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Archiv "Vor der Bundestagswahl: Parteien, Programme – Perspektiven" (06.09.2002)

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anchmal steckt mehr Brisanz in einem Thema, als es auf den er- sten Blick scheint. Zwei Wochen vor der Wahl ist die Gesundheitspolitik weit davon entfernt, im Mittelpunkt der politischen Auseinandersetzungen zu stehen. Tatsächlich jedoch reichen die Reformpläne der Partei-

en zum Gesundheitswe- sen weiter als jemals zu- vor. Von der breiten Öf- fentlichkeit nahezu un- bemerkt, geht es bei die- ser Wahl um eine Rich- tungsentscheidung mit weitreichenden Folgen für die Gesetzliche Kran- kenversicherung (GKV).

Angesichts der desolaten Finanzlage der GKV sind grundlegende Reformen dringend erforderlich.

Von den hehren Zie- len zu Beginn der Ära Schröder ist wenig ge- blieben. Ärzteproteste, Schlagworte von Ratio- nierung und Zweiklas- senmedizin: Die Amts- zeit von Andrea Fischer (Grüne) als Bundesge-

sundheitsministerin darf man als glück- los bezeichnen. Angetreten war sie mit dem Vorsatz, „soziale Ungerechtigkei- ten“ ihres Vorgängers Horst Seehofer (CSU) zurückzunehmen und mit der Gesundheitsreform 2000 den großen Wurf zu landen. Als eine ihrer ersten Amtshandlungen präsentierte sie das so genannte Vorschaltgesetz, das die Zu- zahlungen der Versicherten zu Arznei- mitteln wieder senkte, das von Seehofer eingeführte „Krankenhausnotopfer“ ab- schaffte, den Zahnersatz bei Kindern und Jugendlichen wieder in die Lei- stungspflicht der Krankenkassen ein- führte und die sektorale Ausgabenbud-

getierung inklusive Kollektivhaftung wieder einführte. Die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) bezeichnete das Gesetz als Affront gegen Patienten und Kassenärzte. Deren damaliger Vor- sitzender, Dr. med.Winfried Schorre, be- fürchtete dramatische Einbrüche in der

ambulanten Versorgung und nannte das Vorhaben „eine Katastrophe für die Kassenärzte“. Die bundesweiten Prote- ste gegen das Gesetz suchen noch immer ihresgleichen. Allein 4 000 Kassenärzte demonstrierten im Dezember 1999 bei einem zentralen Aktionstag in Bonn vor allem gegen die Budgets.

Der große Wurf bei der Gesundheits- reform 2000 ging ins Leere – unter ande- rem, weil die Mehrheit der Opposition im Bundesrat weitergehende strukturel- le Änderungen blockierte. Übrig blieben der Einstieg in einen gesamtdeutschen Risikostrukturausgleich, die Förderung der Integrationsversorgung, der „Haus-

arzt als Lotse“, die Förderung von Ein- richtungen der Patientenberatung und Selbsthilfe sowie mehr Prävention und Qualitätssicherung. In vielen Bereichen lässt die Umsetzung nach wie vor auf sich warten. Das bedeutendste Element der Reform 2000 dürfte die Wegberei- tung für die Einführung diagnosebezogener Fall- pauschalen im Kranken- haus gewesen sein.

Glücklose Ära Fischer

Den Protest der Ärzte provozierte Fischer vor al- lem damit, dass sie alle ge- sundheitspolitischen Maß- nahmen unter das Primat der Beitragssatzstabilität stellte und den Kranken- kassen erheblich mehr Macht einräumen wollte.

Im Protest gegen die Ge- sundheitsreform organi- sierten sich 36 Organisa- tionen des Gesundheits- wesens, vorwiegend der Gesundheitsberufe, im

„Bündnis Gesundheit 2000“. „Ange- sichts zunehmenden medizinischen Be- darfs und medizinischen Fortschritts muss Budgetierung zur Rationierung führen“, hieß es dort. Gegen Ende ihrer Amtszeit war Fischers Verhältnis zu den Ärzten völlig zerrüttet. Mangelnde Kompetenz und Dialogbereitschaft hat- te man ihr bereits zum Amtsantritt vor- geworfen. Am Ende herrschte eisiges Schweigen auf beiden Seiten. Letztlich stürzte Fischer jedoch nicht über ihre glücklose Gesundheitspolitik, sondern über die BSE-Krise.

Die Schlagworte haben sich seither um Ärztemangel und Beitragssteige-

Deutsches ÄrzteblattJg. 99Heft 366. September 2002 AA2297

Vor der Bundestagswahl

Parteien, Programme – Perspektiven

Einer ernüchternden Bilanz nach vier Jahren Rot-Grün folgen mehr oder weniger ausgegorene

gesundheitspolitische Vorstellungen der Parteien für die Zeit nach der Wahl.

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rung erweitert. Fischers Nachfolge trat Anfang 2001 überraschend die in der Gesundheitsszene wenig bekannte Ulla Schmidt (SPD) an, die zuvor maßgeblich an der Riester-Rente mitgearbeitet hat- te. Des Kanzlers „Beruhigungspille“ für die rebellierenden Ärzte, munkelte man hinter den Kulissen.Als Symbol für Dia- logbereitschaft darf der Runde Tisch gel- ten, den Schmidt zügig nach ihrem Amts- antritt einrichtete. Empfehlungen für ei- ne weitere Gesundheitsreform sollten die Vertreter der Verbände des Gesund- heitswesens dort abgeben. Das funktio- nierte eher schlecht als recht, zu unter- schiedlich sind die Interessen – ein Sym-

bol eben. Mit einer, wie sie selbst gern betont, Politik der kleinen Schritte hat Schmidt zwar kein schlüssiges Reform- konzept vorgelegt, aber, begleitet von heftigen Protesten der Betroffenen, eini- ge Gesetzesinitiativen durch den Bun- destag gebracht. Unter anderem hat sie Behandlungsprogramme für chronisch Kranke initiiert und diese an eine Re- form des Risikostrukturausgleichs ge- knüpft, um den Wettbewerb der Kran- kenkassen um finanzkräftige, junge und gesunde Versicherte zu beenden. Unter ihrer Federführung wurde die Einfüh- rung des Fallpauschalensystems im Kran- kenhaus gesetzlich verankert und die seit Jahrzehnten aus- stehende Novellie- rung der Approbati- onsordnung durch- gesetzt. Sie hat die Arzneimittelbudgets abgeschafft und ein Gesetz zur Begren- zung der Ausgaben in diesem Sektor eingeführt.

Kurz vor der Wahl beklagt die GKV ein Defizit von rund 2,5 Milliar- den Euro. Von ih- rem Weg will Ulla Schmidt dennoch nicht abrücken. Wie ihre Vorgängerin wei- gert sie sich stand- haft, Forderungen vor allem vonseiten der Ärzte nach mehr Geld im System nachzugeben. Zu- nächst müssten Qua- litätsmängel besei- tigt und Rationali- sierungsreserven er- schlossen werden.An den Finanzierungs- grundlagen der Ge- setzlichen Kranken- versicherung hält sie ebenso fest wie am einheitlichen Lei- stungsanspruch der Versicherten. Zur Wahl stehen am 22. September laut Schmidt Solidarität

oder Wettbewerb. „Wir stehen vor einer richtungweisenden Entscheidung“, be- tont die Ministerin.

Dies sieht die Opposition ähnlich.

Während die gesundheitspolitischen Vorstellungen der Parteien zurzeit noch die rechte Detailtiefe vermissen lassen, zeichnen sich deutliche Unterschiede in der Grundausrichtung ab. Die einen (SPD und Grüne) setzen weiterhin auf die solidarischen Elemente der GKV, wollen aber mit „unabhängigen“ Institu- ten für die Arzneimittelversorgung und die Qualität in der Medizin mehr Kon- trolle ins System bringen und das Lei- stungsgeschehen stärker steuern. Die anderen (CDU/CSU und FDP) sehen in mehr Wettbewerb, höherer Selbstbeteili- gung der Patienten und mehr Vertrags- vielfalt den Schlüssel zum Erfolg. Die Union, erst recht die FDP glauben, mit Elementen der privaten Krankenversi- cherung auch die Finanzprobleme der GKV lösen zu können.

Streit um die „Friedensgrenze“

Um weitere Beitragssatzsteigerungen in der GKV zu verhindern, will die SPD den Kreis der gesetzlich Versicherten er- weitern. Indem die Versicherungspflicht- grenze für neue Mitglieder angehoben wird, sollen mehr Beiträge in die GKV fließen. Die Union lehnt dies ab – die Versicherungspflichtgrenze müsse als

„Friedensgrenze“ zwischen Gesetzlicher und privater Krankenversicherung er- halten bleiben.

Zur Konsolidierung der GKV-Finan- zen hatte die CDU ursprünglich eine Aufsplittung des GKV-Leistungskata- logs in Kern- und Wahlleistungen favori- siert. Nach Intervention Horst Seeho- fers, der die Reduzierung auf einen GKV-Kernleistungskatalog für politisch nicht vermittelbar hält, plädiert die Uni- on nun geschlossen für mehr Wahlmög- lichkeiten beim Umfang des Versiche- rungsschutzes. Die Versicherten sollen künftig selbst entscheiden können, ob sie den bisherigen Leistungsumfang bei gleichem Beitrag beibehalten, bei höhe- rer Eigenbeteiligung zusätzliche Lei- stungen erhalten oder bei gleichzeitiger Beitragsermäßigung Leistungen ab- wählen oder einen Selbstbehalt über- nehmen wollen. Für die SPD ist jegliche Protest gegen die Gesundheitsreform 2000: Demonstrationszug

auf dem Weg von der Charité zum Gendarmenmarkt in Berlin

Foto:Johannes Aevermann

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Differenzierung des GKV-Leistungska- talogs inakzeptabel. Der Leistungsum- fang müsse für alle Versicherten einheit- lich bleiben, sonst drohe eine Zweiklas- senmedizin.

Auch Bündnis 90/DieGrünen und die PDS wollen den Kreis der GKV-Versi- cherten durch eine Verschiebung der Friedensgrenze erweitern. Die Grünen gehen so weit, eine Bürgerversicherung für alle zu fordern. Zudem sollen aus al- len Einkunftsarten Beiträge in die GKV eingezahlt werden. Eine Aufsplittung des GKV-Katalogs in Kern- und Wahl- leistungen lehnen sowohl Grüne als auch PDS ab.

Im Gegensatz zur Union fordert die FDP die Einführung von Kern- und Wahlleistungen. Die Zwangsbeiträge zur GKV müssten auf Kernleistungen beschränkt und Wahlmöglichkeiten

eröffnet werden. Versicherte sollen die Möglichkeit haben, Tarife mit unter- schiedlichen Optionen abzuschließen.

Selbstbehalte und Selbstbeteiligungen dienen in diesem System dazu, Anreize für kostenbewusstes Verhalten zu set- zen. Darüber hinaus gehört es für die FDP zum Wettbewerb, dass sich mög- lichst viele Menschen entscheiden kön- nen, ob sie in der Gesetzlichen oder in der privaten Krankenversicherung versi- chert sein wollen. Eine Anhebung der Versicherungspflichtgrenze lehnen die Liberalen deshalb ab. Gleiches gilt für ei- ne Ausdehnung der Beitragsbemessung auf weitere Einkunftsarten.

Die FDP plädiert als einzige Partei dafür, das Sachleistungsprinzip generell durch das Kostenerstattungsprinzip zu ersetzen. SPD, Grüne und PDS wollen am Sachleistungsprinzip festhalten. Die

Union spricht sich für eine Wahlmöglich- keit zwischen Sachleistung und Kosten- erstattung aus, wobei bei größeren Beträ- gen, wie etwa für Klinikaufenthalte, kei- ne Vorleistungen gezahlt werden sollen.

Dass versicherungsfremde Leistun- gen wie Sterbegeld oder Mutterschafts- geld, die derzeit aus dem GKV-Topf be- zahlt werden, künftig aus dem Bundes- haushalt finanziert werden sollten, be- fürworten sowohl die Grünen als auch FDP und PDS ausdrücklich. Die beiden großen Parteien scheuen hier eine klare Aussage – wohl auch, weil sie angesichts des knapp kalkulierten Bundeshaushalts wissen, wie schwer es ist, politisch moti- vierte „Verschiebebahnhöfe“ der Ver- gangenheit rückgängig zu machen.

Sosehr sich die politischen Blöcke in der Grundausrichtung unterscheiden, al- len großen Parteien gemeinsam ist die

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´ Tabelle 1CC´

Wahlaussagen der Parteien zur Gesundheitspolitik

Budgetierung paritätische GKV-Leistungskatalog Sachleistung/ GKV-Finanzierung, Vertragsgestaltung Finanzierung Grund- und Wahlleistungen Kostenerstattung neue Einnahmen

keine Aussage, beibehalten Anpassung an den medizini- Beibehaltung des Anhebung der „Mehr Wettbewerb im aber „Mobili- schen Fortschritt auf der Basis Sachleistungsprinzips Versicherungspflicht- Rahmen einer solidarischen

sierung aller gesicherter wissenschaftlicher grenze für neue Ordnung“, mehr Vertrags-

Effizienzreserven“ Erkenntnisse; keine Aufteilung in GKV-Mitglieder freiheit für alle. Einzelver-

Grund- und Wahlleistungen träge neben Kollektivver-

trägen, Modifikation des Kontrahierungszwangs

„Alle Budge- Arbeitgeber- mehr Wahlfreiheit: Versicherte Wahlmöglichkeit zwi- keine konkrete „Mehr Wettbewerb und tierungen bei den beitrag wird sollen künftig selbst entscheiden schen Sachleistungs- Aussage Flexibilität im zu starren Leistungserbringern auf „Kernleistun- können, ob sie den bisherigen und Kostenerstattungs- Vertragssystem zwischen werden gen“ beschränkt, Versorgungsumfang beibehalten, prinzip – ohne Kassen und Leistungser- abgeschafft“ Wahlleistungen zusätzliche Leistungen erhalten Vorleistung bei bringern“

werden allein aus oder bei gleichzeitiger Beitrags- größeren Beträgen;

Beiträgen der Ver- ermäßigung Leistungen abwählen Patientenquittung über sicherten finanziert oder einen Selbstbehalt über- Leistungen und deren

nehmen wollen Abrechnung

keine grundsätz- beibehalten „kritische Überprüfung des Beibehaltung des Kreis der Versicherten Selbstverwaltung liche Abkehr von Leistungsumfangs“ auf das Sachleistungsprinzips verbreitern, GKV zur reorganisieren,

der Budgetierung medizinisch Notwendige hin, „Bürgerversicherung“ „neue Balance zwischen

keine Aufteilung in Grund- und umwandeln, in der Markt, Selbstverwaltung Zusatzleistungen, aber alle versichert sind und Staat im Gesundheits-

Steuerfinanzierung vorrangig wesen“; „die integrierte Ver-

gesellschaftlicher Aufgaben sorgung ist für uns die Regel“

Budgetierung ab- Auszahlung des Aufteilung in Kern- und Individual- Sachleistung grund- keine Anhebung der mehr Wettbewerb zwischen schaffen und durch Arbeitgeberanteils leistungen, Einführung von Selbst- sätzlich durch Kosten- Versicherungspflicht- den Kassen und aufseiten Vergütungen und an der GKV; behalten, Seibstbeteiligungen und erstattung ersetzen grenze, keine Ausdeh- der Leistungsanbieter,

„Anreize zu „Zwangsbeiträge Bonussystemen; versicherungs- nung der Beitragsbe- Verhandlungslösungen wirtschaftlichem nur für fremde Leistungen aus dem messung auf weitere anstelle von staatlichen Handeln“ersetzen; Kernleistungen“ Bundeshaushalt finanzieren Einkunftsarten Vorgaben

feste Preise für ärztliche Leistungen

Globalbudget Beibehaltung der Ablehnung jeder Leistungs- Sachleistung Volksversicherung; Wettbewerb der Kassen wird Parität: Erweiterung und Tarifdifferenzierung Wertschöpfungs- kritisiert, aber Wettbewerb

der Bemessungs- abgabe um medizinische Qualität

grundlage (Vermögen) („Maschinensteuer“) gefordert; Anbieter müssen

plus Wertschöpfungs- „Wirksamkeit und Wirtschaft-

abgabe; VPG auf lichkeit ihrer Angebote nach-

RV-Niveau anheben weisen“; straffe Steuerung

Abkürzungen: VPG: Versicherungspflichtgrenze; BBG: Beitragsbemessungsgrenze; GKV: Gesetzliche Krankenversicherung; KH: Krankenhaus; KV: Kassenärztliche Vereinigung; ÖGD: Öffentlicher Gesundheitsdienst;

PKV: Private Krankenversicherung; RSA: Risikostrukturausgleich; RV: Rentenversicherung Quellen: Pressestelle der deutschen Ärzteschaft, Köln; Die Betriebskrankenkasse Heft 7/2002, S. 285

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Forderung nach mehr Vertragsfreiheit – insbesondere im ambulanten Sektor.

Hier kann am ehesten ein Paradigmen- wechsel einsetzen, von dem in erster Li- nie die ärztlichen Körperschaften be- troffen sein dürften. Dort machen sich bereits vor der Wahl düstere Ahnungen breit.

Zwei Millionen für die Zukunft

Wer nämlich in Zeiten allgemeiner Geldknappheit mehr als zwei Millionen Euro in eine Imagekampagne investiert, muss ernsthafte Sorgen haben. Bei den 23 Kassenärztlichen Vereinigungen (KVen) und ihrer Dachorganisation, der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), ist das so. Mit dem Slogan der Kampagne „Damit Ihnen nichts fehlt, wenn Ihnen was fehlt“ bringen die KVen eine doppelte Botschaft an die Öffent- lichkeit: Die rund 120 000 Kassenärzte und Psychotherapeuten sorgen für die Gesundheit – und die Kassenärztlichen

Vereinigungen stehen dafür gerade. Die bisherige organisatorische Einheit Kas- senarzt und KV ist nach Auffassung führender Vertreter der ärztlichen Selbstverwaltung bedroht. Erstmals in

der Geschichte der Bundesrepublik stellt sich vor einer Bundestagswahl die Frage, ob die Kassenärztlichen Vereini- gungen danach überhaupt noch eine nennenswerte Zukunft haben werden.

´ Tabelle 2CC´

Wahlaussagen der Parteien zur Gesundheitspolitik

freie Arztwahl Gesundheitspass Qualitätssicherung Prävention

Hausarztmodelle

freie Arztwahl bleibt erhalten, Einführung eines Behandlungsleitlinien „auf der Prävention zu einer eigenständigen

„Hausarzt als Lotse“, Gesundheitspasses auf Basis allgemein anerkannter Standards“ Säule neben der Akutbehandlung Krankenkassen können freiwilliger Basis, für die wichtigsten Krankheitsbilder und und Rehabilitation ausbauen Hausarzttarife anbieten dadurch mehr Transparenz, insbesondere für chronische Krankheiten;

mehr Leistungssicherheit „die Behandlungsleitlinien und die Fort- und besserer Einblick schreibung des Leistungskataloges werden in die Behandlung von einer öffentlichen Institution unab-

hängiger Sachverständiger vorbereitet“

„Freie Arzt- und Einführung einer durch mehr Wettbewerb zu höherer Qualität „Wir werden mehr Vorsorge anbieten Krankenhauswahl „intelligenten Versicherten- und besserer Effizienz und Anreize setzen,

bleibt unangetastet“ karte" zur Vermeidung solche Angebote auch anzunehmen“,

von unnötigen Doppel- Ausbau der Prävention kann auch

untersuchungen die Ausgaben senken

Rolle der Hausärzte keine Aussage „Institut für Qualitätssicherung“ soll die „Für ein präventiv orientiertes Gesundheits- als Lotsen im „Aktivitäten des Qualitätsmanagements wesen“, Ausbau der Präventionsangebote, Gesundheitssystem stärken aller Leistungsanbieter auf gesetzlicher vor allem der Vorsorgeprogramme

Grundlage koordinieren; Patientenschutz- in frühester Kindheit sowie Gesundheits- gesetz; „Stiftung Gesundheitstest“ erziehung in Kindergarten und Schule analog zur Stiftung Warentest

freie Arztwahl garantieren keine Aussage qualitätsorientierter Wettbewerb fördert Auf- und Ausbau qualitätsgesicherter die Kreativität, patientengerechte Lösungen Gesundheitsvorsorge und entsprechender zu finden; Chancengleichheit zwischen Früherkennungsmaßnahmen, Angebote zur schulmedizinischen und alternativen Heil- Gesundheitsförderung müssen frühzeitig in und Behandlungsmethoden Kindergärten und Schulen erfolgen Stärkung der kassenärztlichen keine Aussage Wettbewerb um Stärkung der Präventions- und Versorgungs-

Versorgung insbesondere medizinische Qualität angebote insbesondere für Kinder,

durch Vergütungssysteme Frauen, chronisch Kranke, Senioren und

sozial Benachteiligte (einschließlich des öffentlichen Gesundheitsdienstes)

Quellen:SPD:Erneuerung und Zusammenhalt – Wir in Deutschland, Regierungsprogramm 2002–2006, Beschluss des SPD-Parteitages vom 2. Juni 2002, www.spd.de.CDU/CSU:Leistung und Sicherheit, Regierungs- programm 2002–2006, beschlossen von den Vorständen beider Parteien am 6. Mai 2002, www.cdu.de.Bündnis 90/Die Grünen:Vierjahresprogramm 2002–2006, verabschiedet auf der 19. Ordentlichen Bundes- delegiertenkonferenz am 4./5. Mai 2002 in Wiesbaden, www.gruene.de.FDP:Bürgerprogramm 2002, beschlossen auf dem 53. Ordentlichen Bundesparteitag vom 10. bis 12. Mai 2002 in Mannheim, www.fdp.de.

PDS:Solidarität statt Privatisierung, gesundheitspolitische Positionen, Ziele und Forderungen der PDS, Stand: April 2002

Damit Ihnen nichts fehlt, wenn Ihnen etwas fehlt: Werbefeldzug der KVen in eigener Sache

Foto:KBV

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Kassenärztliche Vereinigungen sind im politischen Sprachgebrauch „Kartelle“

und „Monopole“, die einer sinnvollen Weiterentwicklung des Gesundheitswe- sens im Weg stehen. Sie seien „Macht- blöcke“, verkrustet und nur auf die eige- nen Interessen fixiert.

Die politischen Parteien unterschei- den sich lediglich in der Schärfe der Kri- tik.Alle Aussagen laufen jedoch auf eine drastische Beschneidung der KV-Kom- petenzen hinaus. Zwar hat sich die Bundesgesundheitsministerin nicht den

„Ratschlägen“ diverser Sachverständi- ger angeschlossen, den Sicherstellungs- auftrag von den KVen auf die Kranken- kassen zu verlagern. Ulla Schmidt will aber eine „gemeinsame Sicherstellung“.

Das dürfte sich in erster Linie beim künftigen Vertragsgeschehen auswirken.

Schon mit der Einführung der Disease- Management-Programme wurde deut- lich, dass die rot-grüne Koalition den Einfluss der Krankenkassen auf die Steuerung des Leistungsgeschehens und der Behandlungsqualität nachhaltig stärken will.

Abgesang auf das „Kollektiv“

Ulla Schmidt will zwar mithilfe der bis- lang üblichen Kollektivverträge (alle Krankenkassen schließen einheitlich und gemeinsam Verträge über Leistun- gen und Vergütung mit allen Kassenärz-

ten) eine flächendeckende und einheitli- che ambulante Versorgung für die Pati- enten erhalten. Sie will aber auch den Krankenkassen mit so genannten Di- rektverträgen den Weg in die selektive Vertragsgestaltung mit einzelnen Ärzten oder Gruppen ebnen. Kritiker sehen darin den Einstieg in die Einkaufsmo- delle der Krankenkassen, Pessimisten gar den Anfang vom Ende der Kas- senärztlichen Vereinigungen.

Ein Schulterschluss mit der Union dürfte den Bewahrern des KV-Systems jedoch auch nicht mehr Ruhe besche- ren: Seehofer, inzwischen zwar ein er- klärter Gegner jeglicher Budgets, ist bei seinem Weg vom Saulus zum Paulus kaum mehr zu stoppen. Der frühere Bundesgesundheitsminister und jetzige Frontmann in Sachen Gesundheit im Kompetenzteam von Kanzlerkandidat Edmund Stoiber, kann sich die KVen durchaus als reine Abrechnungsstellen vorstellen, deren gestalterische Aufga- ben sich in der Mengen- und Qualitäts- kontrolle erschöpfen. Tarifpartner der Krankenkassen zu sein – das sieht Horst Seehofer nicht mehr als KV-Auf- gabe der Zukunft. Seehofer traut es den ärztlichen Körperschaften offenbar nicht mehr zu, gemeinsam mit den Kassen eine Gebührenordnung zu ent- wickeln, mit der alle leben können. So etwas müsse wohl der Minister machen, meinte der Christsoziale kürzlich in ei- nem Zeitungsinterview.

Ambulant und stationär:

Gleiche Vergütungsstrukturen

Auch Ulla Schmidt verfolgt in Ho- norarfragen ihre eigenen Vorstellungen.

Sie will das Fallpauschalensystem der Krankenhäuser auf die Kassenärzte übertragen. Danach würden die Fach- ärzte nach Fallpauschalen honoriert, die Hausärzte hingegen nach Kopfpauscha- len. Mit dieser Vergütung nach einheitli- chen Grundsätzen könnte, so die Hoff- nung der Ministerin, in Zukunft der Durchbruch für die Integrationsversor- gung gelingen. Bisher sind alle Ansätze einer besseren Verzahnung von stationä- rer und ambulanter Versorgung an der Abschottung der Sektoren, vor allem aber an der unterschiedlichen Finanzie- rungssystematik gescheitert.

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an muss schon suchen in den Wahlprogram- men, um Stellungnahmen der Parteien zu medizinethischen Fragen zu finden. Die Aussagen sind durchweg eher dürftig. Dabei kann es durch- aus sein, dass in der nächsten Legislaturperiode schneller entschieden werden muss, als es der dann amtierenden Regierung lieb ist. So geht das Embryonenschutzgesetz nicht auf einen möglichen Import von embryonalen Stammzellen ein. Deshalb bestand Handlungsbedarf, als im Jahr 2000 der Bonner Neuropathologe Prof. Dr. med. Oliver Brüst- le einen Antrag an die Deutsche Forschungsge- meinschaft zur Forschung an importierten embryo- nalen Stammzellen einreichte. Die

Deutsche Forschungsgemeinschaft wollte das Votum des Bundestages abwarten. Dieser entschied für einen Import bereits existierender embryo- naler Stammzelllinien unter be- stimmten Auflagen, die Tötung wei- terer Embryonen sollte durch eine Stichtagsregelung verboten werden.

Wie lange das Ende April verab-

schiedete Stammzellgesetz Bestand haben wird, ist fraglich. Die Union will „an den strengen Grundsätzen des deutschen Embryonenschutzge- setzes festhalten“. In diesem Zusammenhang lehnt sie in ihrem Regierungsprogramm auch eine

„Legalisierung der aktiven Sterbehilfe“ ab. „Wir unterstützen nachdrücklich den Einsatz für ein Le- ben in Würde, wie etwa in der Hospizbewegung.“

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ie Union würde in ihrer Einstellung zu ethi- schen Fragen am ehesten bei den Grünen Gleichgesinnte finden. Diese lehnen verbrauchen- de Embryonenforschung ab: „Wir wollen die reali- stischen Chancen für die Heilung von Menschen nutzen und fördern. Aber wir lehnen die Zielset- zung ab, mithilfe der Gentechnik den ,perfekten Menschen’ zu erschaffen. Unser Maßstab ist die In- dividualität jedes Menschen, nicht seine Ange- passtheit an vermeintliche Normen der körperli- chen ,Gesundheit’, ,Fitness’ oder ,Schönheit’.“

Die PDS hält zwar „eine politische Rahmen- setzung“ für notwendig, geht aber über einige allgemeine Statements nicht hinaus: „Das Inter- esse der Forschung an embryonalen Stammzellen und der Zugriff auf die weibliche Reproduktions- fähigkeit dürfen nicht über das Selbstbestim- mungsrecht von Frauen und die Menschenwürde gestellt werden“, heißt es im PDS-Regierungs- programm.

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uch die SPD hält sich eher bedeckt; sie lässt al- lerdings eine gewisse Offenheit gegenüber gentechnischen Möglichkeiten erkennen – offen- bar getreu nach Gerhard Schröders geforderter

„Ethik des Heilens“: „Die Gesund- heits- und Genomforschung liefert neue Erkenntnisse über die Ursa- chen von Erkrankungen und deren Entstehung. Damit lassen sich die Lebensqualität der Menschen, ihre Lebenserwartung und die Heilung von Krankheiten verbessern. Wir werden deshalb die Gesundheits- und Genomforschung stärken, da- mit neue Präventions- und Therapieverfahren ent- wickelt werden können.“ Dezidierter forschungs- freundlich nehmen die Freien Demokraten Stel- lung. Sie bezeichnen das Stammzellgesetz als „Mi- nimalkonsens“. Die FDP habe ihm zugestimmt, sei sich aber bewusst, dass es nachgebessert werden müsse. „Durch die restriktive Stichtagsregelung werden kaum Zelllinien zur Verfügung stehen, die qualitativ für therapeutische Forschung geeignet sind.“ Immerhin soll aber auch nach dem Willen der Freien Demokraten das Klonen von Menschen verboten und international geächtet bleiben.

Einige Parteiprogramme nehmen auch explizit Stellung zur Präimplantationsdiagnostik (PID). Die Grünen lehnen die PID „als eine Methode zur Selek- tion behinderten Lebens bei künstlicher Befruchtung ab“. Im Gegensatz dazu tritt die FDP dafür ein, sie in engen rechtlichen Grenzen auch in Deutschland zu

ermöglichen. Gisela Klinkhammer

Ethik

Dürftige

Aussagen

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Die Umstellung auf diagnose- bezogene Fallpauschalen im Kran- kenhaus (Diagnosis Related Groups) wird auch unter diesem Gesichtspunkt die kommenden Jahre stark prägen. Bereits mit dem GKV-Gesundheitsreformge- setz 2000, das noch unter Andrea Fischer zustande kam, sind die Selbstverwaltungspartner – Spit- zenverbände der Krankenkassen, Verband der privaten Kranken- versicherung und Deutsche Kran- kenhausgesellschaft – beauftragt worden, ein leistungsorientiertes und pauschalierendes Vergütungs- system im Krankenhaus einzu- führen, das sich an einem interna- tional bereits eingesetzten Vergü- tungssystem auf der Grundlage der DRGs orientiert. Die Ver- tragsparteien haben sich bereits am 27. Juni 2000 auf das australi- sche AR-DRG-System verstän- digt und in der Folgezeit mit der Übersetzung der Fallpauschalenkatalo- ge und der Codier-Richtlinien begon- nen. Allerdings ist die Selbstverwaltung mit der Umsetzung stark in Verzug gera- ten. Lediglich 40 Prozent der Arbeiten sind bisher erledigt. Aufgrund der Er- satzvornahme des Bundesgesundheits- ministeriums besteht jetzt die Gefahr, dass die zum 1. Januar 2003 geplante Op- tionsregelung scheitern wird.

An der als Paradigmenwandel in der Krankenhausfinanzierung bezeichneten Systemumstellung will keine der im Bundestag vertretenen Parteien grund- sätzlich etwas ändern. Während Sozial- demokraten und Grüne an der bisheri- gen Marschroute für die Umsetzung des DRG-Fallpauschalensystems und an ei- nem sehr engen Zeitplan festhalten wol- len, haben die Oppositionsparteien von CDU/CSU und FDP angekündigt, das Fallpauschalengesetz vom 1. März 2002 nicht in der vorgesehenen Form umzu- setzen, sondern nachzubessern und den Zeitplan praxisgerecht zu strecken.

Die SPD sieht im Gegensatz zum bis- herigen Mischsystem der Krankenhaus- finanzierung in den Fallpauschalen eine Reihe von Vorteilen. Sie unterstellt, dass nur über eine mehr leistungsorientierte Vergütung, eine Art Krankenhaus- gebührenordnung, der Einsatz der Res- sourcen optimiert werden kann. Die

SPD sieht in der Umstellung auf das DRG-System auch eine Möglichkeit, stationäre Leistungen kostenverursa- chungsgerecht zu kalkulieren und in Ab- rechnungskomplexe zusammenzufas- sen. Dies sei eine Voraussetzung dafür, das sektorale Budget auch im sta- tionären Bereich abzulösen und nach der Umstellungs- und Überleitungspha- se ab 2007/2008 in den Routinebetrieb überzuleiten.

Die amtierende Bundesregierung will für das Optionsjahr 2003 einen vorläufi- gen Fallpauschalen-Katalog auf der Grundlage des australischen DRG-Ka- talogs vorgeben. Im Rahmen der Ersatz- vornahme seien Anpassungen an die deutschen Klinikversorgungsstrukturen nur begrenzt möglich. Die Höhe der Fallpauschalen soll auf der Grundlage von repräsentativ ermittelten Kosten deutscher Krankenhäuser kalkuliert werden (sämtliche Pilot-Universitätskli- niken sind bei der Kostenermittlung in- zwischen ausgeschieden). 2004 soll nach den Direktiven von Ulla Schmidt der Fallpauschalenkatalog auch an die Be- sonderheiten der stationären Versor- gung in Deutschland angepasst werden.

Die Regierung baut darauf, dass die Selbstverwaltung die noch anstehenden Umsetzungsarbeiten auch im Jahr 2003 zügig vorantreibt, damit 2004 während

des zweiten Jahres der budgetneutralen Phase flächendeckend das DRG-Ab- rechnungssystem eingeführt werden kann.

Mindestens 15 000 neue Arztstellen

Seitens der Regierungsparteien gibt es darüber hinaus noch keine festen Zusa- gen, dass das Arbeitszeitgesetz rasch an die Vorgaben eines Urteils des Euro- päischen Gerichtshofs (EuGH) vom 3. Oktober 2000 angepasst wird. Das Ge- richt hatte festgestellt, dass klinik- ärztlicher Bereitschaftsdienst als volle Arbeitszeit zu werten ist. Würde das EuGH-Urteil in der deutschen Kran- kenhauspraxis angewendet, müssten zu- sätzlich 15 000 bis maximal 27 000 Ärzte eingestellt werden (untere Schätzung:

Marburger Bund; obere Schätzung:

Deutsche Krankenhausgesellschaft). Dies würde zusätzliche Ausgaben von rund ei- ner Milliarde bis 1,7 Milliarden Euro jährlich erfordern. Die Bundesregierung verweist darauf, dass den Krankenhäu- sern im Fallpauschalengesetz zusätzliche finanzielle Mittel von jeweils 100 Millio- nen Euro im Jahr 2003 und 2004 zur Ver- fügung gestellt werden. Ulla Schmidt drängt aber darauf, dass die bereitge- Arbeitszeiten und Fallpauschalen: Auf die Krankenhäuser kommen radikale Änderungen zu.

Foto:ddp

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stellten Zusatzmittel zunächst in die Per- sonal-Infrastrukturen investiert werden, ehe es zu einer generellen Personalauf- stockung und zu einer Änderung des Ar- beitszeitgesetzes kommt.

Auch die Union befürwortet grund- sätzlich das DRG-Fallpauschalensystem.

Nach ihrer Ansicht ist aber die Beibehal- tung eines sektoralen Budgets mit dem Fallpauschalsystem auf der Basis von ein- heitlichen Preisen nicht kompatibel. Fall- pauschalen bei gedeckelten Budgets führten zu „hemmungsloser Selektion“

(Horst Seehofer). Die konservativen Parteien befürworten gleiche Startbedin- gungen für alle Krankenhausträger – un- ter Beibehaltung des pluralistischen, ge- gliederten Systems in der Krankenhaus- wirtschaft und bei einem verbesserten Leistungswettbewerb. Unverzichtbar sei die Implementierung von Maßnahmen der Qualitätssicherung und der externen Qualitätskontrolle (Benchmarking), um eine medizinisch kontraindizierte Früh- entlassung ebenso zu vermeiden wie eine wiederholte Einweisung ein und dessel- ben Patienten („Drehtüreffekt“). Selek- tive Einkaufsmodelle im Krankenhaus- sektor lehnt die Union ab. Ein Leistungs-

wettbewerb müsse aber unter sozial ver- träglichen Rahmenbedingungen zugelas- sen werden.

Versprechen an die Klinikärzte

Horst Seehofer und der Fraktionsvorsit- zende der CDU/CSU, Friedrich Merz, ha- ben dem Marburger Bund zugesichert,im Falle des Regierungswechsels den Bereit- schaftsdienst als Arbeitszeit zu werten und 500 Millionen Euro für neu einzu- stellende Ärzte bereitzustellen. Ähnlich äußerten sich die beiden gesundheitspoli- tischen Experten der FDP, Dr. Dieter Thomae und Detlef Parr. Die Liberalen sprechen sich ebenfalls für eine differen- zierte, leistungsorientierte Krankenhaus- gebührenordnung über ein Fallpauscha- lensystem aus, allerdings angepasst an die deutschen Klinikverhältnisse und unter Berücksichtigung von Besonderheiten (Universitätskliniken, besonders teure Behandlungen). Traditionell befürwortet die FDP einen Leistungswettbewerb im Krankenhaussektor. Fusionen, Konzen- trationen und private Krankenhausket- tenbetriebe seien die Leistungsträger der

Zukunft und müssten gefördert werden.

Die marktwirtschaftlich orientierten Ge- sundheitspolitiker der FDP wollen die Subventionen und Beihilfen zugunsten defizitärer kommunaler Krankenhaus- träger unterbinden. Dies sei wettbe- werbswidrig und verstoße zudem gegen Normen des Europavertrages.

Die PDS will den Qualitäts- und Lei- stungswettbewerb in allen Sektoren för- dern. Die Krankenhäuser müssten eine bürgernahe Versorgung und angemesse- ne Arbeits- und Tarifbedingungen sowie die erforderliche Aus- und Weiterbildung gewährleisten. Die „Ausbeutung“ junger Ärztinnen und Ärzte und von Pflege- kräften müsse schleunigst beendet wer- den. Eine Investition in die „Hardware Krankenhauspersonal“ sei lohnend, weil sie zur Humanisierung der Krankenhäu- ser und der Arbeitswelt im Kliniksektor beitragen könne.

Dr. Harald Clade Jens Flintrop Heike Korzilius Josef Maus

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A2304 Deutsches ÄrzteblattJg. 99Heft 366. September 2002

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enn immer mehr Menschen immer älter werden und immer mehr Patienten immer mehr Leistun- gen beanspruchen, dann scheint ein Therapiewechsel in der Gesundheitspolitik unumgänglich. Dies sieht all- mählich auch die deutsche Bevölkerung so. Sie be- merkt, dass die Krankenkassenbeiträge und das GKV- Defizit trotz zahlreicher Interventionen ständig steigen.

Neben dem Arbeitsmarkt ist das Gesundheitswe- sen damit zur größten politischen Baustelle der rot- grünen Koalition geworden. Zwei Drittel der Deut- schen sind zwar mit der Gesundheitsversorgung zu- frieden, nicht aber mit dem „Preis-Leistungs-Verhält- nis“, das lediglich 30 Prozent als gut erachten. Kon- sensfähig ist dennoch, die Gesetzliche Krankenversi- cherung um diejenigen Leistungen zu entlasten, die mit Krankheiten nicht direkt etwas zu tun haben.

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ie Bevölkerung weiß um die „Brutalität“ des Ko- stendrucks: 70 Prozent sind davon überzeugt, dass nur noch ein radikaler Umbau das Gesundheits- system sanieren könnte. Nur noch 26 Prozent halten weiterhin die Kostendämpfung für ausreichend, die Gesundheit in Zukunft finanzierbar zu halten.

Doch statt des geforderten Radikalumbaus be- treibt die Bundesregierung aus Sicht der Wähler ei- ne reine Beschwichtigungspolitik. 71 Prozent mei- nen, dass die Regierung die Gesundheitsreform aus wahltaktischen Gründen verzögert hat. Nur 25 Pro- zent sind der Ansicht, dass Rot-Grün alles unter- nommen habe, um die notwendigen Reformen schnell auf den Weg zu bringen.

Wenn Krankenhausleistungen nach Fallpauscha- len honoriert werden, kostet beispielsweise die Ver- sorgung einer Fußfraktur etwa 2 000 Euro – unab- hängig davon, wie lange der Patient dafür im Kran- kenhaus bleiben muss. Es gäbe also ein Interesse, die Patienten möglichst schnell zu entlassen. Doch das, so befürchten die Befragten, würde nicht ohne Qualitätsverlust gehen. Daher unterstützen nur 19 Prozent die Politik in ihren Pauschalierungsplänen.

Die Aufwendungen für die Krankenbehandlung werden über Beiträge aus den Arbeitseinkommen be- zahlt. Dies belastet die Lohnnebenkosten der Unter- nehmen und schwächt deren Wettbewerbsfähigkeit.

Daher diskutiert die SPD, auch andere Einkunftsarten wie Zinsen, Dividenden, Miet- und Nebeneinnahmen zur Finanzierung der Krankenkosten heranzuziehen.

69 Prozent der Befragten fordern hingegen, dass für die Krankenkassenbeiträge auch weiterhin nur die Arbeitseinkommen herangezogen werden.

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ie Deutschen wollen das Solidarsystem in der GKV zwar erhalten. Dennoch deutet sich auch in der Gesundheitspolitik ein Paradigmenwechsel an. Da könnte der neue Leitgedanke lauten: „Alles Notwendige wird bezahlt, alles darüber Hinausge- hende muss selbst getragen werden.“ Nur noch 40 Prozent plädieren für ein System, in dem die Kassen auch in Zukunft „alles Mögliche“ finanzieren. 57 Prozent wünschen sich dagegen nur noch die Deckung der notwendigen Leistungen – dann aller- dings bei reduzierten Beitragssätzen.

Die rot-grüne Bundesregierung war mit dem Ver- sprechen angetreten, die Sozialausgaben deutlich zu senken und die Qualität der Gesundheitsversor- gung zu verbessern. Überzeugende Erfolge können nicht konstatiert werden – eigentlich eine Steilvor- lage für die Union. Doch auch die CDU/CSU bleibt konturlos: 42 Prozent trauen der SPD die höhere Kompetenz in der Gesundheitspolitik zu, nur 41 Pro- zent der Union. Klaus-Peter Schöppner

Demoskopie

Wachsende Bereitschaft für Paradigmenwechsel

TNS-EMNID-Umfrage zur Gesundheitspolitik: Mehr Akzeptanz für Basisversorgung

in der Gesetzlichen Krankenversicherung

Die gesundheitspolitischen Passagen der Wahlprogram- me sind abrufbar unter www.aerzteblatt.de, Rubrik

„DÄ plus/Zusatzinfo“.

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