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Archiv "Finanzierung der Rentner-Krankenversicherung: Die Belastung der Berufstätigen muß verringert werden!" (02.04.1987)

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(1)

Jahr 1976 1977 1978 1979 1980 1981 1982 1983 1984 1985 1986

Quelle: Arbeits- und Sozialstatistik des BMA, 1985 und 1986 Einnahmen/Ausgaben der GKV, KV 45

Entwicklung des Grundlohnes und der Leistungsabgaben je Mitglied seit 1986 für stationäre Behandlung

Grundlohn je Mitglied

......

.......

.

...

...

Ausgaben ie Mitglied

200

1 50

1 00 Index

250

Abbildung 1 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Finanzierung der Rentner-Krankenversicherung

Die Belastung der Berufstätigen muß verringert werden!

Eckart Fiedler

Das Defizit in der Krankenver- sicherung der Rentner (KVdR) be- trägt jetzt 26,7 Milliarden DM. Ein beängstigender Rekord! Allein 1986 ist es um zwei Milliarden DM gestie- gen. Wenn dennoch das Defizit für die gesamte gesetzliche Krankenver- sicherung, Rentner eingeschlossen, bei „nur" 1,3 Milliarden DM lag, so deshalb, weil die versicherten Be- rufstätigen und Familienangehöri- gen „günstiger" abgeschnitten ha- ben als die Rentner: In der allgemei- nen Versicherung stiegen nämlich die Ausgaben um „nur" 2,7 Prozent

— bleiben also deutlich unter dem Grundlohnanstieg — in der Rentner- Krankenversicherung dagegen klet- terten sie um 6,4 Prozent. Die aktu- ellen Beitragssatzsteigerungen, die die Berufstätigen jetzt wieder hin- nehmen müssen, sind also verur- sacht durch den Fehlbetrag in der KVdR.

Diese Erkenntnis ist nicht neu.

Die Berufstätigen finanzieren schon seit Jahren die Krankenversicherung der Rentner mit. In den letzten zehn Jahren lag der durchschnittliche Ausgabenzuwachs in der allgemei- nen Krankenversicherung mit 45,6 Prozent deutlich unter dem Grund- lohnanstieg von 60,7 Prozent (Ab- bildung 1). Da der Grundlohn die Meßlatte für die Einnahmen der Krankenkassen ist, hätten als Resul- tat dieser erfreulich geringen Ausga- bensteigerung die Beitragssätze für die Berufstätigen gesenkt werden können. Tatsächlich sind sie aber ge- stiegen, zum einen wegen der wach- senden Ausgaben für Rentner: Sie nahmen innerhalb der zehn Jahre um 105,3 Prozent je Rentner zu.

Zum anderen, weil die Zuschüsse der Rentenversicherung zu den Ko-

sten der Krankenversicherung der Rentner immer wieder gekürzt wur- den. Beide Entwicklungen haben zu dem eingangs erwähnten Defizit von 26,7 Milliarden DM im letzten Jahr geführt. Bezogen auf das gesamte Beitragsaufkommen der Aktiven sind dies 28,2 Prozent. Ohne diese Solidarbelastung hätte der Durch- schnittsbeitragssatz in der gesetzli- chen Krankenversicherung um 3,4 Beitragspunkte und damit niedriger als vor zehn Jahren liegen können (Abbildung 2).

Welche erste Erkenntnis läßt sich aus diesen Zahlen gewinnen?

Da der Wunsch nach Beitrags- satzstabilität vorrangiges Ziel für die angestrebte Strukturreform ist, müs- sen primär Lösungen zur Sanierung der defizitären Lage der Kranken- versicherung der Rentner gesucht

werden. Voraussetzung für sachge- rechte Reformschritte sind eine um- fassende Analyse der Ursachen und eine Vorausschau auf die erwartbare Entwicklung.

Die durchaus erfreulich niedrige Ausgabenentwicklung in der allge- meinen Krankenversicherung läßt zumindest ein Fragezeichen hinter Behauptungen setzen, die Versi- cherten würden generell — und dies gerade wegen des Sachleistungssy- stems — medizinische Leistungen in unvertretbarem Umfang, also unso- lidarisch, in Anspruch nehmen. Na- türlich war auch die Umschichtung in der Struktur der Aktivversicher- ten hilfreich, um die Kosten im Griff zu halten. So sind gerade in den letz- ten Jahren die geburtenstarken Jahr- gänge ins Berufsleben eingetreten mit der Folge, daß die Zahl der Fa- milienangehörigen — auch wegen der rückläufigen Geburtenrate — sank, während die Zahl der Aktivversi- cherten gestiegen ist. Am Ende des Berufslebens sind durch Vorruhe-

Dt. Ärztebl. 84, Heft 14, 2. April 1987 (21) A-893

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Einnahmen- und Ausgaben-Struktur der gesetzlichen Krankenversicherung 1986

Solidarausgleich: 1976 = 5.1 Mrd.DM = 24 5 der Ausgaben f.Rentner 1986 =26,7 Mrd.DM = 58,2 5

der Ausgaben (.Rentner

Solider usgleic

EH-

2 t

Mio. DM

100.

90- 80- 70- 60- 50.

40- 30 20 10

eile: Einnahmen/Ausgaben der GKV, KV 45 Struktur

Abbildung 2

standsregelung und großzügige Frühberentung zumeist „schlechte Risiken" vermehrt in die Renten- versicherung übergewechselt und haben damit zur Entlastung der all- gemeinen Krankenversicherung bei- getragen.

Und dennoch, in den Jahren 1975 bis 1985 ist die Zahl der Aktiv- versicherten um gut sieben Prozent gestiegen und zugleich hat sich das Durchschnittsalter erhöht. Insbe- sondere der Anteil der über 45jähri- gen ist größer geworden. Insoweit hat sich die Risikoschichtung bei den Aktiven gleichfalls verschlechtert.

Das spricht, mit Blick auf die niedri- gen Ausgabenzuwächse , letztlich doch für ein überwiegend solidari- sches und verantwortungsvolles Ver- halten.

Die demographische Komponente

Das gilt gewiß auch für den ein- zelnen Rentner. Die Probleme der KVdR sind freilich vom einzelnen kaum zu beeinflussen, sondern strukturbedingt:

• In der ersten Hälfte der 80er Jahre hat sich der Anteil der Rent- ner unter 60 Jahren um rund 20 Pro- zent erhöht, insgesamt ist die Zahl der Rentner in den Jahren 1975 bis 1985 um über zehn Prozent gewach-

sen. Das mußte sich auf die Solidar- belastung der Aktiven auswirken.

• Mit steigendem Alter nimmt die Krankheitshäufigkeit zu. Nimmt der Anteil älterer Mitbürger zu, wachsen demnach auch die Behand- lungskosten.

• Die Lebenserwartung steigt.

Sie hat sich in den letzten 13 Jahren bei den Männern um 3,5 Jahre und bei den Frauen um 3,9 Jahre erhöht.

Dadurch stieg der Anteil der Mit- glieder in der gesetzlichen Kranken- versicherung, die älter als 75 Jahre sind, von 8,6 Prozent in 1980 auf 10,1 Prozent in 1985.

Rasante Entwicklung der Medizin

Die höhere Lebenserwartung ist angesichts der sich verschlechtern- den Umweltbedingungen in erster Linie ein Erfolg der deutlich verbes- serten medizinisch diagnostischen sowie therapeutischen Verfahren.

Die rasante Entwicklung neuer Ope- rationsverfahren, Körperersatzstük- ke , Arzneimittelwirkstoffe, patien- tenschonende Diagnoseverfahren und vieles andere mehr hat in den letzten Jahren atemberaubende Fortschritte in der Behandlung kran- ker Mitbürger gebracht. Denken wir nur an die Herzschrittmacherthera- pie. Gerade zehn Jahre ist es her, als

entsprechende Leistungspositionen in die Gebührenordnungen aufge- nommen wurden. Heute sind meh- rere hunderttausend Menschen mit Schrittmachern versorgt, müssen aber fortlaufend kontrolliert und be- handelt werden. Ähnliches gilt für den Ersatz von Blutgefäßen oder Körpergelenken. Der Gewinn zu- sätzlicher und vor allem lebenswer- ter Jahre ist die erfreuliche Folge, al- lerdings bei gleichzeitig zunehmen- dem Behandlungsaufwand auch für andere chronische Leiden. Das do- kumentiert sich zum Beispiel im Arzneimittelverbrauch. Rund 1050 DM zahlte 1985 die gesetzliche Krankenversicherung pro Kopf der über 80jährigen Rentner. Bei den 61- bis 70jährigen lag der Durch- schnittsbetrag fast nur bei der Hälf- te. Insgesamt entfielen 52,4 Prozent der Arzneimittelausgaben der ge- setzlichen Krankenversicherung auf die über 60jährigen, obwohl ihr An- teil an der Zahl der Anspruchsbe- rechtigten lediglich 19,1 Prozent be- trug. Bereits geringfügige Verände- rungen in der Altersstruktur beein- flussen also die Ausgabenentwick- lung der Krankenkassen recht deut- lich.

Darauf hat die Deutsche Kran- kenhausgesellschaft in einer Analyse für die Konzertierte Aktion bereits im Jahre 1984 aufmerksam gemacht.

Als Folge verbesserter diagnosti- scher und therapeutischer Verfahren und der damit verbundenen Be- handlungsfähigkeit und -notwendig- keit älterer Menschen entfielen 1983 45,8 Prozent aller Krankenhauspfle- getage auf Patienten mit einem Al- ter ab 60 Jahre.

Gegenüber 1970 hat sich der Anteil der Pflegetage für diese Pa- tientengruppe um über 20 Prozent erhöht. Gleichzeitig zeigte die da- malige Analyse der Krankenhaus- inanspruchnahme nach Mitteilung der Deutschen Krankenhausgesell- schaft „eine auffällig zunehmende Multimorbidität im Alter".

Die künftigen Belastungen, die sich ändernde Altersstruktur sowie die intensiveren und zugleich ver- besserten Diagnose- und Behand- lungsmöglichkeiten werden auch in Zukunft zu weiteren Belastungen führen. Besondere Bedeutung wird A-894 (22) Dt. Ärztebl. 84, Heft 14, 2. April 1987

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Strukturreform im Gesundheitswesen

Resolution der Kassenärztlichen Bundesvereinigung

Als Grundlage für eine Reform des Gesundheitswesens hält die Kassen- ärztliche Bundesvereinigung (KBV) eine Analyse für notwendig, die die Ursachen für die wiederholten Bei- tragsanhebungen in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) umfas- send aufzeigt, Mit Kostendämpfung allein sind die an eine Strukturreform zu stellenden Erwartungen nicht zu erfüllen.

Schon jetzt läßt sich erkennen, daß das ständig steigende Defizit in der Krankenversicherung der Rentner (KVdR) eine der Hauptursachen für die Beitragssteigerungen ist. Im Jahre 1986 mußten die Berufstätigen 26,7 Mrd. DM der Ausgaben für die KVdR im Rahmen des Solidaraus- gleichs über ihren Beitrag mitfinanzie- ren. Ohne diesen Solidarausgleich hätte der Beitragssatz 3,4 Prozent- punkte tiefer liegen können.

Die Ausgaben der Krankenversi- cherung für Berufstätige und ihre Fa- milienangehörigen liegen in ihren Zu- wachsraten seit Jahren unter dem Grundlohnanstieg. Diese Tatsache dokumentiert eine durchaus sparsame und damit solidarische Inanspruch- nahme der Leistungen unserer Kran- kenversicherung.

Die überproportionale Ausgaben- entwicklung der KVdR ist auch nicht durch das Verhalten der Rentner be- dingt, sondern

• durch einen wachsenden Anteil von Rentnern verbunden mit einer im Alter erhöhten Krankheitshäufigkeit

• durch eine steigende Lebenser- wartung, vor allem gefördert durch den medizinischen Fortschritt mit sich ständig verbessernden diagnostischen und therapeutischen Möglichkeiten

• durch mehrfache finanzielle Be- lastungen der Beitragszahler zum Zweck der Sanierung anderer Sozial- versicherungszweige oder des Bundes- haushaltes

• durch den Verlust traditioneller Schutz- und Fürsorgefunktionen der

Familie und, dadurch bedingt, einen zunehmenden Bedarf allgemeiner Be- treuung und Pflege für ältere Men- schen.

Angesichts der demographischen Entwicklung in unserem Lande wird das Defizit der KVdR weiter steigen.

Ein Festhalten am derzeitigen Finan- zierungssystem der KVdR-Kosten macht eine Beitragsstabilität für die Aktivversicherten zum Wunschtraum.

Eine Begrenzung des medizinischen Leistungsumfanges für ältere Mitbür- ger ist aber zutiefst inhuman. Um also stabile Beiträge zu gewährleisten, müßte von der Rentenversicherung ein höherer Beitrag zur besseren Dek- kung der KVdR-Kosten gezahlt wer- den. Ziel sollte es dabei sein, den durch die Aktivversicherten solida- risch finanzierten Anteil an den KVdR-Kosten zu senken. Dies ist ein Kernpunkt für die anstehende Struk- turreform, die nicht zu einer Demon- tage des Krankheitsschutzes für ältere Mitbürger führen darf.

Ein weiterer wichtiger Schritt der Strukturreform muß die Sicherung des im Grundsatz bewährten Sachlei- stungsprinzips sein. Aus kassenärzt- licher Sicht ist Kostenerstattung in den Kernbereichen der ambulanten ärztlichen und stationären Behand- lung äußerst problematisch. Kostener- stattung in diesen Bereichen ist ge- sundheitspolitisch bedenklich, system- fremd und in praxi nur schwer hand- habbar, weil mit hohem bürokrati- schen Aufwand verbunden. Die Ge- währung medizinischer Hilfe im Rah- men eines Naturalleistungssystems er- fordert allerdings wirtschaftliches Handeln, das heißt, die Beschränkung auf notwendige und zweckmäßige me- dizinische Leistungen. Dies setzt Er- fahrung und Qualifikation beim Kas- senarzt voraus. Angesichts einer stark wachsenden Arztzahl mit zunehmen- dem Konkurrenzdruck muß diese Qualifikation für alle Kassenärzte in Zukunft besonders gesichert werden.

Die spezifischen Belange kassenärzt- licher Versorgung erfordern eine spe- zielle Vorbereitung. Die KBV spricht sich nachdrücklich für den Erhalt der kassenärztlichen Vorbereitungszeit nach Abschluß der Ausbildung zum Arzt aus.

Die Beseitigung von Überkapazitä- ten bei Krankenhausbetten, beim Arzneimittelangebot, bei Hilfsmit- teln, aber auch die Begrenzung der Zahl der in der Heil- und Hilfsmittel- versorgung Tätigen muß ein zentraler Punkt der Strukturreform sein. Zur notwendigen Stabilisierung der Aus- gabenentwickung müssen alle Betei- ligten gleichermaßen beitragen. Aus- ufernde Kapazitäten fördern eine me- dizinisch fragwürdige Inanspruchnah- me mit der Folge steigender Kosten.

Einer solchen Fehlentwicklung da- durch begegnen zu wollen, dem Kas- senarzt durch die Verknüpfung des ärztlichen Honorars mit den Kosten für veranlaßte Leistungen durch Bo- nus-/Malus-Regelungen die alleinige Verantwortung aufzubürden, lehnt die KBV im Interesse einer guten kas- senärztlichen Versorgung entschieden ab.

Bonus-Regelungen untergraben das Vertrauensverhältnis zwischen Pa- tient und Arzt. Wie der Sachverstän- digenrat für die Konzertierte Aktion im Gesundheitswesen in seinem er- sten Jahresgutachten zu Recht fest- stellt, würden die Ärzte in diesem Fal- le in eine Konfliktsituation gedrängt.

Jeder Appell an den Patienten zur Sparsamkeit bzw. zur Zurückhaltung beispielsweise beim Arzneimittelver- brauch könnte als egoistisches, ein- kommenorientiertes Verhalten inter- pretiert werden. Malus-Regelungen würden angesichts der zu erwartenden demographischen Entwicklung kurz über lang zu einer medizinisch man- gelhaften Versorgung führen und da- mit eine Zwei-Klassen-Medizin einlei- ten. Die notwendige Strukturreform muß nach Auffassung der KBV aber gerade durch eine mit Augenmaß be- triebene Weiterentwicklung der Grundlagen unserer GKV deren ho- hen Leistungsstandard auch für die

Zukunft sichern. ❑

dabei der demographischen Ent- wicklung beizumessen sein. Der Sachverständigenrat für die Konzer- tierte Aktion im Gesundheitswesen spricht in seinem ersten Jahresgut- achten die Sorge aus, daß der Alten-

quotient bis zum Jahre 2000 sehr viel deutlicher ansteigen werde als bisher angenommen Die Einwohnerzahl soll in der Bundesrepublik Deutsch- land bis zum Jahre 2000 um etwa 1,7 Millionen abnehmen; gleichzeitig

wird sich der Altersberg verstärken.

So soll die Zahl der über 50jährigen

zwar vorerst stagnieren, aber ab

1990 bis zum Jahre 2000 um knapp zwei Millionen zunehmen. — Die ne- gativen finanziellen Auswirkungen Dt. Ärztebl. 84, Heft 14, 2. April 1987 (23) A-895

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für die gesetzliche Krankenversiche- rung und damit für die gewünschte Beitragsstabilität liegen auf der Hand. Noch ungünstiger wird die Entwicklung nach dem Jahre 2000 eingeschätzt. In der gesetzlichen Rentenversicherung macht diese klar vorhersehbare Entwicklung schon seit längerer Zeit Kopfzerbre- chen. Bei zunehmenden Rentner- und schrumpfenden Berufstätigen- Anteilen kann der Generationenver- trag auf Dauer nicht halten. Also muß Vorsorge getroffen werden.

Dies geschah für die Rentenversi- cherung in der Vergangenheit mehr- fach mit zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung, obwohl letz- tere von diesem Problem angesichts des praktizierten Solidarausgleichs zwischen jung und alt genauso be- troffen ist und weiter sein wird.

So bescherte das KVKG 1977 eine Kürzung der Zahlungen der Rentenversicherung an die gesetzli- che Krankenversicherung um 6 Mil- liarden DM. Allerdings wurde mit diesem Geld nicht die Rentenversi- cherung, sondern der Bundeshaus- halt saniert. Weitere Mindereinnah- men mußte die gesetzliche Kranken- versicherung in den Folgejahren durch eine gedrosselte Rentenan- passung, die weder brutto- noch net- to-lohnbezogen war, verkraften. Im Jahre 1983 entlastete das Haushalts- begleitgesetz die Rentenversiche- rung, indem es Einnahmen der Krankenversicherung der Rentner um rund 1,6 Milliarden DM verrin- gerte. Und wer glaubt, der vor eini- gen Jahren eingeführte Krankenver- sicherungsbeitrag der Rentner kom- me den Krankenkassen zusätzlich zugute, irrt. Kein zusätzlicher Pfen- nig fließt der gesetzlichen Kranken- versicherung zu, da die Rentenversi- cherung im gleichen Zug ihren Zu- schuß zu den KVdR-Ausgaben kürzt wie der Krankenversicherungsbei- trag der Rentner steigt. Es handelt sich also allein um eine Sanierung der Finanzen der Rentenversiche- rung.

Selbstverständlich ist die Siche- rung der zukünftigen Rentenzahlun- gen ein wichtiges, ja vorrangiges so- zialpolitisches Vorhaben. Nur haben die bisherigen Anstrengungen maß- geblich zu dem hohen Defizit in der

Krankenversicherung der Rentner beigetragen. Von daher ist es unred- lich, der Krankenversicherung stei- gende Beitragssätze vorzuwerfen.

Der gesetzlichen Krankenversiche- rung muß finanziell stärker unter die Arme gegriffen werden, soll sich der Wunsch nach Beitragsstabilität zu- künftig realisieren lassen. 1986 wur- den 58,2 Prozent der durchschnitt- lichen Kosten je Rentner von den Berufstätigen über ihren Beitrag mitfinanziert. Dies waren 2508,48 DM pro Rentner, fast genausoviel wie die gesetzliche Krankenversi- cherung pro Kopf eines jeden Aktiv- versicherten aufwenden mußte.

Die Solidarquote ist in den letz- ten zehn Jahren von 28,6 Prozent auf 58,2 Prozent geklettert. Ange- sichts der demographischen Ent- wicklung wird, ja muß sie weiter steigen. Jeder zusätzliche Rentner kostet die Berufstätigen zusätzliches Geld. Die demographiebedingte Fi- nanzierungslast wird steigen!

Das Solidarprinzip muß erhalten bleiben

Auf diese Zusammenhänge hin- zuweisen, bedeutet nicht, das Sy- stem der solidarischen Finanzierung der sozialen Krankenversicherung über den Haufen werfen zu wollen.

Keineswegs, das Solidarprinzip ist mit eine der bewährten Grundsäulen unserer gesetzlichen Krankenversi- cherung, es muß erhalten bleiben.

Allerdings darf dieses Prinzip — wie bei der Rentenversicherung allge- mein zugegeben wird — nicht zu ei- ner Überforderung der Berufstäti- gen führen.

Was für die Sicherung der Ren- tenzahlung von morgen recht ist, muß für die Sicherung des vollwerti- gen Leistungsumfanges in der ge- setzlichen Krankenversicherung bil- lig sein. Unsere älteren Mitbürger werden zukünftig eine zunehmende medizinische Betreuung brauchen.

Leistungseinschränkungen für Älte- re, wie sie in anderen europäischen Ländern praktiziert werden, sind zu- tiefst inhuman, hat der Länderaus- schuß der Kassenärztlichen Bundes- vereinigung in einer Resolution fest- gestellt. Auch der über 70jährige Rentner in der gesetzlichen Kran-

kenversicherung muß Anspruch auf Dialyse oder Gelenkersatz haben, soweit sie medizinisch geboten und machbar sind.

Wie könnte

die Lösung aussehen?

Wenn also Leistungseinschrän- kungen zwecks Kostendämpfung entfallen, wo liegt dann die Lösung des Problems? Entweder die Berufs- tätigen übernehmen einen weiter steigenden Anteil der Kosten der Krankenversicherung der Rentner — dann muß vom Wunsch nach Bei- tragsstabilität wohl oder übel Ab- stand genommen werden — oder aber der andere Finanzier, die Ren- tenversicherung, schießt einen höhe- ren Beitrag zu. Das wird ihr schwer- fallen, zumal die Rentenversiche- rung selbst mit der sich verschlech- ternden demographischen Entwick- lung kämpft. Also wird der Bund wieder einen höheren Zuschuß an die Rentenversicherung zahlen müs- sen, zumal die einst hohen Rückla- gen der Rentenversicherung gesetz- geberisch für andere sozialpolitische Ziele verbraucht worden waren. Der Bundeszuschuß wäre von der Ren- tenversicherung an die gesetzliche Krankenversicherung weiterzurei- chen. Ziel dieser Maßnahme sollte es in jedem Fall sein, einer wachsen- den Solidarbelastung der Aktiven Einhalt zu gebieten.

Eine Strukturreform, die letzt- lich erfolgreich sein soll, muß hier ansetzen. Die Finanzierungssyste- matik für die Kosten der Kranken- versicherung der Rentner ist zu än- dern, ohne daß wir Ängste bei den älteren Mitbürgern vor einer unge- wissen Zukunft auslösen. Auch inso- fern ist eine Demontage des vollwer- tigen Krankenschutzes für Rentner unvertretbar.

Ein voreingenommener Leser mag behaupten, diese Ausführun- gen seien interessenbezogen, weil sie davon ablenken, daß im Gesund- heitswesen erhebliche Einsparpo- tentiale stecken, die es im Rahmen der Strukturreform primär zu rea- lisieren gelte. Um wieder an den Anfang zurückzukehren: Auslösen- des Moment für die Forderung einer Strukturreform waren und sind die A-896 (24) Dt. Ärztebl. 84, Heft 14, 2. April 1987

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DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

ständig steigenden Beitragssätze.

Beitragssatzsteigernde Effekte ge- hen aber allein von der überpropor- tionalen Ausgabenentwicklung in der Krankenversicherung der Rent- ner aus.

Der Beitrag der Kassenärzte

Betrachten wir abschließend die Ausgabenentwicklung für die ge- samte ambulante kassenärztliche Tätigkeit, also einschließlich der Versorgung der Rentner, so liegt die Steigerungsrate der letzten zehn Jahre mit 57,4 Prozent unter dem Grundlohnanstieg von 60,7 Prozent.

Dies ist vor allem das Resultat einer maßvollen, aber immer schwieriger werdenden Honorarpolitik. Trotz Altersberg, trotz medizinischem Fortschritt, trotz Arztzahlzunahme hätten die Beiträge sinken können, natürlich unter der Voraussetzung, auch in den anderen Leistungsberei- chen wäre ein ähnlich niedriger Aus- gabenanstieg zu verzeichnen gewe- sen. Eine Strukturreformdebatte fände dann wohl heute nicht statt.

Wenn die Kassenärzteschaft die Notwendigkeit einer den Kern tref- fenden Strukturreform unter- streicht, so nicht, weil sie Fehlent- wicklungen im eigenen Bereich ka- schieren muß. Im Gegenteil, sie tut es

• weil sie eine erfolgreiche Kosten- dämpfungsbilanz wie kein anderer Leistungsträger aufzuweisen hat,

• weil sie den besten Überblick und den größten Sachverstand zur Ana- lyse der komplizierten medizini- schen Zusammenhänge besitzt und

• weil sie angesichts des deutlich steigenden Altenquotienten zur Wahrung einer qualitativ guten wie vollwertigen ambulanten kassenärzt- lichen Versorgung eine solch maß- volle Honorarpolitik wie in der Ver- gangenheit nicht durchhalten kann.

Anschrift des Verfassers:

Dr. med. Eckart Fiedler Hauptgeschäftsführer der Kassenärztlichen

Bundesvereinigung Herbert-Lewin-Straße 3 5000 Köln 41

SPD-Brückners

Konflikt-Programm

Für eine radikale Kehrtwen- dung der Gesundheitspolitik hat sich der 1. Vorsitzende der Arbeitsge- meinschaft der Sozialdemokraten im Gesundheitswesen (ASG) und lang- jährige (von 1975 bis Ende Januar 1987) Senator für Gesundheit und Sport in Bremen, Herbert Brückner (48), in einem Interview im „Spie- gel" ausgesprochen.

Der neue Vorsitzende der SPD Bremen lehnt die Alternative Ver- staatlichung oder Reprivatisierung des Gesundheitsrisikos ab; sondern befürwortet einen „dritten Weg"

der „System- und Strukturverände- rung" , der allerdings auch innerhalb der Sozialdemokratischen Partei erst noch mehrheitsbildend diskutiert werden müsse. Die SPD-Arbeitsge- meinschaft für Gesundheitspolitik bereitet gegenwärtig einen „konflikt- reichen Entwurf" (Brückner) für ein neues gesundheitspolitisches Pro- gramm der Partei vor. Im einzelnen schlägt Herbert Brückner vor:

Patientenmitbestimmung und Pauschalierung

C) Das System müsse sich von der wachsenden „Konsumentensou- veränität" der Versicherten und Pa- tienten leiten lassen. Der Patient müsse selbst über Krankheit und Gesundheit entscheidend mitbestim- men und mitkontrollieren. Anderer- seits müßten eine „Übermedikali- sierung" und eine Überversorgung mit ambulanten und stationären Lei- stungen und Diensten vermieden werden.

©

Ein gesetzlicher Übergang von der Einzelleistungsabrechnung zu einem System der Teilpauschalie- rungsleistungsabrechnung (Kopf- oder Teilpauschale) müsse geschaf- fen werden, um ein „Ausweichen in die Zahl der Einzelleistungen" bei gleichbleibender Zahl der Fälle oder gar rückläufiger Fallzahlen bei den

„Leistungsanbietern" zu vermei- den. Die neuen Honorierungssyste-

me sollten zunächst in Modellen er- probt werden.

C) Die ärztliche Grundversor- gung der Patienten solle den weiter- gebildeten Allgemeinärzten vorbe- halten sein. Der Gebietsarzt sollte künftig nicht mehr ausschließlich in der niedergelassenen Praxis tätig sein, sondern vielmehr in einer Ein- richtung des Krankenhauses. Meh- rere Gebietsärzte könnten sich aber auch zu einer Gruppenpraxis zusam- menschließen. Würde das Einzellei- stungshonorierungssystem für Ge- bietsärzte in der ambulanten Praxis entfallen, könnten nach Brückners Erwartungen Kosten in Höhe von Milliarden DM eingespart werden.

Wegen der Konzentration des Geräteparks und der Gebietsärzte an den Krankenhäusern sollten die- se Institutionen zu eigenständigen Einrichtungen für die ambulatori- sche Versorgung erweitert werden.

Die mit Gebietsärzten besetzten Ei- geneinrichtungen am Krankenhaus („Ambulatorien") wären dann ver- pflichtet, getrennt von dem stationä- ren Teil des Krankenhauses Leistun- gen zu erbringen und abzurechnen.

C) Die fachspezifische und kon- siliarische Beratung, die der Allge- meinarzt als Hausarzt benötigt, soll von „Facharztzentren" „geliefert”

werden. Der Allgemeinarzt solle ko- operationspflichtig mit allen sozialen und psychologischen Diensten und Einrichtungen werden.

Pharmamarkt auf ein Minimum reduzieren .. .

C Brückner befürwortet schließlich auch eine durchgreifende

„Neuorganisation" des Arzneimit- telmarktes und des Systems der Arz- neimittelversorgung. Der SPD-Poli- tiker befürwortet eine erneute Revi- sion des Arzneimittelgesetzes (AMG). Es sei denkbar, den GKV- Arzneimittelschatz von derzeit etwa 40 000 Medikamenten auf 1000 bis 1500 zu reduzieren (etwa nach dem Muster von Schweden oder Norwe- gen). Die Begrenzung der Zahl der zu Lasten der gesetzlichen Kranken- versicherung abgerechneten Arznei- mittel müsse per „Bundesgesetz"

geregelt werden. HC Dt. Ärztebl. 84, Heft 14, 2. April 1987 (27) A-897

Referenzen

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