PSYCHIATRIE
Zu dem Kommentar „Psychia- trie-Reform: Politik an Rhein und Ruhr" von Harald Clade in Heft 36/1989:
Anschuldigung beiseite legen
. . . Zurückgehend bis in die 60er Jahre ist die Re- formpsychiatrie zunächst an einzelnen, später an vielen Orten verwirklicht worden mit Sozialpsychiatrischen Diensten, vielfältigen flankie- renden Einrichtungen für Freizeit, Beruf und Wohnen sowie mit Institutsambulan- zen, ohne daß irgendwo die
„Staatsmedizin" Einzug ge- halten hätte. Im Gegenteil, es bestehen in der Regel gute und einander ergänzende Be- ziehungen zwischen den nie- dergelassenen Nervenärzten einerseits und den Ärzten und sonstigen Mitarbeitern der flankierenden Institutio- nen andererseits, und diese Beziehungen entwickeln sich kontinuierlich gut und bei längerem Bestehen der um- fassenden Versorgungsstruk- tur weitgehend entspannt.
Es befinden sich in Ihrem
„Kommentar" so viele ver- zerrte und falsche Informa- tionen, daß man denkt, Sie wüßten nicht, wovon Sie spre- chen. Ich gehe jedoch davon aus, daß Sie gut informiert sind, und so entsteht die Ver- mutung, als stünden Absicht und Methode dahinter.
1. In einem Modellver- such sind in den letzten fünf Jahren 16 Sozialstationen in Nordrhein-Westfalen in der Psychiatrie erfahrene Kran- kenschwestern zugeordnet worden. Diese nehmen sich in der häuslichen Pflege beson- ders psychisch kranker alter Menschen an. Dieses Pro- gramm soll nach Abschluß der Modellphase Regelver- sorgung im Lande werden.
Eine segensreiche Ergänzung der Aktivitäten der Sozialsta- tionen. Die Patienten können zu Hause wohnen bleiben, durch ihre Hausärzte behan- delt werden und müssen nicht ins Krankenhaus gehen. Ich kann nicht verstehen, worin
Ihre Kritik begründet ist. Zu- mindest wird nicht . . . Mitar- beitern der Sozialstationen eine zusätzliche „kräftezeh- rende Aufgabe" zugewiesen, sondern für diese neue Auf- gabe werden neue Stellen eingerichtet, und zwar insge- samt 400 neue Stellen in Nordrhein-Westfalen.
2. Das „NRW-Programm der überwiegend paramedizi- nischen, sozialbürokratisch gelenkten Psychiatrie" (!) spricht wohl von Koordinato- ren, nicht jedoch von neuen Fachberufen (welche sollen das sein?). Halten Sie es tat- sächlich für möglich, daß ein in seine Praxis engagiert und arbeitsreich eingebundener niedergelassener Arzt die vielfältigen flankierenden Fürsorge-Einrichtungen für schwer und chronisch psy- chisch Kranke koordinieren kann? Die Wohngemein- schaften, die Kontaktstellen, die Wohnheime, die Über- gangsheime, die Arbeitsplät- ze in Werkstätten für Behin- derte und beschützenden Fir- men, die Aktivitäten der psy- chosozialen Arbeitsgemein- schaften, nicht zu vergessen die ärztlich geleiteten So- zialpsychiatrischen Dienste, Institutsambulanzen und sta- tionären Einrichtungen für psychisch Kranke. Es ist nun einmal insbesondere bei schwer und chronisch psy- chisch Kranken nicht mit der linearen Versorgungsstruktur
„Krankenhausarzt — nieder- gelassener Arzt" getan. Oder deutet Ihr Kommentar die Zielrichtung, die vielfältigen flankierenden Einrichtungen vor die Alternative zu stellen:
Entweder koordiniert durch niedergelassene Ärzte oder abschaffen? Tatsache ist doch, daß nahezu alle Men- schen, die wegen der Schwere und Chronizität ihrer Erkran- kungen diese Versorgungs- einrichtungen in Anspruch nehmen müssen, gleichzeitig in ärztlich-psychiatrischer ambulanter Behandlung sind.
3. Es wird ein zunehmen- des Ärgernis, daß Sie in be- zug auf die Psychiatrie-Re- form immer wieder von „In- stitutionalisierung, Bürokrati-
sierung" sprechen und von der „Anonymisierung" der Beziehung zwischen Ärzten beziehungsweise Betreuen- den einerseits und dem Pa- tienten andererseits. Dieses grenzt allmählich an eine Be- leidigung. Es ist doch in Wahrheit so, daß die Mitar- beiter der Sozialpsychiatri- schen Dienste (und zwar so- wohl Ärzte als auch Sozialar- beiter und Krankenschwe- stern), die Betreuer in den Heimen und Kontaktstellen, die Ärzte und die anderen Mitarbeiter in den Instituts- ambulanzen „ihre" Patienten über Jahre behandeln und be- treuen und gerade auf die Konstanz der Beziehung al- lergrößten Wert legen. Es wä- re an der Zeit, daß Sie die ständig wiederholte Anschul- digung beiseite legen, psy- chisch Kranke würden in den
HIV
Zum Risiko einer HIV-Infek- tion beim Friseur:
Instrumente desinfizieren
Seit der Abspaltung der Chirurgie vom Friseurhand- werk scheint es in puncto Hy- giene bei letzterem keine Entwicklung gegeben zu ha- ben. Im Gegensatz zur akribi- schen Händedesinfektion beim Chirurgen benutzt der deutsche Durchschnitts-Fri- seur Schere, Kamm und Ra- sierapparat, an welchselben gerade das Blut des eben fri- sierten Kunden bemüht ist, zu trocknen, nonchalant beim nächsten — fast hätte ich ge- sagt: Patienten — weiter; piekt ihn gleich einmal mit der Scherenspitze dicht neben das Ohr in die Wange oder Schläfe (Lieblingsstellen je- des Friseurs, wenn er um die Ohren herumschnippelt), reißt ihm die besudelten Zin- ken seines Kammes durch die Kopfhaut (Sensibilität beim Kämmen finden wir nur sel- ten oberhalb des Brenners — womit nicht die Brennschere des Meisters, sondern der Grenzübergang zum Figaro und Barbier gemeint ist) und malträtiert last not least seine
flankierenden Einrichtungen quasi anonym im Schicht- dienst behandelt und betreut.
Uneingeschränkt besteht ein Konsens, wenn Sie schrei- ben „notwendig ist eine enge- re Zusammenarbeit der Be- rufsgruppen, so etwa der So- zialarbeiter, Psychologen, Angehörigen der pflegeri- schen und heilpädagogischen Berufe mit den niedergelasse- nen Psychiatern und Nerven- ärzten". „Rivalitäten" und
„Konkurrenzängste" beste- hen auf beiden Seiten. Von ärztlicher Seite werden sie mit Kommentaren Ihrer Art geschürt.
Dr. med. Hermann Meck- lenburg, Leiter des Fachbe- reichs Allgemeine Psych- iatrie, Klinik für Psychiatrie I, Kreiskrankenhaus Gummers- bach, Postfach 10 05 64, 5270 Gummersbach
empfindliche Nacken- und Gesichtshaut mit dem blutig verklebten Rasiermesser.
Natürlich war der Kunde vorher HIV-positiv, man lebt schließlich in Berlin und nicht in Passau, aber wen stört's, solange dieser Übertragungs- weg nicht ernst genommen wird und man sich schon vor- kommt wie ein Hypochonder, wenn man den Friseur bittet, die Instrumente vorher zu desinfizieren. Ich habe noch keinen anderen Kunden er- lebt, der darum bittet; die Desinfektion fällt auch ent- sprechend unterschiedlich aus, und man merkt, daß man häufig für einen Spinner ge- halten wird. Was nütze es, be- tonte man, daß man norma- lerweise beim Geschlechts- verkehr weitaus seltener ver- letzt wird als beim Friseur und daß sich die von einem Kunden zum nächsten schnell wechselnde Schere nicht we- sentlich von der von einem Fixer zum nächsten gereich- ten Spritze unterscheidet?
Eine ernsthafte Diskus- sion ohne Zynismus und Bor- niertheit zu diesem Thema würde mich interessieren.
Dr. med. Torsten Schmidt, Bechstedter Weg 5, 1000 Ber- lin 31
A-2924 (12) Dt. Ärztebl. 86, Heft 41, 12. Oktober 1989