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Archiv "Gesundheitspolitik: Gedanken zur Zukunft der Krankenversicherung" (12.11.1999)

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A-2878 (34) Deutsches Ärzteblatt 96,Heft 45, 12. November 1999

T H E M E N D E R Z E I T AUFSÄTZE

eutschland hat eine hoch- entwickelte Gesundheitsver- sorgung, die flächendeckend angeboten und solidarisch finanziert wird. Nach Ansicht der Bundesre- gierung verfügt das deutsche Ge- sundheitssystem noch über ausrei- chende Finanzmittel für den Erhalt des bisherigen Standards. Die ge- plante Gesundheitsreform habe so- gar eine Effizienzsteigerung zur Folge. Die Leistungserbringer im Gesundheitswesen behaupten dage- gen, die Reform führe zum Abbau von Arbeitsplätzen, zu medizini- scher Unterversorgung und zu einer

„Zwei-Klassen-Medizin“. Wer hat nun recht?

Bei der von beiden Seiten emo- tional geführten Diskussion geht es nicht immer um die Sache selbst;

oft sind Neid, Besitzstandswahrung oder einfach Angst Triebkräfte des Streits. In Auseinandersetzung mit den aktuellen Problemen der Ge- sundheitspolitik soll der folgende Text zur Ordnung der Gedanken beitragen, und das mehr aus Sicht ei- nes potentiellen Patienten als aus Sicht eines Berufspolitikers. Er wen- det sich vorwiegend an die verant- wortlichen Politiker, soll uns Ärzten aber auch helfen, verständlich zu ar- gumentieren.

Aktuelle Probleme

In Deutschland gibt es gegenwär- tig sowohl ein Einnahmen- als auch ein Ausgabenproblem. Die Kassen nehmen wegen der hohen Arbeitslo- sigkeit und der ungünstigen Lohnsum- menentwicklung – an die die Beitrags- höhe gekoppelt ist – zu wenig ein. Die- ses Problem ist in den neuen Bundes-

ländern deutlich schärfer zu spüren als in den alten Bundesländern.

Da die moderne Medizin stän- dig neue Möglichkeiten erfindet und bereithält, steigen die dafür erfor- derlichen Ausgaben. Medizinent- wicklung schreitet fort und kennt al- lein schon deswegen keine Grenzen, weil wir alle maximal an Weiterent- wicklung interessiert sind, nämlich an rascher und möglichst vollständi- ger eigener Gesundung oder der un- serer Angehörigen. Bedarf und Be- dürfnis folgen immer der Quantitäts- und Qualitätssteigerung des Lei- stungsangebotes. Sie wachsen außer- dem mit zunehmender Selbstver- ständlichkeit bei der Bezahlung aus solidarischen Mitteln. Diese Selbst- verständlichkeit verleitet zu großzü- giger Nachfrage, aber natürlich auch zu großzügiger Ausweitung des An- gebotes.

Wenn nun Einnahmen (Beiträ- ge) und Ausgaben nicht mehr in ei- nem vernünftigen Verhältnis stehen, dann muß gespart werden, oder die Einnahmen müssen erhöht werden.

Dazu bedarf es gesetzlicher Rege- lungen. Die steigende Diskrepanz zwischen Einnahmen und Ausgaben war Anlaß für die Bundesregie- rung, in aller Eile neue gesetzliche Rahmenbedingungen zu schaffen.

Aus arbeitsmarktpolitischen Grün- den will die Bundesregierung die Beitragshöhe nicht anheben (Bei- tragssatzstabilität). Unter dieser Be- dingung bleibt offensichtlich nur die Ausgabenbegrenzung (Sparen) als möglicher Weg aus dem Dilemma.

Das ist einsichtig und erscheint zunächst logisch.

Bei allen Überlegungen zu Spar- möglichkeiten muß berücksichtigt werden, daß das Gesundheitssystem

ein komplexes Wirtschaftsgeflecht darstellt und bereits kleine Ände- rungen große unüberschaubare Fol- gen, möglicherweise auch für die Ar- beitsplatzsituation, nach sich ziehen können.

Überlegungen grundsätzlicher Art

Vor Einleitung von Reformen sollte genau definiert werden, was be- absichtigt ist. Erst danach ist zu über- legen, welche Schritte politisch um- setzbar sind. Die Mehrheit der Bevöl- kerung will weiterhin in Deutschland flächendeckend und in hoher Qualität angebotene Medizin. Darin sind sich Politiker und Sachverständige einig.

Hinzu kommt der allgemeine Wunsch nach weiterem Ausbau der Möglich- keiten, nach mehr Zuwendung, mehr Rechten und weniger Verpflichtun- gen, und das alles zum Preis der Bei- tragssatzstabilität. Dies kann offen- sichtlich nicht realisiert werden.

Eine Senkung der Ausgaben ist nur auf drei Wegen möglich, nämlich durch Abbau von Verschwendung, durch Rationalisierung und durch Begrenzung des Leistungsangebots.

Sparen kann man durch sorgsameren Umgang mit Gesundheitsleistungen und Leistungsanforderungen. Redu- zierung von Doppeluntersuchungen, Wegfall von sogenannten unnötigen Aufwendungen, Verordnung der bil- ligsten (gerade eben noch vertretba- ren) Präparate ist prinzipiell sehr sinnvoll. In welchem Umfang da- durch gespart werden kann, ist eben- so fraglich wie die Wirksamkeit der geplanten gesetzlichen Regelungen gegen die sogenannte Verschwen- dung.

Gesundheitspolitik

Gedanken zur Zukunft der Krankenversicherung

Ziel ist weiterhin ein gleichmäßig leistungsfähiges, für alle zugängliches, solidarisch finanziertes Gesundheitswesen.

Eggert Beleites

D

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Die ausufernde Haftpflicht trägt wesentlich zur medizinisch nicht in- dizierten Ausweitung medizinischer Leistungen (sogenannte Defensivme- dizin) bei. Dagegen sind noch keine wirksamen Regelungen formuliert worden. Daß Doppeluntersuchungen aus Honorargründen der Regelfall sind, bleibt eine unbewiesene Be- hauptung. Verstöße im Einzelfall müssen abgestellt werden, wesentli- che Einsparungen wird man dadurch nicht erreichen. Unnötige Maßnah- men könnten prinzipiell über eine Festlegung dessen, was

„medizinisch nötig“ ist, aus der solidarischen Fi- nanzierung herausgenom- men werden. Nur ist ei- ne Definition von „me- dizinisch nötig“ oder

„unnötig“ ausgesprochen problematisch, ganz be- sonders, da sie generell gelten und den sich stän- dig wandelnden Erkennt- nissen angepaßt werden müßte.

Eine Verordnung, die sich in erster Linie nach Preis und nicht nach medizinischen Gesichts- punkten richtet, ist auf- wendig für die Ärzte, un- befriedigend für die Pati-

enten und aus der Sicht der Pharma- industrie kontraproduktiv für die Entwicklung. Sie wird nur funktio- nieren können, wenn es eine Liste gibt, die klar ausweist, welche Medi- kamente für die solidarische Medizin zugelassen sind.

Sparen kann man durch Rationa- lisierung (nicht Rationierung!) in al- len Bereichen. Daraus folgen wie in der Industrie Zentralisation und Au- tomatisierung von Arbeitsabläufen.

In der Medizin bedeutete dies unter anderem Einrichtung großer, auch ambulanter Gesundheitszentren und stärkere Konzentration der Kranken- häuser sowie Ausbau von überregio- nalen Diagnostik- und Therapiezen- tren. Gerade das will die Bevölkerung aber nicht. Sie möchte wohnortnahe und individuelle Zuwendung. Eine konsequente Rationalisierung würde auch der seit Jahren formulierten For- derung „ambulant vor stationär“ ent- gegenstehen, denn die verbreitete

Annahme, ambulante Medizin sei au- tomatisch billiger, ist falsch. Ambu- lant heißt zunächst einmal Dezentrali- sation, und eine Visite bei acht Patien- ten in nur einem Zimmer wird immer preiswerter sein als acht einzelne Hausbesuche. Zudem bedeutet am- bulant auch Verlagerung von Arbeit auf den Endverbraucher (auf den Pa- tienten und seine soziale Umgebung).

Reinigung, Pflege, Ernährung, Zu- wendung und ähnliches werden sozu- sagen kostenlos von den Angehörigen übernommen, so daß die sehr hohen

Krankenhausbettkosten gespart wer- den können. Die unmittelbar für die Solidargemeinschaft anfallenden Ko- sten werden zwar so vermindert, ge- samtgesellschaftlich gesehen werden die Kosten durch die Verlegung in die Ambulanz aber nicht reduziert.

Eine zuwendungsintensive Be- treuung, die immer vehementer gefor- dert wird, kann man nicht automati- sieren und zentralisieren. Die Zuwen- dungsmedizin entzieht sich der Ratio- nalisierung. Ein Spareffekt ist in dem Bereich kaum zu erzielen. Daß in ei- nem so großen Wirtschaftszweig, wie ihn die Medizin darstellt, immer wie- der Rationalisierungen möglich sein werden, versteht sich von selbst. Nur der Spareffekt wird sich in Grenzen halten.

Sparen kann man auch dadurch, daß man das Leistungsangebot be- grenzt und von Leistungsausweitung und Medizinentwicklung absieht.

Aber diese Option wird von der Be-

völkerung abgelehnt, weil sie ein sehr hohes Interesse an leistungsstarker Medizin hat. Solch ein Weg dürfte deshalb politisch kaum durchsetzbar sein. Leistungseinschränkungen im Sinne von schmerzlichem Vorenthal- ten dringend notwendiger medizini- scher Maßnahmen (Rationierungen im engeren Sinn) werden zwar immer wieder heimlich versucht, sind bisher in Deutschland aber glücklicherweise nicht toleriert worden.

Da durch Abschaffung von soge- nannter Verschwendung nur wenig gespart werden kann, Ra- tionalisierung im Gesund- heitswesen immer nur sehr begrenzt möglich sein wird und der medizinische Fortschritt sich nicht auf- halten läßt, wird also die Schere zwischen Einnah- men und Ausgaben trotz aller Kostendämpfungs- maßnahmen weiter aus- einandergehen. Vor die- sen Fakten sollten wir die Augen nicht verschließen.

Die sich aus diesem Di- lemma ergebende Kardi- nalfrage für das künftige Gesundheitssystem lautet:

„Was will und sollte sich unsere Bevölkerung be- züglich der solidarisch fi- nanzierten Medizin zukünftig lei- sten?“

Die Antwort auf diese Frage muß von Politikern unter Zuhilfenahme von Sachverständigen (Ärzten) gege- ben werden. Manche Politiker geben schnell eine Antwort darauf. Sie lau- tet: „Grundmedizin solidarisch, alles andere durch Zusatzversicherung.“

Es bleibt dann aber immer das kaum zu lösende Problem, „Grundmedizin“

und „medizinisch notwendig“ sauber zu definieren. Dazu fehlen bislang alle Ansätze.

Anforderungen an eine wirkliche Reform

Da sich die Medizin in den letz- ten Jahren so rasch entwickelt hat, passen viele historisch gewachsene, ehemals gute Regeln unseres solida- risch finanzierten Gesundheitssy- stems nicht mehr zu den nunmehr A-2879 Deutsches Ärzteblatt 96,Heft 45, 12. November 1999 (35)

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Zeichnung: Tinos Otto

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entstandenen Möglichkeiten der mo- dernen Medizin. Solange der zur Ver- fügung stehende Betrag (Budget) nicht ausgeschöpft wurde, konnte es im Gesetz ohne Not heißen: „Die Versorgung der Versicherten muß ausreichend und zweckmäßig sein, darf das Maß des Notwendigen nicht überschreiten und muß wirtschaftlich erbracht werden.“ Wenn aber das Budget gegenüber dem Machbaren knapp begrenzt ist, dann muß defi- niert werden, was ausreichend, zweckmäßig und notwendig ist, und zwar vom Gesetzgeber und nicht von jedem Arzt individuell nach Gutdün- ken.

Die bestehenden Regeln müssen also überdacht und gegebenenfalls reformiert werden. Wer sich ernst- haft mit Gesundheitsstrukturen aus- einandersetzt, muß erkennen, daß es tatsächlich in unserem heutigen Ge- sundheitssystem gravierende ord- nungspolitische Fehler gibt, die der Harmonie von Angebot, Bedarf und Ressourcen entgegenwirken und die einer Korrektur bedürfen.

Ordnungspolitische Fehler

Solidarisch finanzierte Gesund- heitsleistungen dürfen nicht aus- schließlich nach wirtschaftlichen Kri- terien bewertet und gesteuert werden (besonders dann nicht, wenn die so- lidarischen Mittel im Verhältnis zu dem Umfang des Leistungsangebotes knapp sind). Das ist so,

c weil das Konsumgut „Krank- heit“ weder nach Zeit noch Umfang wählbar ist,

c weil bei einer solidarischen Fi- nanzierung mit Pflichtbeiträgen die marktwirtschaftliche Steuerung durch Verzicht auf Konsum nicht möglich ist, c weil es keine realen Wahlmög-

lichkeiten in Gesundheitsfragen (viel- leicht außer in der Zahnmedizin) ge- ben kann,

c weil die Leistungsanbieter (an- ders als in der Industrie) immer selbst das Ausmaß der Leistung steuern können.

Eine stärkere Abkoppelung von der Marktwirtschaft scheint deshalb notwendig, und man sollte sich dazu auch offen bekennen. So dürfen zum

Beispiel ärztliche Leistungen nicht di- rekt an ärztliche Honorare gebunden sein, und zwar weder negativ noch po- sitiv. Wohlgemerkt, ich spreche hier nur über solidarisch finanzierte Medi- zin. Budgets, die die Verordnung von Leistungen mit dem Arzteinkommen verknüpfen, stellen private Interessen des Arztes gegen die Interessen der Patienten. Leider ist diese Einsicht heutzutage bei vielen Ärzten noch nicht vorhanden.

Eine strenge Trennung zwischen ambulanter und stationärer Medizin ist ordnungspolitisch und medizinisch falsch. Es handelt sich um eine rein fi- nanziell bedingte und durch das ge- genwärtige Honorierungssystem er- haltene Trennung. Die bei ambulan- ter und stationärer Medizin unter- schiedlichen Finanzierungs- und Ho- norierungssysteme spalten die Ärzte- schaft – vielleicht gewollt – nach dem Prinzip divide et impera. Der Versor- gung der Patienten ist damit jedoch nicht geholfen. Solange die unter- schiedliche Vergütung ärztlicher Lei- stung Bestand hat, wird die Trennung ambulant/stationär trotz aller anders lautenden Prognosen weiter zemen- tiert.

Ordnungspolitisch völlig falsch ist es, wenn Morbiditäts- und epide- miologische Risiken auf die Ärzte ab- geschoben werden. Als Beispiel sei hier die bei Überschreitung des Arz- neimittelbudgets geforderte Rück- zahlung aus Honorarmitteln genannt.

Mit dieser Maßnahme können Fehler bei tatsächlich unwirtschaftlicher Ver- ordnungsweise nicht einmal aufge- deckt, geschweige denn wirklich abge- stellt werden, ganz abgesehen davon, daß die Pauschalhaftung verfassungs- widrig ist.

Ein stärkerer Wettbewerb der Krankenkassen untereinander ist bei einem zu knappen Globalbudget ab- zulehnen. Die Kassen werden gerade- zu verpflichtet, Risiken abzuwälzen und ihre eigentliche Bestimmung auf- zugeben. Dies bedeutet Risikoselek- tierung und damit Entsolidarisierung zuungunsten der chronisch Kranken, der multimorbiden und der alten Menschen. Die geplanten Einkaufs- modelle sind ebenfalls abzulehnen.

Sie gaukeln Marktwirtschaft bei Ge- sundheitsleistung vor. Als Pilotstudie können sie sicher sinnvoll sein. Wer-

den sie jedoch an der ärztlichen Selbstverwaltung (KV) vorbei initi- iert und abgeschlossen, wird damit der Sicherstellungsauftrag ad absurdum geführt, und es werden die regionalen Differenzen des Leistungsangebotes deutlich zunehmen. Außerdem würde das angedachte Bonussystem zu einer Entsolidarisierung zugunsten der re- lativ gesunden Versicherten führen.

Die seit Ende der 50er Jahre in Deutschland durchgesetzte Einzellei- stungsabrechnung in der kassenärztli- chen Honorierung macht dann kei- nen Sinn mehr, wenn eine Leistungs- beschränkung beabsichtigt ist. Sie muß aufgegeben werden, wenn man eine Leistungsausweitung verhindern möchte.

Perspektiven

Die geplante Gesundheitsre- form ist ein Schritt in die falsche Richtung. Die ärztliche Kritik an dem Gesetzentwurf ist inzwischen hinlänglich bekannt und soll hier nicht noch einmal wiederholt wer- den. Das bisher Gesagte gibt das Ziel vor. Wir wollen nach Möglichkeit ein gleichmäßig leistungsfähiges, für alle Menschen zugängliches, deshalb so- lidarisch finanziertes Gesundheits- wesen. Es soll ständig an den Versor- gungsbedarf der Bevölkerung ange- paßt werden. Die Patienten und nicht die Ökonomie oder die Lei- stungserbringer haben im Vorder- grund zu stehen. Bei allem dürfen die Versicherten nicht über Gebühr belastet werden.

Dieses hohe Ziel ist wohl am ehesten weiterhin mit einem bei- tragsfinanzierten System erreichbar.

Das bisherige System bedarf drin- gend einiger Umstellungen, um der Entwicklung standhalten zu können.

Bei allen Reformüberlegungen soll- ten die freie Arztwahl, eine in ge- wissen Grenzen gehaltene Therapie- freiheit und die absolute ärztliche Schweigepflicht unantastbar blei- ben. Will man dieses Ziel erreichen, müssen die folgenden Forderungen beachtet werden:

c Wir benötigen eine qualifi- zierte Mengensteuerung auf der Grundlage einer immer wieder aktualisierten Bedarfsanalyse. Die A-2882 (38) Deutsches Ärzteblatt 96,Heft 45, 12. November 1999

T H E M E N D E R Z E I T AUFSÄTZE

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Budgetgröße muß dem ermittelten Bedarf anpaßbar sein. Die notwen- dige Budgetsteuerung und auch die Limitierung des Leistungskataloges (Rationierung ex ante) sollte durch ein unabhängiges, dreiseitiges Gre- mium, zusammengesetzt aus Vertre- tern des Bundesgesundheitsministe- riums, der Ärzteschaft und der Kas- sen, erfolgen. Die Mengensteuerung ist natürlich partiell auch über die Begrenzung der Zahl der Leistungs- erbringer steuerbar. Dazu bedürf- te es stringenter Zulas-

sungsbeschränkungen für die Teilnahme an der solidarisch finanzierten Medizin. Das bedeutete allerdings das Ende der Freiberuflichkeit für die im Rahmen der Gesetzli- chen Krankenversiche- rung (GKV) tätigen Ärz- te; denn für einen freien Beruf darf es keine Zu- lassungsbeschränkung und keine Altersbe- schränkung geben.

c Wichtig ist eine sinnvolle Verteilung der Mittel. Auch hier bedarf es eines entsprechenden dreiseitigen Gremiums, welches nach der Bedarfs- analyse die aus dem Soli- dartopf zur Verfügung

stehenden Mittel gleichmäßig, na- türlich mit entsprechenden Lei- stungsmargen versehen, an die Lei- stungserbringer verteilt. Nur medizi- nisch notwendige und wirklich indi- zierte Leistungen dürfen dabei in Betracht kommen. Nur medizinisch Sinnvolles ist nicht zu berücksichti- gen. Die Verteilung muß einheitlich, transparent und nachvollziehbar er- folgen. Abrechnungsmanipulation darf nicht mehr möglich sein. Zu be- achten ist, daß der Bedarf sich stän- dig ändert und daß der Aufwand für einzelne Leistungen sehr von techni- schen Entwicklungen abhängig ist.

c Die Finanzierung von Neu- und Erweiterungsinvestitionen muß in der Hand des Staates bleiben, da er letztendlich für das Globalbudget verantwortlich ist. Die Kassen müs- sen dabei Mitverantwortung tragen, weil sie für die Nachfolgekosten zeichnen müssen. Die Neuzulassung

von Medikamenten für die solida- risch finanzierte Medizin darf nur nach klaren, wissenschaftlich aner- kannten Kriterien erfolgen; ein neu- zugelassenes Medikament sollte di- rekt mit einem Vermerk, ob es für den Gebrauch in der GKV in Frage kommt, versehen werden.

c Der Sicherstellungsauftrag soll weiter in ärztlicher Hand liegen und sogar noch auf den stationären Bereich ausgeweitet werden. Die Rechte der ärztlichen Selbstverwal-

tung sind zu stärken, damit Pflichten besser durchgesetzt werden können.

Das bedeutet die Verpflichtung der Ärzteschaft, dafür zu sorgen, daß so- wohl im ambulanten als auch im sta- tionären Bereich flächendeckend, wohnortnah und für jedermann zu- gänglich hohe medizinische Leistun- gen angeboten werden. Die Ärzte- schaft muß für solch einen Auftrag selbstverständlich mit disziplinari- schen Mitteln ausgestattet werden.

Dazu könnte beispielsweise die Übertragung der Approbationsver- gabe an die Ärztekammern gehören.

Ebenso wären die Rezertifizierung der Facharztqualifikation und Sank- tionen bei Handlungen, die außer- halb anerkannter Methoden erfol- gen, denkbar.

cDie Trennung zwischen ambu- lanter und stationärer Medizin wird aufgehoben. Das bedeutet in erster Linie die gleiche Bezahlung aller

ambulant oder stationär in der GKV tätigen Ärzte. Bei Anstellung der ambulant tätigen Kollegen (nur für solidarisch finanzierte Medizin ge- dacht) müssen wirtschaftliches und epidemiologisches Risiko bei den Kassen liegen. Eine Entkopplung medizinischer Leistungen von Ho- noraren ist jedenfalls nötig.

cDer Kontrahierungszwang der Krankenkassen mit den im Kranken- hausplan aufgenommenen Einrich- tungen (eventuell analog für zentrale ambulante Einrichtun- gen) muß beibehalten werden, damit Planungssi- cherheit gewährleistet ist und das Versorgungsrecht der Einrichtungen den Pa- tienten zugute kommt.

c Die Haftpflicht des Arztes muß auf echte Sorgfaltspflichtverletzung reduziert werden, um die unnütze „Absicherungs- medizin“ einzudämmen.

c Bürokratischer Über- fluß muß abgebaut wer- den. Die Ressourcen für Bürokratie müssen medi- zinisch indizierten Lei- stungen zugeführt wer- den.c Ärztlich generier-

te Daten gehören in ärzt- liche Hände. Eine ärzt- lich verwaltete Datensammlung ist den Gesundheitspolitikern anonymi- siert zur Verfügung zu stellen.

Außerdem sind vermehrt Informa- tionen an die Patienten über deren Rechte und deren Möglichkeiten auszuarbeiten.

c Die sozialen Unterschiede zwischen Ost und West, sowohl für Patienten als auch für Ärzte und Kassen, müssen aufgehoben werden.

Zitierweise dieses Beitrags:

Dt Ärztebl 1999; 96: A-2878–2884 [Heft 45]

Anschrift des Verfassers

Prof. Dr. med. Eggert Beleites Präsident der

Landesärztekammer Thüringen Im Semmicht 33

07751 Jena-Maua A-2884 (40) Deutsches Ärzteblatt 96,Heft 45, 12. November 1999

T H E M E N D E R Z E I T AUFSÄTZE

Zeichnung: Ralf Brunner

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