Bücherbesprechungen
Die Welt aus der wir kommen. Die Vorgeschichte der Menschheit. Heraus¬
gegeben von Stuart Piogott. Das Große Knaur-Bueh. Atlas-Format.
404 Seiten mit 975 Abbildungen, davon 172 farbig. Droemersche Verlags¬
anstalt, Th. Knaur Nachf. München-Zürich 1961.
Nach einer vor etwa 3 Jahren veranstalteten Repräsentativ-Befragimg
besitzen volle 47 Prozent der Bevölkerung Westdeutschlands kein eigenes
Buch, auch nicht irgend eine Taschenausgabe. Hingegen werden aber von
80 Prozent der Befragten regelmäßig illustrierte Zeitschriften konsumiert.
Fraglos beruht es auf dem Niveau des Überhanges dieser Zeitungsleser,
daß ein aus Fortsetzungsbeiträgen der amerikanischen Zeitschrift Lije
kompiliertes Atlaswerk Die Welt in der wir leben, die vom Verlage des hier
angezeigten Buches auch der deutsehen Öffentlichkeit zugänglich gemacht
wurde, einen buchhändlerisch erstaunlichen Absatz finden konnte. In der
Tat würde allein schon das unhandliche Format für Bezieher sprechen, die
keinen sonstigen Buohbositz haben imd die Aufbewahrung ihrer Druck¬
werke daher freibleibend gestalten können.
Die Buchidee als solche war allerdings kein Novum. Anlage und Behand¬
lung des Themas boten typologisch lediglieh einen späten Nachfahr jener
gleiehfalls überformatigen Bildungslektüren dar, wie sie in der Zeit um die
Jahrhundertwende der Popularisierung von Kaiser und Reich oder der christ- seligen Besinnlichkeit gewidmet waren, mit vielerlei Jugendstilgeschnörkel
außen und innen und mit ansprechender Bebilderung, versteht sieh. Der
Altfränkischkeit des Konzeptes begegnete man durch einen neuzeitliehen
Spruchtitel (Satzgebilde ohne Hauptverbum und Kelativsätze ohne In¬
terpunktion mögen zwar als Titelei nach Duden richtig soin, stören aber
dennoch die Gewöhnung der Augen) und natürlich dmch gegenwartsnahe
Reproduktionstechnik.
Den absatzmäßig erprobten Buchtyp führt der avantgardistisch ge¬
sonnene Verlag nunmelu- fort, indem er zur farbenfrohen Erdgeschichte eine
ebenbürtig ausgestattete althistorische Variante existent werden läßt.
Konjunkturell mag ein solcher Entschluß verlockend ausgesehen haben -—
nur krankt er inhaltlich an der im historischen Kaum gänzlich anderen
Forschungssituation. Die Phasen der Erd- und der Naturgeschichte leben
in unserer Vorstellung vomehmlioh in den Unuissen der individuellen
Phantasie, deren Bilder dureh keine konkrete Gegenständlichkeit belastet
sind. Die historische Erfahrung hingegen baut auf Bealitäten der menschli¬
chen Daseinsführung. Vorbilder für diese bietet das zeitgenössische oder gegen¬
wartsnahe Erleben, dessen Gültigkeit für die Vergangenheit durch die Be¬
grenztheit des menschlichen Agierens garantiert ist. Dadurch bestehen hin¬
sichtlich historischer Situationen in uns echte Belevanzen, die Eekon-
struktionszeiehnungen nicht mit gleicher Unbefangenheit wie die erd-
gesehichtliehen Phantasmen aufnehmen lassen.
Schwieriger für die Darstellung außerdem ist es, daß der historische Prozeß
die Erde nicht in gleicher Totalität und Gleichmäßigkeit wie die natm-
Bücherbesprechungen 169 gesetzhchon Phänomene erfüllte. Es ist daher zur Zeit einfach technisch noch
nicht möglich, (he Fäden der Verknüpfung des gesitteten menschlichen
Werdens zu verbindlichen Sentenzen zu ordnen. Allein schon der unter¬
schiedliche Grad der wissenschaftlichen Aufarbeitung der historischen
Bezirke steht einer Auswertung vorerst im Wege. Im Bereich der Forschung
ist daher der Gedanke einer Universalhistorie seit Eduard Meyer sistiert
worden — nicht wegen erwiesener Unmöglichkeit, sondem weil für die
vergleichende Betrachtung eine derart sublimierte Deduktion der Arehivalien vorbereitet sein müßte — schon die Frage der effektiven Abhängigkeiten müßte detailliert geklärt sein —, wie sie für die nächste Zeit bei dem stetig wachsenden Überlieferungsanfall bzw. der Verfeinerung der Untersuchungs¬
methoden nieht bewältigt werden karm.
An diesen Tatsachen vermochte natürlich auch der Verlag nichts zu
ändem. Auch er mußte sich mit einem imiversalhistorisch aussehen wollenden
Konvolut von 13 in sieh abgeschlossenen Monographien begnügen, die er
aus einem englischen Sammelbande übersetzen ließ. Bei der Translation
brauchte mit fachlichen Ansprüchen von vorneherein nicht gerechnet zu
werden. Einiges findet sich vielleicht nioht vollendet eingedeutscht. Bei¬
spielsweise heißt im 3. Teil die nach-Jamdat-Nasr-zeitliche Keramik zu
deutsch herkömmlich 'scharlachrote Ware' (und nieht 'Scharlachkeramik').
Entsprechend hätte man den 'Blau-Monuments' ihre bei uns bestehende
Benennung als 'Blausehe Steine' belassen können. Bei Fig. 54 (auch im
3. Teil) wird im Abbildungsverzeiehnis die Zeitstufe 'ED III' mit 'Ur III'
vertauscht. Oder auf S. 346 im 12. Teil beschreibt man kleine Entenfiguren
boi zwei Schnabelkannen von Niederjeutz a. Mosel als die Schnabeltülle
'hinauf — (müßte im Deutschen wohl aueh 'herauf-' heißen!) schwimmend —
in Wahrheit jedoch schwimmen die Enten die Tülle hinab, indem sie von
der Kanne fortgewendet angebracht sind. Solehe Moniemng ergab sieh beim
Blättem.
Die Lauterkeit der beteiligten und wohlrenommierten Fachleute steht
außer Betracht. Es wäre längst überfällig, zum Thema der popularisierenden
Berichterstattung über wissenschaftliche Themen grundsätzliche Beden¬
ken vorzutragen. Dem Mißstande als solchem dürfte damit kaum abgeholfen
werden können, weil die Autoren oder Verlage, die es anginge, sieh solche
Bedenken kaum zu Herzen nehmen würden. Es sollte aber wenigstens für die
Fachforsehimg selbst an der Zeit sein, in sich zu gehen, um dem oft gehörten
törichten Einwand zu begegnen, daß dergleichen Wildbeuterei doeh gar
nicht so schlimm sei, es würde schließlich für das Fach immerhüi Reklame
gemacht. Die grimdsätzliehen Klischierungen und Akzentverschiebungen um Einsichten in den historischen Prozeß sollten aber bedenklich stimmen,
weil sie Rückwirkungen auf das Weltbild der Gegenwart nach sieh ziehen.
Johannes A. H. Potbatz, Fomsbaeh/Württ.
Ugo Bianchi: II Dualismo Religiosa, Saggio Storico ed Etnologico. 215 S.
L'Erma di Bretschneider. Boma 1958.
Einige Jahre nach dem Erscheinen dieses Buehes hat der Verfasser in der
Zeitschrift „Revue de l'Histoire des Religions" (Band 159, 1. 1961, S. 1—46)
eine sehr ausführliche Darstellung des Inhaltes seines Buches gegeben. Der
Verf. will, wie er erklärt, eine Geschichte und Phänomenologie des Dualismus
170 Bücherbesprechungen
geben. Das ist m. E. eine Kombination zweier Darstehungsformen, die sich
schwer vereinigen lassen. Wo es, wie hier, dennooh gesohieht, leidet die
Klarheit der Begriffe darunter. Unter Dualismus will der Verf. nicht den
nach seiner Ansicht philosophisohen Sinn des Begriffs, nämlieh die Gegen¬
sätze von Gott-Welt, Geist-Materie, verstanden wissen, sondem die Systeme,
in denen Schöpfung und Eegiment der Welt Taten zweier Mächte sind, die
kontradiktorisch oder komplementär sind. Es gibt nun dualistische Systeme,
in denen der Gegner Gottes Schöpfer und Herr der Welt ist, um dadurch
das höchste Wesen von der Verantwortung für das Böse in der Welt zu
entlasten. Dieser Dualismus ist, wie der Verf. zu zeigen sucht, ein universales
Phänomen in Ost und West.
Eine weitere These des Verf. behauptet, daß es in manchen dualistischen
Systemen historische und typologische Verbindungen zum Monismus gibt,
wobei unter Monismus verstanden werden soll: Immanentismus, Panthe¬
ismus, Panentheismus und Theopantismus. Während zunächst die in theisti¬
schen Systemen vorkonunende Spannung zwischen einem ersten und einem
zweiten Schöpfer behandelt wmde, stellt der Verf. daneben einen zum
Monismus neigenden Dualismus-Typ theogonisch-genealogischer Art. Hier
wird der Weltbeginn bestimmt durch ein oder zwei Wesen ohaotisch-präkos- mischer Art, aus denen die Geburt der Götter erfolgt. In diesen theogonisch-
kosmogoniscben Mythen begegnet nun bisweilen die Idee des Ureinen, das
in Vielheit übergeht, die sterblich, wandelbar imd vielfach sogar illusionär
ist. Diese kosmische Vielheit ist oft, wie z. B. im Orphismus, negativ be¬
wertet.
Das Buch leidet, wie sohon bemerkt, an Unschärfe der Begriffe. So scheint
mir z. B. bei der S. 21 f. vollzogenen Anwendung des Begriffs der Gnosis in
der Religionsgesehichte eine unzulässige Ausweitimg des Begriffs auf Mystik
überhaupt vorzuliegen. Auoh ist in diesem ersten grundsätzlichen Teil des
Buches (S. 13—54) eine zu geringe Diiferenziemng der Typen des Dualismus
gegeben. In meinem Artikel ,, Dualismus, religionsgesebichtlieh" in der
3. Aufl. der RGG Bd. II, 272ff. habe ieh fünf verschiedene Typen des in der
Religionsgesehichte vorkonunenden Dualismus zu analysieren versnobt.
Der ungleich umfangreichere 2. Teil des Buches behandelt sodann folgende
gesehichtliche Erscheinungsformen des Dualismus : in Altsibirien, bei den
Primitiven Nordamerikas, in Ozeanien, bei den Ainus und den Samojeden,
bei Mongolen und Türken, bei Ungam und Finnen. Der Wert des Buches
liegt weniger in den oben charakterisierten typologisch-phänomenologischen Betrachtungen als in diesen völkerkundlichen Ausführungen.
Gustav MjENScnrNG, Bonn.
Immanuel Velikovsky: Oedipus and Akhnaton. Myth and History. Garden
City, New York: Doubleday & Comp., Inc. 1960. 208 S., 40 Abb., 8».
$ 4.95.
So mancher Fortschritt bei der Erforschung des Altertums wird idealisti¬
schen Außenseitem verdankt, deren Blick nicht dmch Fachgrenzen ein¬
geengt und Lehrmeinungen getrübt ist. Leider zeitigt jene fröhliche Un¬
beschwertheit nicht immer wissenschaftlieh exakte Ergebnisse. Das zeigt
einmal mehr die vorliegende Arbeit, in der ernsthaft der Versuch unter¬
nommen wird, für die griechische Sage von Oidipus und seinem fluch-
Bücherbesprechungen 171
beladenen Geschlecht den historischen Hintergrund in den Vorgängen der
ägyptischen Amarnazeit wiederzufinden. Zur Stützung dieser These stellt
der Verf. folgende Entsprechungen auf:
Amenophis IV. Echnaton ist der historische Oidipus, dessen Name
(„SchweUfuß") auf die bekanntlich krankhaft verdickten Oberschenkel des
ägyptischen Pharao zurückgeht. Seine Frau Nofretete entspricht der von
einer griechischen Variante der Oidipus-Sage bezeugten Euryganeia, die
von Oidipus-Echnaton später verstoßen wird. Die Gestalt der Jokaste geht
auf die Mutter Echnatons, Teje, zurück, mit der er die Prinzessin Baketaton,
wahrscheinlich auch die Pharaonen Smenohkare und Tutanchamun zeugte.
Smenchkare und Tutanchamun ihrerseits sind PolyneUces und Eteokles,
Meritaton und Anchesenpaaton Antigone und Ismene. Der historische Kreon
ist in Nofretete-Polyganeias Vater Ai zu suchen, der historische Teiresias
in dem bekannten ägyptisehen Seher Amenophis, Sohn des Hapu. Durch
eine außerordentlich eigenwillige Rekonstruktion der Ereignisse vor, wäh¬
rend und nach der Regierung Echnatons gewinnt der Verf. ein Bild des
historischen Geschehens, das sich bis in die letzten Einzelheiten hinein mit
der griechischen Überlieferung der Oidipus-Sage besonders bei Aischylos,
Sophokles und Euripides deckt.
Es ist dem Rez. unmöglich, auch nur einen Teil der Mißverständnisse aufzuklären, die dem Verf. beim Studium der ägyptologischen Fachliteratur
unterlaufen sind. Noch viel weniger kann auf die zahlreichen Argumente
eingegangen werden, mit denen der Verf. seine These untermauert und die
dem Rez. ungenügend oder zumindest außerordentlich fragwürdig er¬
scheinen. Rezensent muß sich daher damit begnügen, die Arbeitsweise des
Verf. an Hand eines Beispiels kurz zu charakterisieren. Nach griechischer
Überlieferung begeht die Frau und Mutter des Oidipus, Jokaste, Selbst¬
mord. Das gleiche gilt nach Velikovsky für ihr historisches Gegenstück,
die Königin Teje. Den Beweis dafür sucht er durch folgende Deutung des
überlieferten Materials zu führen: Der ,, Katafalk", in dem Smenchkares
Sarg beigesetzt wurde und der ursprünglich Teje gehörte, wmde zerstört
vorgefunden, der Name auf den Eingeweidekrügen ausgelöscht, die Mumie
der Königin nie entdeckt. Die Ägypter hätten nun, argumentiert Veli¬
kovsky, Selbstmord für eine schwere Sünde gehalten, die Grabausstattung
daher zerstört und die Mumie der Selbstmörderin aus dem geweihten Boden
entfernt. Die im Grab Tutanchamuns gefundene Locke Tejes sei mit den
in Euripides' ,,Phoinissai" erwähnten Haaren identisch, die sich Jokaste
aus Trauer über das Schicksal ihrer Familie abschnitt und die in das Grab
Tutanchamuns gelegt wurden, weil das Haar von Selbstmördern als glück¬
bringend gegolten habe. Die Eingeweidekrüge aber, die ursprünglich zu
Meritaton-Antigone gehörten, seien von ihr für das Begräbnis ihres Bruders
Smenehkare-Polyneikes verwendet worden; da das Begräbnis habe heimlieh
vorgenommen werden müssen, hätte sie ihren Namen von den Krügen
entfernt. Es dürfte überflüssig soin, Konstruktionen dieser Art im einzelnen
zu widerlegen; Rezensent begnügt sich daher mit dem Hinweis, daß kein
einziger Punkt der Argumentation Velikovskys auch nur einigermaßen
sicher beweisbar ist.
Daß bei den engen Kontakten zwischen Kreta, Mykene und Ägypten
gerade während der späten 18. Dynastie Nachrichten über ägyptische Vor¬
gänge nach Griechenland gelangen konnten, soll nicht bestritten werden.
Daß nach über 800 Jahren in Athen aber noch so genaue Akten über die
Geschehnisse am ägyptischen Hof vorgelegen hätten, daß sie von den großen
172 Bücherbesprechungen
attischen Tragödiendichtern nur noch Zeile für Zeile in Verse umgesetzt zu
werden brauchten — und nur so ließen sich die bis ins Detail gehenden, fast
restlosen Übereinstimmungen erklären —, ist so unwahrscheinlich, daß
gerade hier das zwingendste Argument gegen das Buch Velikovskys liegt,
das im übrigen spannend und in flüssigem Stil geschrieben ist. Über die
Brüchigkeit der Argumentation sollte die glänzende Form freilich nicht
hinwegtäuschen.
Dieter Müller, Göttmgen
Bobert Hertz: Death and the Right Hand. Translated by R. and C. Need¬
ham. Vorwort von E. E. Evans Pritchard Cohen & West 1960. 174 S.
Es ist schwer zu begreifen, warum die beiden in diesem Band vereinten
Essays des 1915 gefallenen Autors, eines Mitgliedes der französischen
Dürkheim-Schule, irn Jahre 1961 ins Englische übersetzt wurden.
Ihr Inhalt ist längst überholt, die Ansichten sind die der in die Geschichte
der Ethnologie imd Soziologie eingegangenen Mitarbeiter der naeh dem
ersten Weltkrieg sanft entschlafenen ,, Annee Sooiologique". Dubkheims Handschrift ist bei seinem Schüler überall zu erkennen: im ,, kollektiven Bewußtsein" etwa oder in der seheinbar umfassenden aber zerfließenden und selten ins einzelne gehenden ,, vergleichenden" Methode, wenn man davon
überhaupt sprechen kann. Evans-Pritchard, der das Vorwort schrieb, hat
bei seiner kameradschaftlichen Tat, für die alten französischen Kämpen der
Prä-Malinowski-Ära ein Erinnerungsmal zu setzen, diese Schattenseiten
nicht übersehen. Vielleieht aber hat er zu sehr unterschätzt, daß beide Ar¬
beiten, vor allem die erste ("The collective representation of Death"
S. 25—86), welche von den Vorstellungen um ein zweites Begräbnis bzw. oin
zweites Totenfest ausgeht, schon bald danach überholt wurden. Rosalind
Moss schrieb schon 1925 ein Buch "The Life after Death in Oceania and tbe Malay Archipelago" und benutzte nicht nm das Quellenmaterial von Hertz
der ja Inselindien, bzw. Borneo, in den Mittelpunkt stellte, sondem noch
weit mehr Stoff — von Fbazebs dreiteiligem großen "La crainte des morts"
(Paris 1934ff.) abgesehen.
Es scheint das Pech des jungen Ethnosoziologen im ersten Jahrzehnt
dieses Jahrhunderts gewesen zu sein, Arbeiten zu schreiben, die rasch ver¬
alten mußten. Seine Untersuchungen über den Charakter der Sünden¬
vorstellung hat Pettazzoni bald und umfassend überholt !
Was die Rechts- und Links-Idee angeht, so bleibt es ein Verdienst von
Hebtz, die damals noch nicht sehr zahlreiehen Beobachtimgen über die
kulturelle Bedeutung der Beehts- und Links-Händigkeit zusammengestellt zu haben. Irgendwelche ,,natmalistische Konzeptionen" (S. III), worunter
er solare und astrale Vorstellungen versteht (Gestirnaufgang im Osten
= männlich = rechts) seien nicht entscheidend.
,,Die äußere Welt ... bereichert und präzisiert rehgiöse Ideen, die jedooh
aus den Tiefen des Kollektiv-Bewußtseins kommen, aber sie schafft sie
nicht". Es ist für Hebtz nieht leicht, die "preeminence of the right hand"
doch letzten Endes der Anatomie zuzuschreiben. Aber diese "slight physio¬
logical adventages" hätten die grundsätzliche Rüekfühmng der Fakten auf
das "collective consciousness" nieht verhindem können. Leider betont
Hebtz ausdrücklich, daß er der in Körper und Weltbild gleicherweise auf¬
tretenden Eigenschaft des Menschen als Homo duplex nicht mehr nachgehen
Bücherbesprechungen 173
woUo, obwohl es sich hier um eine der "profoundest question which the
science of comparative religion and sociology in general bave to solve". Ich verweise nur auf die letzte Abhandlung dieses Themas im Kapitel V („rechts- links") des Buches des Referenten („Das doppelte Geschlecht", Berlin 1955
S. 293ff.), wo ein derartiger Versuch avifgrund neueren Materials gewagt
wurde.
Es wird aus dem ethnologischen Stoff ganz deutlich, daß die Rechts¬
händigkeit sehon bei Wildbeuterkulturen die Bedeutung dos Männlichen-
Salcralen, die Linkshändigkeit die des Weiblich-Profanen hat. Rechts als
„riehtig" und links als „linkisch" (,,letz") entsprechen hier einfach den
Fakten, daß Männer vor allem die sakralen Riten durchführen imd die dafür
nicht benötigte linke Hand für alle profanen, z. T. schmutzigen Verrichtungen
reservieren. Aber später, in den agrarischen Kulturen, vor allem in den
Hochkultmen, wird diese Halbierung des Menschen (als Mikrokosmos) mit
der Halbierung der Welt (Himmel — Erde; Makrokosmos) gleiohgesetzt,
woraus sehr leicht androgyne Deutungen dieser Polarität gewonnen werden.
Hermann Baumann, Mimchen
Colleetion „Sourees Orientales" Vol. II: Les songes et leur interpretation.
Editions du Seuil, Paris, 1959. 331 pg.
Es ist nicht klar ersichtlich, warum der vorliegende Band schon bekanntes
Quellenmaterial über Träume und ihre Deutungen, wie sie aus Traum¬
büchern dos antiken Orients in neuen Ausgaben vorliegen, mit bisher wenig
bekannten Texten aus dem Islam, von den altaischen Völkern, den Persern,
Kmden, Indern und aus Cambodja, China und Japan vereinigt. Für eine
vollständige Erfassung des asiatischen Kontinents fehlen noch zu viele
wichtige Quellen. Die zwölf Kapitel der Sammlung sind von verschiedenen
Forschern bearbeitet, die zwar alle gediegene Fachleute sind, aber die Aus¬
stattung der einzelnen Abschnitte in Anmerkungen und Bibliographie doch
sehr unterschiedlich gestalteten. So fehlt dem Buch die Einheitlichkeit,
zumal der Sachindex als unzureichend bezeiehnet werden muß. Dagegen
wird man gern das gebotene reichhaltige Material als Stoffsammlung be¬
nützen, die es erlaubt, sowohl psychologische und tiefenpsychologische
Studien zu bereichern wie historische und ethnologische Aspekte zu ver¬
einigen.
F. Karlinger, München
City Invincible. A Symposium on Urbanization and Cultural Development in
the Ancient Near East. Ed. by Carl H. Kraeling and Robert M. Adams.
University of Chioago Press, Chicago/Illinois 1960. XIV u. 448 S., 2 Karten
u. 1 synohronoptische Tabelle der Geschichte des Vorderen Orients von
ca. 3500v. Chr. bis 800 n. Chr.
Das bier angezeigte Buch, das ein Verzeichnis der Teilnehmer an dem
vom 4.—7. Dezember 1958 vom Oriental Institute der University of Chicago
durchgeführten Symposium (S. XI — XIV) wie die Diskussionsbeiträge
(S. 1—246) und die den Diskussionen unterlegten Grundsatzartikel (S.
174 Bücherbesprechungen
247—448) zu dem im Untertitel genannten Themenkreis enthält, ist streng in
zwei einander ergänzende Teile gegliedert, u. zw. in die 1) auf den einzelnen
Sitzungen der Versammlung geführten und im Wortlaut wiedergegebenen
Diskussionen und 2) die ,, background papers", die die Diskussionen vor¬
bereitenden und ihnen unterlegten Grundsatzartikel.
Einführend zeigt L. Mumford (Massachusetts Institute of Technology)
die großen Entwicklungslinien auf, die zur Begründung städtischer Zivili¬
sation führten und die naeh der Errichtung städtischer Gemeinwesen das
urbane Leben formten und bestimmten (bes. S. 7—12). Mit dem Aufkommen
städtischer Siedlungen, das in die Zeit vor etwa 6000 Jahren datiert imd
mit den agrarischen Umwälzungen des Neolithikums in Zusammenhang
gebracht wird, fanden die bis dahin getrennt existierenden Eimichtungen
menschlichen Lebens einen gemeinsamen Ort. Aus den fast regelmäßig
wiederkehrenden Requisiten der Städte des Altertums, dem Wall oder der
Mauer als Umgrenzung, dem Tempel und dem Palast des Herrsehers als
Mittelpunkt, wird der Schluß gezogen, daß die Verbindung von göttlicher
und weltlicher Gewalt das entscheidende Moment der Urbanisation gewesen
ist, womit zugleich der wiederholt vertretenen modernen Auffassung be¬
gegnet werden kann, Wirtschaft und Handel seien Grundlage und Voraus¬
setzimg für die Entstehung der Stadt überhaupt gewesen. Die Stadt wurde
zum Abbild des Universums, ein Beispiel der kosmischen Ordnung inmitten
von Zersplitterung und Unsicherheit (eine These, die mit der von Thuky¬
dides in der Archäologie I 2 vertretenen kongruiert), und bildete einerseits infolge der weltliehen Zentralgewalt eigene Organisationen wie das Militär¬
wesen und die Verwaltungsbürokratie, andererseits infolge der Spezialisierung
menschlicher Tätigkeit handwerkliche Berufsgruppen, den Bauernstand und
die Schichtung naeh sozialen Klassen aus. An der Lösung von zwei Pro¬
blemen aber scheiterte die Stadt des Altertums: an der Distribution der
Staatsgewalt auf die Gesamtheit ihrer Bürger, die auch die griechische De¬
mokratie nicht im vollen Umfange zu vollziehen vermochte, und an der
Ausdehnung städtischer Funktionen und Eimichtungen über den unmittel¬
baren Bereich der Stadt hinaus, ohne dabei des Charakters eines städtischen
Gemeinwesens verlustig zu gehen •— eine Aufgabe, vor der sich vor allem
Rom gestellt sah, ohne sie im römisch-städtischen Sinne lösen zu können.
Aus diesen grundlegenden, nach den wesentlichen Punkten inhaltlich
wiedergegebenen Einführungsworten folgen Anlage und Themen der Dis¬
kussionen unschwer. Drei große Themenkreise, umspannend den Raum von
den dörflichen Vorformen städtischer Zivilisation im Alten Orient bis bin
zu den hellenistischen und römischen Großreichen, sind dementsprechend
zur Diskussion gestellt: I. die Hintergründe für die Ausdehnung der (städ¬
tischen) Gesellschaft im Vorderen Orient, welehe Frage an den beiden Bei¬
spielen mit konträrer Ausgangssituation, dem mesopotamischen Flußland
und dem Negev-Gebiet, abgehandelt wird; II. die kulturelle Entwicklung in
den Nationalstaaten, gezeigt an Mesopotamien der assyrischen Zeit und an
Ägypten während des Neuen Reiohes ; III. die kulturelle Entwicklung unter
den Großreichen, wobei vergleichend das neuassyrisehe und das persische
Reich einerseits wie der griechische (hellenistische) und römische Orient
andererseits zur Diskussion gestellt werden. Die im Anschluß an die Dis¬
kussionsthemen abgedruckten ,, background papers" kongruieren sachlich nur insoweit mit jenen, als sie spezielle, den Diskussionen inhärierende Teil¬
gebiete herausgreifen und zur Darstellung bringen, wie z. B. die Ausdehnung
der Gesellschaft in der Sicht ihrer kultmellen Tragweite, die Fimktion der
Bücherbesprechungen 175
Sprache beim kulturehen Fortschritt der mesopotamischen Gesellschaft,
Strukturen und Wechsel in der Geschichte der Religionen, der Einfluß Ho¬
mers auf die spätere griechische Literatur u. a.
Wie die vorstehende summarische Inhaltsübersicht zeigt, war das Ziel
des Symposiums weit gesteckt — zu weit, wie es dem Leser scheinen will,
da es in verhältnismäßig kurzer Zeit eine Reihe äußerst diffiziler Probleme zu erörtern und womöglich zu bescheiden galt. Die Initiatoren der gelehrten
Zusammenkunft dürften sich der zu erwartenden Schwierigkeiten bewußt
gewesen sein imd suchten ihnen durch die richtungweisenden ,, background papers" und dureh die fast stets universalhistorisohe Anlage der einzelnen
Themen zu begegnen, um den großen Zug der Entwicklung städtischer Zi¬
vilisation unter Außerachtlassung von Detailfragen herausarbeiten zu
können. Während sich nun die mit Literaturhinweisen versehenen ,, back¬
ground papers" in nichts von wissenschaftlichen Aufsätzen entsprechender Art unterscheiden, fällt bei den Diskussionen auf, daß leider nur zu oft der
allgemeine Faden zugunsten spezieller Erörterungen verlassen und somit
das seiner Zielsetzung nach notwendig universalhistorische Gespräch ent¬
sprechend der Forschungsrichtung der einzelnen Symposiasten in eng be¬
grenzte Fachabhandlungen aufgesplittert wird. Definitive Lösungen blieben
in der Regel den Diskussionen versagt, doch wird der Leser in Anbetracht der Fülle der aufgeworfenen Probleme keine solchen erwarten. Die Unmittel¬
barkeit der Ansprache, die auch das gedruckte Wort nicht vermissen läßt, die
auf engstem Räume zum Ausdruck kommende Gegensätzlichkeit oder
Übereinstimmung in den Auffassungen namhafter Gelehrter bezüglich be¬
stimmter Fragen wie die gründliche Beleuchtung des Phänomens städtischer
Zivilisation und Urbanen Lebens auf altorientalischem Boden unter ver¬
schiedenen Gesichtspunkten informieren nicht nm den Fachmann, sondem
auch den interessierten Laien eingehend über einen Problemkreis, der bis
heute seine Gültigkeit nicht verloren hat. Und hierin liegt m. E. in erster Linie der Wert des Buches.
RoBKRT Webneb, München
Kabl Oberhubeb: Sumerische und Akkadische Keilschriftdenkmäler des
Archäologischen Museums zu Florenz. Tafelband imd Textband = Inns-
bmcker Beiträge zur Kulturwissenschaft, hrsg. v. d. Iimsbrucker Gesell¬
schaft zm Pflege der Geisteswissenschaften, Sonderhefte 7 bzw. 8 (Aus¬
lieferung durch d. Sprachwissensch. Institut d. Universität Innsbruck).
Innsbruck 1958 und 1960, gr. 8», 70 Tfn. bzw. 157 S.
In den beiden hier anzuzeigenden Bänden' legt K. Obebhubeb im Tafel¬
band die Keilsohriftkopien und im Textband die Umschrift und meist Über¬
setzung von 165 keilschriftlichen Rechts- und Wirtschaftsurkunden und
Briefen sowie in der Einleitung des Textbandes (S. 11) die Umschriften zweier
kleiner Inschriften des altbabylonischen Königs Sinkäsid vor. Die Tafeln
befinden sich im Archäologischen Museum zu Florenz und wurden 1930
in Baghdad angekauft. Zeitlich umspannt die Textsammlung einen Zeit¬
raum von knapp 2000 Jahren: 3 Tafeln stammen aus sargonischer oder
vorsargonischer Zeit, 122 aus Ur III (teils aus Umma und Puzris-Dagan),
' Vgl. dazu die Rez. von M. Lambebt, RA 53 (1959) 215f.; RA 55 (1961)
49f. und J. Abo, OLZ 57 (1962) 146f.
176 Bücherbesprechungen
9 aus alt- und 31 aus neubabylonischer (bis in frühachämenidiseho) Zeit.
Leider sind ein Teil der Texte — insbesondere die neubabylonisohen —
ziemlich fragmentarisch und schwer leserlich. Wenn aueh die Texte im
allgemeinen keine wesentlichen Überraschungen enthalten, so sind sie auf
jeden Fall eine sehr erfreuliche wertvolle Bereicherung des bereits vor¬
liegenden Materials, besonders für unsere Kenntnis von Wirtschaft und Ver¬
waltimg in Ur III. Die eingehendste Bearbeitung widmet auch der Verf.
den den Hauptteil der Publikation bildenden Urkunden dieser letzteren
Periode. Allen Texten ist ein ausführlioher philologisoher Kommentar mit
bis in die Einzelheiten gehenden Literaturnachweisen hinsichtlich der
einzelnen vorkommenden Worte beigegeben.
Einen erheblichen Teil der Texte aus Ur III und aus altbabylonischer
Zeit bilden Wirtschaftsurkunden der Typen äu ba-ti, i-dib, mu-tüm,
zi-ga und ba-zi. Unter den altbabylonischen Texten enthält Nr. 106 aus
der Zeit des Königs Rim-Amun einen neuen Beleg für die Gruppe der bit
asirum-Texte^ und Nr. 131 eine Schiffsmietmkunde nach dem üblichen
Formular. Die neubabylonischen Tafeln stammen teilweise aus dem Heilig,
tum Earma in Uruk und bilden so eine weitere Ergänzung zu dem bisber
bekannten umfangreichen Material aus dessen Archiven. Ein Teil der dort
vorkommenden Personen sind uns daher aus anderen Urkunden bereits
wohlbekannt. In Nr. 155 Z. 3ff. dürfte zu ergänzen sein:
(3) [mdr I ]I <'iamai-MU.MU' * mär-M Sd ^■^nabu-baldt-su-iqbi
mdr ^-^sin-leqe-unnini
(4) [^-^nabui 1)-apl]a{ t)-iddin mdr-Sü Sd \dmi-'\^iStar mär ^i-kur-za-kir*
^■^nabü-baldt-su-iqbi
(5) [mär-Sü Sd Hbna-]a mär ^e-kur-za-kir^ '•'^nergraZ-MU.MU' mär-Sü Sd
Mna-eSe-etir
(6) [mdr '^hu-]un^-zu^-ü' ^-^iStar-ah-iddin mär-Sü Sd ^ap-la-a mär ^u^uS- tam-mar-^ 'o[dad]
In Nr. 164 Z. 18fF. sind die Zeugeimamen wohl zu ergänzen:
Z. 19 am Anf. ^■<^sin-ereS^ ; Z. 21 l^ '^^Sama[s]-7nu[k]in-apli« ; Z. 23 [^-^in.
nirw,jin-nin-Sum-']usur{ Z. 24 [}-^anu-Sum-'\ ibni^.
Die Nm. 155 und 164 gehören zu denjenigen Urkundengruppen des
Eaima-Arehivs, bei denen die (Urkunds-)Zeugen zum Tempelverwaltungs¬
personal gehörten, das in seinem Verwaltungsbereich in Rechtsangelegen¬
heiten und bei der Ausfertigung von Rechtsurkunden mitwirkte. Die Zeugen
von Nr. 164 erscheinen noch in einer ganzen Anzahl anderer Reohtsurkunden
teils gemeinsam, teils mit anderen Personen als Zeugen, und, soweit sie
2 Vgl. dazu neuerdings W. F. Leemans, RA 55 (1961) 57 ff. (66ff.). Zu
dem altbabylonischen Brieffragment Nr. 132 vgl. don Rekonstruktions-
versueh von Abo a. a. O. 147 f.
' Zu lesen: -Sum-iddin oder -nadin-Sumi; Verf. S. 105 A 2.
« Vgl. z. B. YBT VI 77, 18; 144, 17; 153, 14; GCCI I 63, 24( ?).
6 Vgl. z. B. YBT VI 77, 20; 143, 21; 214, 20.
' Vgl. z. B. YBT VI 153, 16; 219, 18; 230, 14; 238, 23.
'Kopie: GUB.GUR-m. Vgl. GCCI I 353,4; BIN I 104, 11; YBT VI
152, 13; 205, 6; 219, 6; 230, 16.
« Vgl. YBT VII Index.
Bücherbesprechungen 177
zusammen auftreten, regelmäßig in derselben Reihenfolge wie in Nr. 164',
offenbar entspreehend ihrer Stellung innerhalb der Tempelhierarchie".
In Nr. 155 dürfte weiterhin zu ergänzen sein auf Z. 10 am Anfang [mär-
iü vgl. dazu GCCI I 418, 5; Z. 27f:
(27) [ina hei ^nahü %elii ää ujruk''^^^ (u} ^na-na-a il a-de-e (28) [Sd ^■<^nahü-na'id Sär hähil]i'-^' u^-%Sl-Sär-usur^^;
Z. 11 lies ina puhri ü-Sd^-az-zi-iz-zu-Sü-nu-ti-ma.
In Nr. 153 ist wohl zu lesen Z. 1 am Zeilenanfang und Z. 7 am Zeilen¬
ende: 60 + 2[-f2 gur xx] bzw. [60-f]4 gur; Z. 8 a. E.: ina muh^-hi^ [l-]e«' r[««i]( ?) ,,auf einmal"; der Ortsname Z. 21 a. A. : kär-^na-na-a usw. (vgl.
YBT VII 101, 15; 119, 13f.).
Nr. 162 Z. 6 a. E. lies: U4.2.kam ina lihhi 8 ina hdbdni"^ nu-uk-ku-au.
Für die Auswertung der bearbeiteten Texte sehr nützlich sind die am
Schluß des Textbandes beigefügten Indizes der vorkommenden Personen-,
Götter- und Monatsnamen sowie der geographischen Bezeichnungen, das
Glossar und die chronologische Übersieht der datierten Texte. Dem Verf.
gebührt der besondere Dank der Fachgenossen dafür, daß er mit seiner
Publikation neues, bisher unzugänglich gewesenes Material für die Forschung
verfügbar gemacht hat.
Herbert Petschow, München-Leipzig
Anton Moortgat : Archäologische Forschungen der Max Freiherr von Oppen¬
heim-Stiftung im nördlichen Mesopotamien 1956. Wiss. Abhandl. d. Ar-
beitsgemeinsch. f. Forschung des Landes Nordrhein-Westfalen, Bd. 7.
Westdeutscher Verlag, Köln und Opladen, 1959. 42 Seiten, 23 Abb.,
1 Karte, Namenverzeichnis. Leinen 13,— DM.
Die Archäologie des oberen Mesopotamien hat in den zwanziger Jahren
durch Max Freiherr von Oppenheim entscheidenden Auftrieb erfahren.
Als er bei seinen Beduinenforsehungen im Jahre 1899 am Oberlauf des
Chaboras beim Teil Halaf auf Steinskulpturen gestoßen war und er sieh die
die Grabungskonzession reservieren ließ, konnte niemand die Bedeutung
dieses Platzes ahnen. Erst von 1911 bis 1913 und dann wieder von 1927
bis 1929 erfolgte die Ausgrabung des Teil Halaf, deren reichhaltige und inter¬
essante Fundergebnisse für die Wissenschaft von eminenter Bedeutung
waren. Es entspraeh der idealen und hochherzigen Gesinnung des 1946 ver¬
storbenen Ausgräbers daß er für die Fortführung seiner nordsyrisehen For¬
schungen aus eigenen Mitteln sehon frühzeitig eine Stiftung errichtet hatte.
Da die Kriegs- und Nachkriegsverhältnisse die archäologische Feld¬
tätigkeit ausschlössen, war die erste Betätigung der Stiftung der wissen-
» Vgl. dazu z. B. YBT VII 159, 22—25; 170, 7, 19—22; 178, 4, 17—21;
18, 11—14; 71, 2—4; 96, 24—26; 160, 17—20 und den Personennamenindex
zu YBT VI und VII. Zu Nr. 155 Z. 3—6 vgl. YBT VI 153, 14—16 (s. o. A 4
und 6) und 77, 18 und 20 (s. o. A 4 und 5).
" Die in Nr. 164 Z. 18 und 19 und Nr. 155 Z. 3 und 4 genannten Personen
werden in YBT VI 77, 6, 8 (ausnahmsweise in umgekehrter Beihenfolge),
18, 20 und 27 als Hrih hiti ,,Tempelbetroter" und mdr hanS (wohl mit San Nicolö, Or 23 (1954) 370 ,,Vohfreier"; v. Soden, AHw 102a s. v. banü „Ed¬
ler"; Ungnad, Glossar NRVU I 43 s. v. banü ,, Vollfreier, Patrizier") be¬
zeichnet.
11 Vgl. YBT VI 232, 16—18.
12 ZDMG 113/1
178 Bücherbesprechungen
sehafthchen Pubhkation der Teh Halaf-Grabung Baron von Oppenheims
gewidmet. Nach Abschluß dieser Arbeit und bei Einkehr normaler Ver¬
hältnisse in der Weltpolitik war das Augenmerk auf die Fortsetzung der
archäologischen Erforschung zunächst bei 'Chabur-Dreieeks' (dieses wird
durch mehrere Quellflüsse des Chabm — eines linken Nebenflusses des
mittleren Euphrats — gebildet) zu richten. Die wissenschaftliche Leitung
übertrug das Kuratorium der Stiftung — dem der Neffe des Verstorbenen
Geaf Matuschkau-Gbeiffenclau auf Schloß Vollrads im Rheingau
präsidiert — Professor Anton MooBTOAT-Berlin. Erste Schürfungen er¬
folgten im August 19551. Der hier beschriebenen Expedition von 195(j
standen außer Stiftungsmitteln Zuschüsse der Arbeitsgemeinschaft für
Forschung des Landes Nordrhein-Westfalen zur Verfügung.
Abgesehen von Erkundungsfahrten in Eichtung des Beiich (westlich vom
Chabmgebiet) und ostwärts in Richtung des Tigris bis zum Teil Ailun galtv
es, die Situation des nahe beim Teil Halaf gelegenen Teil Fecherije zu klären.
Schon von Baron von Oppenheim war auf seinen zahlreiehen Erkundungs¬
ritten um seine Grabungsstätte das markante Teilgebilde beim heutigen
Dorfe Fecherije als besonders geschichtsverdäohtig entdeckt worden. Er
mutmaßte, daß unter diesem Kultmhügel die Stätte der verschollenen
Mitannihauptstadt Washshukanni verborgen liegen möge. Baron vok
Oppenheim hatte sich noch selbst im Jahre 1939 von der französischen
Mandatsbehörde in Syrien die Grabungskonzession fiu diesen Teil besorgt.
Durch den Krieg an der Ausgrabung verhindert, nutzten 1940 die Ameri¬
kaner die veränderte Situation und veranstalteten in diesem Jahre eine
Schürfung. Als schwerer wiegend für die arehäologischen Belange erwies
sich der wirtschaftliche Aufschwung Syriens. Der zu Oppenheims Zeiten
wüste Teil wurde in der Nachkriegszeit dureh eine Bepflanzung mit Baum¬
wollkulturen landwirtschaftlich genutzt und war damit einer freizügigen
Verfügung entzogen. Die für die Ausgrabung freigestellten Flächen waren
bei weitem nieht ausreichend, um eine deflnitive Klärung des Platzes mit
verbindlichen Urteilen zu garantieren. Zwar stieß man in Feeherije auf
Mitanni-Keramik, was aber im syrisehen Bereich nicht eben viel besagt.
Weder Großskulpturen noch auch nur vielversprechende Baureste wurden
angeschnitten, so daß die Ausgrabung an der Stätte abgebrochen wurde.
Die noch verfügbare Zeit wurde 60 km weiter östlich für eine Sueh-
schürfung auf dem Teil Ailun bei dem Dorfe Derbasije verwandt. Äußerlich
war dieser Platz durch seine Dreiviertelkreis-Gestalt auffällig, die sie einem
prähistorischen Ringwall ähnlich erscheinen läßt (die Höhe von 35 m weist
die natürliche Formation aus). Störungen waren durch einen Ziegeleiabbau
sowie durch einen modernen Friedhof auf dem Hügeltop gegeben. Grabungs-
teehnisch könnte man bemängeln, daß man an Stelle von schmäleren und
dafür längeren Suchschnitten drei unzusammenhängende Schächte vorzog.
Die reichlich anfallende Keramik erwies sich als vormitannisch, in den tiefe¬
ren Straten wohl bis um die Mitte des 3. Jahrtausends zurückreichend.
Inschriftliche Hinweise konnten nicht gehoben werden, von Kunstwerken
fand sich lediglich ein Tonfigürchen.
1 Vergleiche den Bericht des Verfassers „Neue Untersuchungen der M.
Frhr. von Oppenheim-Stiftung in Nordmesopotamien 1955/56". In:
,,Neue deutsche Ausgrabimgen im Mittelmeergebiet und im Vorderen Orient"
herausgegeben vom 'Deutschen Archäologischen Institut', Berlin 1959, S.
31—44.
Bücherbesprechungen 179
An der Veröffentbchung mag noch die in großem Maßstab ausgeführte
Kartenskizze des nördlichen Syrien zwischen Mittelmeerküste und Tigris
mit der Verzeiclmung der Ruinenstätten hervorgehoben werden, die von
B. Hbouda zusammengestellt wurde.
Joh. A. H. Potbatz, Fornsbach/Württ.
Anton Moobtgat: Teil Chuera in Nordost-Syrien. Vorläufiger Bericht üher
die Grabung 1958. Wiss. Abh. d. Arbeitsgemeinsoh. f. Forschung des
Landes Nordrhein-Westfalen, Bd. 14. Westdeutscher Verlag, Köln-
Opladen 1960. 48 Seiten, 47 Abbildungen.
In Fortführung der 1955 aufgenommenen Ausgrabungsarbeiten in Nord¬
syrion durch die Max Freiherr von Oppenheim-Stiftung setzte der beauf¬
tragte Grabungsleiter Professor Anton MooBTGAT-Berlin vom September
bis November 1958 westlioh des Chabm-Dreieeks etwa in der Mitte der Ent¬
fernung zum Beiich beim Toll Chuera an. Die Stätte war schon während
der Grabungskampagne 1956 erkundet worden und wenn dort 1955 auch
bereits eine Schürfung von J. Lauffray stattgefunden hatte, so wurde die
planmäßige Grabung dennoch für erfolgversprechend gehalten.
Das Fundgelände stellt ein ausgedehnteres Buinenfeld dar, dessen Zen¬
trum offensichtlich eine kreisrunde, doppelt umwallte Anlage von rund 1 km
Dmchmesser auf dem Ostufer des Wadi Chuera gebildet hat. Rechnet man
die kleineren Schutthügel auf dem Westufer das Wadi sowie Anlagen öst¬
lich des eigentlichen Teil dem Ruinenareal hinzu, so ergibt das insgesamt
eine ansehnliche Kulturschutthalde. Demgemäß konnte die tatsächliche
Grabung nicht den Komplex als Ganzes angehen, sondern mußte sich tun¬
lich an äußerlich markante Geländepunkte anzuschließen versuchen.
Solche waren in der Tat beispielsweise außerhalb des Toll südöstlich von
diesem in einer ungenauen Doppelreihung monolithischer Steinsetzungen
von vorwiegendem Stelencharakter gegeben. Im Zusammenhang mit dieser
Anlage wurde ein vom Ausgräber 'Außenbau' benannter Gebäudetrakt frei¬
gelegt, von dem die Fundamentierungen als Bruchsteinsockel erhalten
waren. Die Fundlage der Rudimente dicht unter der Oberfläche erleichterte selbstredend die Ausgrabung ungemein und ließ sie übersichtlich gestalten.
Die Anlage wurde vom Verfasser als Heüigtum gedeutet, zu dem ein Tor¬
gebäude führte und dessen Hauptbau aus einem anscheinend zweizeiligen
Anten-Vorhallenhaus bestand. Inschriften kamen nicht zutage, jedoch da¬
tiert der Ausgräber die Architekturen naeh den gehobenen Keramiken in
die zweite Hälfte des 3. vorchristlichen Jahrtausends.
Es wmden nooh zwei weitere Baukomplexe angegraben ('Steinbau' 1
und 2 sowie 'Häuser' aus Luftziegeln, beide Stellen im eigentlichen Areal
des Teil), deren Befunde über den allgemeinen prähistorischen oder besten¬
falls frühgeschichtlichen Status des Platzes nicht hinausführten. Die Da¬
tierung in die altakkadische und neusumerische Epoche, die der Ausgräber
aus den ansehnlichen Keramikfunden erschließt, stimmen durchaus zu die¬
sem Eindruck urtümlicher Schlichtheit, für die auch die Seltenheit von Me¬
tall spricht. Der Ausgräber erwähnt lediglieh einen dünnen und sehmalen
Bronzedolch syrischer Art mit einstmaligem Sehalengriff.
Unter den Funden, die zumeist nicht aus den Gebäuden stammen, ist
eine Reihe weiblicher Tonidole von Interesse. Diese haben genereU geringe
12«
180 Bücherbesprechungen
gegenständbche VerbindHchkeit, immerhin sind die sekundären Geschlechts¬
merkmale zumeist gewissenhaft wiedergegeben worden. Erstaunlicher noch
sind zahlreiche Tonmodelle von vierrädrigen Kastenwagen. Diese sind zwar
schon häufig bei syrisehen Ausgrabungen angetroffen worden, überrasohen
an diesem abseitigen Platze aber durch ihre Zahl. Wenn sie natürlich auch
irgendwie zum Kultus gehört haben, so könnte die Zahl auf irgend eine
gehobene Bedeutung der Fabrwerke innerhalb der damaligen Zivilisation
deuten.
Freilioh muß beim derzeitigen Stande der Ausgrabung des Platzes auch
mit einer zufälligen Akkumulation einzelner Fundstücke gerechnet werden
so daß definitive Rückschlüsse aus der Zahl und dem Anteil von Einzel¬
stücken erst zu späterer Zeit ausreichend zuverlässig sein dürften.
Joh. A. H. Potratz, Fornsbach/Württ.
J0RGEN LAESS0B : The Shemshära Tablets. A Preliminary Report. Arkaeolo-
gisk-kunsthistoriske Meddelelser udgivet af det Kongelige Danske Vi¬
denskabernes Selskab, Bind 4 Nr. 3. (103 Seiten, 5 Abbildungen im Text
1 Plan.) Kobenhavn 1959.
Die Erriehtung eines Staudammes im Dokangebiet veranlaßte die Archäo¬
logen, das in Zukunft überschwemmte Gebiet im südhchen Kurdistan zu
untersuchen. Eine dänische Expedition hatte dabei das Glück, auf dem
Teil Shemshära (alt : Susarrä) Gebäude aus altbabylonischer Zeit freizulegen
imd dabei auch 146 Tontafeln oder Tafelbruchstücke zu finden. Eine Aus¬
wahl von 14 Stüek (8 auch in Kopie) veröffentlicht J. Laessoe in dem vor¬
liegenden Bändchen, das neben sprachlichen und sachlichen Bemerkungen
zu den Texten auoh kurze einleitende Kapitel über die Gesehichte Süd-
Kurdistans, die Ausgrabungen im Rania-Gobiet und in Shemshära enthält.
Bei den Texten, dio durch Indizes gut erschlossen werden, handelt es sich
um solche wirtschaftlicher Natur, vor allem aber um Briefe. Diese gehören
nioht nur sprachlich eng mit dem großen Archiv von Märi (Toll Hariri) zu¬
sammen, sondern nennen auch die Namen von aus diesem Arehiv wohl¬
bekannten Herrschern: Samsi-Adad I. von Assyrien und seinen Sohn
lime-Dagän. Offenbar gehörte Susarrä eine Zeit lang zum Assyrischen Reich
und der König und soin Sohn korrespondierten persönlich oder durch einen
Agenten mit dem lokalen Herrscher der Stadt namens Kuwari. Aucb in
dieser schon recht peripheren Ecke des Reiches war also babylonische Schrift
und Sprache verbreitet, obwohl die Bevölkerung — nach Ausweis der
Namen — meist nicht semitischer, sondern hurritischer Herkunft war.
Ein ,, preliminary report" kann naturgemäß die Bedeutung des Fundes
nicht ausschöpfen und wir erwarten mit Interesse die endgültige Publikation aller Texte.
W. RöLLiG, Münster
Armas Salomen: Die Türen des Alten Mesopotamien. Eine lexikalische und
kulturgeschichtliche Untersuchung. Annales Academiae Seientiarium Fen¬
nicae, Series B, tomus 124. 165 S., 19 Bildtafeln. Helsinki 1961, fmk 1000,-.
A. Salonen eröffnet mit diesem Bande eine Serie von Untersuchungen
zur sumerischen und akkadischen Bauterminologie. W. Baumgartners
Studie"zu den Bauausdrücken im Akkadischen (ZANF 2, 1925, S. 29—40;
Bücherbesprechungen 181
123—138; 219—253) war bisher die ausführlichste philologische Unter¬
suchung. Eine Erweiterung unter Einschluß des Sumerischen ist dringend
erwünscht.
Aufbau und Methode des Buches entsprechen den früheren Monographien
des Verfassers über die Land- und Wasserfahrzeuge, die Nautiea und Hippo¬
logica. Die Einleitung (S. 7—14) bietet einen Überblick über den archäo¬
logischen Befund; dazu die Bildtafeln, deren technische Wiedergabe diesmal
leider nieht gut ausgefallen ist. Teil I (S. 15—51): Namen für Türen und
Wortgruppen, in denen Ausdrücke für die Tür vorkommen. Teil II (S.52 —95):
Die sehr reiche Terminologie für die Bestandteile der Tür sowie für Wange,
Sims und Angelstein. Teil III (S. 9C— 123): Materialien (Holz, Schilf,
Metall für Beschläge, Einlagen bei Prunktüren); Textbelege für Türmaße
(Tempeltüren bis zu 5 m Höhe). Teil IV (S. 124—132): Handwerker, die
Türen herstellen; Personal, vor allem Belege für den ,, Türhüter". Teil V
(S. 133—146): Die geläufigsten Verben, die in Verbindung mit Tür (und
Tor) vorkommen. S. 147—165: Indizes und Abbildungsverzeichnis.
Die Beschränkung auf das Thema ,,Tür" (s. Vorwort) und der Ausschluß von kä, bübum ,,Tor" und kä-gal, abullum „Stadttor" ist zu bedauem. Der
Verfasser verspricht gesonderte Behandlung. Aber der Vergleich wird er¬
sehwert, und Wiederholungen werden nicht zu vermeiden sein, da die
Terminologie für die drei Begriffe vielfach übereinstimmt. Daß eino glatte
Trennung nieht möglich war, zeigt die gelegentliehe Erwähnung von „Tor"
und ,, Stadttor" in Teil IV und V, wo sie aber docb wieder zu kurz kommen.
S. 20: Kiäjg.gam-ma etwa ,,Tür mit Gewölbebogen" ? Vgl. nir-gam-ma
„Gewölbebogen" bei S. N. Kramer, WZ Jena 9 (1959/60) S. 250 ad
Z. 339—346. — S. 24 Z. 3 v. u.: an-za-gär „Turm" statt <*za-gär. — S. 29:
Auoh der Göttemame «^ig-alima enthält das Wort ,,Tür". — S. 80
Z. 10 V. u.: ei^ni-kak-ti nicht ,, Sache, (mit der man den) Holzpflock weg¬
nimmt", da ti = leqü ,, nehmen" eine späte und falsche Ableitung aus su-ti
„Hand heranbringen" = ,, nehmen". — S. 94: «^^daläti"^^^ Sd gamar-Sina issi ,, Türen, deren Gesamtheit (= die ganz aus) Holz (sind)"; gamru ist kein Türbestandteil.
Wir hoffen auf baldige und erfolgreiche Fortsetzung der Monographien¬
reihe.
D. O. Edzard, München
Annelies Kammenhuber: Hippologica Hethitica. 375 Seiten. Gr. 8".
Verlag O. Harrassowitz, Wiesbaden 1961. 56,— DM.
Wenn der Bogen dieser Veröffentlichung auch recht weit gespannt ist —
praktisch darf gesagt werden, daß die hippologischen Arohivalien aus dem
hethitisch-hurrischen Überlieferungsbereich insgesamt herangezogen worden
sind —, so bildet das Kemstück der vorgelegten Untersuchung dennoch
nacb wie vor mit seinen Derivaten der so etwas wie legendär gewordene so¬
genannte 'Pferdetext' des Kikkuli, eines Mannes aus dem Lande Mitanni, ,..
einstigen Landstallmeisters seines Zeichens in des Hethiter-Großkönigs
Gnaden. Es ist nur zu verständlich, daß eine so beschaffene Abhandlung
über Pferdehaltung in der zweiten Hälfte des 2. vorchristlichen Jahrtausends
vom Bekanntwerden an besonderes Interesse fand. Für die Hippologen waren
es die pferdemäßigen Fakten, die im weitesten Sinne anziehend wirkten. Dio
182 Bücherbesprechungen
Philologen aber lockte der sichere Gewinn an sprachlichen Einsichten aus
einem inhaltlieh derart gut zu interpretierenden Schriftwerk.
Allerdings vermochten es die älteren Bemühungen um diesen Pferde¬
traktat noch nicht, die gestellten Erwartungen voll zu befriedigen. Einzelne
Absehnitte wurden zuerst von E. O. Forber üx der ZDMG NF. 1 S. 25ff.
bekanntgegeben. Anfang der dreißiger Jabre brachte dann B. Hrozny^ die
transkribierte, kommentierte und französisch übersetzte Publikation der
I. Kikkuli-Tafel heraus. Seine Arütündigung der Fortsetzung erfüllte sich
nicht. Schließhch wmden 1938 vom Rezensenten'' die erhaltenen 4 Haupt¬
tafehi mit einigen wenigen derzeit bereits edierten Fragmenten in Umschrift und kommentierter Ubersetzung vorgelegt. Auch diese Arbeit aber vermochte
den Ansprüchen an den Pferdetraktat nicbt zu genügen.
Daß endlich eine abschließende Bearbeitung des Komplexes dmch die
Verfasserin an der Zeit war, hatte seine guten Gründe. Einmal liegen seit der
Untersuchung des Rezensenten eine ganze Zahl von neuen und sprachlich
äußerst interessanten Fragmenten in der Edition vor. Zweitens war das Buch
des Eezensenten 1941 dmoh ICriegseinwirkung in der Gesamtauflage ver¬
nichtet worden. Die bis dahin ausgegebenen rund 200 Exemplare erwiesen
sich in der Folge als von der Bildfläche verschwunden. Der Rezensent selbst verfügte schließlich nur über ein nicht einmal vollständiges Korrektmexem-
plar. Drittens endlich war an eine Neubearbeitung des Themas dmch den
Rezensenten nicht zu denken.
Es seien in diesem Zusammenhang einige Bemerkungen vorgebracht,
die zugleich eine Mutmaßung F. Sommers in der OLZ. 1939 Sp. 621 f. zu
berichtigen geeignet sind. Es war keinesfalls so, wie Sommer an der zitierten Stelle andeutete, daß ich mich von der Archäologie kommend gewissermaßen
sekundär aus archäologisch-hippologischem Interesse des Kikkulitextes an¬
genommen hatte. Vielmohr wurden von mir von Anfang an hauptsächlich
assyriologische Studien betrieben. Daß ieh bei meinen bestehenden haupt¬
sächlichen Interessen an der Geschichte und Archäologie des Alten Orient
mich solchergestalt mit philologischen Studien beschäftigte, ging auf den
Rat B. Landsbergers zmück, den zu bedauern ich nio Ursache gehabt habe.
Aus dieser Sachlage heraus aber wird es verständlich, daß ich mich beim
Fortgange Landsbeegebs einer assyriologischen grammatikalischem Arbeit
nicht gewachsen fühlte. Der Pferdetext des Kikkuli, den ich bei Übungen
Fbiedrichs kennengelernt hatte, bot sich mir in mehrfacher Hinsicht als
Ersatz an. Einmal lag sein Inhalt meiner historischen Grundeinstellung weit
mehr als jede nur philologisehe Untersuchung. Zum andern aber hatte
Fbiedeich die Nachfolge auf dem LANDSBEBGERschon Ordinariate ange¬
treten. Daß meine größere Aufmerksamkeit bei meiner Arbeit auf das Hippo-
logische und Althistorische gerichtet war, ergibt sich aus meiner ganzen all¬
gemeinen Einstellung wie auch aus meinem Wordegange. Philologisch habe
ich seit meiner Promotion in der Tat auch nie mehr gearbeitet.
1 B. Hrozny, L' Enträinement des chevaux chez les anciens Indo-Europiens d'apres un texte mitannien-hittite provenant du li sitcle av. J. Chr. Archiv Orientälni (Prag) III S. 438—61.
2 J. A. Potratz, Der Pferdetext aus dem Keilschrift-Archiv von Bogazköy.
Leipziger Dissertation 1936. Als Buch erschienen unter dem Titel: Das Pferd in der Frühzeit. Verlag C. Hinstorf, Rostoek 1938 (die Auflage verbrannte durch Kriegseinwirkung im Frühjahr 1941 im Verlagshause).
/
Bücherbesprechungen 183
Die Verfasserin als hauptsächliebe Schülerin von F. Sommeb war für die
endgültige Redaktion des Kikkuli-Komplexes bestens empfohlen. Zum
Thema selbst hatte sie bereits zu einem früheren Zeitpunkt ausgezeichnete
Teilimtersuchungen vorgelegt.^. In den solchergestalt berechtigten ISrwar-
tvmgen sieht sieh die Fachwelt nunmehr auch nicht getäuscht. Die von der
Verfasserin vorgelegte Untersuchung gehört zu den gediegensten und be¬
sonnensten wissenschaftlicher Deduktion. Es ist eine absolute Freude, den
klug zusammengestellten Materialien und den dargebotenen Erwägungen
nnd Ableitungen zu folgen.
Durch vielfältige grammatische Einsichten und eine ausgebreitete Stoff¬
kenntnis wmden der Verfasserin exakte Ergänzungen beschädigter Passagen
möglich, wie von ihr auch die Fragmente teils als Dubletten zu den vorhan¬
denen vier Haupttafeln, teils als Abschnitte von bislang unbekannten Fort¬
setzungen oder von Parallelversionen arrangiert zu werden vermochten. Die
Verfasserin hat nunmehr drei Redaktionen des Gesamtkomplexes der he¬
thitischen Pferdetraktate ausweisen können. Entsprechend eindringlich hat
sich die Verfasserin auch in der Textdeutung äußerster Akribie befleißigt.
Die Durchzählung der Trainingstage wmden von ihr gegenüber meinen eigenen
Versuchen verbessert.
Generell hat die Verfasserin ihre Textwiedergabe im Deutschen imerbitt-
lich auf die erschlossenen Grundbedeutungen der hethitischen Wortbilder
reduziert, obwohl gerade dieser Pferde text mancherlei Handhaben für die
Gewirmung des Sirmes von Spraohbildem bietet. Auch manche von mir vor¬
eilig gebotene Übersetzung waren von ihr zu revidieren. Das gilt beispielsweise
für meine derzeit mit Fragezeichen versuchte Übersetzung 'Luzemeheu' —
die Heimat der Futterpflanze Luzerne (Medicago sativa) in Medien braohte
mieh auf eine derartige Vermutung. Daß die Keilschrift demgegenüber
schlichtes Wiesenheu beinhaltete, hatte bereits F. Sommeb als Rezensent
meines Buches ausgewiesen und war also entsprechend zu berichtigen. Es
konnten von der Verfasserin aber auch andere Errata geklärt und berichtigt
werden. Wenn ich der Zahl solcher gegenüber zwar aueh nach wie vor von der
besseren Qualität meiner eignen Wiedergabe ,kmz anbinden' (besser viel¬
leicht: 'man bindet ihnen den Kopf hoch') für die Wendung 'am Pflock her¬
aufziehen' überzeugt bin, so erkeime ich ohne weiteres den Vorrang dos
Prinzips der Worttreue vor inhaltlich bestinunten freieren Auslegungen an.
Leider hat die Verfasserin dieses ihr höchlich zu billigendes Prinzip in
©iner anderen imd, wie mir scheinen will, hippologiseh keineswegs neben¬
sächlichen Frage außer acht gelassen. Es betrifft das die Gangarten der
Pferde, deren in den Texten ausgewiesene Dreiphasigkeit von der Verfasserin
unbedenklich mit den uns geläufigen Begriffen Schritt-Trab-Galopp wieder¬
gegeben wird — ohne zu berücksichtigen, daß es sich dabei bei uns um echte
Termini, also um Gangarten und nieht um einfache Tempobezeichnungen
handelt. Da die Texte hinsichtlich dieser Begriffe keine inhaltliche Spezifi¬
kation erkennen lassen, wird man aber aus allgemeinen historischen Grimden auf die größere Wahrscheinlichkeit schließen müssen, daß mit den hethitischen
Benennungen keine präzisen Gangarten, wie sie bei uns gebräuchlich sind
(ein Traber ist wirklich ein Pferd, das die Schrittart Trab als Schnellgang
andressiert erhalten hat) gemeint sein kormten, sondem daß lediglich all-
^ A. Kammenhubeb, Philologische Untersuchungen zu den 'Pferdetexten'
aus dem Keilsehriftarchiv von Boghazköy. MÜNCHENER STUDIEN ZUR
SPRACHWISSENSCHAFT, München 1952, B.II S. 43—114.
I
184 Bücherbesprechungen
gememe Tempovorschriften im Sinne von Schritt-beschleunigt-rasant ge¬
geben wurden.
Insbesondere wäre die Ubersetzung 'Trab' zu vermeiden gewesen, weil
außenstehende Benutzer des Buches allzu leicht auf den Fehlschluß kommen
könnten, daß der Trab bereits im Altertum als bewußt gesteuerter Schritt¬
modus bekannt gewesen wäre. Das ist aber durchaus nicht der Fall, zumindest läßt es sieh vorerst nieht beweisen. Alle vergleichbaren Indizien sprechen
dafür, daß der Trab nicht besonders dressiert wmde. Von Natur aus aber
trabt das Pferd nur in Abwarteposition oder bei Übergängen. Seine Schnellig¬
keit entfaltet das Pferd stets als Galopp. Angereizt wird auch heute noch ein
jedes Pferd unverzüglich den Galopp aufnehmen ■— das bildet doch gerade
die Schwierigkeit bei der Traberdressur, daß das Pferd seine natiu-lichen Re¬
aktionen aufgeben muß, um seine Beschleunigimgen ausschließend trabend
dmchzuführen. Die gelegentlichen Patzer, d.h. daß ein Pferd in der Auf¬
regung eines Rennens unversehens in Galoppsprünge übergeht, beweisen es,
wie schwierig eine spezialisierte Gangmodifikation zu erzielen ist. Es gibt
kaum Anzeichen dafür, daß man im Altertum besonderes Gewieht auf Gang¬
arten bei Pferden gelegt hätte. Ebenso steht deshalb aueh alle Wahrschein¬
lichkeit dafür, daß die Hethiter außer dem Schritt lediglich einen kurzen
Galopp von einem gestreckten haben imtersoheiden wollen. Entscheidend
war für sie, wie wohl überhaupt in der Vergangenheit, die erreichte absolute Gesch windigkeit.
Dergleichen Ausstellimgen — hippologiseh möehte man vereinzelt viel¬
leieht hier und da Einwände erheben — vermögen nichts an der exzellenten Qualität dieser Arbeit zu mindern, die in beispielhafter Manier einen philo¬
logisch und sachlich eigentümlich geschlossenen Komplex der Forschimg
dienstbar gemacht hat. Persönlich begrüße ieh aucb — das Philologische sei
den Berufenen zm Wertschätzung überlassen •— die gute historische Ortimg
der Pferdefrage durch die Verfasserin. Daß der Streitwagen ohne Einschrän¬
kung eine Erfindung der Altsumerer der ersten Hälfte des 3. vorchristlichen
.lahrtausends war, kann heute nicht mehr ernsthaft bestritten werden.
Schwieriger steht es noch immer um den Naehweis des domestizierten Pferdes im Babylonien des 3. Jahrtausends. Man hat hier viel hin- und hergestritten.
Persönlich habe ieh mich mit anderen (beispielsweise Przeworski AOr. 7,
1935, S. 227 f.) schon immer für das frühe Pferd in Babylonien ausgesprochen.
Die Verfasserin bringt zum Thema interessante Ausführungen.
Wenn aucb Streitwagen und Pferd demgemäß letzten Endes in ihrer ge¬
meinsamen Verwendung auf die Altsumerer zurückgehen, so ist den Wander¬
völkern des 2. Jahrtausends dennoch ein nicht unbedeutender Anteil an der
Entwicklung beider Errungenschaften zu konzedieren. Einmal wird man das
Wissen um die Prinzipien einer planmäßigen Pferdezucht auf die Wander¬
völker zurüekfübren müssen. Die Notwendigkeit der Zucht ergibt sich aus
den natürlichen Gegebenheiten. Pferde lassen sich verhältnismäßig leieht
zu bestimmten Konditionen — je nacb dem vorzüglichen Gebrauchszweck —
hinzüchten. Die rasche Generationenfolge ermöglicht das in der Hand ein-
und desselben Züehters. Ebenso schnell allerdings degenerieren Pferde ohne
ständige geeignete Blutzufuhr dureh Anpassung an die Lebensbedingungen
ihrer Umweltsräume. Gerade um diese letzteren Tatsachen scheint man im
Alten Orient vor den Wandervölkem wenig oder gar nichts gewußt zu haben.
An dieser Stelle nun setzte das intime Wissen der angestammten Pferde¬
halter aus den Steppenregionen Eurasiens ein. Dieses wurde die Ursache für
den Aufschwung der altorientalischen Pferdehaltimg seit der Mitte des
Bücherbesprechungen 185
2. vorchristhchen Jahrtausends und schuf aueh die Veranlassung zur Ab¬
fassung von Traktaten, an Hand derer das erzüchtete Pferdematerial über¬
prüft werden konnte.
Die züchterisch verhältnismäßig leicht zu erzielende äußere Kondition
eines Pferdes sind sein Bau und sein Eahmen. Darin sind aber kemesfalls
implizite auch die gewünschten Eigenschaften eines Pferdes enthalten. Diese sind vielmehr in jedem einzelnen Falle erst imter Beweis zu stellen. Das ein¬
zige wirklich zuverlässige Mittel zu einer solchen Erprobung ist seit alters die
Bewährung im Einsatz. Um dabei für alle Aspiranten gleiehe Bedingungen
und mithin vergleichbare Resultate zu haben, hat man genormte Streeken
imd Schwierigkeiten in den Bermbahnen geschaffen. Diese sind mithin das
Prüffeld einer jeden gelenkten Zucht. Das ist übrigens auch heute noch der
letzte Sinn von Pferderennen jeder Sparte — der snobistische Rummel dabei
ist nur Beiwerk. Auch heute noch werden die bei Rennen erprobten Stuten
und Hengste erst nach dieser ihrer harten Bewährung zur Zucht abgestellt.
Deshalb waren bis vor noch gar nicht langer Zeit Wallache von Rennen aus¬
geschlossen (die Amerikaner durchbrachen als erste aus Grimden des Sports
das alte züchterische Prinzip). Weil Wallache für die Aufstellung von Nach¬
kommen uninteressant sind, waren folgerichtig auch die von ihnen entwickel¬
ten Eigenschaften ohne Belang. Es sollen sich nach der alten Auffassung von
Pferderennen aus den jeweiligen Jahrgängen die Pferde mit den besten Eigen¬
schaften für die Zueht herausschälen. Es geht dabei weniger um die absoluten
Siege — schließlieh kann immer nur ein Pferd als erstes durchs Ziel gehen.
Wie die einzelnen Pferde aber das Geläuf angehen und wie ihr Ehrgeiz sie um
die Spitze des Feldes kämpfen läßt, darin stellen sie ihr Blut und ihre ererbten Eigenschaften unter Beweis.
Aus solchen Gründen ist auch das Vorhandensein von Pferdorermen im
Alten Orient der zweiten Hälfte des 2. Jahrtausends ein weiterer Beleg dafür,
daß man damals eine planvoll gesteuerte Zucht von Pferden betrieb. Dieses
Zeugnis wird dureh die hethitischen Pferdetraktate gleich in mehreren Vari¬
anten dargeboten — ein Zeichen, wie intensiv man sich damals mit den Pro¬
blemen der Zucht befaßt hat. Inauguriert worden aber waren auch die Rennen
von den Wandervölkem, vielleicht nach den systematisierten Maßstäben
ihrer Steppenheimat. Die gesehichtliehe Wahrscheinlichkeit spricht dafür,
daß solche heimischen Erfahrungen noch auf gerittenen Pferden gemacht
wmrden. In den neuen Sitzen im Vorderen Orient aber benötigte man lei¬
stungsstarke Wagenpferde. Deren spezifizierte Erprobung hatte sinnvoller¬
weise von vornherein am bespannten Wagen zu erfolgen. Voraussetzung
dafür war die Verbesserung des herkömmlichen Wagentypes sumerischer
Art mit don schweren Scheibenrädern. Deren Ersetzung durch die Erfindung
der Spoichemäder ist das zweite wesentliche Moment des Anteils der Wander¬
völker an der Pferdehaltung des Alten Orients. Daß damit zugleich die Er¬
neuerung des alten taktischen Gedankens des Einsatzes von pferdebespann¬
ten Streitwagen im Kriege befördert wmde, führte eine volles Jahrtausend kriegsgeschichtlicher Spezialisation herauf, durch die der Besitz von Kampf¬
wagen entscheidend für die militärische Überlegenheit wurde. Erst der un¬
glückliehe Dareios III. Kodomarmis wies die Überlebtheit des Gedanken aus.
Die Verfasserin hat es sich nicht verdrießen lassen, zusätzlich zur Text¬
behandlung den Trainingsauf bau in Stichworten naeh Gesichtspunkten zu
exzerpieren und dadiuch hippologiseh übersichtlich zu gestalten. Sie hat die
Runden der Eennbahn und die Distanzen überhaupt einer Überprüfung
imterzogen und bietet über solche Besonderheiten hinaus vielfältige Details
186 Bücherbesprechungen
m Huiweisen und Erwägungen, die ihr Buch für jeden Interessierten fessebid und aufschlußreich gestalten. Es ist mithin der Verfasserin ohne Einschrän¬
kimg zu danken für ihre fundierten Bemühungen um den Komplex der hethi¬
tischen Hippologie in der zweiten Hälfte des 2. vorchristlichen Jahrtausends, der ältesten Pferdeliteratm der zivilisierton Menschheit überhaupt.
JoHANifES A. H. Potratz. Fornsbach/Württ.
/ Elise J. Baumgärtel : The Cultures of Prehistoric Egypt II (Oxford Uni-
^' versity Press 1960). 176 S., 13 Taf.
^-i^^k Dieser zweite und offenbar abschließende Teil von Baumoartels ,,Cu1.
tures" setzt die nach Sachgruppen getrennte Durchsicht des Quellenmaterials fort, mit der die Verfasserin in der zweiten Hälfte von Teil I (1. Aufl. 1947,
2. Aufl. 1955) begonnen hat. Nach der dort vorgenommenen Behandlung
von Tonware und Steingefäßen werden nun die Geräte aus Metall, aus Peuer-
und Hartstein, die Schnitzereien aus Knochen und Elfenbein und sonstigen
Kleinarbeiten, die Paletten, die Keulenlmäufe und die Zeugnisse von Grab-
und Wohnbau besprochen, damit "after having reduced the chaos to some
order, we may see what we can learn of tbe cultural, political, economic and religious situation in predynastie Egypt" (S. XII). Im Vorlauf dieses nütz¬
lichen Versuches legt die Verfasserin wiederum zahlreiehe Stücke aus Mu¬
seumsbeständen vor, die bisher nur ungenügend oder überhaupt nicht pub¬
liziert waren, und macht weiterhin auf der Grundlage des von ihr in langen
Jahren gesammelten Materials wertvolle Angaben über den Inhalt einer
Beihe unveröffenthchter Gräber, besonders der großen Friedhöfe von Naqada imd Diospolis parva.
Auf Baumgartels Ergebnisse im einzelnen — und sei es auch nur refe¬
rierend — einzugehen, ist hier nieht möglich. Grundsätzlich bedauerlich er¬
scheint die starke Beschränkung auf die oberägyptischen Kulturen des Badari,
Naqada I und Naqada II, neben denen die unterägpytisohen Fundplätze
des Fayum und von Merimde, Omari, Maadi, Wadi Digla und Heliopolis nur
wenig oder gar nicht zu Wort kommen. Wer Baumgartels Beurteilung des
vorgesohichtlichen Unterägyptens nicht zu folgen vermag, wird dadurch den
Gesamtwert ihrer Untersuchungen zweifelsohne beträchthch gemindert
sehen. Ein zweiter Punkt, der das Bemühen der Verfasserin um Ordnung des
Materials ernsthaft in Frage stellt, ist seine zeitliche Gliederung. Baumgärtel
hält hier, trotz der mehrfach geäußerten Bedenken (z.B. Teil I, S. 41; II
S. 79) und immer wieder vorgenommenen Korrekturen, grundsätzlich doch
an Petries SD-System fest und erweckt damit bei dem unvoreingenommenen
Betrachter kaum ganz zu Unrecht den Eindruek, daß sich ihre gesamte
Untersuchung auf gefährlich schwankendem Boden bewegt. Als drittes darf
schließlich nicht übersehen werden, daß das von Baumgärtel in den ein¬
zelnen Saehgebieten besprochene Material keineswegs vollständig ist. So
bleibt, um nur einige Beispiele etwa aus Kapitel III zu nennen, bei der dor¬
tigen Behandlung menschlicher Statuetten und ihrer Bedeutung (S. 65 ff.)
das Vorkommen solcher Figuren aueh in Siedlungen (Brunton, Badarian
Civilisation S. 60, 98, 100, 106, 115; Brunton, Mostagedda, S. 43; Mond-
Myees, Cemeteries Armant I S. 175) völlig unberücksichtigt. Schlußfolge¬
rungen, die davon ausgehen, daß "all the figurines in Egypt come from
the excavation of graves" (S. 70) gehen damit von vornherein von falschen
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Voraussetzungen aus. Ebenso smd Rinderfiguren nicht nur in Amrah und
Mahasna (S. 71), sondern auoh in Armant [Cem. Arm. I S. 175f.) zu Tage
gekommen und Amulette in Fliegengestalt nicht allein in Oberägypten
(S. 74f.), sondem auch in Girza imd Abusir el-Malaq (Wainwright, Oerzeh
Taf. V; Scharff, Abusir el-Meleq Taf. 36: 377). Für die Frage der eigen¬
artigen "amuletie combs" (S. 54) wiederum hätte möglicherweise eine Ein¬
beziehung der Stücke Randell-Maciver, Amrah Taf. X, 7 und Lortbt-
Gaillard, La Faune momifie: Archives X Abb. 169, weiterführen können.
Für Baumgartels Schluß-Zusammenfassung ("Last Chapter") ist die
sehr viel größere Zurückhaltung hervorzuheben, mit der die Verfasserin —•
im Gegensatz zu Teil I — nun den auswärtigen Beziehungen des vorge¬
schichtlichen Ägyptens gegenübersteht (s. dazu auch S. XII). Daß man
ihren hier oder etwa in den Kapiteln IV (Paletten) oder V (Keulenknäufe)
vorgebrachten Ansichten dennoch nur teilweise wird folgen können, liegt
teils in der Natur des Materials, das nur allzuoft eine Mehrzahl von Aus?age-
möglichkeiten zuläßt, teils aber wohl auch in der angewandten Methode, so
etwa bei dem Versuch, die Schlachtfeld-Palette in die Zeit des Chasechem zu
setzen, da nur auf dessen bekannter Statue erschlagene Feinde in ähnlich
umealistischen Haltungen dargestellt sind (S. lOOf.). Gerade für den oft
behandelten Fragenkomplex der Sohminkpaletten oder Pmnkkeulen fällt
zudem auf, wie wenig die Verfasserin von der im großen Umfang vorliegenden Literatur bearbeitender Art Gebrauch macht.
Auch mit diesen verschiedenen Einschränkungen stellt Baumgartels
Untersuchung für den augenblicklichen Stand der ägyptischen Vorgeschichts¬
forschung jedoch zweifellos einen höchst schätzenswerten Beitrag dar. Es
bleibt zu hoffen, daß trotz aller Schwierigkeiten ihre große Arbeit der Re¬
konstruktion eines Gräberkataloges von Naqada und Bailas (S. VII) bald
folgen wird.
Werner Kaiser, Berlin
Mitteilungen des Deutschen Archäologischen Instituts Abteilung Kairo.
Band 15 und 16 = Festschrift zum 80. Geburtstag von Professor Dr. Her¬
mann Junker. Wiesbaden 1957/58.
Die zwei Bände der ,, Mitteilungen" füllenden Beiträge zur Festschrift
zum 80. Geburtstag Hermann Junkers spiegeln in eindrucksvoller Weise
die Persönlichkeit des Jubilars. Wer das im 54. Bande der WZKM erschienene
Verzeichnis seiner Sohriften zur Hand nimmt, sieht sich einem Lebenswerk
gegenüber, das sich in einzigartiger Weise aller Phasen der ägyptischen
Geschichte von der frühesten Vorzeit bis ins Koptische hinein angenommen
hat. Dabei sind sowohl die philologische als auch die archäolog isch-kunst -
geschichtliche Seite der Ägyptologie in gleichem Maße bereichert worden.
Neben sprachwissenschaftlichen Arbeiten wie der aus der Dissertation
hervorgegangenen ,, Grammatik der Dendera-Texte" stehen solche zur
Religionswissenschaft wie die ,,Onurislegende" und ,,Die Stundonwachen
in den Osirismysterien", neben der Fülle der Veröffentlichungen seiner
zahlreichen Ausgrabungen — allen voran die zwölf Giza-Bände —, die samt
imd sonders weit mehr sind als Berichte, sondem alle Probleme bis in die
letzten Tiefen verfolgen, stehen Arbeiten zur Geschiehte, zum Rechtswesen,
zm Kunst- und Kultmgesehichte. Nubische Dialekttexte und koptische
h