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Archiv "Sozialmedizin: Polemische Gedanken zu einer Tagung" (16.02.1989)

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DEUTSCHES

ÄRZTEBLATT

TAGUNGSBERICHT

W

as bei der letzten Jahresta- gung der Deutschen Ge- sellschaft für Sozialmedi- zin und Prävention vielen Teilneh- mern am deutlichsten auffiel, war das Tagungsprogramm . Innerhalb von drei Tagen standen etwa 230 Kurzreferate mit entsprechenden (Kurz)-Diskussionen auf dem Pro- gramm; meist 15 plus 15 Minuten, aber auch 10 plus 10 Minuten pro Angebot. Dieses „Phänomen" wur- de auch bei der Mitgliederversamm- lung der Deutschen Gesellschaft für Sozialmedizin, die jetzt Deutsche Gesellschaft für Sozialmedizin und Prävention (DGSMP) heißt, kriti- siert. Wie sollen so Diskussionen, auch widersprüchliche, entstehen?

Einige Organisatoren begründeten diese Tatsache mit dem Ziel, nie- mandem die Möglichkeit abspre- chen zu wollen, sich bezüglich seiner wissenschaftlichen Erkenntnisse zu äußern. Aber bald meldeten sich diejenigen zu Wort, die behaupte- ten, daß die Qualität der Beiträge sehr unterschiedlich sei. Neben aus- gezeichneten Arbeiten gäbe es auch solche, die besser nicht eingereicht zu werden brauchten.

Da es eigentlich nicht um die Masse an Vorträgen gehen sollte, empfiehlt es sich, in Zukunft Tagun- gen mit einigen wenigen Themenbe- reichen zu planen, bei denen breite Diskussionen möglich werden.

Dann könnte jeder die Chance er- halten, seine Erfahrungen bekannt- zugeben und andere zu kritisieren beziehungsweise sich der Kritik an- derer zu stellen.

Die offene Diskussion fand also nicht statt, wohl aber Gespräche in kleinen Kreisen während der Mit- tagspause, die vielleicht aufschluß- reicher waren als die Referate selbst. Vieles, was dabei zu hören war, wird nie bei öffentlichen Dis- kussionen gesagt, denn die Perversi- tät, die ans Tageslicht käme, wäre kaum zu ertragen. Es ging nämlich auch um AIDS und um die „Ge- schäfte", die mit diesem Phänomen gemacht werden oder gemacht wer- den könnten. Jeder weiß, daß viele Wissenschaftler ihre Energie darauf verwenden, einen Impfstoff gegen die HIV-Infektion zu finden, der in Zukunft auch das AIDS-Problem

beseitigen würde. Gemäß der mei- sten wissenschaftlichen Aussagen auf diesem Gebiet wird in nächster Zeit ein solcher Impfstoff gegen die HIV-Infektion aber noch nicht vor- liegen.

Was schon vorliegt, sind Medi- kamente, die zwar kaum helfen, je- doch im allgemeinen eine psycholo- gische Wirkung haben und vor allem den Herstellern wirtschaftliche Vor- teile ermöglichen. Das AZT (Retro- vir) ist ein Beispiel dafür. Seine Wir- kung als „Bremser" des LAS- bzw.

Sozialmedizin

Polemische Gedanken zu einer Tagung

Dem Autor dieses sehr per- sönlichen Berichts von der Jahrestagung 1988 der Deut- schen Gesellschaft für Sozial- medizin und Prävention in Hannover geht es nicht um die Wissenschaft, die vom Podium und offener Bühne vermittelt wurde, sondern um das, was hinter den Kulissen stattfindet.

AIDS-Verlaufs ist umstritten. Nicht umstritten sind jedoch seine schlim- men Nebenwirkungen, vor denen sich manche HIV-Infizierten fürch- ten. Warum das Interesse, daß die- ses Medikament angewendet wird, bei den Herstellern so groß ist, kann man verstehen, wenn man seinen Preis kennt: 100 Kapseln Retrovir 100 mg kosten knapp 600 DM. Die angegebene Dosierung von 2 bis 3 Kapseln alle 4 Stunden (6 x täglich) bedeutet Einnahmen pro Patient von 100 DM pro Tag.

Die Diskussion unter „kriti- schen" Experten hat zu der Auffas- sung geführt, daß man Medikamen- te herstellen wird, die das Wachstum des Virus bremsen oder stoppen, je- doch nicht das Virus töten oder aus dem Körper herausbringen. Das hat für die Pharma-Industrie den Vor- teil, daß die Patienten darauf ange-

wiesen sind, das Medikament ein Leben lang einzunehmen.

Aber bisher hat man kein wirk- sames Arzneimittel gegen AIDS.

Und im Gegensatz zu denjenigen, die für die Behandlung der AIDS- Kranken horrende Geldsummen in nächster Zukunft voraussagen, spre- chen einige, wohl hinter vorgehalte- ner Hand, davon, daß AIDS volks- wirtschaftlich gesehen „erhebliche Vorteile" mit sich bringe. Und hier- in liegt die Perversität der Argumen- tation und der Situation: Zum Bei- spiel freuen sich konservative Politi- ker und Bürokraten mit faschisto- iden Zügen, daß „AIDS uns hilft, mit der ,Schwulen-Pest' fertig zu werden". Und die schlimmsten die- ser Politiker legen noch eins drauf.

Zitat am Rande: „Die meisten Schwulen haben ja Rentenbeiträge bezahlt, die nun helfen werden, die Rentenmisere zu verbessern, denn sie werden die Rentenkasse nicht beanspruchen können . . .".

Andere sagen unverblümt, daß

„ . . . AIDS mit realen und poten- tiellen Sozialhilfeempfängern wie Prostituierten, Drogenabhängigen, arbeitslosen Homosexuellen .. . Schluß macht", was für die Kommu- nen von wirtschaftlicher Bedeutung ist. Nicht wenige von diesen „Sau- berkeitsdenkern" nennen sich Wis- senschaftler, viele von ihnen sogar Christen. Die Jahrestagung der DGSMP hat leider nicht die Mög- lichkeit geboten, auf diese verschlei- erte Problematik mittels einer offe- nen Diskussion einzugehen. So wer- den weiter Puritaner, Faschistoide, Sozialdarwinisten und andere unge- stört ihre Hetze gegen isolierte und bedürftige Minderheiten betreiben können. Und wir, die sogenannten Progressiven, werden ruhig in unse- ren stillen Kämmerchen eine „Wis- senscharts"-Arbeit fortsetzen, mit dem Ziel, neue Erkenntnisse zu ge- winnen, jedoch ohne zu merken, was sich draußen abspielt.

Anschrift des Verfassers:

Prof. Dr. med. Enrique Blanco Cruz Arzt für Psychiatrie und

Psychotherapeut

Soziologe und Politikwissenschaftler Zentmarkweg 72

6000 Frankfurt /M. 90 A-370 (22) Dt. Ärztebl. 86, Heft 7, 16. Februar 1989

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