Deutsches Ärzteblatt
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Jg. 110|
Heft 27–28|
8. Juli 2013 A 1355„Es gibt keinen Regelungsbedarf“
Die Union will die Tarifeinheit gesetzlich verankern. So steht es im Wahlprogramm.
Der Marburger Bund fürchtet um sein Streikrecht und droht mit Verfassungsklage.
Der Grundsatz der Tarifeinheit habe sich über Jahrzehnte bewährt, schreibt die Union. Sehen Sie das genauso?
Liegen Ihnen Informationen vor, in wel- cher Form CDU und CSU die Tarifeinheit gesetzlich verankern wollen?
schlichtungen et cetera ab. Einige arbeitgebernahe Juristen präferie- ren Einschränkungen des Arbeits- kampfrechts bei Einrichtungen der Daseinsvorsorge, wobei dieser Be- griff sehr weit gefasst wird. Alle diese Lösungen bergen gravierende Umsetzungsprobleme und würden zu Chaos in den Betrieben führen.
Der MB würde durch einige Varian- ten sicher zunächst in seiner Hand- lungsfähigkeit eingeschränkt.
Der MB hat angekündigt, sich „mit allen Mitteln“ gegen ein solches Gesetz wehren zu wollen. Was bedeutet das?
Ehl: Wir werden abgestuft vor - gehen und zunächst einmal infor- mieren. Denn es gibt einfach keine „englischen Verhältnisse“ in Deutschland, nicht einmal annä- hernd. Bezieht man die wegen Streik verlorenen Arbeitstage auf jeweils 1 000 Beschäftigte, wie dies einer in anderen Ländern prakti - zierten statistischen Methode ent- spricht, läge Deutschland bei 16, Großbritannien bei 27, Italien bei 41, Belgien bei 74, Finnland bei 93 oder Kanada bei 182 Tagen. Wo ist also das Problem? Wir werden vor der Wahl allen Bundestagskandida- ten Informationen zukommen las- sen. Wir werden des Weiteren unse- re Mitglieder bitten, diese Informa- tionen ihren Bundestagskandidaten zu übergeben. Wir werden weiterhin alle Vorschläge sachgerecht kom- mentieren und bewerten und direkt nach der Wahl mit den Fraktionen sprechen. Schließlich werden wir jegliche Regelung, die unser verfas- sungsmäßiges Koalitionsrecht ein- schränkt, vom Bundesverfassungs- gericht überprüfen lassen.
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Das Interview führte Jens Flintrop.
INTERVIEW
mit Armin Ehl, Hauptgeschäftsführer des Marburger Bundes
Ehl: Anscheinend sehen Teile der Union einen Regelungsbedarf, wo keiner besteht. Die Problemszena- rien, vor allem die vielzitierten auf- kommenden „englischen Verhält- nisse“, sind meiner Ansicht nach eher „gefühlter Natur“.
Wie meinen Sie das?
Ehl: Fakt ist, dass es nie eine ge- setzliche Tarifeinheit gab und die Streiksituation tatsächlich auch im Vergleich zu anderen Ländern ent- spannt ist. Stattdessen gibt es seit vielen Jahren eine gelebte Tarifplu- ralität zum Beispiel bei der Bahn, bei Luftverkehrsunternehmen, in der chemischen Industrie oder auch in den Krankenhäusern. Die Ar- beitsgerichte hatten freilich mit ih- rer Rechtsprechung dafür gesorgt, dass auf ein individuelles Arbeits- verhältnis stets nur ein Tarifvertrag zur Anwendung kam.
Und dann kam das Urteil des Bundesarbeitsgerichts . . .
Ehl: Das Bundesarbeitsgericht hat in seinem Urteil vom 7. Juli 2010 die Realität konsequenterweise zur Kenntnis genommen und grund- sätzlich postuliert, dass in einem Betrieb durchaus mehrere Tarifver- träge Anwendung finden können.
Dies entspricht dem Geist des Arti- kel 9 Absatz 3 des Grundgesetzes, der das Recht, Vereinigungen und damit auch Gewerkschaften zu bil- den, für jedermann und für alle Berufe gewährleistet – die soge- nannte Koalitionsfreiheit. Dem ha- ben wir als Ärztegewerkschaft nichts hinzuzufügen.
Armin Ehl (52) ist seit 2004 Haupt - geschäftsführer des Marburger Bundes.
Ende 2012 hatte die Ärzte gewerkschaft 114 179 Mitglieder – ein Höchststand.
Foto: Georg J. Lopata
Ehl: Nein. Der Text im Unionspro- gramm ist so offen formuliert, dass er allerlei Interpretationen zulässt.
Wir sondieren also die Lage und ge- hen zunächst vom Worst Case aus.
Welche Folgen hätte ein Gesetz zur Tarif - einheit für den Marburger Bund (MB)?
Ehl: Zunächst einmal sind aus un- serer Sicht alle zurzeit diskutierten Handlungsoptionen verfassungs- widrig. Der Entzug des Rechts, ei- gene Tarifverträge abzuschließen, wäre eine intensive Beschränkung der Koalitionsfreiheit, die zu einer Bestandsgefährdung führen könnte.
Welche Optionen werden diskutiert?
Ehl: Manche Modelle zielen auf eine Einschränkung der Arbeits- kampfmöglichkeiten für alle Ge- werkschaften durch vorgegebene Lauf- und Streikzeiten, durch Zwangs -