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Archiv "Wissenschaftstheorie - Doppelblind bei alternativen Heilverfahren: Schlusswort" (07.09.2001)

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Schlusswort

Dass der Artikel und seine Thesen hef- tigen Widerspruch hervorrufen wür- den, war zu erwarten. Leider ist es nicht möglich, alle Zuschriften zu berück- sichtigen. Ich habe aber versucht, alle wesentlichen Kritiken zu Wort kom- men zu lassen.

1. Manche Zuschriften waren recht drastisch in ihrer Kritik (zum Beispiel Sachse, Stoll). Ich schätze dies und habe sie mit Freude gelesen. Nun ist hier nicht der Platz, alle einzelnen Punkte, insbesondere Feinheiten der Placebo- wirkung, nochmals zu wiederholen. Ich bin der Überzeugung, dass die Autoren bei unvoreingenommener Prüfung des Themas und meines Artikels zu ande- ren Schlüssen kommen würden. Aber auch die entsprechende Fachliteratur zeigt ja die paradoxen und verwirren- den Ergebnisse zur Genüge. Oder wie der Physik-Nobelpreisträger Richard Feynman sagt: „Das Paradoxe ist ledig- lich ein Konflikt zwischen der Realität und dem Gefühl, was Realität sein soll- te.“ Nur kurz soll auf die immer wieder erwähnte psychische beziehungsweise suggestive Genese des Placeboeffektes eingegangen werden. Zum einen ist

„Psyche“ als allgemeines Phänomen umfassend und so leicht zu missbrau- chen, dass alles und jedes damit erklärt werden kann. Genauer ist da schon das Kriterium der Suggestibilität. Nun kor- reliert eine höhere Suggestibilität nicht mit einer deutlicheren Placebowirkung.

Jeder Versuch, psychische Parameter für den Placeboeffekt verantwortlich zu machen, ist bisher gescheitert.

2. Die von mir vorgebrachten Thesen sind keinesfalls geeignet, etwas über die Wirksamkeit der Homöopathie und an- derer Naturheilverfahren auszusagen.

Dies war auch nicht beabsichtigt. Es sollte aufgezeigt werden, dass die Beur- teilungskriterien für Naturheilverfah- ren nicht hinreichend sind und dass der Denkansatz der spezifischen Therapie, der dem Doppelblindversuch zugrunde liegt, in dieser Form nicht geeignet ist, Vorgänge der Heilung ausreichend zu beobachten und zu beschreiben, also auch in der „schulmedizinischen“ Pra- xis problematisch ist. Es geht letztlich um die Frage, ob die Schlussfolgerun- gen, die wir in der Medizin ziehen, in

dieser linearen Form wirklich so stich- haltig sind, wie in der Regel angenom- men wird.

3. Die Frage der Modellhaftigkeit, al- so die Aussage, dass ein Modell nie die Wirklichkeit darstellt, wurde von nie- mandem bezweifelt. Medizin basiert auf sorgfältiger Beobachtung, und diese Beobachtung ist, wie Pischon darlegt, immer an bestimmte Beobachtungskri- terien gebunden. Eine Betrachtung des

„Ganzen“ ist nicht möglich, aus diesem Grund halte ich auch den Begriff der

„Ganzheitsmedizin“ für irreführend.

Die Frage, was wie beobachtet wird, ist klar festgelegt. Darauf weist Pischon zu Recht hin. Die Präzisierung der Frage, wie gemessen wird, ist aber eine Folge der Entscheidung, was gemessen wird.

Im Konzept des Doppelblindversuchs ist schon die unausgesprochene Ent- scheidung eingegangen, was unter Ge- sundheit und Heilung zu verstehen ist.

Wenn das isolierte Verschwinden eines Symptoms oder seine Besserung das Hauptkriterium ist, dann sind die Fra- gen nach Hill (wie sie Pischon darlegt) nachgeordnete Subkriterien, die den Sachverhalt präzisieren. Dieses Vorge- hen hat ungeheure Vorteile, denn es führt durch die Standardisierung zu ei- ner Vergleichbarkeit der Ergebnisse. Es hat aber den entscheidenden Nachteil, dass es nur Aussagen zulässt, die vorher definiert und standardisiert worden sind. Der Doppelblindversuch kann keine Aussagen zur Gesundheit eines Menschen machen, da es in der heuti- gen Medizin schlicht keine gangbare Definition von Gesundheit gibt. Die Definition der WHO (Gesundheit ist körperliches, seelisches und soziales Wohlbefinden) ist in der Praxis nicht umsetzbar und erst recht nicht auf den Doppelblindversuch anwendbar.

4. Wenn wir nun sagen, dass das We- sentliche nicht das Verschwinden (eines nicht lebensbedrohlichen) Symptoms ist, sondern eine Stärkung der Regulati- onskräfte, wie zum Beispiel in der Kur- medizin, dann kommt man zu völlig an- deren Beobachtungskriterien. Die Hill- schen Kriterien machen am Kurende wenig Sinn, da die Anfangsverschlech- terung und das Wiederauftreten frühe- rer Erkrankungen (wie sie auch in der Homöopathie beobachtet werden) sehr häufig sind. Für diese Phänomene gibt

es nicht einmal ein theoretisches Kon- zept, um sie einzuordnen. Hier werden durch ein anderes Therapiekonzept die Subkriterien bedeutungslos.

5. Auch der Ansatz von Schuck et al.

greift nicht. Die Autoren gehen von dem summarischen Begriff des „Wirk- samkeitsnachweises“ aus, ohne vorher zu definieren, was sie unter Wirksam- keit verstehen. Wahrscheinlich halten sie Wirkung für etwas Offensichtliches.

Nun ist Offensichtlichkeit sicher die größte Fehlerquelle im wissenschaftli- chen Denken. Vollmer formuliert es folgendermaßen: 1. Man bezeichnet ei- ne Aussage als selbstverständlich, un- mittelbar einleuchtend oder anschau- lich (Intuition). 2. Man zitiert jemand, der dasselbe sagt (Autorität). 3. Man beruft sich auf den allgemeinen Kon- sensus in dieser Frage (Mehrheit). 4.

Man wiederholt die Behauptung so oft, bis sie geglaubt wird (Gewöhnung). In den vorgelegten Ausführungen von Schuck et al. wird bei genauerer Prü- fung Wirkung als das definiert, was mit einer Wirksamkeitsprüfung gemessen wird. Die Katze beißt sich in den Schwanz. Dieser sich selbst bestätigen- de Ansatz hat den Vorteil, dass die ge- samte von mir angerissene Problematik sich scheinbar in Luft auflöst. Aber eben nur scheinbar.

Schuck et al. gehen davon aus, dass zum Wirksamkeitsnachweis eine Ran- domisierung erforderlich ist. Was heißt das? Das bedeutet, dass eine Gruppe von Patienten nach einem bestimmten Symptom kategorisiert (zum Beispiel Kopfschmerz) und zufällig auf verschie- dene Gruppen verteilt wird, in der Hoffnung, dass sich alle übrigen Para- meter gleichmäßig auf beide Gruppen verteilen und so eine Strukturgleichheit besteht. Die beiden Patientenkollekti- ve werden dann nach diesem Kriterium beurteilt. Dies wird als Surrogatpara- meter bezeichnet. Der Vorteil dieses Verfahrens ist, um es nochmals zu wie- derholen, die Vergleichbarkeit der Gruppen bezüglich des Parameters.

Das Ergebnis einer solchen Wirksam- keitsstudie ist jedoch auf dieses Kriteri- um (den Kopfschmerz) beschränkt.

Über alle anderen Parameter, ge- schweige über die Gesundheit der Pati- enten, kann keine Aussage gemacht werden. Randomisierung bedeutet per T H E M E N D E R Z E I T

A

A2254 Deutsches Ärzteblatt½½½½Jg. 98½½½½Heft 36½½½½7. September 2001

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definitionem symptomatische Betrach- tungsweise.

6. Alle Ergebnisse gelten nur für die Dauer der Studie. Über mittel- und langfristige Folgen können solche Stu- dien keine Aussage machen. Seltene, schwere Komplikationen kommen in solchen Studien nicht vor. Sicher lassen sich manche Schädigungen feststellen, da hat Frölich völlig Recht. Aber die von ihm erwähnten Todesfälle durch Antiarrhythmika in der CAST-Studie waren durch Medikamente verursacht, die bereits vorher doppelblind getestet waren, ohne dass ihr schädigendes Po- tenzial erkannt wurde. Gerade die Vor- gänge um Baycol/Lipobay zeigen, wie dünn das Eis der Arzneimittelsicher- heit ist.

7. Ganz offensichtlich wird das theo- retische Problem von Doppelblindver- suchen, wenn, wie Schuck et al. schrei- ben, „die zusätzliche Erfassung der Pa- tientensicht mittels so genannter ge- sundheitsbezogener Lebensqualitäts- skalen“ mit einbezogen wird. Das ist löblich, aber wie werden diese Ergeb- nisse gewertet? Da es (im Gegensatz zu einigen Naturheilverfahren) kein Ge- sundheitskonzept gibt, gibt es auch kei- ne Kriterien, Kopfschmerz und Allge- meinbefinden zu korrelieren. Was übrig bleibt, ist die Offensichtlichkeit, die aber nicht genügt, wissenschaftliche Aussagen zu machen. Dazu ein paar Beispiele: Wenn der Kopfschmerz bes- ser wird, die Lebensqualität aber unver- ändert ist, ist das eine erfolgreiche The- rapie? Oder handelt es sich, wie in der systemischen Psychotherapie gesagt wird, um eine Therapie erster Ordnung (Verschwinden des Symptoms bei gleich gebliebener Struktur)? Wie ist es, wenn sich die Lebensqualität bessert, dafür der Kopfschmerz unverändert ist? Hat man dann ein Psychopharma- kon gefunden? Oder handelt es sich um einen korrekten Gesundungsprozess, wie das homöopathische Konzept sagen würde? Der Ansatz mehrerer Parame- ter (Kopfschmerz und Allgemeinbefin- den) führt wieder zu einer ganzen Rei- he von Paradoxien, die einen falschen theoretischen Ansatz charakterisieren.

8. Meine von mehreren Autoren be- zweifelte These lautet: Der übliche Beobachtungsansatz für eine Arznei- mittelwirkung ist für eine ganze Reihe

von alternativen Heilverfahren aus for- malen Gründen nicht zutreffend. Ich habe dafür einen logischen Formalis- mus angegeben, ein verständliches Bei- spiel für den Formalismus konstruiert.

Ich habe gezeigt, dass dieser Formalis- mus auf das medizinische Problem übertragbar ist, und gezeigt, dass die Anwendung dieses Formalismus zu den postulierten Paradoxien führt. Darüber hinaus habe ich eine formale Umkeh- rung des Versuchsaufbaus gemacht, die zu Paradoxien führt, die jeder nachvoll- ziehen kann. Es wurde auch keine Kri- tik am formalen Ansatz geäußert. Dass der formale Ansatz zu den vorherge- sagten Folgen führt, könnte schon als Hinweis gelten, dass der Ansatz richtig ist, ist aber nicht beweisend. Die Kritik richtete sich eher auf die Frage, ob die Prämisse stimmt, ob das Symptom ein Element der Klasse Krankheit ist oder nicht. Ich folge der Argumentation von Pischon: Ein Symptom ist immer ein Element der Klasse Krankheit, völlig gleichgültig, welches Konzept von Krankheit ich auch haben mag. Hierin unterscheidet sich die „Schulmedizin“

in keiner Weise von der Homöopathie oder anderen Naturheilverfahren. Die Frage ist eher, wie gehen wir mit Sym- ptom und Krankheit um. Während Pi- schon meint, dass wir eben die Sympto- me behandeln, wenn wir die Krankheit nicht diagnostizieren können, so beruht dies auf dem Trugschluss, dass wir eine Krankheit überhaupt behandeln kön- nen, da sie nur ein Konzept ist. Wir be- handeln immer einen Menschen, und wir beobachten die Symptome. Krank- heit ist das theoretische Konzept, auf dem wir unsere Schlussfolgerungen treffen. Was man Nebenwirkung nennt, ist der Beweis, dass es eine symptomati- sche Behandlung nicht gibt, dass immer eine gesamte Person behandelt wird.

Und das Symptom ist immer ein Ele- ment eines größeren Betrachtungskon- zeptes.

Die Frage ist also nicht, ob die Prä- misse, dass die Homöopathie die Klasse und nicht das Element der Klasse (das Symptom) behandelt, stimmt. Die Prä- misse stimmt. Die Frage ist eher, ob die fehlende Unterscheidung von Sym- ptom und Krankheit nicht häufiger zu Unklarheiten in den üblichen Kon- zeptionen von Doppelblindversuchen

führt, weil mit einem unklaren Konzept von Gesundheit, Krankheit und Hei- lung operiert wird.

9. Meiner Überzeugung nach ist je- doch die eigentliche Ursache der Para- doxien der Placeboforschung, dass die

„spezifische Wirkung“ von Medika- menten ganz anderen Gesetzmäßigkei- ten und Reaktionsmustern im Organis- mus folgt als die „unspezifische Wir- kung“ der Selbstheilung, also der Fähigkeit des Organismus, gesund zu werden. Pikanterweise ist die Selbsthei- lung in den üblichen Studien kein er- wünschtes Phänomen, sondern ein lä- stiges informationstheoretisches Rau- schen.

10. Selbstverständlich bin ich der Meinung, dass jedes alternative Heilver- fahren einer genauen Begutachtung un- terzogen werden soll. Nur ist der übliche Doppelblindversuch dazu nicht geeig- net. Natürlich lässt sich eine korrekte placebokontrollierte Studie zum Bei- spiel für die Homöopathie erstellen, wie Schuck et al. anmerken. Eine solche Studie ist jedoch aufgrund von ethi- schen und konzeptionellen Gründen kaum durchführbar. Da die Begrün- dung dafür den hiesigen Raum sprengt, ist sie unter http://www.frank-thissen.

de/invanovas02.pdf nachzulesen.

11. Gerade die Digitalistherapie ist ein gutes Beispiel für die oben erörterte Problematik. Als Folge der CAST-Stu- die ist ein „Paradigmawechsel in der Behandlung der Herzinsuffizienz“ ein- getreten. Digitalis konnte, was die Le- bensverlängerung betrifft, keine besse- ren Behandlungserfolge nachweisen als Placebo. Die Frage, ob die positiv ino- trope Stimulierung des Herzens dem Herz eher schadet als nützt und zu häu- figerem Herztod führt, wurde immer wieder diskutiert, ist aber letztlich nur für die Katecholamine nachgewiesen, nicht jedoch für Digitalis. Es ist nun nicht unwahrscheinlich, dass in Zu- kunft, wenn Digitalis nur noch selten eingesetzt wird, ein anderer Parameter als die Überlebensdauer in den Vorder- grund rückt und es zu einem Comeback des Digitalis kommt. Dazu muss nicht einmal eine neue Studie erstellt wer- den, es muss nur ein anderes Kriterium angelegt werden.

Georg Ivanovas,

GR 72400 Milatos, Crete, Greece T H E M E N D E R Z E I T

Deutsches Ärzteblatt½½½½Jg. 98½½½½Heft 36½½½½7. September 2001 AA2255

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