Aus
russischer Sicht
„Russischer Arzt" ist der schlichte Titel eines Introspek- tiv-Romanes von Professor N.
Amosoff. Mehr ist über den Au- tor nicht zu erfahren. Beim Le- sen fielen mir zwei Szenen als besonders bemerkenswert auf:
„Ich vertraue, aber nicht immer.
Deshalb zeigen sie mir alle so- gleich ihre Krankenblätter vor.
Normalerweise vertraue ich ih- nen. Es sind fähige junge Leute, nur Schreibarbeit macht sie lust- los. Außerdem, Aufsicht hat noch nie geschadet. Blindes Vertrauen genügt nicht, es ist ei- ne Einladung zu Unvorsichtig- keit. Sie haben alle genug Auf- opferungsgeist, um drei Nächte hintereinander an einem Bett wach zu sitzen, aber es fehlt ih- nen manchesmal das Durchhal- tevermögen für eine sauber ge- schriebene Krankengeschichte.
Können sie nicht die Wichtigkeit der Berichte einsehen? Gewiß, ein Patient und ein Stück Papier lassen sich nur schwer miteinan- der vergleichen. Es gibt eigent- lich überhaupt keine Vergleichs- möglichkeiten, aber das Papier ist auch wichtig. Es gehört zur elementaren Organisation, und
die ist ohne Papierarbeit nicht möglich."
An anderer Stelle heißt es: „Ja, über den Kommunismus. Ich war in Amerika, sah ihre Kran-
kenhäuser. Die Chirurgen arbei- ten schwer, von früh bis in die Nacht, und ich meine auch, daß sie für ihre Patienten Mitgefühl haben. Genauso wie bei uns.
Nein, nicht ganz so. Ich werde die Szene nie vergessen, die ich einmal beobachtete, durch die Glasscheibe, eine Scheibe wie bei uns auch. Es handelte sich um eine schwierige Operation mit künstlicher Blut-Zirkulation, sehr kompliziert und ermüdend.
Der Patient befand sich noch im Saal, halb lebend, halb tot. Und
in einer Ecke hielten die Chir- urgen und Anästhesisten eine Konferenz, besprachen sich mit leisen Stimmen und schrieben dazu etwas auf ein Stück Papier nieder. Ich fragte meinen Dol- metscher, einen netten Kerl, was die da täten. Das Mikrophon war noch angeschlossen, und er horchte in seine Ohrmuschel.
,Sie teilen das Honorar für die Operation', sagte er. Mir wurde übel. Ich wollte keinen von ihnen mehr ansehen, und das sagte ich dem Dolmetscher. Ich konn- te mich nicht zurückhalten. Aber er staunte nur: ,Haben die ihr Geld denn nicht ehrlich ver- dient?' Was konnte ich antwor- ten? Wäre bei uns so etwas möglich? Nein." Arno Reinfrank
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Zeichnung: Fred Marcus Spektrum der Woche
Aufsätze • Notizen POST SCRIPTUM
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70 Heft 29 vom 22. Juli 1983 80. Jahrgang DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Ausgabe A