Deutsches ÄrzteblattJg. 100Heft 3025. Juli 2003 AA1969
S E I T E E I N S
Gesundheitsreform
Durchbruch erzielt
D
ie entscheidende Verhand- lungsrunde ging in die drei- zehnte Stunde, als den 18 Un- terhändlern von Regierung und Op- position am Montagmorgen um kurz vor vier Uhr der Durchbruch gelang.Nach zweiwöchigen Marathonver- handlungen einigten sich Vertreter von Regierung und Opposition in Berlin auf die Grundzüge einer Ge- sundheitsreform. Damit ist der Weg frei für einen gemeinsamen Gesetz- entwurf aller Fraktionen, der in we- sentlichen Punkten von den bisheri- gen Plänen der rot-grünen Bundes- regierung abweichen wird.
Zufrieden äußerte sich der Präsi- dent der Bundesärztekammer, Prof.
Dr. med. Jörg-Dietrich Hoppe, über die vorgelegten Reformeckpunkte.
Hier seien erhebliche Verbesserun- gen gegenüber den bisherigen Plä- nen gelungen. Man habe sich auf ei- nen Stil besonnen, „der das Ganze diskussionswürdig macht“, sagte Hoppe gegenüber dem Deutschen Ärzteblatt. Positiv auch die Ein- schätzung des Ersten Vorsitzenden der Kassenärztlichen Bundesverei- nigung (KBV), Dr. med. Manfred Richter-Reichhelm. Der KBV-Chef lobte in einer ersten Reaktion, dass die Politik scheinbar erkannt ha- be, welche wichtigen Funktionen die Kassenärztlichen Vereinigungen (KVen) in Deutschland übernehmen würden. Zudem begrüßte Richter- Reichhelm, dass eine Aufspaltung der Ärzteschaft nach den angekün- digten Neuregelungen zur Ausge- staltung des Vertragswettbewerbes nunmehr nicht zu befürchten sei.
Der von Regierung und Oppositi- on erzielte Konsens soll bis 2007 stu- fenweise zu einem Einsparvolumen von 23,1 Milliarden Euro führen.
Dabei sind für das kommende Jahr Minderausgaben von 9,9 Milliarden Euro vorgesehen. 2005 sollen die Ausgaben der Kassen um 15,4 Milli- arden Euro und 2006 um weitere
17,6 Milliarden Euro reduziert wer- den. Die wichtigsten Reformeck- punkte im Einzelnen:
>Weitestgehend vom Tisch sind die geplanten Neuregelungen beim Vertragswettbewerb. Einzelverträge mit den Krankenkassen sind nur noch für Ärzte vorgesehen, die sich an Formen der integrierten Versor- gung beteiligen. Ursprünglich woll- te Rot-Grün das Vertragsmonopol der Kassenärztlichen Vereinigungen aufbrechen und die fachärztliche Versorgung im Wesentlichen aus der Verantwortung der KVen ausglie- dern.
>Die ärztliche Gesamtvergütung wird ab 2007 durch arztgruppenspe- zifische Regelleistungsvolumina er- setzt, deren Fortschreibung sich
„nach der Krankheitsentwicklung der Bevölkerung“ richtet. Der ein- zelne Arzt wird entsprechend sei- nem Regelleistungsvolumen mit festen Preisen vergütet. Leistungen, die das Volumen überschreiten, wer- den stark abgestaffelt.
>Die vorgesehene Fortbildungs- verpflichtung bei Androhung des Entzuges der Kassenarztzulassung entfällt. Stattdessen sollen die KVen die Fortbildung überprüfen und ge- gebenenfalls Vergütungsabschläge erlassen.
>Das geplante Zentrum für Qua- lität in der Medizin soll nicht als übergeordnetes Gremium, sondern unter dem Dach der gemeinsamen Selbstverwaltung installiert werden.
Dazu werden die Selbstverwaltungs- partner angehalten, eine vom Staat unabhängige Stiftung für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesund- heitswesen zu gründen. Das Bundes- ministerium für Gesundheit und So- ziale Sicherung (BMGS) erhält ein Antragsrecht beim Institut, um The- men zur Bearbeitung anzumelden.
>An die Stelle des Koordinie- rungsausschusses und der bisherigen Bundesausschüsse tritt ein Gemein-
samer Bundesausschuss. Er bildet Unterausschüsse für Fragen der ärztlichen, zahnärztlichen und sta- tionären Versorgung. Mitglieder des Gemeinsamen Bundesausschusses sind die Selbstverwaltungspartner.
>Die Krankenkassen werden verpflichtet, flächendeckend „haus- arztzentrierte Versorgungsformen“
anzubieten.
>Nach wie vor bleibt es bei den Plänen, so genannte Gesundheits- zentren einzuführen, die Leistungen aus einer Hand anbieten. Die Zen- tren sollen aber im Rahmen der ver- tragsärztlichen Bedarfsplanung zu- gelassen werden. Um bei medizini- schen Versorgungszentren angestell- ten Ärzten den Weg in die eigene Niederlassung nicht zu erschweren oder gar zu verbauen, soll die Zulas- sung nach einer Frist von fünf Jahren für eine eigene freiberufliche Tätig- keit nutzbar sein.
>Zur Lösung der Arbeitszeitpro- blematik in Krankenhäusern sehen die Unterhändler in ihren Eckpunk- ten vor, zusätzliche Mittel in Höhe von 100 Millionen Euro jährlich an- steigend bis zur Gesamtsumme von 700 Millionen Euro im Jahr 2009 be- reitzustellen.
>Schmerzliche Einschnitte kom- men auf die Versicherten zu. Diese sollen Zahnersatz künftig aus der ei- genen Tasche entweder bei einer ge- setzlichen oder einer privaten Kasse versichern. Auch das Krankengeld wird künftig von den Arbeitnehmern allein finanziert. Zudem ist bei Arzt- besuchen eine Gebühr von zehn Eu- ro pro Quartal zu entrichten.
Noch im August werden die Eck- punkte vom BMGS in Paragraphen- form gegossen. In der ersten Sep- temberwoche soll der gemeinsame Gesetzentwurf in den Bundestag eingebracht werden. Samir Rabbata Wortlaut der Eckpunkte unter www.aerzteblatt.de/
plus3003