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2.1 Katholiken und Wahlbeteiligung

2.2.2 Der moderierende Effekt des Kontextes

Wie bereits dargelegt, gibt es in der Wahl- und Partizipationsforschung verschiede-ne Modelle, welche die Beeinflussung individueller Entscheidungen durch den Kon-text thematisieren. Das Interesse der vorliegenden Arbeit besteht in dem Effekt der konfessionellen Komposition des Kontextes auf die Beziehung zwischen katholischer

Religion und individueller Wahlbeteiligung. Es geht also um die Frage, ob und in welcher Form der Anteil der eigenen sozialen Gruppe im Kontext - im speziellen Fall der Anteil der Katholiken - den Effekt des Individualmerkmals der Zugehörigkeit zu dieser Gruppe auf das politische Verhalten beeinflusst. Der Kontexteffekt wird als moderierender Effekt verstanden, sodass die Interaktion zwischen individuellen und kontextuellen Bedingungen im Mittelpunkt steht. Es wird angenommen, dass vor allem der Effekt der gesellschaftlichen Konfliktlinien auf die Wahlbeteiligung nicht nur als Individualeffekt zu begreifen ist. Für das Fortbestehen desCleavage-Votings ist nach Berelson et al. (1954: 74) der soziale Kontext und der Kontakt mit Mitglie-dern der eigenen sozialen Gruppe von entscheidender Bedeutung (siehe dazu auch Bélanger und Eagles 2006; Levine 2005). Es sind also nicht nur die sozialstruktu-rellen Merkmale an sich relevant, sondern auch die sozialen Prozesse, durch die sie vermittelt werden. Dem Argument auf Individualebene ist damit bereits eine Grup-penebene inhärent, welche es zu explizieren gilt. Aus der Literatur lassen sich dazu die folgenden Thesen ableiten.

Zunächst geht dieMobilisierungsthesedavon aus, dass die geographische Konzentra-tion einer sozialen Gruppe die Entstehung gemeinsamer Interessen fördert, gegensei-tige Mobilisierung begünstigt und folglich zu einer Steigerung der politischen Par-tizipation bei den Angehörigen der Gruppe führt (vgl. Fieldhouse und Cutts 2008).

Hinter dieser These steht die Annahme, dass es bei geographischer Konzentration zu mehr Interaktion zwischen den Gruppenmitgliedern kommt. Der Austausch forciert die Entwicklung gemeinsamer Positionen. Um politische Interessen geltend machen zu können, ist wiederum Partizipation notwendig. Mobilisierung zur politischen Par-tizipation findet durch die Rekrutierung und direkte Ansprache innerhalb sozialer und damit auch kirchlicher Netzwerke statt (Verba et al. 1995). Leege (1993: 14) zufolge gibt es Hinweise auf eine gegenseitige Beeinflussung in der politischen Mei-nungsbildung im kirchlichen Kontext.

Eine zweite These, von Klein und Pötschke (2000: 188) als Gruppenkompositionsthe-se bezeichnet, geht davon aus, dass ein hoher Anteil der eigenen sozialen Gruppe im Kontext den Einfluss des Individualmerkmals verstärkt. Die These geht zurück auf das von Tingsten (1937 [1975]: 230) formulierteLaw of the Social Center of Gravity.

Hier spielt die Annahme der verstärkten Interaktion ebenfalls eine entscheidende Rolle. Dadurch kann zum einen das Bewusstsein für die durch die Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe geprägte, eigene Identität gestärkt werden (Leege 1993:

3). Zum anderen kann aber auch sozialer Druck entstehen, sich entsprechend dem Individualmerkmal zu verhalten (vgl. Klein und Pötschke 2000). Innerhalb der Reli-gionssoziologie wird dieser Mechanismus auch unter dem Stichwort der Höllenfeuer-Hypothese diskutiert (Stark 1996). Demnach folgen religiöse Individuen vor allem dann sozialen oder religiösen Normen, wenn diese durch das Umfeld anerkannt wer-den. Bestimmte Normen, die sich aus dem Individualmerkmal ergeben, können also durch den Kontext vermittelt und vor allem auch verstärkt werden (vgl. Books und Prysby 1988; Huckfeldt 1979).

Die beiden vorgestellten Thesen beinhalten unterschiedliche Mechanismen, vermuten jedoch beide einen positiven Effekt des Katholikenanteils im Kontext auf den Zusam-menhang zwischen katholischer Konfession bzw. katholischem Kirchgang und Wahl-beteiligung. Erhöhte Kirchgangsraten sowie die kollektivistische Ausrichtung der katholischen Kirche sollten Mobilisierungs- und Gruppenkompositonseffekte unter Katholiken besonders begünstigen. Ein derartiger Kontexteffekt kann für das Wahl-verhalten von Katholiken in Kanada nachgewiesen werden (vgl. Bélanger und Eagles 2006). Hinsichtlich der Partizipation auf lokaler Ebene stellt Bühlmann (2006) für die Schweizer Gemeindewahlen fest, dass bei zunehmender konfessioneller Homoge-nität in einer Gemeinde die Partizipationswahrscheinlichkeit der Angehörigen der Mehrheit steigt, während die der Minderheit abnimmt. Für die Nationalwahl in der Schweiz 2003 finden Bühlmann und Freitag (2006) einen direkten, positiven Effekt des Katholikenanteils im Kanton, jedoch keinen Interaktionseffekt mit dem Individualmerkmal. Botterman und Hooghe (2012) ziehen die Kirchgangsrate in der Gemeinde als Messung für die religiöse Prägung des sozialen Kontextes her-an. Sie berichten in ihrer Studie einen positiven Effekt hoher Kirchgangsraten in der Gemeinde auf die individuelle Wahlwahrscheinlichkeit für die Christdemokra-ten in Belgien. Für Deutschland können Klein und Pötschke (2000) lediglich für die Bundestagswahl 1969 einen Kontexteffekt auf das Wahlverhalten von Katholiken zeigen.

Wie ausgeführt, sollte die individuelle Wahlbeteiligung praktizierender Katholiken aufgrund von Beeinflussungen durch das enge soziale Umfeld höher sein. Ob jedoch auch der moderierende Effekt der konfessionellen Komposition des weiten sozialen Kontextes auf Kirchgänger im Vergleich zu Katholiken allgemein stärker ausfällt, ist fraglich. Die konfessionelle Zusammensetzung des Kontextes stellt ein kompo-sitionelles Merkmal dar, dem Katholiken allgemein und katholische Kirchgänger gleichermaßen ausgesetzt sind. Es geht über die engen sozialen Netzwerke innerhalb einer Kirchengemeinde, durch die Kirchgänger stärker beeinflusst werden, hinaus und steht vielmehr für die allgemeine religiöse Prägung des gesellschaftlichen Lebens in einer Region. Aus diesen Gründen wird nicht erwartet, dass der Katholikenan-teil im Landkreis bzw. in der kreisfreien Stadt unterschiedlich stark auf Katholiken allgemein und katholische Kirchgänger wirkt. Entsprechend der zuvor dargelegten Argumente wird folgende lineare Hypothese zum moderierenden Kontexteffekt for-muliert:

Hypothese 2: Je höher der Katholikenanteil im Kontext (Landkreis/ kreisfreie Stadt), desto stärker der Effekt der katholischen Konfession/ des katholischen Kirchgangs auf die individuelle Wahlbeteiligung.