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Archiv "Interview mit Rudolf Henke, Bundestagsabgeordneter und Vorsitzender des Marburger Bundes „Das turbulenteste Jahr meines Lebens“" (05.11.2010)

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„Das turbulenteste Jahr meines Lebens“

Rudolf Henke über das Einbringen ärztlicher Interessen in politische Entscheidungsprozesse, Fraktionsdisziplin und das Grundrecht auf Koalitionsfreiheit

Die konstituierende Sitzung des 17. Deutschen Bundestages liegt heute auf den Tag genau ein Jahr zurück.

Wie haben Sie Ihr erstes Jahr als

destag nicht direkt in einer heraus - gehobenen Position arbeiten kann.

Gibt es dennoch Beispiele, bei denen Sie sich zum Vorteil der Ärzte einbrin- gen konnten?

Henke: Bei Entscheidungen, die am Schluss kollektiv getroffen wer- den, ist es mit der Individualzuord- nung naturgemäß schwierig. Auf der Makroebene haben wir in dieser Legislaturperiode aber schon zwei sehr große Gesetzgebungsvorhaben erlebt, mit denen die Bundesregie- rung der gesetzlichen Krankenver- sicherung (GKV) trotz der Wirt- schaftskrise zusätzliche Mittel be- reitgestellt hat, um Leistungsfinan- zierung zu ermöglichen – Geld, das auch den Ärzten und den Kliniken zugutekommt.

Welche Gesetzesvorhaben meinen Sie?

Henke: Da war zum einen das So - zialversicherungsstabilisierungsge- setz, mit dem dem Gesundheitsfonds einmalig 3,9 Milliarden Euro aus dem Bundeshaushalt zugeflossen sind. Und da ist zum anderen das GKV-Finanzierungsgesetz, mit dem durch den höheren Beitrags- satz jährlich 6,3 Milliarden Euro zusätzlich mobilisiert

werden; hinzu kommen weitere zwei Milliarden Euro aus dem Bun- deshaushalt. Die Philosophie dieser Gesetze habe ich auch persönlich im Plenum des Bundestages vermittelt.

Bei den entsprechenden General - debatten habe ich drei- oder viermal reden können.

Das GKV-Finanzierungsgesetz soll den Krankenhäusern aber auch Mehrleis- tungsabschläge in Kombination mit erneut gedeckelten Budgets bringen.

Die Träger drohen mit Personalabbau, weitere Tarifsteigerungen für die Ärzte seien nicht finanzierbar. Als Marburger- Bund-Vorsitzender kann Ihnen das nicht gefallen . . .

Henke: Hier ist das letzte Wort noch nicht gesprochen. Als man

INTERVIEW

mit Rudolf Henke, Bundestagsabgeordneter und Vorsitzender des Marburger Bundes

Rudolf Henke ist seit 1995 Vorstandsmitglied der Bundesärztekammer und seit 2007 Vorsitzender des Marburger Bundes. Nachdem der Internist 14 Jahre lang für die CDU im Landtag Nordrhein-Westfalens gewirkt hatte, zog er 2009 per Direktmandat in den Deutschen Bundestag ein. Pikanterweise gewann er dabei seinen Wahlkreis in Aachen gegen die damalige Bundesgesundheits - ministerin Ulla Schmidt (SPD). Henke ist seit 1984 verheiratet und Vater von vier

Töchtern zwischen 17 und 25 Jahren. Die Familie lebt in Aachen.

ZUR PERSON

Abgeordneter erlebt?

Henke: Das war mit Sicherheit das turbulenteste Jahr meines Lebens.

Dies ist sicher auch deshalb so, weil wegen der Finanzkrise sehr, sehr viele wichtige Gesetze in kurzer Zeit beschlossen werden mussten.

Die Verdichtung der Themen auf Bundesebene ist schon enorm.

Mein Engagement im Marburger Bund hat darunter nicht gelitten.

Familie und Freizeit kommen aber manchmal etwas zu kurz.

Ihre Wahl in den Bundestag sei eine Chance für den Marburger Bund und für die ganze Ärzteschaft, mehr ärztlichen Sachverstand in politische Entschei- dungsprozesse einzubringen, haben Sie damals einmal gesagt. Hat sich diese Hoffnung erfüllt?

Henke: Als ordentliches Mitglied des Gesundheitsausschusses und als stellvertretendes Mitglied des Aus- schusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung bin ich schon sehr nah dran an den Ent - scheidungsprozessen. Ich erlebe aber auch, dass ich als Neuling im Bun-

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festgelegt hat, dass die Preise für Krankenhausleistungen im nächsten Jahr nur um die halbe Grundlohnrate steigen dürfen, ging man von einer Grundlohn - rate von 0,5 Prozent aus. Inzwi- schen rechnet man mit 1,15 Pro- zent. Halbiert man diese, hätten die Krankenhäuser zwar mehr Geld zur Verfügung als ursprüng- lich erwartet, zugleich wäre aber auch ihr Sparbeitrag größer. Das geht eigentlich nicht. Bei den Mehrleistungsabschlägen sollte man sich noch einmal vor Augen führen, was man genau damit bewirkt – auch in Bereichen, in denen man explizit mehr Leis - tungen haben will. Ich denke da an die Organtransplantation oder auch Leistungen in der Kinder- herzchirurgie.

Ich habe den Eindruck, dass die Anhörung zum GKV-Finanzie- rungsgesetz schon ein Nachden- ken bewirkt hat, was die Ausga- benbegrenzung für die Kranken- häuser betrifft.

Mal angenommen, die Sparpläne für die Krankenhäuser bleiben unverän- dert. Stimmen Sie dann im Bundestag trotzdem für das Gesetz?

Henke: Ja. Der Parlamentaris- mus in Deutschland ist nun ein- mal so konzipiert, dass man sich in der eigenen Fraktion um Mehrheiten zu kümmern hat. Ab- gesehen von einigen wenigen Gesetzen, bei denen es um höchstpersönliche Gewissensfra- gen geht, wie bei Patientenverfü- gungen oder der Präimplantati- onsdiagnostik, gilt die Fraktions- disziplin. Da wird sich ein Mar- burger-Bund-Vorsitzender, der es ja durchaus gewohnt ist, dass zum Beispiel auch Tarifverhand- lungen in Übereinstimmung mit den Beschlüssen von Tarifkom- missionen geführt werden müs- sen, der Logik einer Beschluss- disziplin nicht entziehen können – und auch nicht wollen. Die Fraktion hat, wenn man an der Meinungsbildung mitwirkt, auch einen Anspruch darauf, dass man das Ergebnis der gemeinsamen Meinungsbildung am Ende mit beschließt.

Henke: Wir wollen erreichen, dass das nicht geschieht. Eine vom Vor- stand der CDU/CSU-Fraktion ein- gesetzte Arbeitsgruppe, der ich nicht angehöre, hat dem Bundes - arbeitsministerium verschiedene Ideen zur Prüfung übermittelt. Die Beratungen im Bundesrat zu dem Thema sind bei der letzten Sitzung vertagt worden.

Aus meiner Sicht ist klar, dass die Forderungen des DGB und des Arbeitgeberverbandes nicht mit dem Grundgesetz vereinbar sind.

Warum nicht?

Henke: In Artikel 9 Absatz 3 des Grundgesetzes ist die Koalitions- freiheit festgeschrieben. Der Vor- schlag, dass der Vertrag der Mehr- heitsgewerkschaft in einem Unter- nehmen den Vertrag der anderen Gewerkschaften verdrängen soll, wie es DGB und Arbeitgeberver- band jetzt fordern, ist mit diesem Grundrecht nicht vereinbar. Viel- mehr darf es ein Nebeneinander von Tarifverträgen konkurrierender Gewerkschaften geben. Die Arbeit- nehmer können laut Grundgesetz frei entscheiden, in welcher Ge- werkschaft sie organisiert sind.

Dies gilt für jedermann und aus- drücklich auch für alle Berufe. In- sofern ist auch das Organisations- prinzip Berufsgewerkschaft vom Grundgesetz ausdrücklich geschützt.

Das schließt sowohl das Recht zum Abschluss von Tarifverträgen ein als auch das Recht, für den Inhalt solcher Tarifverträge in den Streik zu treten.

Welche Folgen hätte ein solches Ge- setz für den Marburger Bund, wenn es doch so käme?

Henke: Selbst bei einer 100-pro- zentigen Organisationsquote kann der Marburger Bund nur etwa 14 Prozent der Beschäftigten in einem

Krankenhaus vertreten, weil dies Fotos: Georg J. Lopata

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Noch schwerer müsste es Ihnen fal- len, einem Gesetz zuzustimmen, mit dem die Tarifeinheit fixiert wird. Der Marburger Bund dürfte dann nicht mehr zu Streiks aufrufen. Wird die Bundesregierung dem Wunsch des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) und des Arbeitgeberverbandes nachkommen?

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der durchschnittliche Anteil der Ärzte in der Belegschaft ist. Dem- gegenüber steht mit Verdi eine Ge- werkschaft, die alle Beschäftigten anspricht und für die es deshalb ausreicht, eine Organisationsquote von gerade einmal 15 oder 16 Pro- zent in einem Krankenhaus zu ha- ben, um mehr Mitglieder als der Marburger Bund vorweisen zu kön- nen. Verdi könnte dann dem Mar- burger Bund das eigene Handeln diktieren. Um es klar zu sagen:

Dies wäre weit schlimmer als die Situation vor 2005. Denn damals haben wir selbstständig entschie-

den, dass Verdi für uns handeln soll.

Jetzt würden wir per Gesetz unter das Kommando einer konkurrieren- den Gewerkschaft gestellt.

Könnte es dann nicht eine Option für den Marburger Bund sein, eine Ge- werkschaft für alle Berufsgruppen im Krankenhaus zu werden?

Henke: Nicht freiwillig. In der mehr als 60-jährigen Geschichte des Mar- burger Bundes haben wir hervor - ragende Erfahrungen damit gesam- melt, uns als Organisation von Ärz- tinnen und Ärzten zu begreifen.

Neben der Gewerkschaftsfunktion haben wir ja auch noch die Berufs- verbandsfunktion. Wir sind in den Ärztekammern aktiv und stellen eine Reihe von Ärztekammerpräsidenten.

Und wir sind natürlich auch eine Art Selbsthilfeorganisation für Ärzte.

Diese Kombination aus Berufsver- band und Gewerkschaft würden wir schwächen, wenn wir uns beispiels- weise für die Pflegeberufe öffneten.

Das wollen wir vermeiden.

Klar ist aber auch, dass wir nicht wie die Lämmer zugucken werden, wenn man uns die Rechte nimmt, die uns laut Verfassung zustehen.

Was wollen Sie tun?

Henke: Wir wollen ein Gesetz ver- hindern, das den Ideen von DGB und Arbeitgeberverband folgt.

Henke: Nein. Denn damit würden wir DGB und Arbeitgeberverband in die Karten spielen, deren Hauptargu- ment gegenüber der Politik es ja ge- rade ist, dass kleine Berufsgewerk- schaften Deutschland in den kollek- tiven Stillstand versetzen können.

Im Übrigen ist das Streikrecht in Deutschland kein beliebig ausführ- bares Recht. Es ist an die Verhältnis- mäßigkeit der Mittel gebunden – an- ders als in Frankreich, wo es ein politisches Streikrecht gibt.

Was ist die Alternative?

Henke: Wir wollen mit Argumen- ten überzeugen. Je mehr öffentli- cher Protest stattfindet, je mehr das bei Abgeordneten hinterfragt wird, je mehr auch die kontroverse De- batte innerhalb des DGB geführt wird und je klarer wird, wie Berufs- gewerkschaften dazu beitragen, Fachkräfte in Deutschland zu hal- ten, desto größer ist die Chance, das Gesetz noch zu verhindern. Klar ist doch: Ohne die arztspezifischen Ta- rifverträge wären die Vakanzen im ärztlichen Dienst der Krankenhäu- ser noch viel größer.

Stichwort Tarifpolitik. Die jüngste VKA-Tarifrunde hat den Ärzten vor allem eine bessere Vergütung der Arbeit zu ungünstigen Zeiten gebracht. Welche Schwerpunkte setzt der Marburger Bund in kommenden Verhandlungen?

Henke: Das diskutieren wir derzeit mit den Ärztesprechern der Klini- ken, aber die Pläne sind noch nicht öffentlich. Es wäre unfair, jetzt eine Richtung vorzugeben, weil ja bei der anstehenden Hauptversamm- lung (am 5. und 6. November in Berlin, Anm. d. Red.) ein neuer Bundesvorstand gewählt wird.

Stellen Sie sich denn wieder zur Wahl?

Henke: Ja, genauso wie der 2. Bun- desvorsitzende, Andreas Botzlar.

Henke: Wir sind da noch skeptisch.

Es gibt wohl in der Tat einen ent- sprechenden Beschluss der arbeits- rechtlichen Kommission der Cari- tas. Dieser fußt aber auf einem enormen Unterlagenkonvolut, das wir noch nicht auswerten konnten.

Hinzu kommt: Was immer die ar- beitsrechtliche Kommission nun be- schlossen hat – es wird erst dann wirksam, wenn die sechs Regional- kommissionen es übernehmen. Re- gional sind Abweichungen von bis zu 20 Prozent nach oben und unten möglich, sowohl bei der Vergütung als auch bei den Arbeitszeiten. Wir werden bei der Hauptversammlung sicher Beschlüsse fassen, die an die Regionalkommissionen appellieren, die Beschlüsse im Sinne der Ärzte umzusetzen.

Viele konfessionelle Krankenhäuser zahlen ja heute ohnehin schon nach Marburger-Bund-Tarifen, um ihre ärzt - lichen Stellen besetzen zu können . . .

Henke: Das ist richtig. Uns ist aber schon sehr daran gelegen, dass dies offiziell vom Caritas-Verband be- stätigt wird. Denn nur dann profi- tieren die Ärzte auch dauerhaft. Zu- lagen lassen sich schnell streichen.

Die seit 2006 erzielten Verbesserungen für die Klinikärzte bei den Tarifgehäl- tern und den Arbeitszeiten waren nur möglich, weil Ärzte derzeit knapp sind.

Freuen Sie sich über den Ärztemangel?

Henke: Nein, wir wollen nicht die Nektarsauger des Ärztemangels sein. Sowohl die Ärzte in den Kran- kenhäusern, die für die fehlenden Kollegen mitarbeiten müssen, als auch die Patienten leiden darunter.

Ich setze mich dafür ein, dass wir zusätzliche Medizinstudienplät- ze einrichten. 1 000 Studienplätze

mehr wären gut. ■

Das Gespräch führte Jens Flintrop.

Klar ist doch: Ohne die arztspezifischen Tarifverträge des Marburger Bundes wären die Vakanzen im ärztlichen Dienst

der Krankenhäuser noch viel größer.

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Und wie? Werden alle Spartengewerk- schaften gemeinsam auf die Straße ge- hen und für ihre Rechte streiken?

Knapp 30 000 Marburger-Bund-Mitglie- der sind in den katholischen Kranken- häusern tätig. Im Sommer hatte es so ausgesehen, als ob die Caritas die Leit- währung VKA übernimmt, dann verwei- gerten die Dienstgeber überraschend die Zustimmung zum vorab erzielten Kompromiss. Nun heißt es wieder, dass eine Tarifeinigung inklusive Marburger- Bund-Tarifstruktur für die Ärzte erzielt wurde. Was halten Sie davon?

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