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Archiv "HIV-Infektion: Heilung wird zum konkreten Ziel" (06.08.2012)

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A 1554 Deutsches Ärzteblatt

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Heft 31–32

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6. August 2012

M E D I Z I N R E P O R T

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as sich in der Fachliteratur und auf kleineren Kongres- sen schon angedeutet hatte, fand auf der 19. Weltaidskonferenz in Wash - ington nun auch die politische Un- terstützung: die Heilung der HIV- Infektion. Jahrzehnte als nahezu unmöglich erachtet, wurden Wis- senschaftler und Meinungsbildner während der fünftägigen Großver- anstaltung nicht müde zu beteuern, dass ein neues Kapitel der Aidsfor- schung aufgeschlagen sei.

„Niemand von uns ist der An- sicht, dass es einfach sein wird, die HIV-Infektion zu heilen, aber jetzt ist der richtige Zeitpunkt, um es mit geballter Kraft zu versuchen“, be- tonte Prof. Steven G. Deeks von der Universität von Kalifornien in San Francisco. Denn gerade in den letz- ten Jahren habe es einen enormen

Zuwachs an Erkenntnissen über die Interaktionen des HI-Virus mit seinem Wirtsorganismus gegeben.

Auch dank neuer Therapien sei es nunmehr realistisch, das Virus eines Tages vollständig aus dem Körper eines Infizierten zu entfernen, fügte die Medizin-Nobelpreisträgerin und HIV-Entdeckerin Prof. Dr. rer. nat.

Françoise Barré-Sinoussi vom In- stitut Pasteur, Paris, hinzu.

Globales Strategieprogramm für den Weg zur Heilung

Was macht die Forscher heute in ihrer Einschätzung so sicher, nach- dem es in den letzten 30 Jahren beispielsweise – trotz mehrfacher Vorhersagen – nicht gelungen ist, eine präventive Vakzine zu entwi- ckeln? Und warum startet ein inter- nationales Konsortium gerade jetzt

ein globales Strategieprogramm unter dem Motto „Towards an HIV Cure“?

„Dass die Forschung rund um die HIV-Heilung so prominent im Kongressprogramm berücksichtigt wurde, ist der Beweis dafür, wie ra- sant sich das Gebiet in den letzten Jahren entwickelt hat, so dass wir nun tatsächlich von potenziellen wissenschaftlichen Lösungen spre- chen können“, sagte Prof. Diane Havlir von der University of Cali- fornia in San Francisco als Kopräsi- dentin der Konferenz.

Vorbild für das Bestreben, eine Heilung zu ermöglichen, ist für die Wissenschaftler der Fall des US- Amerikaners Timothy Ray Brown, besser bekannt als der „Berliner Patient“. Er war nicht nur mit HIV infiziert, sondern erkrankte später HIV-INFEKTION

Heilung wird zum konkreten Ziel

Auf der 19. Weltaidskonferenz in Washington haben internationale

Wissenschaftler Strategien vorgestellt, um latente Virusreservoire im Körper von HIV-Infizierten zu kontrollieren und letztlich auch zu eliminieren.

Foto: dpa

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6. August 2012 A 1555 auch an akuter Leukämie. Dem In-

ternisten Dr. med. Gero Hütter war es 2007 an der Berliner Charité ge- lungen, Brown mit einer beson - deren Stammzellbehandlung so- wohl von der Infektions- als auch von der Krebserkrankung zu be- freien. Der Clou: Die Stammzellen stammten von einem Spender, des- sen CD4+-T-Zellen aufgrund einer natürlichen, aber sel tenen Muta - tion (CCR5-delta-32) keine funk - tionsfähigen CCR5-Korezeptoren auf ihrer Oberfläche besitzen und damit resistent gegen das Eindrin- gen des HI-Virus sind. Brown gilt seither als geheilt. „Ihm geht es gut, er nimmt seit Jahren keine HIV-Me- dikamente mehr“, sagte Deeks.

Allerdings sind sich die Forscher nicht einig, ob die Mutation allein zu diesem positiven Ausgang ge- führt hat oder ob auch Bestrah- lung, intensive Chemotherapie und eine massive Abstoßungsreaktion (Graft-versus-Host-Reaktion) einen entscheidenden Beitrag zur Heilung geleistet haben.

Auf jüngste Meldungen ange- sprochen, wonach in Blutproben von Brown nunmehr doch Spuren von HIV nachgewiesen worden sei- en, reagierte Deeks gelassen. Auch nach einer erfolgreichen Stamm- zelltransplantation könnten noch Zellen vom alten Immunsystem vorhanden sein. Dennoch komme es nicht zum Wiederaufflackern der HIV-Infektion, weil der Hauptteil der neuen Immunzellen für das Vi- rus nicht mehr zugänglich sei.

Der „Berliner Patient“ ist bis heute zwar ein Einzelfall. Er gilt je- doch als „proof of concept“, dass eine Heilung grundsätzlich möglich ist – wobei die Forscher den Be- griff spezifizieren: sie unterschei- den zwischen „steriler Heilung“

mit vollständiger Eradikation des HI-Virus aus dem Körper und ei- ner „funktionellen Heilung“, bei der der Wirtsorganismus die HIV- Infektion ohne Medikation im - munologisch kontrolliert, analog zur Herpesvirusinfektion, bei der lebenslang niedrige Virusmengen persistieren.

Einigen Patienten gelingt die funktionelle Heilung bereits jetzt.

Diese „elite controllers“ haben über

viele Jahre normale CD4+-Zellzah- len und eine Viruslast, die ohne Therapie unterhalb der Nachweis- grenze liegt (< 50 Kopien/ml Plas- ma). Nur im Lymphknoten lassen sich mit ultrasensitiven Methoden sehr geringe Virusmengen nach- weisen.

Synergien von Immunsystem und Medikamenten ausgelöst

Françoise Barré-Sinoussi, die kom- mende Präsidentin der Internatio- nal Aids Society, berichtete, der Elite-Controller-Status sei an die genetische Konstellation der Be- troffenen gebunden, die eine ro- buste zellvermittelte Immunant- wort vermittelt und/oder die Infek- tion der CD4+-Lymphozyten und Makrophagen unterbindet.

Zudem gibt es in Frankreich eine kleine Gruppe von Patienten („Vis- conti-Kohorte“), die sofort nach HIV- Infektion antiretroviral thera- piert wurde. Nach Jahren konnten die Patienten die Medikation abset- zen, ohne dass es zu einem Wieder- aufleben der HIV-Infektion ge- kommen ist. Vermutet wird, dass die Viren durch die frühzeitig gestartete antire- trovirale Therapie nicht sehr viele Wirtszellen infi- zieren konnten. Und die we- nigen, in die HIV doch ein-

dringen konnte, sind unter der lang- jährigen Medikation aufgrund ihres normalen Lebenszyklus (im Mittel 44 Monate) zugrunde gegangen.

Die völlige Eradikation des Aidserregers aus dem Körper stellt die Forscher vor große Herausfor- derungen. Ein wesentlicher Grund sind die latent HIV-infizierten Zel- len in verschiedenen Kompartimen- ten des Wirtsorganismus, die ein le- benslanges Reservoir für eine po- tenzielle Virusreplikation darstel- len. So lässt sich trotz jahrelanger erfolgreicher antiretroviraler Medi- kation (Viruslast unter der Nach- weisgrenze) in Lymphknoten, Gas-

trointestinum, Genitaltrakt, Milz und Knochenmark noch virale Transkription nachweisen.

Nach Angaben von Prof. Warner C. Greene, Direktor des Instituts für Virologie und Immunologie an den Gladstone Institutes in San Francisco, beruht die Persistenz von HIV auf folgenden Faktoren: Es gibt ein Reservoir von langle - bigen CD4+-TCM-Zellen (Central Memory Cells), die transkriptionell inaktives HIV-Genom integriert ha- ben. Wenn sich diese Gedächtniszel- len teilen, um natürliche Verluste auszugleichen (homöostatische Pro- liferation), wird auch das integrierte HIV-Genom auf die Tochterzellen weitergegeben, so dass die Gesamt- zahl der latent HIV-infizierten Zel- len nur sehr langsam abnimmt.

Außerdem wird eine Virusrepli- kation – ausgelöst durch Umge- bungsstimuli – ständig auf niedri- gem Niveau aufrechterhalten (low level viral replication). Letztlich hindert HIV den Wirtsorganismus auf unterschiedliche Weisen dar an, eine effektive Immunantwort aufzu-

bauen. Beispielsweise müssen Immunzellen beweglich sein und Kontakt zueinander auf-

nehmen, um Krankheitserreger abwehren zu können. Das Nef- Protein von HIV ist ein Fak- tor, der die Beweglichkeit der

Immunzellen hemmt, wie eine Ar- beitsgruppe des Universitätsklini- kums Heidelberg kürzlich im Tier- modell nachgewiesen hat.

Verschiedene therapeutische Optionen in elf Pilotstudien

Derzeit verfolgen elf Pilotstudien das Ziel der Heilung mit unter- schiedlichen Ansätzen. Dazu gehö- ren: die Gentherapie, die therapeu- tische Impfung (um das Immunsys- tem zu stärken), die Intensivierung der bestehenden Therapie und Ver- suche, HIV-infizierte Reservoirzel- len zu aktivieren und diese an- schließend zu eliminieren.

M E D I Z I N R E P O R T

Die letzte Generation hat erfolgreich für die Behandlung der HIV-Infektion gekämpft, unsere Generation muss nun für die Heilung kämpfen.

Michel Sidibé, Direktor von UNAIDS

Foto: picture alliance/dieKLEINERT.de

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A 1556 Deutsches Ärzteblatt

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Heft 31–32

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6. August 2012 Nach dem Vorbild des „Berliner

Patienten“ hat man beispielsweise versucht, die CCR5-delta-32-Muta- tion mit gentechnischen Metho- den künstlich herbeizuführen. Sechs HIV-positive Männer unter anti - retroviraler Therapie (nicht nach- weisbare Viruslast und CD4+-Zel- len zwischen 200 und 500/ml) wur- den in die Studie aufgenommen.

Aus ihrem Blut wurden T-Helfer- zellen herausgefiltert, im Labor aktiviert und mit sogenannten Zink- finger-Nukleasen behandelt. Das sind Restriktionsenzyme, die spezi- fische DNA-Sequenzen „heraus- schneiden“ können – in diesem Fall den genetischen Kode für den CCR5-Rezeptor.

Korezeptoren für Bindung von HIV an Zelloberfläche entfernt

Nach dieser Intervention wurden die manipulierten Zellen den Pa- tienten in unterschiedlicher Dosie- rung (10, 20 und 30 Millionen Zel- len per Infusion) zurückgegeben.

Bereits nach 90 Tagen fand man im Blut und in der Darmschleim- haut der Patienten bis zu sieben Prozent gentechnisch veränderte CD4+-Zellen, was die Forscher zu- versichtlich stimmt.

Ein bereits seit längerem disku- tierter Ansatz ist die Aktivierung der HIV-Expression in infizierten

Wirtszellen. Verschiedene Agen- zien werden derzeit darauf unter- sucht, ob sie in der Lage sind, schlummernde HI-Proviren zu ak - tivieren. Das heißt: Virusproteine müssen gebildet werden und an der Oberfläche der Zellen erscheinen, so dass diese vom Immunsystem er- kannt werden können. Unter dem Schutz einer gleichzeitigen antire- troviralen Therapie soll eine solche forcierte Virusexpression nicht zur Neuinfektion von Wirtszellen füh- ren. Gegebenenfalls soll das Im- munsystem durch HIV-spezifische Immunreagenzien (wie monoklo - nale Antikörper in Verbindung mit körpereigenen Komplementkompo- nenten oder Zelltoxinen) unterstützt werden, die HIV-infizierten Zellen abzutöten und freigesetzte Virus- partikel unschädlich zu machen.

Mögliche Mechanismen, um schlummernde HI-Proviren zu akti- vieren, sind: die Lockerung des Chromatins durch Histondeace ty - laseinhibitoren wie Vorinostat, die Aktivierung von Transkriptionsfak- toren (durch NF-ƙB) und die Akti- vierung der HIV-mRNA-Elongati- on (durch PTEF-b).

Der „proof-of-principle“ gelang mit dem – für die Onkologie ent - wickelten – Wirkstoff Vorinostat:

Hierfür hatte man 16 Versuchs - teilnehmern Blut entnommen, ihre

CD4+-Helferzellen isoliert und im Reagenzglas mit Vorinostat ver- setzt. Nach sechs Stunden war die Genexpression in den Zellen von elf Probanden signifikant hochre- guliert. Acht dieser elf Probanden bekamen dann den Wirkstoff di- rekt peroral. Bei allen ist darauf- hin die HIV-Genexpression um das Anderthalb- bis Zehnfache ange- stiegen.

HI-Proviren werden aktiv aus dem „Schläferstatus“ geholt

Es sind zahlreiche Strategien in der „pipeline“, und vielleicht, meint Prof. Sharon Lewin von der Monash University in Mel- bourne, die Präsidentin der Welt - aidskon ferenz 2014, müsse man mehrere Methoden kombinieren oder sequenziell anwenden, um letztlich zum Ziel zu kommen. Je- denfalls hat die in Wash ington gestartete globale Strategie enor- me Hoffnungen geweckt. Auf die Frage, wie lange es bis zur mög lichen Heilung dauern wird, antwortete die Vizepräsidentin der Amerikanischen Stiftung für Aids-Forschung, Prof. Rowenta Johnston, mit einem Zitat von Al- bert Einstein: „Wenn wir die Ant- wort wüssten, wäre es keine For-

schung.“

Dr. med. Vera Zylka-Menhorn

Ein weißer Truck mit der Aufschrift „mobile lab“ tourt durch die Provinz Westkap in Süd- afrika, im Innern ein Sicherheitslabor der biolo- gischen Sicherheitsstufe 3 für den Umgang mit

hochinfektiösen Erregern und modernste Kryo- technologie zum Einfrieren von Blutproben. Die Mission: Infektionskrankheiten wie Aids und

Tuberkulose an Ort und Stelle bekämpfen, wo die Ausbreitung dieser Krankheiten am größ- ten, die medizinische Infrastruktur aber am wenigsten vorhanden ist.

Das mobile S3-Labor ist eine Ent- wicklung des Fraunhofer-Instituts für Biomedizinische Technik in St. Ingbert und Sulzbach im Saarland und wurde mit der Stellenbosch-Universität/Süd- afrika realisiert.

Die Herausforderung bei der Kon- zeption: Die hochsensible Technik muss auch bei schlechten Straßen- verhältnissen und extremen klimati- schen Bedingungen einwandfrei funktionieren. Das Labor kommt ohne Versor- gungsleitungen für Strom, Wasser oder Abwas- ser aus, kann also autark betrieben werden. Der

Zugang vom Behandlungsraum zum Sicher- heitsbereich führt durch eine Personenschleuse.

Ultrafeine Luftfilter und ein Durchreiche-Auto- klav mit eigenem Wasserkreislauf sorgen dafür, dass keine Erreger in Umlauf kommen. Es gibt zwei Sterilwerkbänke und einen Sterilisator mit Vakuumdampfsterilisation für kontaminierte Gegenstände. Mit an Bord ist auch eine Kryo- bank mit bis zu 300 Liter Flüssigstickstoff-ge- kühlten Behältern zum Einfrieren infektiöser Blutproben. Sie erhalten einen elektronischen Chip, um Verwechslungen auszuschließen, be- vor sie tiefgefroren werden.

Das S3-Labor hat Internetanschluss, da- mit auf neu gewonnene Daten online zuge- griffen werden kann. Eine Fernüberwachung und die Steuerung per Satellitentelefon sind

möglich. EB

MOBILES SICHERHEITSLABOR SPÜRT HIV AUF

Foto: Fraunhofer-Gesellschaft

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