DEUTSCHES ÄRZTEBLATT
Differentialdiagnose „Schwindel" FÜR SIE GELESEN
Immer sollte eine neue Brille (bi- fokale Gläser!) genau überprüft werden.
Herz-Kreislauf-Erkrankungen Deeg und Claussen (6) haben kürzlich in dieser Zeitschrift auf diese wichtige und sehr häufige Ursache von Schwindelerschei- nungen hingewiesen (orthostati- sche Hypotension, hypersensiti- ver Karotissinus, vaso-vagale Syn- kope, Syndrom des kranken Si- nusknotens, AV-Block usw.). Nach unserer Erfahrung wird die Suche nach einer Herz-Rhythmus-Stö- rung oft nicht mit der nötigen Konsequenz und Akribie betrie- ben. Ein unauffälliges Standard- EKG, selbst ein 24-Stunden-EKG ist kein ausreichendes Alibi, die Suche nach einer Herz-Rhythmus- Störung aufzugeben. Wir haben vor kurzem erlebt, daß bei einem Kollegen, der seit fünf Jahren un- ter „Anfällen", eigentlich eher Synkopen, litt, die Diagnose von Kammerasystolien von mehr als 15 Sekunden Dauer erst im sech- sten 24-Stunden-EKG nachgewie- sen werden konnte. Der Schritt- macher führte zu einer prompten Heilung. Infektionskrankheiten wie bakterielle und virale Menin- gitiden, schwere Allgemeininfek- tionen und die Syphilis können mit unbestimmtem Schwindelge- fühl einhergehen. Auch die Mög- lichkeit von Hochdruckkrisen als Ursache akuter Schwindelzustän- de muß bedacht werden.
Endokrine Erkrankungen (Diabe- tes mellitus, Hyperthyreose) kön- nen zu Schwindelzuständen füh- ren (Hypoglykämien!).
Manche hämatologischen Störun- gen führen entweder durch eine Anämie oder durch Veränderun- gen der Viskosität bei Polyglo- bulien oder Paraproteinämie zu Schwindelgefühl. Auch an eine Kollagenose mit Vaskulitis sollte gedacht werden. Bei Hyperventi- lation entsteht durch Konstriktion der Hirngefäße als Folge der Hy- pokapnie ein eigenartiges Gefühl
des Schwebens, das von man- chen Patienten als „Schwindel"
bezeichnet wird. Toxische Vesti- bularisläsionen, die immer in die differentialdiagnostischen Überle- gungen einzubeziehen sind, wer- den im Beitrag von Boenninghaus in diesem Heft behandelt.
Psychogener Schwindel
Gemeint ist hier nicht so sehr der Dreh- oder Schwankschwindel oder ein Liftgefühl, sondern eher ein Gefühl der Benommenheit, der Leere im Kopf, das als
„Schwindel" bezeichnet wird. In einem sehr lesenswerten Aufsatz hat P. Vogel (1) einige einprägsa- me Beispiele für Schwindelerleb- nisse und Gleichgewichtsstörun- gen als Symptome neurotischer Konflikte beschrieben: ein Psy- chotherapeut konnte zu Beginn eines neurotischen Konfliktes nicht mehr freihändig radfahren, einer Kranken war das Walzertan- zen durch störenden Schwindel verleidet, als sie in einen Verlo- bungskonflikt geriet. Innerseeli- sche Balance-Störungen sollen so das äußere Gleichgewicht beein- trächtigen. Der Psychoanalytiker K. Menniger drückt dies in einem Buchtitel „Das Leben als Balan- ce" aus. Befindlichkeitsstörungen aus dem Kreis der Phobien (Ago- ra-Phobie, Klaustrophobie) wer- den gelegentlich mit dem Aus- druck „Schwindel" charakteri- siert. Der allbekannte sogenannte
„Höhenschwindel" hat ebenfalls mit dem engeren Begriff „Schwin- del" nichts zu tun, hier handelt es sich um eine „Höhenangst".
Literatur beim Sonderdruck (über die Verfasser)
Anschrift der Verfasser:
Privatdozent Dr. med.
Jean-Pierre Malin
Professor Dr. med. Hans Schliack Neurologische Klinik
der Medizinischen Hochschule Hannover
Konstanty-Gutschow-Straße 8 3000 Hannover 61
Rauchen
induziert Hypertonie
Zigarettenrauchen ist einer der penetrantesten Risikofaktoren für die Entstehung arterioskleroti- scher Gefäßerkrankungen. Dies gilt sowohl für die periphere arte- rielle Verschlußkrankheit sowie für zerebrale Durchblutungsstö- rungen und insbesondere für die koronare Herzkrankheit. Bezie- hungen zwischen Nikotinkonsum und Hypertonie wurden bislang kontrovers diskutiert. In einer amerikanischen Studie wurde jetzt dieser Zusammenhang ge- nau untersucht. Zwischen 1978 und 1981 wurden retrospektiv bei insgesamt 71 Patienten eine Hy- pertonie infolge Nierenarterien- stenose diagnostiziert. Als Kon- trollgruppe dienten 308 Patienten mit essentieller Hypertonie. In der Gruppe der Patienten mit Nieren- arterienstenosen fanden sich überdurchschnittlich häufig Rau- cher (mehr als 10 Zigaretten/Tag über wenigstens ein Jahr). Insge- samt waren 94 Prozent der Män- ner und 41 Prozent der Frauen mit Nierenarterienstenosen Raucher.
Dagegen rauchten nur 43 Prozent der Männer und 41 Prozent der Frauen mit essentieller Hyperto- nie. In der Gruppe mit Nierenarte- rienstenose war der Prozentsatz der Raucher bei den Männern so- mit nahezu doppelt so hoch wie in der Kontrollgruppe. Die Beobach- tungen galten auch für Exraucher und für Patienten mit arterioskle- rotischer und fibromuskulärer Nierenarterienstenose. Diese Un- tersuchungen zeigen, daß Zigaret- tenrauchen auch die Entstehung arteriosklerotischer Nierenarte- rienstenosen begünstigt. Die ätio- logischen Faktoren für die fibro- muskuläre Dysplasie sind nicht klar — möglicherweise spielen Spasmen, die durch Nikotin indu- ziert werden, eine wesentliche Rolle. dem
Nicholson, J. P., u. Mitarb.: Cigarette Smoking and Renovascular Hypertension, Lancet II (1983) 765-766, Cardiovascular Center, New York Hosp., 525 East 68th St., New York, N.Y.
10021
512 (58) Heft 8 vom 24. Februar 1984 81. Jahrgang Ausgabe A