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Archiv "Irren ist menschlich – daraus lernen lebensrettend" (17.04.2009)

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Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 106⏐⏐Heft 16⏐⏐17. April 2009 A769

M E D I Z I N

Z

eitgleich mit der Printausgabe des British Medi- cal Journals erscheint im Deutschen Ärzteblatt die zweite multinationale „Sentinel Events Evaluation Study (SEE 2)“ (1). Ziel war die prospektive Doku- mentation von Fehlern bei der Applikation intravenö- ser Medikamente auf Intensivstationen. Die Meldun- gen von Mitarbeitern aus 113 Intensivstationen in 27 Ländern wurden erfasst.

Die Fehlerrate bei der Applikation parenteraler Me- dikamente stieg in Abhängigkeit von der Größe der Intensivstation, der Anzahl der betreuten Patienten, der Anzahl der Organschäden sowie der Menge der in- travenösen Medikamentengaben. Die Belegung der Stationen, aber noch mehr die Häufigkeit von Aufnah- men und Verlegungen waren ebenfalls Risikofaktoren für das Auftreten von Fehlern bei der Medikamenten- gabe. Diese Erkenntnisse kommen sicher allen Inten- sivmedizinern aus der Praxis bekannt vor, es ist aber wichtig, dass sie einmal wissenschaftlich festgehalten werden.

Interessant für Deutschland ist die Personalausstat- tung in diesen 27 Ländern. In der Frühschicht ist im Median eine Pflegekraft für nur 1,3 Patienten zustän- dig. Davon können deutsche Pflegekräfte nur träu- men. Ebenfalls zum Träumen ist das Verhältnis von Patienten pro Arzt, in der Frühschicht 2,6 im Median.

Oder sollten wir froh sein über unser schlechteres Ver- hältnis? Eine aktuelle Studie aus den USA mit Daten von 101 832 Patienten aus 123 Intensivstationen kommt zu dem überraschenden Schluss, dass eine In- tensivstation ohne ausgebildete Intensivärzte für den Patienten sicherer ist (2). Auch wenn die Interpretati- on dieser Daten im Moment noch ein transatlantischer Vergleich von Äpfeln mit Birnen ist: Die Anwesenheit ausgebildeter Intensivmediziner führt nicht automa- tisch zu besseren Ergebnissen in der Intensivbehand- lung. Nicht nur die Strukturqualität, sondern vor allem die Prozessqualität bestimmt die Ergebnisse.

Die meisten Fehler traten bei der Routinebehand- lung und nicht in Notfallsituationen auf. Ist Stress ein Sicherheitsfaktor? Wird Routine durch Gleichmäßig- keit gefährlich?

Schon relativ einfache Maßnahmen wie die regel- mäßige Kontrolle der Medikation beim Schichtwech- sel („double check“) führen bereits zu einer Redukti- on der Fehlerhäufigkeit. Überraschend ist, dass die Medikamentenzubereitung durch die Apotheke – im Gegensatz zur Zubereitung durch das Pflegepersonal

– zu einer signifikanten Häufung von Fehlern führt.

Diese Tatsache kann nur als Beweis für die erhöhte Fehleranfälligkeit komplexer Systeme (Station – Apo- theke – Station) gewertet werden.

Eine Reduktion von Komplikationen durch einfa- che Routinekontrollen ist ebenfalls in den operativen Disziplinen nachweisbar. Checklisten zur Identifikati- on von Patienten, Eingriffen und der korrekten Seitenlokalisation führen zu einer deutlichen Redukti- on der Komplikationsrate und der Mortalität (3).

Auf den Intensivstationen, die ein Fehlermeldesys- tem („critical incident reporting system“; CIRS) ein- geführt haben, ist die Fehlerhäufigkeit ebenfalls deut- lich reduziert. Anscheinend ist die Kultur im Umgang mit Fehlern ein wichtiger Faktor, der die Sicherheit für die Patienten erhöht (4, 5). Das BMJ ist in Groß- britannien an einer Qualitätssicherungsinitiative von Kliniken, Verbänden und Zeitschriften beteiligt (6, 7).

Eine solche Initiative wäre auch für Deutschland wün- schenswert. Dabei verbessert nicht die nutzlose Frage nach dem Schuldigen, sondern die Suche nach Ver- meidungsmöglichkeiten die Sicherheit der Patienten auf der Intensivstation und natürlich auch in anderen Bereichen unseres Medizinbetriebes. „To err is hu- man“ (8).

Ein Maßstab können die Sicherheitsstandards in der Luftfahrt sein: Simulatortraining, Analyse von Beinahe-Zusammenstößen und Untersuchung der Ur- sachen von Abstürzen. Ist ein orangefarbenes Kabel für die Fehlfunktion eines Flugzeuges verantwortlich, dann werden weltweit alle Kabel dieses Typs entfernt (9). Dahin müssen wir Ärzte auch kommen. Wir müs- sen unsere „orangefarbenen Kabel“ identifizieren und austauschen (10).

Ein beispielhafter Weg dahin wird von der Deut- schen Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensiv- medizin (DGAI) beschritten, die mit großem finanzi- ellen Einsatz allen Universitätskliniken Anästhesie- und Intensivmedizin-Simulatoren zur Verfügung ge- stellt hat. Das hat nachweisbar die Qualität der Lehre verbessert, und es kann sicher auch die Qualität in der Akutmedizin verbessern. Bei konsequentem Weiter- verfolgen dieses Weges lässt sich dann vielleicht die enttäuschend hohe Rate an bleibenden Schäden durch Medikamentenfehler von 0,9 % senken.

Zum Trost sollte man schließlich aber auch sagen:

Die Intensivstation ist keine Normalstation und des- halb auch kein Routineflug.

EDITORIAL

Irren ist menschlich –

daraus lernen lebensrettend

Michael Zenz, Thomas Weiß

Universitätsklinik für Anaesthesiologie, Intensiv-, Palliativ- und Schmerzmedizin, Berufsgenossenschaft- liches Universitätskli- nikum Bergmannsheil GmbH, Bochum:

Prof. Dr. med. Zenz, Dr. med. Weiß Universitätsklinik für Anaesthesiologie, Intensivmedizin und Schmerztherapie, Knappschaftskranken- haus Langendreer, Bochum:

Prof. Dr. med. Zenz Editorial zum Beitrag: „Fehler bei

der parenteralen Medikamenten- verabreichung auf Intensivstationen – Eine prospektive, multinationale Studie“ von Valentin A, Capuzzo M, Guidet B, Moreno R, Metnitz B, Bauer P und Metnitz P auf den folgenden Seiten

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A770 Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 106⏐⏐Heft 16⏐⏐17. April 2009

M E D I Z I N

Interessenkonflikt

Die Autoren erklären, dass kein Interessenkonflikt im Sinne der Richtlinien des International Committee of Medical Journal Editors besteht.

LITERATUR

1. Valentin A, Capuzzo M, Guidet B et al.: Research Group on Quality Im- provement of the European Society of Intensive Care Medicine (ESICM); Sentinel Events Evaluation (SEE) Study Investigators. Errors in administration of parenteral drugs in intensive care units: multinational prospective study. BMJ 2009: 338; 814.

2. Levy MM, Rapoport J, Lemeshow S, Chalfin DB, Phillips G, Danis M:

Association between critical care physician management and patient mortality in the intensive care unit. Ann Intern Med 2008; 148: 801–9.

3. Haynes AB, Weiser TG, Berry WR et al.: Safe Surgery Saves Lives Stu- dy Group. A surgical safety checklist to reduce morbidity and mortality in a global population. N Engl J Med 2009; 360: 491–9. Epub 2009, Jan 14.

4. Hübler M, Möllemann A, Regner M: Arbeitsgruppe Risikomanagement in der Anästhesie des Universitätsklinikums Dresden. Koch T, Ragaller M: Anonymes Meldesystem für kritische Ereignisse. Anaesthesist 2008; 57: 926–32.

5. http://www.cirsmedical.de/

6. Elwyn G, Corrigan JM: The patient safety story. BMJ 2005; 331:

302–4.

7. http://www.saferhealthcare.org.uk/

8. Kohn LT, Corrigan JM, Donaldson MS (Hrsg.):To err is human: building a safer health system. Washington DC 2000: National Academy Press.

9. Heitmiller E, Martinez E, Pronovost PJ: Identifying and learning from mistakes. Anesthesiology 2007; 106: 654–6.

10. Donaldson L: When will health care pass the orange-wire test? Lancet 2004; 364: 1567–8.

Anschrift für die Verfasser Prof. Dr. med. Michael Zenz Dr. med. Thomas Weiß

Universitätsklinik für Anaesthesiologie, Intensiv-, Palliativ- und Schmerzmedizin

Berufsgenossenschaftliches Universitätsklinikum Bergmannsheil GmbH

Bürkle-de-la-Camp-Platz 1 44789 Bochum Prof. Dr. med. Michael Zenz Universitätsklinik für Anaesthesiologie, Intensivmedizin und Schmerztherapie Knappschaftskrankenhaus Langendreer In der Schornau 23–25

44892 Bochum zenz@anaesthesia.de

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REFERIERT

Prävalenz von Depression und Angst bei Patienten mit Todeswunsch

Jeder Vierte, der um Sterbehilfe ersucht, ist depressiv. Zu diesem Ergeb- nis kommen Linda Ganzini von der Oregon University und ihre Kollegen in einer Querschnittsstudie im British Medical Journal (BMJ 2008; 337:

a1682). Im US-Bundesstaat Oregon können Ärzte, unter dem „Death with Dignity Act“, Patienten im terminalen Stadium die letale Dosis eines Medikaments verschreiben, meist eines kurz wirksamen Barbiturats. Der Patient muss das Präparat allerdings selbst einnehmen. Außerdem müs- sen terminal Kranke an einen Spezialisten überwiesen werden, wenn der Verdacht besteht, eine psychische Störung könnte ihre Entscheidung be- einflussen.

Die Autoren untersuchten 58 Patienten, vornehmlich Krebskranke im Endstadium. Die Wissenschaftler diagnostizierten Depression und Angst nach dem „Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders“. 15

Personen wiesen eine Depression oder Angststörung auf. Von den ins- gesamt 46 Patienten, die explizit um Sterbehilfe gebeten hatten, beka- men 18 die letale Dosis verschrieben, von denen neun das Präparat ein- nahmen und verstarben. Drei von ihnen waren depressiv. Vor der Teil- nahme an dieser Studie hatte man sie nicht psychiatrisch untersucht.

Obwohl die meisten der Patienten, die ein letales Medikament ver- schrieben bekamen, nicht depressiv waren, zeigt die Studie in den Au- gen der Autoren, dass durch den jetzigen Umgang mit dem Gesetz psy- chisch Kranke nicht ausreichend geschützt sind. Ganzini fordert daher Screening-Verfahren für depressive Störungen bei der Untersuchung von Patienten im terminalen Stadium. Die Wissenschaftler warnen aber auch vor einer Überbewertung der Ergebnisse. Die Möglichkeit bleibe, dass die drei Patienten nicht gegen die Auflagen des Gesetzes verstoßen hätten, wenn ein Psychiater zwar Depression diagnostiziert, er diese aber nicht als Grund für den vorzeitigen Todeswunsch erkannt hätte. cs

Referenzen

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