch chronische Schmerz- krankheiten. Aus der Vielzahl der chronischen Schmerzzustände sind in der Tabelle 1 einige ge- nannt.

Die therapeutischen Maßnahmen, die der Anästhesist diesen vielfäl- tigen Schmerzbildern gegenüber- stellen kann, sind in der Tabelle 2 aufgeführt.

Teilweise begleitend oder allein muß die Möglichkeit bestehen, neben diesen anästhesiologi- schen Maßnahmen andere Metho- den der Schmerztherapie einzu- setzen (Tabelle 3).

Konsiliartätigkeit

Der Anästhesist kann bei der Behandlung von "chronischen Schmerzzuständen" zunächst in seinem engeren Umfeld in der Kli- nik bei seiner perioperativen Ar- beit tätig werden. Hierzu gehört zum Beispiel die Weiterbetreuung von Patienten mit inoperablen Tu- moren. Eine weitere Möglichkeit

Beispiele chronischer Schmerzzustände ...,. Post-traumatisch

z. B. Frakturen Stumpfschmerzen Phantomschmerzen ...,. Neuralgien

z. B. Postherpetlsche Neuralgie

Interkostal Neuralgie ...,. Sympathische

Reflexdystrophien z. B. Kausalgie Morbus Sudeck Phantomschmerz ...,. Arterielle

Verschlußkrankheit ...,. Krebsschmerzen ...,. Schmerzen des Gelenk-

und Bandapparates ...,. Zentrale Schmerzen z. B. Kopfschmerz Thalamisehe Schmerzen Phantomschmerzen Tabelle 1

1452 (66) Heft 18 vom 4. Mai 1984 81. Jahrgang Ausoabe A

Methoden anästhesio- logischer Schmerztherapie

....

Therapeutische Lokal-

anästhesie z. B. Infiltration Nervenblockaden Plexusblockaden Sympathikusblockaden

....

Neurolyse

z. B. am peripheren Nerven, intrathekal

....

Stimulationsverfahren

z. B. transkutane Nervenstimulation

....

Medikamentöse Therapie

z. B. peridurale Opiattherapie, orale Opiattherapie Tabelle 2

liegt in der konsiliarischen Mitbe- treuung von Patienten aus dem nichtoperativen Bereich. So lei- den vielfach Patienten mit arte- rieller Verschlußkrankheit an hart- näckigen Ischämieschmerzen die zumindest vorübergehend sehr gut auf Maßnahmen der Regional- anästhesie ansprechen. Bei einer schmerzhaften Gangrän am Fuß kann eine kontinuierliche Peri- duralanästhesie nicht nur zur Schmerzlinderung beitragen, son- dern sie führt auch zu einer maxi- malen Steigerung der Restdurch- blutung. Dadurch wird ein mög- licher Heilungsprozeß gefördert.

Schmerzambulanz

Eine konsequente Mitbetreuung stationärer Patienten führt zwangsläufig zu einer Ausweitung der anästhesiologischen Tätigkeit und macht es notwendig, diese Maßnahmen auch Patienten au- ßerhalb der Klinik zur Verfügung zu stellen. Hierbei muß die Arbeit des Anästhesisten darauf be- schränkt bleiben, lediglich Patien- ten zu behandeln, die ihm zur ge- zielten Schmerztherapie überwie- sen werden. Diagnostische Maß-

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DEUTSCHESÄRZTEBLATT

Anästhesie und Schmerzbehandlung

nahmen sind im allgemeinen durch speziell neurologische Un- tersuchungen erbracht worden, so daß die früher häufig geübten diagnostischen Nervenblockaden nur selten notwendig werden. ln manchen Fällen ist die speziel- le anästhesielogische Therapie- maßnahme nicht gefahrlos ambu- lant zu erbringen. Dies gilt z. B.

für besonders invasive Techniken wie neurolytische Blockaden oder Implantation von Periduralkathe- tern. Bei manchen gebrechlichen Patienten sind auch einfache Techniken der Regionalanästhe- sie besser unter stationärer Über- wachung durchzuführen. So ha- ben Sympathikusblockaden unter Umständen eine erhebliche Be- einträchtigung von Herz-Kreis- lauf-Funktionen zur Folge (lumba- le Grenzstrangblockade; thoraka- le Periduralanästhesie).

Für die stationäre Behandlung er- scheint es sinnvoll, die verschie- denen Patienten auf einer Station zusammenzufassen und die orga- nisatorische Leitung dem Anäs- thesisten als Mittler zwischen den

Fachdisziplinen an die Hand zu geben. Ein derartiges Modell kann dazu beitragen, die Therapie für den Patienten und den Arzt zu vereinfachen und ließe sich si- cherlich an den meisten größeren Kliniken realisieren. Wie wichtig und wirkungsvoll die Arbeit derar- tiger kleiner Therapieeinheiten ist, zeigen Beispiele aus dem eng- lischen und dem amerikanischen Raum.

Fachübergreifende Kooperation Die Tätigkeit des Anästhesisten sollte sich nicht darauf beschrän- ken, lediglich bestimmte Techni- ken zur Schmerzlinderung einzu- bringen und auf diese Weise zum

"Mechaniker der Schmerzthera- pie" zu werden. Natürlich gehört ein intensives Arzt-Patienten-Ver- hältnis zu einer solchen Tätigkeit.

Dies erfordert neben viel Zeitauf- wand auch die Fähigkeit, sich in die sozialen und familiären Ver-

Beispiele weiterer Methoden der Schmerztherapie

....

Psychotherapie

....

Autogenes Training

....

Hypnose

....

Physikalische Therapie

....

Manuelle Therapie

....

Neurochirurgie

z. B. Chordotomie Rhizotomie Stereotaxie

Zentrale Stimulation DREZ -lesion*) Op. nach Janetta

....

Chirurgie

....

Strahlentherapie

....

Medikamentöse Therapie

z. B. Psychopharmaka Sedativa

Neuroleptika

') DREZ = dorsal root entry zone Tabelle 3

hältnisse des Patienten einzufüh- len und ihn im Sinne einer Ge- sprächstherapie zur Verfügung zu stehen. ln vielen Fällen führt dies

·den Anästhesisten an die Grenzen seiner Möglichkeiten und eröffnet die Notwendigkeit der Zusam- menarbeit mit Psychologen und Psychotherapeuten. in ähnlicher Weise ist in anderen Grenzfällen eine enge Zusammenarbeit mit anderen Fachdisziplinen - z. B.

Neurologen, Orthopäden, physi- kalischen Therapeuten, Interni- sten unter anderem - unabding- bar.

Grenzen und Möglichkeiten Leider ist die Arbeit des Anästhe- sisten in der Schmerztherapie vielfach auf Eigeninitiative be- gründet und weder in der Weitar- bildungsordnung noch in der spe- ziellen anästhesielogischen Fach- ausbildung ausreichend veran- kert. Auch die Gebührenordnung 1454 (68) Heft 18 vom 4. Mai 1984 81. Jahrgang Ausgabe A

für Ärzte kennt em1ge schmerz- therapeutische Leistungen nicht, so z. B. die intrathekale Neuroly- se. Andererseits darf man nicht verkennen, daß vielerorts durch personelle Engpässe die Arbeit des Anästhesisten in der Schmerztherapie unmöglich ge- macht wird.

Eingebunden in eine enge fach- übergreifende Kooperation kann der Anästhesist seine Möglich- keiten zur Verfügung stellen, um Patienten mit akuten und chroni- schen Schmerzen zu helfen. Die Möglichkeiten reichen von einer echten Schmerzprophylaxe Phantomschmerz - bis hin zur Therapie sogenannter inkurabler Schmerzen.

Seit der Etablierung von Schmerz- ambulanzen- vor allem durch Bo- nica (1) nach dem 2. Weltkrieg - sind wir zwar weit von einem the- rapeutischen Nihilismus entfernt, leider haben wir aber immer noch nicht annähernd alle Mög- lichkeiten ausgeschöpft, um Schmerzpatienten in ausreichen- der Weise zu betreuen und zu ver- sorgen.

Literatur

(1) Bonica, J. J.: The management of pain, Lea u. Febiger, Philadelphia (1953)- (2) Bonica, J.

J.: Editorial, in: Triangel-Sandez-Zeitschrift für Medizinische Wissenschaft 20 (1981) 1-6-(3) Katz, R. L.: Principles and function of a multi- disciplinary pain clinic, Acta Anaesth. Scan- din., 27 (1983) Supp. 78 45-(4) Masud, K. Z.:

Forster, K. J.: Sympathetic bleck in herpes zoster, Americ. Farn. Physician 12 (1975) 142-144

Anschrift für die Verfasser:

Professor Dr. med.

Siegtried Piepenbrack Klinik für Anaesthesiologie und operative Intensivmedizin Universitätsklinikum Steglitz Hindenburgdamm 30 1000 Berlin 45

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