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Mobilisierung im katholischen Milieu? : Zum Einfluss der konfessionellen Komposition des Kontextes auf die individuelle Wahlbeteiligung von Katholiken in Deutschland.

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Academic year: 2022

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Fachbereich Politik- und Verwaltungswissenschaft

Masterarbeit

Mobilisierung im katholischen Milieu?

Zum Einfluss der konfessionellen Komposition des Kontextes auf die individuelle Wahlbeteiligung von Katholiken in Deutschland.

Erstgutachter: Prof. Dr. Peter Selb (Universität Konstanz) Zweitgutachter: Prof. Dr. Markus Freitag (Universität Bern)

eingereicht von:

Kathrin Ackermann

Obere Vorstadtstraße 66 747431 Walldürn

kathrin.ackermann@uni-konstanz.de Matrikel-Nr.: 01/637468

11. September 2012

Konstanzer Online-Publikations-System (KOPS) URL: http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:bsz:352-209830

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Die vorliegende Masterarbeit untersucht den Effekt der konfessionellen Zusammen- setzung des Kontextes auf die individuelle Wahlbeteiligung von Katholiken in Deutsch- land. Aufbauend auf dem mikro- und dem makrosoziologischen Modell des politi- schen Verhaltens wird sowohl der Einfluss individueller als auch kontextueller Fak- toren auf die Teilnahme an Wahlen untersucht. Anhand von logistischen Mehrebe- nenanalysen mit Random Intercept und Random Slope werden die theoretisch her- geleiteten Hypothesen für die Bundestagswahlen 1994 bis 2009 empirisch überprüft.

Dazu wird auf die Daten des forsa-Bus zurückgegriffen. Auf Individualebene kann ein zeitlich stabiler, positiver Effekt der katholischen Religion auf die Wahlbeteili- gung bestätigt werden. Dies wird auf strukturelle Eigenschaften des Katholizismus sowie auf die religiös-konfessionelle Konfliktlinie und eine damit verbundene Parti- zipationsnorm zurückgeführt. Der Effekt der konfessionellen Zusammensetzung des Landkreises bzw. der kreisfreien Stadt, welcher mittels graphischer Analysen unter- sucht wird, ist hingegen weniger robust und eindeutig. Betrachtet man Deutschland insgesamt, zeigt sich ein u-förmiger Effekt des Katholikenanteils im Kontext auf den Individualzusammenhang zwischen katholischer Religion und Wahlbeteiligung. Dies bestätigt zunächst die These von Huckfeldt (1980), wonach Menschen mit Assimila- tion auf einen mittleren und mit Konflikt auf einen sehr geringen Anteil der eigenen sozialen Gruppe im Kontext reagieren. Allerdings kann der Effekt in getrennten Analysen für Ost- und Westdeutschland nicht bestätigt werden: Für Ostdeutsch- land zeigt sich kein Effekt und für Westdeutschland ist nur für die Wahl im Jahr 2005 ein schwacher, umgekehrt u-förmiger Kontexteffekt zu erkennen.

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Inhaltsverzeichnis

Abbildungsverzeichnis III

Tabellenverzeichnis V

1 Einleitung 1

2 Theorie und Hypothesen 6

2.1 Katholiken und Wahlbeteiligung . . . 6

2.1.1 Belonging, Behaving, Believing - Religion aus sozialwissen- schaftlicher Perspektive . . . 6

2.1.2 Theoretische Überlegung zur Wahlbeteiligung von Katholiken 7 2.2 Der Effekt der konfessionellen Zusammensetzung des Kontextes auf die Wahlbeteiligung bei Katholiken . . . 13

2.2.1 Der Landkreis und die kreisfreie Stadt als sozialer Kontext . . 13

2.2.2 Der moderierende Effekt des Kontextes . . . 14

2.2.3 Die funktionale Form des Kontexteffektes . . . 17

2.3 Alternative Erklärungen . . . 22

2.3.1 Der elektorale Wettbewerb als alternative Erklärung . . . 22

2.3.2 Ost-West-Unterschiede als alternative Erklärung . . . 23

2.4 Zusammenfassung: Das theoretische Modell . . . 24

3 Methode, Daten und Operationalisierung 26 3.1 Methode . . . 26

3.2 Datengrundlage . . . 30

3.3 Operationalisierung . . . 31

3.3.1 Die abhängige Variable . . . 31

3.3.2 Die unabhängigen Variablen . . . 32

3.3.3 Die Kontrollvariablen . . . 35

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4 Ergebnisse 38 4.1 Katholiken und Wahlbeteiligung . . . 38 4.2 Der Einfluss der konfessionellen Zusammensetzung des Kontextes auf

die Wahlbeteiligung von Katholiken . . . 42 4.3 Alternative Erklärungen . . . 48

5 Fazit und Diskussion 59

Literatur 64

Daten und Gesetzestexte 74

A Anhang i

A.1 Beschreibung der Variablen . . . ii A.2 Katholische Konfession/ katholischer Kirchgang und Wahlbeteiligung vi A.3 Alternative Erklärungen . . . x

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Abbildungsverzeichnis

2.1 Das theoretische Modell: Der Einfluss der konfessionellen Kompositi- on des Kontextes auf die Wahlbeteiligung von Katholiken . . . 25 3.1 Verteilung der Wahlbeteiligung über die Kontexte . . . 32 3.2 Verteilung der unabhängigen Variablen über die Kontexte . . . 34 4.1 Katholische Konfession/ katholischer Kirchgang und Wahlbeteiligung

- Mehrebenenmodell mit Random Intercept und Random Slope . . . 40 4.2 Der moderierende Effekt der konfessionellen Komposition des Kon-

textes - Modell 1 . . . 45 4.3 Der moderierende Effekt der konfessionellen Komposition des Kon-

textes - Modell 2 . . . 47 4.4 Der moderierende Effekt der konfessionellen Komposition des Kon-

textes (reduzierter Datensatz) . . . 50 4.5 Der moderierende Effekt der konfessionellen Komposition des Kon-

textes bei Berücksichtigung des elektoralen Wettbewerbs - Modell 3 . 52 4.6 Der moderierende Effekt der konfessionellen Komposition des Kon-

textes bei Berücksichtigung des elektoralen Wettbewerbs der Union - Modell 5 . . . 53 4.7 Der moderierende Effekt der konfessionellen Komposition des Kon-

textes in Ostdeutschland - Modell 7 . . . 55 4.8 Der moderierende Effekt der konfessionellen Komposition des Kon-

textes in Westdeutschland - Modell 9 . . . 57 A.1 Deskriptive Statistiken der Kontrollvariablen auf Individualebene . . iv A.2 Verteilung des elektoralen Wettbewerbs in den Wahlkreisen . . . v A.3 Der moderierende Effekt der konfessionellen Komposition des Kon-

textes (reduzierter Datensatz) . . . xi

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A.4 Der moderierende Effekt der konfessionellen Komposition des Kon- textes bei Berücksichtigung des elektoralen Wettbewerbs - Modell 4 . xiii A.5 Der moderierende Effekt der konfessionellen Komposition des Kon-

textes bei Berücksichtigung des elektoralen Wettbewerbs der Union - Modell 6 . . . xv A.6 Der moderierende Effekt der konfessionellen Komposition des Kon-

textes in Ostdeutschland - Modell 8 . . . xvii A.7 Der moderierende Effekt der konfessionellen Komposition des Kon-

textes in Westdeutschland - Modell 10 . . . xix

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Tabellenverzeichnis

A.1 Verwendete Variablen und ihre Operationalisierung . . . ii A.2 Der Effekt der katholischen Konfession/ des katholischen Kirchgangs

auf die Wahlbeteiligung (alle Landkreise/ kreisfreien Städte) - Leeres Modell . . . vii A.3 Der Effekt der katholischen Konfession auf die Wahlbeteiligung (alle

Landkreise/ kreisfreien Städte) - Modell 1 . . . viii A.4 Der Effekt des katholischen Kirchgangs auf die Wahlbeteiligung (alle

Landkreise/ kreisfreien Städte) - Modell 2 . . . ix A.5 Der Effekt der katholischen Konfession/ des katholischen Kirchgangs

auf die Wahlbeteiligung (reduzierter Datensatz) - Modell 3 und 4 . . xii A.6 Der Effekt der katholischen Konfession/ des katholischen Kirchgangs

auf die Wahlbeteiligung (reduzierter Datensatz) - Modell 5 und 6 . . xiv A.7 Der Effekt der katholischen Konfession/ des katholischen Kirchgangs

auf die Wahlbeteiligung (nur Ostdeutschland) - Modell 7 und 8 . . . . xvi A.8 Der Effekt der katholischen Konfession/ des katholischen Kirchgangs

auf die Wahlbeteiligung (nur Westdeutschland) - Modell 9 und 10 . . xviii

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1 Einleitung

Die Teilnahme an Wahlen gilt in einem demokratischen Gemeinwesen als zentra- ler Akt politischer Beteiligung und stellt somit ein Kernelement der Demokratie dar. Als solches steht die Wahlbeteiligung auch im Zentrum politikwissenschaftli- cher Forschung (vgl. Gabriel und Neller 2010; Lijphart 1997; Verba et al. 1995). Von besonderer Bedeutung ist hierbei die Frage, warum sich manche Bürger an politi- schen Prozessen beteiligen, während andere dies nicht tun.1Bereits Mitte des letzten Jahrhunderts weisen die Vertreter der Columbia School darauf hin, dass politisches Verhalten ein Produkt vieler Faktoren - individueller als auch kontextueller Bedin- gungen - ist (Berelson et al. 1954: 37; Lazarsfeld et al. 1944). Viele Jahre später greifen Verba und seine Kollegen diese These in ihrem Civic Voluntarism Model auf:

„In thinking about why some people are active while others are not, we find it helpful to invert the usual question and ask instead why people donot take part in politics. Three answers immediately suggest themsel- ves: because they can’t; because they don’t want to; or because nobody asked.“ (Verba et al. 1995: 15)

Verba et al. (1995) zufolge wird politische Partizipation also sowohl durch individu- elle Faktoren, wie Ressourcen und Motivation, bedingt als auch durch kontextuelle Gegebenheiten, wie die direkte Ansprache im Umfeld, stimuliert. Der Ansatz, ne- ben der individuellen auch die kontextuelle Ebene zu betrachten, ist zentral für die vorliegende Forschungsarbeit. Sie basiert zum einen auf dem makrosoziologischen Modell des politischen Verhaltens, welches den Effekt individueller, sozialstruktu- reller Faktoren, wie beispielsweise Beruf oder Religion, herausstellt (vgl. Lipset und

1Zur Verbesserung der Lesbarkeit wird in dieser Arbeit bei Personenbezeichnungen, wie z. B. Bür-

ger, lediglich die männliche Form verwendet. Die weibliche ist selbstverständlich eingeschlossen.

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Rokkan 1967). Zum anderen schließt sie an das mikrosoziologische Modell des poli- tischen Verhaltens an, welches durch die bereits erwähnteColumbia School geprägt wurde und die Bedeutung von Kontexteffekten betont (vgl. Arrington und Grof- man 1999; Berelson et al. 1954; Books und Prysby 1991; Bühlmann und Freitag 2006; Huckfeldt 1979, 1980, 1983b; Huckfeldt et al. 1993; Huckfeldt und Sprague 1993, 1995; Jones et al. 1992; Lazarsfeld et al. 1944; Levine 2005; Verba et al. 2005;

Zuckerman et al. 2007). Vor diesem Hintergrund wird der Effekt der konfessionel- len Zusammensetzung des Kontextes auf das Partizipationsverhalten von Katholiken untersucht. Folgende Fragen stehen im Zentrum der Arbeit: Welcher Zusammenhang besteht zwischen der katholischen Religion und der individuellen Wahlbeteiligung in Deutschland? Wird dieser Zusammenhang durch den Katholikenanteil im Landkreis bzw. in der kreisfreien Stadt beeinflusst und wenn ja, in welcher Form?

Die wissenschaftliche Relevanz der vorliegenden Studie lässt sich aus verschiedenen Aspekten der genannten Forschungsfragen ableiten. Erstens gilt es, den Individual- zusammenhang zwischen Religion und politischer Partizipation in Deutschland zu ergründen.2 Die meisten bestehenden Arbeiten zu Religion und politischer Partizi- pation beziehen sich auf den amerikanischen Fall. Für die USA galt lange Zeit eine grundsätzlich partizipationsfördernde Wirkung des Protestantismus als gesicherter Befund (vgl. Lam 2002; Verba et al. 1995). Neuere Ergebnisse ziehen diese Schluss- folgerung jedoch in Zweifel (DeSipio 2007; Jones-Correa und Leal 2001; Leal 2010;

Lee et al. 2002). Untersuchungen des deutschen Falls konzentrieren sich stärker auf die Frage der Wahlentscheidung als auf die Frage der Wahlbeteiligung von Katho- liken, Protestanten, Angehörigen anderer Religionen und Konfessionslosen (Arzhei- mer und Schoen 2007; Brooks et al. 2004; Jagodzinski und Quandt 2000; Jung et al.

2010; Klein und Pötschke 2000; Lachat 2007; Minkenberg 2010; Schoen 2009; van der Brug et al. 2009; Weßels 2011). Wie Freitag (2010: 429) konstatiert, legt die Forschung zu Wahlbeteiligung ihren Fokus zu stark auf institutionelle Faktoren und lässt kulturelle und religiöse Bedingungen häufig außer Acht. Angesichts der histo-

2Ziel der Arbeit ist ausdrücklich die Untersuchung dieses Zusammenhangs, nicht jedoch die voll-

ständige Erklärung politischer Partizipation. Daher bleiben andere mögliche Determinanten von Partizipation, wie beispielsweise politisches Selbstvertrauen (political efficacy), unberück- sichtigt. Einen Überblick über Erklärungsmodelle für politische Partizipation bietet van Deth (2009).

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risch gewachsenen, kulturellen Bedeutung des Katholizismus in Deutschland, ist es daher ein Ziel der vorliegenden Arbeit, den Zusammenhang zwischen katholischer Religion und der Teilnahme an Bundestagswahlen näher zu beleuchten.

Zweitens sind die Effekte der konfessionellen Zusammensetzung des Kontextes auf das politische Verhalten der Angehörigen einer bestimmten Konfession bislang kaum untersucht. Als Ausnahmen sind die Studien von Bélanger und Eagles (2006), Bot- terman und Hooghe (2012), Bühlmann (2006), Bühlmann und Freitag (2006), Field- house und Cutts (2008) sowie Klein und Pötschke (2000) zu nennen. Lediglich die zuletzt genannten Klein und Pötschke (2000) widmen sich dem deutschen Fall. All- gemein gibt es nur wenige Studien, die sich ausdrücklich mit Kontexteffekten auf politisches Verhalten in Deutschland beschäftigen: Klein und Pötschke (2000) kön- nen bezüglich des Wahlverhaltens seit den 1990er Jahren keine Kontexteffekte mehr feststellen, während Arzheimer (2009), Dülmer und Ohr (2008), Pickery (2002) und die neuere Arbeit von Klein (2007) solche Effekte finden. Vor diesem Hintergrund wird die vorliegende Forschungsarbeit einen Beitrag zur Kontroverse um Kontext- effekte auf politisches Verhalten in Deutschland leisten.3 Als Form des politischen Verhaltens wird hier die Teilnahme an Wahlen und nicht - wie in den meisten der genannten Studien - die Wahlentscheidung betrachtet.

Drittens steht die Frage nach der funktionalen Form des Kontexteffektes im Zen- trum der vorliegenden Studie. Auch diesem Thema wird in der bisherigen For- schung zu politischem Verhalten und Kontexteffekten nur wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Meist werden lineare Effekte angenommen (vgl. Arzheimer 2009; Bélan- ger und Eagles 2006; Dülmer und Ohr 2008; Klein und Pötschke 2000; Pickery 2002).

Als Ausnahmen sind die Studien von Przeworski und Soares (1971) und Rink et al.

(2009) zu nennen. Für die theoretische Fundierung hinsichtlich der Form von Kon- texteffekten ist außerdem der Beitrag von Huckfeldt (1980) von großer Bedeutung, wie später noch ausgeführt wird. Darauf aufbauend diskutiert die vorliegende Arbeit neben linearen auch nicht-lineare Verläufe eines mögliches Kontexteffekts.

3Unter ‘Kontexteffekten’ wird hier der Einfluss des sozialen Kontextes verstanden. Darüber hinaus

könnte sich auch der institutionelle Kontext auf politisches Verhalten auswirken. Da sich die vorliegende Arbeit jedoch ausschließlich dem deutschen Fall widmet, sind alle Individuen in den gleichen institutionellen Kontext eingebunden. Ein Berücksichtigung institutioneller Faktoren ist daher nicht geboten.

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Neben der aufgeführten wissenschaftlichen Relevanz ist die Studie auch gesellschaft- lich von Bedeutung. Zunächst ist politische Partizipation für den Fortbestand der Demokratie von entscheidender Wichtigkeit. Angesichts der - nicht nur in Deutsch- land - im Aggregat rückläufigen Wahlbeteiligung, sind Informationen über individu- elle und gesellschaftliche Bedingungen für Partizipation besonders wichtig. Weiterhin widmet sich die Arbeit der Frage, welche Bedeutung Religion und Konfession für die politische Teilhabe in modernen Gesellschaften haben. Während Säkularisierungs-, Modernisierungs- und Individualisierungstheorien einen schwindenden Einfluss von Religion auf gesellschaftliche Prozesse vorhersagen, ist auch die These von einer

‘Rückkehr der Religion’ weit verbreitet (für einen Überblick zu dieser Diskussion siehe Borutta (2005)). Schließlich birgt die vorliegende Studie einen Erkenntnisge- winn über Mobilisierungseffekte innerhalb bestimmter sozialer Milieus in sich. Sie trägt unter anderem zum Verständnis von Stärke und Form dieser Mobilisierung bei, was insbesondere für politische Eliten bei der Planung politischer Kampagnen von Interesse sein sollte.

Theoretisch basiert die vorliegende Arbeit, neben Überlegungen zum Einfluss struk- tureller Eigenschaften des Katholizismus, vor allem auf zwei Forschungssträngen.

Zum einen wird mit Hilfe der Cleavage-Theorie und dem darauf aufbauenden ma- krosoziologischen Modell des politischen Verhaltens der Zusammenhang zwischen katholischer Religion und Wahlbeteiligung auf Individualebene begründet (vgl. Lip- set und Rokkan 1967). Demnach folgt aus der engen Bindung von Katholiken an konservative Parteien eine Partizipationsnorm, da die Beteiligung an einer Wahl die Voraussetzung für die Wahlentscheidung zu Gunsten einer konservativen Partei ist (vgl. Bühlmann 2006: 119; Bühlmann und Freitag 2006; Freitag 2010: 435; Rattinger 2009: 235). Überdies wird diskutiert, ob möglicherweise strukturelle Eigenschaften des Katholizismus eine partizipationsfördernde Wirkung entfalten können. Zum an- deren wird das mikrosoziologische Modell, wonach das politische Verhalten eines In- dividuums entscheidend durch das soziale Umfeld beeinflusst wird, zur theoretischen Fundierung des Kontexteffekts herangezogen (vgl. Arrington und Grofman 1999; Be- relson et al. 1954; Books und Prysby 1991; Bühlmann und Freitag 2006; Huckfeldt 1979, 1980, 1983b; Huckfeldt et al. 1993; Huckfeldt und Sprague 1993, 1995; Jones

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et al. 1992; Lazarsfeld et al. 1944; Levine 2005; Verba et al. 2005; Zuckerman et al.

2007). Der Kontexteffekt wird als moderierender Effekt verstanden, sodass die Inter- aktion von individuellen und kontextuellen Bedingungen im Mittelpunkt steht. Im Sinne von Berelson et al. (1954: 74), welche die Bedeutung des sozialen Kontextes und des Kontakts mit Mitgliedern der eigenen sozialen Gruppe für die Persistenz des Cleavage-Votings herausstellen, wird die Theorie der gesellschaftlichen Konfliktlini- en um eine Kontextebene erweitert. Ein Schwerpunkt der theoretischen Diskussion liegt außerdem auf der Frage, in welcher Form dieser Kontexteffekt wirksam wird.

Neben linearen werden hier auch mögliche nicht-lineare Verläufe des Effekts ins Au- ge gefasst.

Die empirischen Analysen zur Beantwortung der zuvor beschriebenen Fragestellun- gen umfassen die Schätzung logistischer Mehrebenenmodelle sowie graphische Ana- lysen zur Bestimmung der funktionalen Form des Kontexteffekts. Um die Stabilität möglicher Effekte über Zeit zu testen, werden die Analysen für die Bundestagswah- len 1994, 1998, 2002, 2005 und 2009 durchgeführt. Mit dem forsa-Bus steht hierfür ein Datensatz zur Verfügung, der aufgrund seiner Datenfülle und der geographischen Verortung von Befragten auf Ebene des Landkreises bzw. der kreisfreien Stadt be- sonders geeignet ist. Dadurch werden eine Aggregation von Daten auf dieser Ebene und die anvisierte Schätzung von Gruppeneffekten möglich.

Zur Bearbeitung der formulierten Forschungsfragen ist die vorliegende Arbeit wie folgt aufgebaut: Zunächst werden die theoretischen Grundlagen erläutert und daraus die Hypothesen dieser Studie abgeleitet (Kapitel 2). Darauf folgt die Vorstellung der Methode, der Daten und der Operationalisierung (Kapitel 3). Im Anschluss werden die Ergebnisse präsentiert (Kapitel 4). Die Arbeit schließt mit einer Diskussion der Ergebnisse und einem Fazit ab (Kapitel 5).

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2 Theorie und Hypothesen

In diesem Kapitel werden die theoretischen Grundlagen für die vorliegende Arbeit aufgezeigt. Zu Beginn wird die Individualebene beleuchtet, indem der zu erwartende Zusammenhang zwischen katholischer Religion und Wahlbeteiligung erläutert wird (Abschnitt 2.1). Anschließend folgt die theoretische Fundierung der zu erwartenden Kontexteffekte (Abschnitt 2.2). Hier wird zunächst der Begriff des Kontexts näher bestimmt. Daran schließen theoretische Überlegungen zum moderierenden Einfluss der konfessionellen Komposition des Kontextes auf den Zusammenhang zwischen katholischer Religion und Wahlbeteiligung sowie zur funktionalen Form dieses Mo- deratoreffektes an. Das Kapitel endet mit einer Diskussion alternativer Erklärungen, wobei auf den elektoralen Wettbewerb und die regionale Zugehörigkeit eines Kreises zu Ost- oder Westdeutschland eingegangen wird (Abschnitt 2.3).

2.1 Katholiken und Wahlbeteiligung

2.1.1 Belonging, Behaving, Believing - Religion aus sozialwissenschaftlicher Perspektive

Die vorliegende Arbeit steht in der Tradition zahlreicher politikwissenschaftlicher Studien, welche den Einfluss der Konfession und der Religiosität auf politische Par- tizipation und politisches Entscheidungsverhalten untersuchen (z. B. Brooks und Manza 2004; Brooks et al. 2004; DeSipio 2007; Jagodzinski und Quandt 2000;

Jones-Correa und Leal 2001; Kohut et al. 2000; Lee und Pachon 2007; Lee et al.

2002; Leege und Kellstedt 1993; Minkenberg 2010; Olson und Warber 2008; Ray- mond 2011; van der Brug et al. 2009). Empirische sozialwissenschaftliche Studien unterscheiden dabei häufig zwischen drei verschiedenen Dimensionen von Religion, die für politisches Verhalten von Relevanz sind:Belonging,Behaving und Believing

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(vgl. Ben-Nun Bloom und Arikan 2012; Kohut et al. 2000; Olson und Warber 2008;

Wald und Smidt 1993). Belonging bezieht sich auf die reine Zugehörigkeit zu einer Konfession oder Religionsgemeinschaft (Kohut et al. 2000: 17ff.). Behaving umfasst die Ausübung religiöser Praktiken. Kohut et al. (2000: 23ff.) zählen dazu neben dem Kirchgang auch das Beten außerhalb des Gottesdienstes, die Übernahme von Aufgaben im Gottesdienst, die Teilnahme an Treffen außerhalb des Gottesdienstes, den Konsum religiöser Medien und die allgemeine Einstellung gegenüber Religion.

Schließlich steht Believing für persönliche Glaubensüberzeugungen, beispielsweise hinsichtlich der Existenz von Gott und einem Leben nach dem Tod, und damit für die mentale Seite von Religion (Kohut et al. 2000: 26ff.; Wald und Smidt 1993:

32). Aus Gründen der Datenverfügbarkeit betrachtet die vorliegende Arbeit nur die beiden zuerst genannten Dimensionen von Religion, also die Konfessionszugehörig- keit und die Ausübung religiöser Praktiken und Rituale. Weiterhin fokussiert die Studie auf Angehörige der römisch-katholischen Kirche und stellt diese den Ange- hörigen anderer Kirchen und Religionsgemeinschaften sowie den Konfessionslosen gegenüber. Nachfolgend wird ausgeführt, welche Effekte der Zugehörigkeit zur ka- tholischen Kirche und des Kirchgangs bei Katholiken auf die Wahlbeteiligung aus theoretischer Perspektive zu erwarten sind.

2.1.2 Theoretische Überlegung zur Wahlbeteiligung von Katholiken

Die US-amerikanische Forschung sprach zum Zusammenhang zwischen Religion und Partizipation lange Zeit eine eindeutige Sprache: Protestanten haben grundsätzlich eine höhere Partizipationswahrscheinlichkeit als Katholiken (z. B. Lam 2002; Verba et al. 1995). Dieser Befund geht zurück auf Verba et al. (1995: 245, 320ff.), welche dies mit den flacheren Hierarchien, den kleineren Gemeinden und der stärkeren Einbin- dung von Laien innerhalb der protestantischen Kirchen begründen. Diese Strukturen tragen demzufolge zur Entwicklung sogenannter Civic Skills bei, welche beispiels- weise durch die Mitarbeit in Gremien oder die Übernahme von Ämtern erworben werden. In zweierlei Hinsicht ist jedoch zweifelhaft, ob ein solcher partizipatorische

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Vorteil des Protestantismus derart uneingeschränkt gilt.

Erstens legen verschiedene Studien eine Einschränkung des Arguments von Verba et al. (1995) nahe. So zeigen beispielsweise neuere Forschungsergebnisse für die USA, dass der Protestantismus nicht auf alle Gruppen der Gesellschaft und auf alle Arten der gesellschaftlichen Teilhabe eine partizipationsfördernde Wirkung ausübt (vgl.

DeSipio 2007; Jones-Correa und Leal 2001; Leal 2010; Lee et al. 2002). Entgegen der These von Verba et al. (1995) finden einige Autoren sogar Hinweise darauf, dass der Katholizismus für die lateinamerikanischen Einwanderer in den USA zu einer Steige- rung der Partizipation führt: DeSipio (2007: 173) kommt in seinem Beitrag zu dem Schluss, dass katholische Lateinamerikaner eine um 30 Prozent erhöhte Wahrschein- lichkeit haben, zur Wahl zu gehen, verglichen mit Lateinamerikanern einer anderen Konfession. Jones-Correa und Leal (2001) finden eine höhere Wahrscheinlichkeit der Teilnahme an Kongresswahlen für katholische Lateinamerikaner im Vergleich zu La- teinamerikanern ohne oder mit anderer Konfession. Außerdem können Wald et al.

(1993: 129ff.) zwar unter evangelikalen Protestanten eine erhöhte Wahlbeteiligung feststellen, nicht jedoch unter den Mainline Protestants. Dieser Befund deutet dar- auf hin, dass es angesichts der pluralistischen Struktur des religiösen ‘Marktplatzes’

in den USA zwischen verschiedenen Ausrichtungen des Protestantismus zu differen- zieren gilt (vgl. Cortiel et al. 2011; Joffe 2009; Kohut et al. 2000; Leege 1993; Wolfe 2010). Den genannten Arbeiten zufolge scheint der Protestantismus nicht auf alle gesellschaftlichen Gruppen partizipationsfördernd zu wirken und es scheinen auch nicht alle Strömungen des Protestantismus diese Wirkung zu entfalten.

Zweitens ist unklar, wie groß die Bedeutung der laut Verba et al. (1995) durch den Protestantismus geförderten Civic Skills für die Beteiligung an Wahlen überhaupt ist. Schließlich gilt die Teilnahme an Wahlen im Vergleich zum Engagement in Par- teien oder Organisationen gemeinhin als eine niederschwellige, mit geringen Kosten und geringem Aufwand verbundene Partizipationsform (Whiteley und Seyd 2002:

41). Verba und Kollegen (1995: 358f.) zeigen durch ihre empirische Analyse selbst, dassCivic Skills auf die Teilnahme an Wahlen keinen Effekt haben. Hingegen sollten für eine niederschwellige Partizipationsform die persönliche Ansprache und politi- sche Stimuli von größerer Bedeutung sein. Hinsichtlich der Rekrutierung politisch

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Aktiver und dem politischen Stimulus, der von der Kirchengemeinde ausgeht, be- merken Verba et al. (1995: 377ff.), dass kein Unterschied zwischen den Konfessionen zu erwarten und empirisch festzustellen ist. Dies sind wichtige Befunde, die häufig von der These der partizipationsfördernden Wirkung des Protestantismus überdeckt werden.

Aus den bisherigen Einschränkungen zum partizipatorischen Vorteil von Protestan- ten lassen sich kaum Argumente für eine höhere Wahlbeteiligung von Katholiken ableiten. Hierfür ist eine genauere Betrachtung der Strukturen des Katholizismus notwendig. Im Vergleich zur evangelischen zeichnet sich die katholische Kirche durch eine eher kollektivistische und weniger individuelle Prägung aus. Dies führt zu einer stärkeren Integration und Gemeinschaftsorientierung und könnte durch mehr Gele- genheiten zur direkten Ansprache eine höhere Partizipationsbereitschaft zur Folge haben (vgl. Offe und Fuchs 2001: 445; Freitag 2010).

Weiterhin sollte gerade der traditionalistische Charakter der katholischen Kirche zu einer stärkeren Verankerung des Wählens als Partizipationsform bei Katholiken füh- ren. Die Teilnahme an Wahlen ist im Vergleich zu neueren und unkonventionellen Formen der politischen Partizipation, wie beispielsweise dem Boykott von Waren oder der Unterzeichnung einer Petition, als traditionell und konventionell einzustu- fen (vgl. Freitag 2010: 436). Bühlmann (2006: 92ff.) kommt für die Schweiz zu dem Ergebnis, dass Katholiken eine geringere Wahrscheinlichkeit haben, Leserbriefe zu schreiben. Das Schreiben von Leserbriefen wird zu den unkonventionellen Formen der politischen Partizipation gezählt. Er kann jedoch für Katholiken keine erhöhte Wahlwahrscheinlichkeit feststellen. Auf Aggregatebene ist hingegen ein positiver Ef- fekt des Katholizismus auf die Wahlbeteiligung in der Schweiz zu verzeichnen (vgl.

Bühlmann und Freitag 2006; Freitag 2005, 2010).

Neben Traditionalismus und Kollektivismus gilt letztlich Hierarchie als ein zentra- les Element des Katholizismus. Hierarchische Strukturen sollten die Verankerung sozialer Normen fördern. Als derartige Norm könnte die aus der engen Verbindung zwischen CDU und CSU und den Katholiken in Deutschland entstandene Wahlnorm für die Unionsparteien gewertet werden. Worauf diese Wahlnorm basiert und inwie-

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fern sie eine Partizipationsnorm impliziert, wird im nächsten Abschnitt ausführlich diskutiert.

Um die enge Bindung von Katholiken an konservative Parteien zu ergründen, ist ein Rückgriff auf das Werk Party Systems and Voter Alignments. Cross National Perspectives von Lipset und Rokkan (1967) notwendig. Sie beschreiben darin die Bedeutung gesellschaftlicher Konfliktlinien - sogenannterCleavages- für die Heraus- bildung der westeuropäischen Parteiensysteme. Das deutsche Parteiensystem war in seiner Entstehung besonders durch die religiös-konfessionelle und die sozioökonomi- sche Konfliktlinie geprägt (vgl. Arzheimer und Schoen 2007; Rattinger 2009; Schoen 2009; Weßels 2000). Über die Formierung der Parteienlandschaft hinaus führten die- se Konfliktlinien zu einer stabilen Bindung bestimmter gesellschaftlicher Gruppen an einzelne Parteien. Dieser Umstand wird in der Wahlforschung unter dem Stichwort

‘Makrosoziologisches Modells des Wählens’ diskutiert. Für die vorliegende Arbeit ist die religiös-konfessionelle Konfliktlinie von besonderer Bedeutung.

Die Wurzeln dieser Konfliktlinie liegen in Deutschland im sogenanntenKulturkampf zwischen der katholischen Kirche und dem Staat Ende des 19. Jahrhunderts. Diese Auseinandersetzung um Macht und Vormachtstellung, vor allem im Bildungsbereich, führte zu einem stärkeren Zusammenhalt innerhalb des katholischen Milieus und zu einer engen Bindung an die Zentrumspartei. Nach Ende des Zweiten Weltkrie- ges konnten die Unionsparteien als christlich-konservative Parteien die Katholiken in Deutschland an sich binden (Rattinger 2009: 77ff.; Weßels 2000: 132). Religion und Konfession spielen in der Union nach wie vor eine entscheidende Rolle, wie der Gottesbezug im ersten Satz des aktuellen Grundsatzprogramms der CDU, der Rück- bezug politischer Entscheidungen auf christliche Wertvorstellungen oder die derzei- tige innerparteiliche Debatte um den konfessionellen Proporz im CDU-Präsidium verdeutlichen.4 Hinsichtlich der Bedeutung der religiös-konfessionellen Konfliktli-

4Das aktuelle Grundsatzprogramm der CDU ist unter folgendem Link abrufbar: http://www.

grundsatzprogramm.cdu.de/doc/071203-beschluss-grundsatzprogramm-6-navigierbar.

pdf (26.08.2012). Zur Rolle christlicher Werte für die Poli-

tik der Union siehe beispielweise ein Interview mit dem CDU-

Generalsekretär Hermann Gröhe: http://www.sueddeutsche.de/politik/

cdu-generalsekretaer-groehe-homo-ehe-gleichstellen-ist-eine-symboldebatte-1.

1449129 (26.08.2012). Folgender Kommentar befasst sich mit der Debatte um kon-

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nie für das Wahlverhalten wird häufig argumentiert, dass gegenwärtig weniger die Konfession, sondern religiöses Verhalten relevant sei. Dies bedeutet, dass die ’neue’

Konfliktlinie nicht zwischen Katholiken und Protestanten, sondern zwischen Gläu- bigen und Nicht-Gläubigen verläuft (vgl. Dülmer und Ohr 2008; Elff 2007; Pappi und Shikano 2002; Weßels 2000; Wolf 1996). Wie jedoch zahlreiche Studien zeigen, hat auch die ’alte’ konfessionelle Konfliktlinie Bestand (vgl. Arzheimer und Schoen 2007; Brooks et al. 2004; Debus 2010; Elff und Rossteutscher 2011; Jagodzinski und Quandt 2000; Jung et al. 2010; Klein und Pötschke 2000; Lachat 2007; Minkenberg 2010; Raymond 2011; Schoen 2009; van der Brug et al. 2009; Weßels 2011): Katholi- ken wählen demnach immer noch häufiger die Unionsparteien als Angehörige anderer Religionsgemeinschaften oder Konfessionslose. Für Katholiken stellt die Wahl von CDU und CSU nach wie vor die Repräsentation christlicher Werte im politischen Raum sicher. Diese enge Bindung von Katholiken an konservative Parteien lässt sich als Wahlnorm interpretieren. Für die hier untersuchte politische Partizipation von Katholiken ist diese Wahlnorm wiederum von besonderer Relevanz, da sie automa- tisch eine Partizipationsnorm beinhaltet (vgl. Bühlmann 2006: 119; Bühlmann und Freitag 2006; Freitag 2010: 435; Rattinger 2009: 235). Nur wer zur Wahl geht, kann der Wahlnorm folgen, indem er seine Stimme an eine konservative Partei vergibt. So- mit kann die Erfüllung der Wahlnorm als Anreiz oder Motivation zur Partizipation interpretiert werden.

Zusammenfassend sprechen zum einen strukturelle Elemente des Katholizismus, wie Traditionalismus, Kollektivismus und Hierarchie für eine höhere Wahlbeteiligung unter Katholiken verglichen mit Angehörigen anderer Religionsgemeinschaften und Konfessionslosen. Zum anderen besteht in Deutschland in Folge der Prägung des Parteienwettbewerbs durch die religiös-konfessionelle Konfliktlinie eine enge Bin- dung von Katholiken an die Unionsparteien. Die sich daraus ergebende Wahlnorm impliziert eine Partizipationsnorm. Somit lässt sich aus den dargelegten Argumen- ten folgende Hypothese ableiten:

Hypothese 1a: Angehörige der römisch-katholischen Kirche haben bei Bundestags-

fessionellen Proporz im CDU-Präsidium nach dem Ausscheiden von Annette Schavan:

http://www.dradio.de/dlf/sendungen/kommentar/1844781/(26.08.2012)

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wahlen in Deutschland eine höhere Wahrscheinlichkeit, zu wählen, als Angehörige anderer Religionsgemeinschaften und Konfessionslose.

Bezug nehmend auf die anfangs getroffene Unterscheidung der drei Dimensionen von Religion wurde bisher nur die erste Dimension, die Zugehörigkeit zu einer Reli- gionsgemeinschaft, betrachtet. Die zweite Dimension, die Ausübung religiöser Prak- tiken, spielt aber gerade im Katholizismus eine bedeutende Rolle. Vor allem ein regelmäßiger Kirchgang gehört zu den zentralen Verhaltensnormen innerhalb der kollektivistisch geprägten katholischen Kirche (Freitag 2010: 436; Wald und Smidt 1993: 30ff.). Regelmäßiger Kirchgang führt zu einer stärkeren Einbindung in sozia- le Netzwerke. Traunmüller (2009) zeigt für Deutschland, dass sich der regelmäßige Gottesdienstbesuch positiv auf die Anzahl der Freunde auswirkt. Durch die Einbin- dung in Netzwerke wird wiederum die gegenseitige Beeinflussung und eine stärkere Internalisierung von Gruppennormen, wie beispielsweise der Wahlnorm gegenüber konservativen Parteien, begünstigt (vgl. Kohut et al. 2000: 13; Leege 1993: 4; Wald et al. 1993: 128; Whiteley und Seyd 2002: 45). Daher ist es wahrscheinlich, dass Kirch- gänger im Vergleich zu bloßen Mitgliedern der katholischen Kirche bereits durch ihren engen sozialen Kontext beeinflusst werden. Außerdem gelten die katholischen Kirchgänger nach wie vor als die Kerngruppe der religiös-konfessionellen Konfliktli- nie und damit als die Stammklientel der Union (vgl. Pappi und Brandenburg 2010).

Studien zeigen, dass die Wahrscheinlichkeit einer Wahlentscheidung für die Uni- onsparteien unter Kirchgängern in Deutschland tatsächlich noch höher liegt als bei einer bloßen Zugehörigkeit zur katholischen Kirche (Arzheimer und Schoen 2007:

103; Jagodzinski und Quandt 2000:169ff.; Jung et al. 2010: 45; Lachat 2007: 83f.).

Folglich kann für den regelmäßigen Kirchgang bei Katholiken mit Blick auf die Teilnahme an Wahlen folgende Hypothese formuliert werden:

Hypothese 1b: Regelmäßiger Kirchgang hat bei Katholiken einen positiven Effekt auf die individuelle Wahlbeteiligung. Der Effekt ist größer als der Einfluss der bloßen Zugehörigkeit zur katholischen Kirche.

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2.2 Der Effekt der konfessionellen Zusammensetzung des Kontextes auf die Wahlbeteiligung bei

Katholiken

2.2.1 Der Landkreis und die kreisfreie Stadt als sozialer Kontext

Bereits die Arbeiten derColumbia School weisen auf den Einfluss des Kontextes auf individuelles politisches Verhalten hin (vgl. Berelson et al. 1954; Lazarsfeld et al.

1944).5 Interaktionen innerhalb des Kontextes und die Integration in soziale Grup- pen spielen dabei eine entscheidende Rolle (Huckfeldt 1980: 231; Huckfeldt und Sprague 1993: 289). Schon die klassischen Studien der mikrosoziologischen Wahlfor- schung thematisieren nicht nur die Beeinflussung durch das enge soziale Umfeld, also Familie oder Freunde, sondern auch den Effekt eines weiteren sozialen Kontextes.

Diese Unterscheidung wird auch in der neueren Forschung offensichtlich. Einerseits beschäftigt sich ein Forschungsstrang mit dem Einfluss von Familie, Freunden und Netzwerken auf politisches Verhalten und legt damit eine enge Kontextdefinition im Sinne von Netzwerken zugrunde (vgl. Baldassarri 2009; Levine 2005; McClurg 2003;

Mutz 2002a, 2002b; Verba et al. 2005; Zuckerman et al. 2007). Andererseits gibt es aber auch eine Forschungsrichtung, welche den Effekt des weiter gefassten, häu- fig geographisch definierten sozialen Kontextes untersucht (vgl. Books und Prysby 1991; Bühlmann 2006; Bühlmann und Freitag 2006; Dyck et al. 2009; Gimpel et al.

2004; Gimpel und Lay 2005; Huckfeldt 1979, 1980; Klein und Pötschke 2000; Knack und Kropf 1998; Pickery 2002). Die vorliegende Arbeit wählt eine geographische Definition des sozialen Kontextes und schließt somit an den zuletzt genannten For- schungsstrang an. Sozialer Kontext wird folglich als weit gefasstes Umfeld verstan- den, in dem sich eine Person in ihrem Arbeits- und Alltagsleben bewegt. Gewählte Homophilie, wie Baldassarri (2009: 17) es bezeichnet, also die bewusste Selektion

5Auch das sozialpsychologische Modell der Michigan School stellt die Bedeutung des sozialen

Kontexts für die Vermittlung von Einstellungen und Wahrnehmungen als Determinanten der Wahlentscheidung heraus (Campbell et al. 1960). Aus theoretischer Sicht ist das Modell für die hier betrachtete Fragestellung jedoch von geringer Relevanz und wird daher nicht weiter ausgeführt.

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in einen Kontext, der zu den eigenen politischen Überzeugungen passt, sollte bei einer geographischen Kontextdefinition nur eine untergeordnete Rolle spielen (vgl.

Huckfeldt und Sprague 1987, 1993; Traunmüller 2012: 67).

Konkret berücksichtigt die vorliegende Arbeit den Landkreis bzw. die kreisfreie Stadt, in dem bzw. in der eine Person wohnhaft ist, als sozialen Kontext. Der weit gefasste soziale Kontext kann Individuen und ihr Verhalten auf zweierlei Wei- se beeinflussen. Erstens strukturieren Merkmale des weiten sozialen Kontextes In- teraktionen, welche wiederum zu einer gegenseitigen Beeinflussung der Individuen führen. Die Zusammensetzung des Kontextes bestimmt also mit wem eine Person interagiert und in welche Richtung sie dadurch beeinflusst wird (Burbank 1997;

Huckfeldt 1983a, 2007; Huckfeldt und Sprague 1993). Zweitens generieren Menschen durch diese Interaktionen und durch schlichte Beobachtungen Informationen über die Merkmale ihres weiten Kontextes. Sie entwickeln dadurch ein Kontextbewusst- sein, welches eine entscheidende Bedingung für Kontexteffekte ist (vgl. Baybeck und McClurg 2005; Books und Prysby 1988, 1991). Außerdem gleichen sie ihre eigenen Präferenzen und Verhaltensweisen mit den im Kontext vorherrschenden ab und rea- gieren gegebenenfalls darauf (Books und Prysby 1988, 1991; Burbank 1997). In der vorliegenden Arbeit wird mit dem Katholikenanteil ein kompositionelles Kontext- merkmal betrachtet, welches sich aus der Zusammensetzung der Individuen ableitet (vgl. Books und Prysby 1991: 62ff.). Aufgrund der interkontextuellen Variation die- ses Merkmals ist ein moderierender Einfluss auf den beschriebenen Zusammenhang zwischen katholischer Religion und Wahlbeteiligung möglich. Im Folgenden werden theoretische Überlegungen zur Begründung eines möglichen Kontexteffekts vorge- stellt.

2.2.2 Der moderierende Effekt des Kontextes

Wie bereits dargelegt, gibt es in der Wahl- und Partizipationsforschung verschiede- ne Modelle, welche die Beeinflussung individueller Entscheidungen durch den Kon- text thematisieren. Das Interesse der vorliegenden Arbeit besteht in dem Effekt der konfessionellen Komposition des Kontextes auf die Beziehung zwischen katholischer

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Religion und individueller Wahlbeteiligung. Es geht also um die Frage, ob und in welcher Form der Anteil der eigenen sozialen Gruppe im Kontext - im speziellen Fall der Anteil der Katholiken - den Effekt des Individualmerkmals der Zugehörigkeit zu dieser Gruppe auf das politische Verhalten beeinflusst. Der Kontexteffekt wird als moderierender Effekt verstanden, sodass die Interaktion zwischen individuellen und kontextuellen Bedingungen im Mittelpunkt steht. Es wird angenommen, dass vor allem der Effekt der gesellschaftlichen Konfliktlinien auf die Wahlbeteiligung nicht nur als Individualeffekt zu begreifen ist. Für das Fortbestehen desCleavage-Votings ist nach Berelson et al. (1954: 74) der soziale Kontext und der Kontakt mit Mitglie- dern der eigenen sozialen Gruppe von entscheidender Bedeutung (siehe dazu auch Bélanger und Eagles 2006; Levine 2005). Es sind also nicht nur die sozialstruktu- rellen Merkmale an sich relevant, sondern auch die sozialen Prozesse, durch die sie vermittelt werden. Dem Argument auf Individualebene ist damit bereits eine Grup- penebene inhärent, welche es zu explizieren gilt. Aus der Literatur lassen sich dazu die folgenden Thesen ableiten.

Zunächst geht dieMobilisierungsthesedavon aus, dass die geographische Konzentra- tion einer sozialen Gruppe die Entstehung gemeinsamer Interessen fördert, gegensei- tige Mobilisierung begünstigt und folglich zu einer Steigerung der politischen Par- tizipation bei den Angehörigen der Gruppe führt (vgl. Fieldhouse und Cutts 2008).

Hinter dieser These steht die Annahme, dass es bei geographischer Konzentration zu mehr Interaktion zwischen den Gruppenmitgliedern kommt. Der Austausch forciert die Entwicklung gemeinsamer Positionen. Um politische Interessen geltend machen zu können, ist wiederum Partizipation notwendig. Mobilisierung zur politischen Par- tizipation findet durch die Rekrutierung und direkte Ansprache innerhalb sozialer und damit auch kirchlicher Netzwerke statt (Verba et al. 1995). Leege (1993: 14) zufolge gibt es Hinweise auf eine gegenseitige Beeinflussung in der politischen Mei- nungsbildung im kirchlichen Kontext.

Eine zweite These, von Klein und Pötschke (2000: 188) alsGruppenkompositionsthe- se bezeichnet, geht davon aus, dass ein hoher Anteil der eigenen sozialen Gruppe im Kontext den Einfluss des Individualmerkmals verstärkt. Die These geht zurück auf das von Tingsten (1937 [1975]: 230) formulierteLaw of the Social Center of Gravity.

(23)

Hier spielt die Annahme der verstärkten Interaktion ebenfalls eine entscheidende Rolle. Dadurch kann zum einen das Bewusstsein für die durch die Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe geprägte, eigene Identität gestärkt werden (Leege 1993:

3). Zum anderen kann aber auch sozialer Druck entstehen, sich entsprechend dem Individualmerkmal zu verhalten (vgl. Klein und Pötschke 2000). Innerhalb der Reli- gionssoziologie wird dieser Mechanismus auch unter dem Stichwort derHöllenfeuer- Hypothese diskutiert (Stark 1996). Demnach folgen religiöse Individuen vor allem dann sozialen oder religiösen Normen, wenn diese durch das Umfeld anerkannt wer- den. Bestimmte Normen, die sich aus dem Individualmerkmal ergeben, können also durch den Kontext vermittelt und vor allem auch verstärkt werden (vgl. Books und Prysby 1988; Huckfeldt 1979).

Die beiden vorgestellten Thesen beinhalten unterschiedliche Mechanismen, vermuten jedoch beide einen positiven Effekt des Katholikenanteils im Kontext auf den Zusam- menhang zwischen katholischer Konfession bzw. katholischem Kirchgang und Wahl- beteiligung. Erhöhte Kirchgangsraten sowie die kollektivistische Ausrichtung der katholischen Kirche sollten Mobilisierungs- und Gruppenkompositonseffekte unter Katholiken besonders begünstigen. Ein derartiger Kontexteffekt kann für das Wahl- verhalten von Katholiken in Kanada nachgewiesen werden (vgl. Bélanger und Eagles 2006). Hinsichtlich der Partizipation auf lokaler Ebene stellt Bühlmann (2006) für die Schweizer Gemeindewahlen fest, dass bei zunehmender konfessioneller Homoge- nität in einer Gemeinde die Partizipationswahrscheinlichkeit der Angehörigen der Mehrheit steigt, während die der Minderheit abnimmt. Für die Nationalwahl in der Schweiz 2003 finden Bühlmann und Freitag (2006) einen direkten, positiven Effekt des Katholikenanteils im Kanton, jedoch keinen Interaktionseffekt mit dem Individualmerkmal. Botterman und Hooghe (2012) ziehen die Kirchgangsrate in der Gemeinde als Messung für die religiöse Prägung des sozialen Kontextes her- an. Sie berichten in ihrer Studie einen positiven Effekt hoher Kirchgangsraten in der Gemeinde auf die individuelle Wahlwahrscheinlichkeit für die Christdemokra- ten in Belgien. Für Deutschland können Klein und Pötschke (2000) lediglich für die Bundestagswahl 1969 einen Kontexteffekt auf das Wahlverhalten von Katholiken zeigen.

(24)

Wie ausgeführt, sollte die individuelle Wahlbeteiligung praktizierender Katholiken aufgrund von Beeinflussungen durch das enge soziale Umfeld höher sein. Ob jedoch auch der moderierende Effekt der konfessionellen Komposition des weiten sozialen Kontextes auf Kirchgänger im Vergleich zu Katholiken allgemein stärker ausfällt, ist fraglich. Die konfessionelle Zusammensetzung des Kontextes stellt ein kompo- sitionelles Merkmal dar, dem Katholiken allgemein und katholische Kirchgänger gleichermaßen ausgesetzt sind. Es geht über die engen sozialen Netzwerke innerhalb einer Kirchengemeinde, durch die Kirchgänger stärker beeinflusst werden, hinaus und steht vielmehr für die allgemeine religiöse Prägung des gesellschaftlichen Lebens in einer Region. Aus diesen Gründen wird nicht erwartet, dass der Katholikenan- teil im Landkreis bzw. in der kreisfreien Stadt unterschiedlich stark auf Katholiken allgemein und katholische Kirchgänger wirkt. Entsprechend der zuvor dargelegten Argumente wird folgende lineare Hypothese zum moderierenden Kontexteffekt for- muliert:

Hypothese 2: Je höher der Katholikenanteil im Kontext (Landkreis/ kreisfreie Stadt), desto stärker der Effekt der katholischen Konfession/ des katholischen Kirchgangs auf die individuelle Wahlbeteiligung.

2.2.3 Die funktionale Form des Kontexteffektes

Wie in Hypothese 2 wird in der sozialwissenschaftlichen Forschung häufig die Annah- me getroffen, dass soziale Prozesse, wie beispielsweise auch politische Partizipation, linear verlaufen. Dies ist jedoch meist nur eine Vereinfachung der Realität, welche sich als weitaus komplexer darstellt. Taagepera (2008: 74f., 82) weist ausdrücklich darauf hin, dass sich die Sozialwissenschaften viel stärker der funktionalen Form von Effekten zuwenden sollten, anstatt lediglich die Richtung zu erforschen. Studien, welche nicht-lineare Effekte berücksichtigen, zeigen diese Notwendigkeit eindrück- lich. So berichten zum Beispiel Gimpel und Schuknecht (2003) in ihrem Artikel zu geographischen Effekten auf die Wahlbeteiligung einen nicht-linearen Zusammen- hang zwischen der Entfernung zum Wahlort und der Wahlbeteiligung. Hinsichtlich expliziter Kontexteffekte auf politisches Verhalten zeigen beispielsweise Prezworski

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und Soares (1971) nicht-lineare Kontexteffekte bei der Präsidentschaftswahl in Chile 1952. Außerdem weisen Rink et al. (2009) in ihrer Arbeit einen umgekehrt u-förmigen Einfluss des Migrantenanteils in der Gemeinde auf die Wahlwahrscheinlichkeit der rechten Partei in Flandern nach.

Auch der hier betrachtete Kontexteffekt, der sich aus der konfessionellen Komposi- tion des Landkreises bzw. der kreisfreien Stadt auf die Beziehung zwischen katholi- scher Religion und Wahlbeteiligung ergeben sollte, ist möglicherweise nicht-linearer Natur. Hinsichtlich der Frage, welche Form Kontexteffekte annehmen können, un- terscheidet Huckfeldt (1980) in seinem Artikel Variable Responses to Neighborhood Social Contexts: Assimilation, Conflict, and Tipping Points zwei Mechanismen: As- similation und Konflikt. Assimilation bedeutet, dass sich ein Individuum in seinem politischen Verhalten an die Verhaltensweisen der dominierenden sozialen Gruppe im Kontext anpasst. Dies entspricht der im vorherigen Abschnitt formulierten, linea- ren Hypothese 2. Der Argumentation von Huckfeldt (1980) zufolge reagieren aber nicht nur die Angehörigen der Mehrheit, sondern auch Mitglieder anderer sozialer Gruppen mit Anpassung. Im Vergleich dazu bezeichnet Konflikt ein politisches Ver- halten, welches dem der dominierenden sozialen Gruppe entgegensteht. Die Domi- nanz einer bestimmten sozialen Gruppe kann bei der Minderheit zu einem stärkeren politischen Bewusstsein und in der Folge zu einer bewussten Abgrenzung von der anderen Gruppe (out-group) führen. Zunächst scheinen diese beiden Mechanismen - Assimilation und Konflikt - nicht miteinander vereinbar. Huckfeldt (1980) liefert jedoch eine theoretische Argumentation, welche Assimilation und Konflikt verbin- det, indem er den Tipping-Point als Konzept zur Modellierung von nicht-linearen Beziehungen einführt.

Ganz allgemein kann ein Tipping-Point als eine Diskontinuität in den Werten ei- ner Variablen in Abhängigkeit der Werte einer zweiten Variable verstanden werden (Huckfeldt 1980: 243). In anderen Worten: „small changes in yt near the threshold point τ cause the future paths of xt to rip apart in a discontinous way“ (Lamber- son und Page 2012: 179). Der Punkt τ stellt in dieser Definition den Tipping-Point dar. Nach Lamberson und Page (2012: 189ff.) sind direkte und kontextuelleTipping- Pointszu unterscheiden. Entspricht die Variableytder Variablext, so handelt es sich

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um einen direkten Tipping-Point. Unterscheiden sich die beiden Variablen, spricht man von einem kontextuellen Tipping-Point. Mit letzterem Konzept wird in der vorliegenden Studie gearbeitet.

Huckfeldt (1980) argumentiert also, dass sich assimilierendes und konfliktives Ver- halten nicht gegenseitig ausschließen, sondern durch einen Tipping-Point verbinden lassen. Der Logik zufolge passen Mitglieder einer sozialen Gruppe ihr Verhalten so lange an die Gegengruppe an, bis deren Anteil im Kontext einen kritischen Punkt erreicht hat. Ab diesem Punkt setzt konfliktives Verhalten ein, um die eigene Iden- tität zu schützen. In seiner Studie untersucht Huckfeldt (1980: 238ff.) diese These im US-amerikanischen Kontext. Konkret widmet er sich der Identifikation mit den Demokraten in Abhängigkeit der Berufsgruppe und des Anteils der Arbeiterklasse im Kontext. Alle Berufsgruppen zeigen eine nicht-lineare Reaktion auf den Kontext.

Zunächst passen alle Gruppen ihr Verhalten an das Verhalten der Gruppe, deren Anteil im Kontext steigt, an. Die Identifikation der Angehörigen der Arbeiterklas- se mit den Demokraten ist bei niedrigem Arbeiteranteil im Kontext beispielsweise geringer. Am deutlichsten zeigt sich derTipping-Point jedoch für die Klasse der Ex- perten und Manager. Überschreitet der Anteil der Arbeiterklasse im Kontext einen bestimmten Wert, zeigt sich ein starker Rückgang der Identifikation mit den Demo- kraten innerhalb dieser Berufsgruppe, was für konfliktives Verhalten steht. Huckfeldt (1980: 239f.) berücksichtigt nicht die komplette Bandbreite des Arbeiteranteils im Kontext, sondern nur Werte zwischen 20 und 70 Prozent. Er merkt an, dass sich möglicherweise deshalb nicht für alle Gruppen solch ein deutlicher Tipping-Point zeigen lässt.

Überträgt man die Argumentation und die Befunde von Huckfeldt (1980) auf den hier betrachteten Fall, sollte auch der Effekt des Katholikenanteils im Kontext auf den Zusammenhang zwischen katholischer Religion und Wahlbeteiligung nicht line- ar sein. Ausgehend von der Hypothese auf Individualebene, welche einen positiven Effekt der katholischen Konfession bzw. des katholischen Kirchgangs auf die Wahl- beteiligung vorhersagt, wäre ein u-förmiger Zusammenhang zu erwarten. Der Effekt der katholischen Konfession bzw. des katholischen Kirchgangs auf die Wahlbeteili-

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gung sollte bei mittlerem Katholikenanteil im Kontext schwächer ausgeprägt sein als bei Dominanz durch die Katholiken. Katholiken würden sich also an ihren Kontext anpassen. Ab einem bestimmten Anteil der Gegengruppe, also der Angehörigen an- derer Religionsgruppen und der Konfessionslosen, sollte der Effekt der katholischen Konfession bzw. des katholischen Kirchgangs auf die Wahlbeteiligung jedoch wieder an Stärke gewinnen. Theoretischen Überlegungen zufolge sollte dieserTipping-Point bei einem relativ geringen Katholikenanteil liegen. Allerdings ist ein genauer Wert a priori nicht festzulegen, sondern kann nur empirisch ermittelt werden.6 Aus den angeführten Argumenten lässt sich folgende Hypothese als Gegenthese zu Hypothese 2 ableiten:

Hypothese 3: Bei niedrigem bzw. hohem Katholikenanteil im Kontext (Landkreis/

kreisfreie Stadt) ist der Effekt der katholischen Konfession bzw. des katholischen Kirchgangs auf die individuelle Wahlbeteiligung stärker als bei einem mittlerem Ka- tholikenanteil (u-förmiger Kontexteffekt).

Ein u-förmiger Einfluss ist nicht die einzige, theoretisch denkbare nicht-lineare Form eines Kontexteffektes. Auch für einen entgegengesetzten Verlauf, also einen umge- kehrt u-förmigen Effekt, gibt es theoretische Argumente, welche vor allem auf Ratio- nal Choice Überlegungen basieren. Entsprechend der ursprünglichen Rational Choice Modelle, sollte ein rationaler Bürger bei einer normalen Wahl nicht teilnehmen, da der erwartete Nutzen die Kosten nicht übersteigt (vgl. Blais 2000; Downs 1957).

Dass bei nationalen Wahlen in etablierten Demokratien dennoch die Mehrheit der Bürger zur Wahlurne geht, wird als Paradox of Voting bezeichnet (Blais 2000: 2).

Um diesem Paradoxon zu begegnen, haben Rational Choice Theoretiker selbst ei- ne Reihe von Ergänzungen für ihre Modelle vorgeschlagen. Dem zufolge kann die Teilnahme an Wahlen zum Beispiel dann rational sein, wenn Parteien die Stimmab- gabe erleichtern oder wenn der Bürger den Einfluss der eigenen Stimme überschätzt und den Eindruck hat, sie könnte entscheidend sein (Blais 2000: 3ff.). Dies ist unter

6Möglicherweise spielt die Anzahl der im Kontext vertretenen Religionsgruppen und die damit

verbundene religiöse Heterogenität eine Rolle für den Verlauf des Kontexteffektes. Da das In- teresse der vorliegenden Arbeit jedoch auf der Beeinflussung von Katholiken durch den Anteil der eigenen Gruppe im Kontext liegt, bleibt die Heterogenität unberücksichtigt. Außerdem ist die konfessionelle Struktur in Deutschland durch den Dualismus zwischen Katholizismus und Protestantismus geprägt, sodass andere Religionsgruppen nur von geringer Bedeutung sind.

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anderem gegeben, wenn ein sehr knappes Ergebnis erwartet wird (vgl. 2.3.1 Der elektorale Wettbewerb als alternative Erklärung). Für die hier im speziellen betrach- tete Religionsgruppe der Katholiken ist außerdem eine weitere Situation denkbar, in der ihre Stimme von besonderer Relevanz ist. Zur Erläuterung gilt es, erneut die Argumentation auf Individualebene in Erinnerung zu rufen, welche unter an- derem aus der Cleavage-Theorie und der Bindung von Katholiken an konservative Parteien eine erhöhte Partizipationswahrscheinlichkeit ableitet. Demnach gehen Ka- tholiken vor allem deshalb eher zur Wahl, weil sie der konservativen Partei zum Sieg verhelfen möchten. Dieser Argumentation zufolge spielt die Konfession sowohl für die Wahlentscheidung als auch für die Wahlbeteiligung eine wichtige Rolle. Daher könnte - neben dem elektoralen Wettbewerb - auch der konfessionelle Wettbewerb im Kontext die Wahlbeteiligung von Katholiken beeinflussen. Katholiken sollten ihre Stimme für konservative Parteien vor allem dann als relevant betrachten, wenn der Kontext durch keine Konfession dominiert wird. Während bei einem sehr geringen Katholikenanteil durch die geringen Wahlchancen der Konservativen kein rationa- ler Anreiz zur Wahlbeteiligung besteht, spricht ein sehr hoher Katholikenanteil für einen sicheren Sieg der Konservativen und bietet somit aus Rational Choice Sicht ebenfalls einen geringen Partizipationsanreiz. Der stärkste Anreiz zur Wahlbeteili- gung sollte für Katholiken dann gegeben sein, wenn ihr Anteil im Kontext ungefähr 50 Prozent ausmacht.

Diese These schließt an die Befunde von van der Brug et al. (2009) an. Sie konnten für die Wahlen zum Europäischen Parlament zeigen, dass Religion für die Wahlentschei- dung zu Gunsten konservativer Parteien vor allem in religiös stark fraktionalisierten Gesellschaften eine Rolle spielt. Die Überlegung deckt sich außerdem mit dem Ar- gument von Bühlmann (2006: 114), wonach von einem sehr heterogenen Kontext eine partizipationsfördernde Wirkung ausgehen sollte. Daraus ergibt sich folgende Hypothese:

Hypothese 4: Bei einem mittlerem Katholikenanteil im Kontext (Landkreis/ kreisfreie Stadt) ist der Effekt der katholischen Konfession bzw. des katholischen Kirchgangs auf die individuelle Wahlbeteiligung stärker als bei niedrigem bzw. hohem Katholi- kenanteil (umgekehrt u-förmiger Kontexteffekt).

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2.3 Alternative Erklärungen

Um robuste Ergebnisse zu erhalten, ist es notwendig, konfundierende Erklärungen für den Zusammenhang zwischen Konfession und Wahlbeteiligung im Blick zu be- halten. Bei den berücksichtigten Kontrollvariablen auf Individualebene - Bildung, Alter und Geschlecht - handelt es sich um etablierte, erklärende Variablen der Partizipations- und Religionsforschung. Daher werden sie hier nicht gesondert dis- kutiert, sondern lediglich in Abschnitt 3.3.3 Die Kontrollvariablen vorgestellt. Der besondere Fokus der Arbeit liegt auf dem Zusammenspiel zwischen individuellen und kontextuellen Faktoren, weshalb mögliche konfundierende Variablen auf Kon- textebene nachfolgend ausführlich erläutert werden.

2.3.1 Der elektorale Wettbewerb als alternative Erklärung

Eine Variable, die möglicherweise den moderierenden Effekt des Katholikenanteils auf den Zusammenhang zwischen katholischer Religion und Wahlbeteiligung kon- fundiert, ist der elektorale Wettbewerb im Kontext. In einer Vielzahl von Studien konnte der Theorie des instrumentellen Wählens entsprechend gezeigt werden, dass die Wahlbeteiligung bei knappen Wahlen höher ist (z. B. Ashworth et al. 2006;

Blais 2000, 2006; Blais und Carty 1990; Blais und Dobzynska 1998; Bühlmann 2006;

Bühlmann und Freitag 2006; Cox 1988; Freitag 2005, 2010; Grofman und Selb 2009;

Loewen und Blais 2006; Selb 2009). Es wird nicht zwangsläufig angenommen, dass die Bürger die Knappheit der Wahl und damit den elektoralen Wettbewerb direkt antizipieren. Vielmehr wird die Annahme getroffen, dass die Parteien Informationen darüber haben, wie umkämpft ein Wahlkreis sein wird. Sie richten ihre Kampagnen danach aus und sorgen somit für eine stärkere Mobilisierung in knappen Wahlkrei- sen (vgl. Aldrich 1993; Cox 1999).

Hinsichtlich des Zusammenhangs zwischen dem Katholikenanteil und dem elekto- ralen Wettbewerb ist ein erneuter Rückgriff auf das Argument auf Individualebene notwendig. Entsprechend dem makrosoziologischen Modell des Wählens sollten Ka- tholiken vermehrt ihre Stimme für die Union abgeben. Trifft dies zu, würde ein

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hoher Katholikenanteil mit geringem elektoralen Wettbewerb einhergehen. Daraus lässt sich schließen, dass der elektorale Wettbewerb im Wahlkreis möglicherweise als konfundierende Variable relevant sein könnte. Angesichts der beschriebenen Bin- dung von Katholiken an konservative Parteien ist eine differenziertere Betrachtung des elektoralen Wettbewerbs sinnvoll. Katholiken sollten in ihrer Wahlbeteiligung besonders sensibel auf die Intensität des Wettbewerbs, dem die Unionsparteien aus- gesetzt sind, reagieren. In der nachfolgenden Analyse werden daher mit dem allge- meinen Wettbewerb und dem Wettbewerb der Union beide Konstellationen berück- sichtigt.

2.3.2 Ost-West-Unterschiede als alternative Erklärung

Eine zweite Kontextvariable, welche den Effekt des Katholikenanteils auf den Zu- sammenhang zwischen katholischer Religion und Wahlbeteiligung möglicherweise konfundiert, ist die geographische Verortung des Landkreises bzw. der kreisfreien Stadt in Ost- oder Westdeutschland. Sowohl hinsichtlich der Wahlbeteiligung als auch hinsichtlich des Katholikenanteils gibt es strukturelle Unterschiede zwischen den ost- und westdeutschen Gebietskörperschaften (vgl. Gabriel und Neller 2010).

Westdeutschland weist im Durchschnitt eine höhere Wahlbeteiligung und einen hö- heren Katholikenanteil als Ostdeutschland auf (Gabriel und Neller 2010: 89ff.; Pol- lack und Müller 2011: 131; Steinbrecher und Rattinger 2011: 79; Völkl 2007: 15).

Diese Unterschiede sind zu einem großen Teil auf unterschiedliche Prägungen der Ge- biete während der deutsch-deutschen Teilung zurückzuführen. Wie es Gabriel und Neller (2010: 74) formulieren, war „Ostdeutschland [...] eine entkirchlichte und ent- bürgerlichte Gesellschaft, Westdeutschland [hingegen] in die kulturelle Tradition des Christentums und der Aufklärung eingebunden.“ Die Menschen in Ostdeutschland hatten keine Erfahrung mit einer liberal-pluralistischen Demokratie und standen dieser - nach anfänglicher Euphorie - auch nach der Wiedervereinigung skeptisch gegenüber (Gabriel und Neller 2010: 75). Außerdem lebten sie bis zur Wiederverei- nigung in einem politischen System, dessen Ziel die Verdrängung von Glaube und Religion aus dem gesellschaftlichen Leben war (vgl. Elff und Rossteutscher 2011; Pi-

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ckel 2011; Roßteutscher 2009). Diese strukturellen Unterschiede können dazu führen, dass die konfessionelle Komposition des Kontextes in West- und Ostdeutschland un- terschiedlich stark bzw. in unterschiedlicher Form auf den Zusammenhang zwischen Konfession und Wahlbeteiligung wirkt. Daher werden als Test für die Robustheit der Ergebnisse getrennte Analysen für Ost- und Westdeutschland durchgeführt.

2.4 Zusammenfassung: Das theoretische Modell

Abbildung 2.1 fasst den Kern des zuvor beschriebenen, theoretischen Modells der vorliegenden Arbeit schematisch zusammen. Es wird zunächst angenommen, dass sowohl die bloße Zugehörigkeit zur katholischen Kirche als auch ein regelmäßiger Kirchgang unter Katholiken einen positiven Effekt auf die individuelle Wahlbeteili- gung haben. Darüber hinaus werden Hypothesen zu einer möglichen Beeinflussung dieses Zusammenhangs durch die konfessionelle Zusammensetzung des Kontextes entwickelt. Insgesamt werden drei konkurrierende Thesen zur funktionalen Form dieses moderierenden Effektes aufgestellt. Zusätzlich zu dem dargestellten Kern des theoretischen Modells gelten der elektorale Wettbewerb und Ost-West-Unterschiede als möglicherweise konfundierende Variablen auf Kontextebene. In den empirischen Analysen werden darüber hinaus auf individueller Ebene verschiedene Kontrollva- riablen berücksichtigt, welche im folgenden Kapitel näher erläutert werden.

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Abbildung 2.1: Das theoretische Modell: Der Einfluss der konfessionellen Komposi- tion des Kontextes auf die Wahlbeteiligung von Katholiken

Eigene Darstellung.

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3 Methode, Daten und Operationalisierung

Ziel des dritten Kapitels ist die Erläuterung der empirischen Analyse. Zunächst werden die verwendete statistische Methode und die Spezifikation der verschiedenen Modelle dargelegt (Abschnitt 3.1). Darauf folgt eine Beschreibung der Daten sowie des Prozesses der Datenerhebung und Generierung der finalen Datensätze (Abschnitt 3.2). Die Vorstellung der Operationalisierung der Variablen und einige deskriptive Statistiken schließen das Kapitel ab (Abschnitt 3.3).

3.1 Methode

Mit der Annahme eines Interaktionseffektes von Individual- und Kontextmerkma- len auf das individuelle Verhalten einer Person steht eine hierarchisch strukturierte Hypothese im Zentrum der vorliegenden Arbeit. Die Individuen sind eingebettet in einen Landkreis bzw. eine kreisfreie Stadt mit einer bestimmten konfessionellen Zu- sammensetzung. Entsprechend der Theorie moderiert dieses Kontextmerkmal - die konfessionelle Komposition des Landkreises bzw. der kreisfreien Stadt - den Einfluss des Individualmerkmals. Um der hierarchischen Datenstruktur Rechnung zu tragen, wird eine Mehrebenenanalyse als statistische Analysemethode gewählt. Sie ist einer einfachen Regressionsanalyse hier aus mehreren Gründen vorzuziehen (Steenbergen und Jones 2002: 219f.).

Zunächst kann eine zentrale Annahme des einfachen Regressionsmodells, die Un- abhängigkeit der Beobachtungen, durch die Einbettung mehrerer Beobachtungen in einen gemeinsamen Kontext verletzt sein. Dies kann zu Fehlern in der Schätzung der Standardfehler führen. Durch die Berücksichtigung der Korrelation zwischen den Beobachtungen ermöglicht ein Mehrebenenmodell eine effizientere Schätzung

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der Standardfehler bei geklumpter Datenstruktur als ein einfaches Regressionsmo- dell (vgl. Steenbergen und Jones 2002).

Außerdem bieten Mehrebenenmodelle durch daspartial pooling einen wichtigen Vor- teil, wenn das Interesse - wie im vorliegenden Fall - auf kontext- oder gruppenspezi- fischen Effekten liegt (Gelman und Hill 2007).Partial pooling stellt einen ‘Kompro- miss’ zwischen den beiden problembehafteten Ansätzencomplete pooling undno poo- ling dar.Complete poolingbedeutet, dass die hierarchische Struktur der Daten nicht berücksichtigt und damit Unterschiede zwischen den Gruppen außer Acht gelassen werden.No pooling steht für getrennte Schätzungen für die verschiedenen Gruppen.

Bei diesem Ansatz besteht die Gefahr in der Überbetonung von Gruppenunterschie- den (Gelman und Hill 2007: 7, 252ff.). Partial pooling steht zwischen diesen beiden Ansätzen und schätzt die gruppenspezifischen Koeffizienten als shrinkage estimates.

Dies bedeutet: „There is more pooling when the group-level standard deviation σα is small, and more smoothing for groups with fewer observations“ (Gelman und Hill 2007: 258). Die durch die Anzahl der Beobachtungen bedingte Unsicherheit geht folglich als Gewicht in die Schätzung der Koeffizienten ein.

Ein weiterer Vorteil der Mehrebenenanalyse ist die Möglichkeit, erklärende Varia- blen oder Kontrollvariablen sowohl auf Individual- als auch auf Gruppenebene im Modell zu berücksichtigen. In einer normalen Regressionsanalyse ist dies zwar auch umsetzbar, bringt jedoch zahlreiche Probleme, wie zum Beispiel Kolinearität, mit sich (Gelman und Hill 2007: 7).

Neben den genannten Vorteilen spricht auch die ausreichend große Anzahl der Grup- pen mit über 400 Landkreisen bzw. kreisfreien Städten im vorliegenden Fall für die Anwendung einer Mehrebenenanalyse. Damit steht genug Information zur Verfü- gung, um die Variation auf Gruppenebene zu schätzen (Gelman und Hill 2007:

247).

Da die abhängige Variable der vorliegenden Studie, individuelle Wahlbeteiligung, dichotom ist, kommt ein hierarchisches Logitmodell zum Einsatz. Um sowohl ei- ne Variation der Konstanten als auch der Effektstärke über verschiedene Kontexte hinweg zu erlauben, wird ein Modell mit Random Intercept und Random Slope spe-

(35)

zifiziert (vgl. Snijders und Bosker 1999: 223). Formal lässt sich das grundlegende Modell wie folgt als threshold model ausdrücken:

Y =

1 wenn Y >0 0 wenn Y ≤0

Yij =γ0+u0j+γ10xij +u1jxij +eij

u0jN0, τ02, u1jN0, τ12, eijF 0,π2

3

!

Auf Individualebene berücksichtigen die Modelle die Variable für die katholische Konfession bzw. den katholischen Kirchgang sowie verschiedene Kontrollvariablen, welche in Abschnitt 3.3 Operationalisierung vorgestellt werden. Wie in Abschnitt 2.3 Alternative Erklärungen bereits thematisiert, gilt der elektorale Wettbewerb im Wahlkreis als mögliche konfundierende Variable. Entsprechend enthalten einige der Modelle diese Kontrollvariable, auch wenn dadurch nicht mehr alle Landkreise und kreisfreien Städte berücksichtigt werden können.7 Außerdem werden getrennte Mo- delle für Ost- und Westdeutschland geschätzt, da auch die geographische Verortung eines Kreises als mögliche alternative Erklärung des variierenden Individualeffekts relevant sein könnte. Schließlich werden alle Modelle für fünf Bundestagswahlen geschätzt, um die Robustheit der Effekte zu überprüfen. Anstelle einer Zeitreihen- analyse wird auf die von Gelman und Hill (2007: 73) beschriebene Methodik des secret weapon zurückgegriffen: Für die fünf Wahlen werden Querschnittsanalysen durchgeführt, deren Ergebnisse graphisch verglichen werden.

Die technische Umsetzung der Schätzung erfolgt mit Hilfe der Funktion lmer(), die Teil des R-Packages lme4 ist (Pinheiro und Bates 2000). Ein großer Vorteil dieser Funktion ist der Algorithmus, welcher zur Schätzung der Koeffizienten auf Gruppenebene verwendet wird: Er führt das zuvor beschriebenepartial poolingdirekt

7Erläuterungen zur Zuordnung von Landkreisen bzw. kreisfreien Städten und Wahlkreisen sowie

zu den verschiedenen Arten der Messung des Wettbewerbs finden sich unter Abschnitt 3.2

Datengrundlage und Abschnitt3.3 Operationalisierung.

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