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Zum Einfluss des Geschlechts beim Darstellungswechsel funktionaler Zusammenhänge

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Marcel KLINGER & Bärbel BARZEL, Essen

Zum Einfluss des Geschlechts beim Darstellungswechsel funktionaler Zusammenhänge

Im Rahmen der Dissertation von Klinger (2018) wurde das FALKE-Testin- strument entwickelt (Funktionales Denken und Analysis – Lernen von Kon- zepten in der Einführungsphase, s. z.B. www.falke-test.de), welches das Schülerverständnis von Konzepten im ersten Jahr der Oberstufe (in Nord- rhein-Westfalen die sog. Einführungsphase) fokussiert. Der Test befindet sich inhaltlich somit an der Nahtstelle zwischen der Funktionenlehre der Se- kundarstufe I und der frühen Analysis samt des Differentialrechnungskon- zepts der Oberstufe. Gerade für die Sekundarstufe werden im Rahmen von Meta-Studien mathematischen Leistungstests häufig geschlechtsspezifische Effekte zu Gunsten des männlichen Geschlechts attestiert (z.B. Hyde et al.

1990; Lindberg et al. 2010), so dass die Thematik auch für die vorliegende Studie eine besondere Bedeutung hat.

Mathematische Leistungstests und Geschlecht

Nach Klieme (1986, S. 133) gehören geschlechtsspezifische Leistungsdispo- sitionen bzgl. gemessener Mathematikleistung zu den „am deutlichsten aus- geprägten und am besten dokumentierten Befunden über Geschlechterunter- schiede im Bereich der Psychologie“ überhaupt. Entsprechende Effekte (z.B.

bestimmt durch Cohens d) fallen üblicherweise nahe bei null bis mittelstark aus, erreichen jedoch häufig ein zu Gunsten des männlichen Geschlechts sig- nifikantes Niveau und nehmen typischerweise im Verlauf der Schullaufbahn sukzessive zu (Hyde et al. 1990; Lindberg et al. 2010). Ist ein Test besonders rechenintensiv oder kalkülhaltig, fallen die Effekte geringer aus oder kehren sich sogar zu Gunsten des weiblichen Geschlechts um (Hyde et al. 1990).

Die Ursachen der in zahlreichen Studien ermittelten geschlechtsspezifischen Unterschiede sind nicht endgültig geklärt. So fassen etwa Köller & Klieme (2000) eine Vielzahl verschiedener Erklärungsansätze zusammen und ord- nen diese in vier Kategorien: biologische Erklärungsansätze (z.B. aufgrund eines unterschiedlichen Selektionsdrucks bei Männern und Frauen), kogni- tive Erklärungsansätze (z.B. unterschiedliche Fähigkeiten bzgl. der Raum- vorstellung), psychosoziale Erklärungsansätze (z.B. aufgrund verfestigter Geschlechterstereotype innerhalb der häuslichen Umwelt) sowie unter- richtsbezogene Erklärungsansätze (z.B. in Form ungleicher Behandlung durch die Lehrkraft oder unterschiedlich stark ausfallender lebensweltlicher Bezüge in Schulbüchern und Curricula) (vgl. auch Klinger 2018, S. 170 ff.).

In Fachgruppe Didaktik der Mathematik der Universität Paderborn (Hrsg.)

Beiträge zum Mathematikunterricht 2018. Münster: WTM-Verlag 987

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Testkonzeption und Erhebung

Das Testinstrument ist so konzipiert, dass ein erster Teiltest zu Beginn, ein zweiter gegen Ende der Einführungsphase eingesetzt werden kann. Entspre- chend wurden Items so entwickelt, dass sie den spezifischen curricularen Anforderungen genügen: Während die Items des ersten Tests sich daher auf die Funktionenlehre der Sekundarstufe I beschränken, umfasst der zweite Test auch Items, die die formal erst gegen Ende der Einführungsphase zur Verfügung stehenden Konzepte, wie etwa die ersten Begriffe der Differenti- alrechnung, adressieren. Neben der Fokussierung unterschiedlicher Grund- vorstellungen hat vor allem der flexible Umgang mit unterschiedlichen Dar- stellungsformen sowie insbesondere deren Wechsel eine besondere Bedeu- tung für die Tests und den durch sie operationalisierten Verständnisbegriff.

Eine genauere Erläuterung findet sich in Klinger & Barzel (2018).

Im Schuljahr 2014/15 wurden die FALKE-Tests großflächig im Raum Nord- rhein-Westfalen eingesetzt. Hierbei konnten für den ersten insgesamt 3202 (50.0% w., 49.5% m.), für den zweiten Test insgesamt 2665 (48.9% w., 50.3% m.) Schülerinnen und Schüler erfasst werden.

Analyse der Erhebungsdaten bzgl. des Einflussfaktors Geschlecht Insgesamt ergibt sich für beide Tests eine Effektstärke zu Gunsten der männ- lichen Probanden zwischen 0,37 und 0,38 (vgl. Klinger 2018, S. 388 ff.).

Hierbei zeichnet eine itemweise Betrachtung jedoch ein weniger einheitli- ches Bild (s. Abbildung 1): Zwar ergibt sich für alle Items des ersten Tests jeweils ein (teilweise nicht signifikanter) Leistungsvorteil zu Gunsten der Jungen, jedoch hängt dieser gemessen an der Differenz der Lösungsquote innerhalb der nach Geschlecht getrennten Teilstichprobe stark vom jeweils betrachteten Item ab. Während sich für Item L4MB eine vernachlässigbare Differenz von 0,3 Prozentpunkten ergibt, zeigt sich für Item J9SD mit 19,7 Prozentpunkten ein bedeutend größerer Effekt. Item N1FQ zeigt mit 10,8 Prozentpunkten Differenz den zweitstärksten Effekt. Zusätzlich ist das Ver- hältnis RR von Lösungsquote der männlichen und Lösungsquote der weibli- chen Substichprobe (sog. relatives Risiko) angegeben. Hier zeigt sich Item H7ZD als besonders auffällig.

Ein ähnliches Bild ergibt sich auch auf Itemebene bei der Betrachtung des zweiten Tests. Im Unterschied zum ersten Test fallen hier jedoch auch Items zu Gunsten des weiblichen Geschlechts aus, dies jedoch mit vernachlässig- barer bzw. kaum signifikanter Effektstärke. Insgesamt lässt sich für beide Tests beobachten, dass vor allem eher kalkülhafte Items geringe bis keine geschlechtsspezifischen Differenzen bzgl. der Lösungsquote aufweisen. Für weitere Details sei auf Klinger (2018, S. 393 ff.) verwiesen.

988

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Abb. 1: Itemweise Übersicht der geschlechtsspezifischen Effekte für den ersten Test

Füllgraphen und die Illusion of Linearity

Abbildung 2 zeigt Item J9SD samt zweier Schülerbearbeitungen. Das Item verlangt einen Darstellungswechsel eines funktionalen Zusammenhangs von der situativ-sprachlichen zur graphisch-visuellen Darstellungsform. Hierbei liegt aufgrund der Kegelform des Gefäßes ein funktionaler Zusammenhang zugrunde, der nicht linear ist, sondern stetig an Wachstumsgeschwindigkeit verliert. Entsprechend handelt es sich bei der Lösung unten rechts um eine korrekte, bei der Lösung unten links um eine Falschbearbeitung, die sich durch eine Übergeneralisierung linearer Zusammenhänge auszeichnet. Liegt eine konkrete Fehlvorstellung zugrunde, wird in diesem Zusammenhang oft von einer sog. Illusion of Linearity gesprochen (De Bock et al. 2007).

Abb. 2: Aufgabenstellung zu Item „Kegelfüllung“ (J9SD) (oben Mitte) sowie Beispiele für eine Fehl- (unten links) wie korrekte Bearbeitung (unten rechts)

L4M B F7GH K8GF B3XY Q3WD3 P5CX2 Q3WD2 H 7ZD A 5CV P5CX1 Q3WD1 R4TG C4XF2 I6JG G6UH C4XF1 N 1FQ J9SD

Differenz der Lösungsquoten

0.00 0.05 0.10 0.15 0.20 0.25

0.003 (RR = 1.14) 0.005 (RR = 1.6) 0.011 (RR = 1.2) 0.013 (RR = 1.07)

0.018 (RR = 1.02) 0.036 (RR = 1.09)

0.041 (RR = 1.05) 0.047 (RR = 5.68)

0.051 (RR = 1.11) 0.055 (RR = 1.36)

0.072 (RR = 1.09) 0.074 (RR = 1.28)

0.075 (RR = 1.15) 0.076 (RR = 1.12) 0.079 (RR = 1.15)

0.088 (RR = 1.15) 0.108 (RR = 1.15)

0.197 (RR = 1.71)

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Während das Item von 47,5% der männlichen Probanden korrekt bearbeitet wird, können es nur 27,8% der Testteilnehmerinnen fehlerfrei lösen. Umge- kehrt zeichnen jedoch 27,3% der Mädchen eine lineare Funktion wie abge- bildet. Unter dem männlichen Teil der Stichprobe war dieses Fehlermuster mit 16,1% deutlich weniger prominent. Ähnliche Darstellungswechsel wer- den auch durch die Items N1FQ und H7ZD gefordert. Beide Items begünsti- gen in ihrer Anlage zudem das Fehlermuster „Illusion of Linearity“.

Fazit

Insgesamt lassen sich deutliche Vorteile zu Gunsten der männlichen Proban- den feststellen. Die Effekte schwanken unter den Items jedoch teilweise stark. Items, die besonders auf das Fehlermuster „Illusion of Linearity“ zu- gespitzt sind, zeigen sich auffällig hinsichtlich geschlechtsspezifischer Ef- fekte. Zudem sind Items, die den Darstellungswechsel zwischen einer Situa- tion und einem Funktionsgraphen (insbesondere vor dem Kontext von Füll- graphen) erfordern, besonders betroffen. Das beschriebene Forschungspro- jekt beleuchtet somit ein Phänomen, zu dessen Ursachen derzeit noch keine fundierten Aussagen gemacht werden können. Dies ist als Forschungsdesi- derat für weitere Studien zu verstehen.

Literatur

De Bock, D., Van Dooren, W., Janssens, D. & Verschaffel, L. (2007). The illusion of linearity: From analysis to improvement. New York: Springer.

Hyde, J. S., Fennema, E. & Lamon, S. J. (1990). Gender differences in mathematics per- formance: A meta-analysis. Psychological Bulletin, 107(2), 139–155.

Klieme, E. (1986). Zur Problematik geschlechtsspezifischer Mathematikleistungen. In H.-G. Steiner (Hrsg.), Grundfragen der Entwicklung mathematischer Fähigkeiten (S.

133–151). Köln: Aulis Deubner.

Klinger, M. (2018). Funktionales Denken beim Übergang von der Funktionenlehre zur Analysis: Entwicklung eines Testinstruments und empirische Befunde aus der gymna- sialen Oberstufe. Wiesbaden: Springer Spektrum.

Klinger, M. & Barzel, B. (2018). Zielgerichtete Entwicklung von verstehensorientierten Leistungstestaufgaben am Beispiel des Funktionalen Denkens in der frühen Analysis der Oberstufe. In Beiträge zum Mathematikunterricht 2018. Münster: WTM.

Köller, O. & Klieme, E. (2000). Geschlechtsdifferenzen in den mathematisch-naturwis- senschaftlichen Leistungen. In J. Baumert, W. Bos & R. Lehmann (Hrsg.), TIMSS/III:

Dritte Internationale Mathematik- und Naturwissenschaftsstudie – Mathematische und naturwissenschaftliche Bildung am Ende der Schullaufbahn (Bd. 1, S. 373–404).

Opladen: Leske+Budrich.

Lindberg, S. M., Hyde, J. S., Petersen, J. L. & Linn, M. C. (2010). New trends in gender and mathematics performance: A meta-analysis. Psychological Bulletin, 136(6), 1123–1135.

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Abbildung

Abb. 1: Itemweise Übersicht der geschlechtsspezifischen Effekte für den ersten Test

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