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Archiv "Möglichkeiten und Grenzen der Psychotherapie bei Colitis ulcerosa und Morbus Crohn" (13.11.1980)

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Aktuelle Medizin

ÜBERSICHTSAUFSATZ

1. Colitis ulcerosa

1.1. Überlegungen zur Ätiologie Nach epidemiologischen Untersu- chungen weisen Colitis ulcerosa und Morbus Crohn eine familiäre Häufung auf. Bei etwa acht Prozent dieser Patienten finden sich Ver- wandte ersten oder zweiten Grades, die ebenfalls an einer chronisch ent- zündlichen Darmerkrankung leiden;

dabei haben Patienten mit Morbus Crohn häufig Angehörige mit Colitis ulcerosa und umgekehrt. Die lnzi- denz der Colitis ulcerosa ist in den letzten Jahren nahezu unverändert.

Dagegen hat sich die lnzidenz des Morbus Crohn während der letzten zehn Jahre verdoppelt. Auffällig ist das häufige Vorkommen beider Er- krankungen in den Industrienatio- nen. Die Ätiologie dieser chronisch entzündlichen Darmerkrankungen ist noch immer nicht endgültig ge- klärt. Überwiegend wird heute ange- nommen, daß es sich um genetisch determinierte Erkrankungen han- delt, deren Ausbruch durch Umwelt- faktoren entscheidend mitbegün- stigt wird. Hinsichtlich dieser Um- weltfaktoren werden bei der Colitis ulcerosa einesteils Nahrungsbe- standteile, Viren und Bakterien dis- kutiert; anderenteils spezifische psy- chologische Einflüsse, deren patho- gene Wirksamkeit beim Patienten bestimmte pathopsychologische Dispositionen voraussetzt. Für die Ätiologie des Morbus Crohn stehen

in erster Linie membranveränderte Bakterien zur Diskussion (6). Dage- gen liegen noch keine verbindlichen Befunde bezüglich des ursächlichen Mitspielens psychologischer Ein- flüsse vor.

Verschiedene Untersuchungen un- abhängig voneinander arbeitender Forschungsgruppen erbrachten überzeugend gleichartige Befunde zur Psychopathologie und Psycho- dynamik des Kolitispatienten (1, 2, 3, 4, 7), die kurz dargestellt werden sollen.

Der Erstmanifestation der Kolitis be- ziehungsweise dem Rezidiv geht überaus häufig der Verlust eines — subjektiv — wichtigen Beziehungs- objektes voraus, wobei es sich um einen tatsächlichen oder drohenden oder imaginierten Objektverlust handelt. Die pathogene Wirksamkeit eines solchen Verlustes wird auf fol- gendem Hintergrund verständlich:

auf Grund bestimmter Störungen der frühkindlichen Entwicklung zeichnet sich der spätere Kolitispa- tient vor allem durch starke infantile Abhängigkeitswünsche und ein labi- les Selbstwertgefühl aus. Er bleibt abhängig von „Schlüsselfiguren", die in der Funktion eines Hilfs-lch für die Befriedigung seiner regressi- ven Bedürfnisse unumgänglich not- wendig sind.

Im Zuge des Objektverlustes kommt es nun beim Patienten zur Entglei-

Die Colitis ulcerosa gilt als je- ne internistische Erkrankung, die bisher psychodynamisch am eingehendsten geklärt wurde und hinsichtlich derer empirische Belege über die Effektivität der ergänzend an- gewandten Psychotherapie vorliegen. Sowohl im klinisch- stationären Rahmen anläßlich des Kolitisschubes als auch im Intervall anläßlich der Re- zidivprophylaxe lassen sich bestimmte psychotherapeuti- sche Strategien anwenden.

Die Kombination von interni- stischer Behandlung und Psy- chotherapie ist offensichtlich geeignet, die Dauer von Koli- tisschüben zu verkürzen, die Rezidivprophylaxe effizienter zu machen und die psychoso- ziale Rehabilitation zu för- dern. Neue klinisch-psychoso- matische Befunde sprechen dafür, daß auch bei Morbus- Crohn-Patienten psychische Faktoren teilursächlich rele- vant sein können. Bisher lie- gen jedoch keine hinreichen- den psychotherapeutischen Arbeitserfahrungen vor.

sung des Selbstwertgefühls infolge Unterbrechung der äußeren Zuwen- dungen; eine narzißtische Kränkung mit Trennungsängsten und Gefüh- len der emotionalen Ohnmacht er- folgt. Dabei auftretende — frustra- tionsbedingte — aggressive Regun- gen werden vom Patienten aufgrund der Befürchtung unterdrückt, im Falle ihres Auslebens die Zuwen- dung der Umwelt unwiderruflich zu verlieren.

Im Gefolge der Abwehr dieser ag- gressiven Regungen tritt ferner eine Depression auf, die häufig schon dem Kolitisschub unmittelbar vor- ausgeht und in Zustände der Hilflo- sigkeit und Hoffnungslosigkeit aus- münden kann. Nicht zuletzt wegen

*) Professor Dr. Gerhard Scheunert, ehemali- ger Lehrbeauftragter für Psychoanalyse der Universität Hamburg, zum 75. Geburtstag gewidmet.

Möglichkeiten und Grenzen der Psychotherapie

bei Colitis ulcerosa und Morbus Crohn

Hellmuth Freyberger, Reinhard Liedtke und Walter Wellmann*)

Aus der Abteilung für Psychosomatik und der Abteilung für Gastroenterologie und Hepatologie der Medizinischen Hochschule Hannover-Kleefeld

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Heft 46 vom 13. November

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Aktuelle Medizin

Psychotherapie bei Colitis ulcerosa und Morbus Crohn

der im allgemeinen mangelhaften In- trospektionsfähigkeit ist dem Kolitis- patienten eine rationale situations- gerechte Konfliktlösung nicht mög- lich; die (psycho-)somatische Stö- rung bricht aus.

Es darf heute als gesichert angese- hen werden, daß die beschriebenen pathopsychologischen Prozesse und Merkmale keine sekundär-psy- chischen Veränderungen infolge Wahrnehmung der oft sehr beein- trächtigenden Darmerkrankung dar- stellen.

Hinsichtlich der einzelnen psycho- physiologischen und psychobioche- mischen Zwischenglieder dieser Korrelation — psychodynamischer Endzustand „Depression" einerseits und organischer Kolonprozeß ande- rerseits — besitzen wir noch keine übereinstimmenden näheren Kennt- nisse. Bekannt ist, daß das pathoge- ne Wirksamwerden eines Erregers eine Permeabilitätsstörung der Darmwand voraussetzt. Möglicher- weise liegt hier die primäre Läsion.

Die Vorstellung, daß es sich bei der Colitis ulcerosa um ein fortlaufen- des Ursachenspektrum handelt (1), hat breite Aufnahme gefunden.

Nach ihr gruppieren sich an einem Pol des Spektrums jene Kolitisfor- men, bei denen teilursächlich neben dem primär somatischen Faktor auch psychische Faktoren maßge- bend sind. Am anderen Pol sind jene Kolitisformen angesiedelt, die vor- nehmlich primär somatischen Fak- toren entspringen.

Dieser multifaktoriellen Grundan- nahme mit Betonung biologischer Determinanten sind vor allem Kon- zepte (7) gegenüberzustellen, die generell frühe Sozialisationsbedin- gungen für die Pathogenese in den Vordergrund stellen.

Die besondere Relevanz solcher An- sätze liegt in ihrer entschiedenen Akzentuierung der sogenannten Psychosomatose als spezifisch menschliche Erkrankung. Mit Nach- druck wird das Wesen dieser Krank- heitsart in den psychosozialen Be- reich verwiesen. Diesem Standort

entsprechend ist in den letzten Jah- ren der Begriff der — gerade auch für Kolitispatienten zutreffenden — sogenannten psychosomatischen Struktur geprägt worden, dessen empirische und theoretische Impli- kationen trotz aller offenen Fragen zunehmend Anerkennung finden.

1.2. Psychotherapeutische Überlegungen

Auf der Basis der skizzierten patho- psychologischen Prozesse lassen sich bei Kolitispatienten die ersten psychotherapeutischen Schritte wie folgt formulieren:

• Substitution des „verlorenen"

Objektes durch die Schlüsselfigur

„Arzt". Bereits aus der teilnehmend- interessierten Präsenz des Arztes re- sultiert für den — durch den voraus- gegangenen Objektverlust seelisch traumatisierten — Patienten das Ge- fühl einer emotionalen Sicherung.

Q Auf dem Hintergrund einer stabi- len Arzt-Patient-Beziehung wird ver- sucht, den Patienten anzuregen, sein — subjektives — aus der narzißti- schen Kränkung folgendes Leidens- gefühl und seine aggressiven Stre- bungen zu verbalisieren und damit sprachlich ein Stück abzuführen (Katharsis). Dabei geht es — zusam- men mit dem Ansprechen der Kon- fliktsituation — auch darum, dem Pa- tienten die unterdrückte Feindselig- keit bewußter und gleichzeitig sub- jektiv erträglicher zu machen. Hier- durch erfahren die narzißtische Kränkung und die Depressivität eine Abschwächung.

Insbesondere die zweite psychothe- rapeutische Intervention setzt beim niedergelassenen Kollegen, beim Krankenhausarzt und bei der zuge- hörigen Pflegeperson ein psycholo- gisch-medizinisches Wissen voraus, das sich vor allem in Balint-Gruppen erwerben läßt.

Diese besondere Form der Psycho- therapie wird an der Medizinischen Hochschule Hannover auch von stu- dentischen Hilfstherapeuten getra- gen, die regelmäßig in Balint-Grup-

pen supervidiert werden. Es handelt sich um eine kontinuierliche emotio- nale Präsenzfunktion, die den Kern der sogenannten supportiven Psy- chotherapie darstellt. Einesteils ist dabei der Aufbau einer stabilen Ob- jektbeziehung in Richtung der Stüt- zung, Gewährung und Ermutigung ein relevantes therapeutisches Ele- ment.

Hierzu muß die ständige potentielle Verfügbarkeit des Arztes gewährlei- stet sein. Anderenteils kann der The- rapeut im Hinblick auf die Konfliktsi- tuation des Patienten auch eine ganz oberflächliche Konfrontations- und Deutungsarbeit anwenden, die unter Umständen beim Patienten ei- ne etwas gesteigerte Introspektion nach sich zieht. Aus der geschilder- ten psychotherapeutischen Arbeit mit dem Patienten resultiert nicht nur eine psychische Stabilisierung, sondern auch eine Förderung der Somatotherapie beziehungsweise eine Besserung des somatischen Prozesses.

Die Wirksamkeit der supportiven Psychotherapie läßt sich an folgen- der Untersuchung verdeutlichen (5).

In einer im wesentlichen retrospekti- ven Studie wurden zwei Gruppen von konservativ behandelten Colitis- ulcerosa-Patienten, die sich bezüg- lich der Länge der symptomfreien Intervalle statistisch signifikant un- terschieden, hinsichtlich ihrer Be- handlungsmodalitäten und ver- schiedener anderer Variablen mit- einander verglichen. Das Datenma- terial wurde aus den Krankenge- schichten, einem halbstandardisier- ten Interview, einem Intelligenztest und einem Persönlichkeitstest ge- wonnen.

Die Gruppe A (17 Patienten) setzte sich aus Patienten zusammen, deren symptomfreie Intervalle insgesamt über 50 Prozent der Krankheitsdau- er ausmachten, während der sie in ärztlicher Behandlung standen. Bei der Gruppe B (20 Patienten) betru- gen die freien Intervalle weniger als 50 Prozent der Behandlungszeit.

Die Gruppen waren unter anderem identisch hinsichtlich folgender

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Psychotherapie bei Colitis ulcerosa und Morbus Crohn

Merkmale: Erkrankungs- und Unter- suchungsalter, Rezidivhäufigkeit, Dauer der stationären Behandlun- gen, Art der medikamentösen und sonstigen Behandlungsmaßnah- men, Intelligenz, hypochondrische Einstellung.

Gruppe A unterschied sich — abge- sehen von der längeren Symptom- freiheit —von Gruppe B nur insofern, als Angaben über psychosoziale Faktoren als Krankheitsursache häufiger waren, die Zahl der konsul- tierten Ärzte geringer war und häufi- ger Zufriedenheit mit dem jeweiligen ambulanten Arzt-Patienten-Verhält- nis geäußert wurde, wobei sich die- se Zufriedenheit als unabhängig von der Einschätzung der naturwissen- schaftlichen Qualität der Behand- lung durch die Ärzte erwies.

Nach Ansicht der Autoren belegt be- sonders der letzte Teilbefund die ho- he Relevanz einer tragenden Arzt- Patient-Beziehung im Sinne eines therapeutischen Elementes bei der ambulanten Betreuung der Kolitis- patienten; wie auch das Untersu- chungsergebnis einen indirekten Beleg für die psychodynamische These des Objektverlustes als auslö- senden Faktors von Kolitisschüben darstellt.

Wenn sich beim Patienten mittels der supportiven Psychotherapie nicht nur die emotionale Sicherung verwirklichen läßt (erster Schritt), sondern auch seine Introspektion fördern läßt, um zunächst einmal sein Konfliktbewußtsein zu erhöhen (2. Schritt), kommt er für wirksame- re, gezielt konfliktbearbeitende Psy- chotherapiemaßnahmen in Frage.

Insbesondere geht es hier auch um die Anzeige zur psychoanalytisch orientierten Gruppenpsychothera- pie innerhalb eines spezifischen sta- tionären Settings. Dieses stationäre psychotherapeutische Setting, wie es unter anderem auch an der Medi- zinischen Hochschule Hannover praktiziert wird, hat vor allem zum Ziel, den Patienten gegenüber sei- nen eigenen Gefühlen verstärkt auf- zuschließen, seine Verbalisierungs- fähigkeit für emotionale Zusammen-

hänge zu erhöhen und ihm schließ- lich günstigere Möglichkeiten der inneren wie äußeren Konfliktlösung zu vermitteln. Damit sollen insbe- sondere jene Konflikte, die als Aus- lösesituationen für Kolitisschübe be- schrieben wurden, besser bewältigt werden.

Nach dem heutigen Kenntnisstand ist die supportive Psychotherapie vor allem bei Patienten mit totaler Kolitis und bei einem Teil der Patien- ten mit subtotaler Kolitis indiziert, während die Fortführung des sup- portiven Vorgehens in Richtung der konfliktbearbeitenden Verfahren be- sonders bei Patienten mit Proktosig- moiditis und beim anderen Teil der Patienten mit subtotaler Kolitis noch zur Diskussion steht.

Diese beiden unterschiedlichen Psy- chotherapieanzeigen signalisieren einen weiteren psychosomatischen Befund: Einesteils sind bei Patien- ten mit totaler Kolitis — also ausge- dehntem Befall des Dickdarms — häufig auch ausgeprägtere seeli- sche Gestörtheiten nachweisbar, die infolge ihrer Schwere die Effektivität der Psychotherapie von vornherein einschränken und oftmals lediglich supportive Interventionen ermögli- chen.

Anderenteils lassen sich bei Patien- ten mit Proktosigmoiditis — also be- grenztem Befall des Dickdarms — auch weniger schwere seelische Ge- störtheiten und deshalb günstigere Psychotherapiemöglichkeiten kon- statieren. Damit gestaltet sich nicht nur für den Internisten, sondern auch für den Psychosomatiker der therapeutische Umgang mit Prokto- sigmoiditis-Patienten erfolgverhei- ßender als mit Patienten, die an tota- ler Kolitis leiden.

Für die Wirksamkeit sowohl der supportiven Psychotherapie als auch der konfliktbearbeitenden Ver- fahren bei Colitis-ulcerosa-Patien- ten lieferte eine amerikanische For- schergruppe (4) eindrucksvolle em- pirische Belege. 57 psychotherapier- te Patienten und eine gleich starke Kontrollgruppe, die eine überein- stimmende Somatotherapie erhiel-

ten, wurden über einen langen Be- obachtungszeitraum (mindestens acht Jahre mit regelmäßigen Kon- trolluntersuchungen dreimal jähr- lich) hinsichtlich verschiedener so- matischer und psychologischer Pa- rameter erfaßt. Psychotherapeutisch wurden nicht nur die supportive Psy- chotherapie, sondern auch die kon- fliktbearbeitenden Methoden ange- wendet; die letzteren erwiesen sich als wirksamer.

Die ständig vergleichenden Befund- dokumentationen der beiden Patien- tenkollektive ergaben folgendes: Im Falle der kombinierten internistisch- psychosomatischen Therapie wurde

• der Zeitraum akuter Schübe et- was verkürzt,

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die Häufigkeit und Dauer der Re- missionen gesteigert,

• eine bessere soziale Einordnung ermöglicht,

O war allerdings die psychothera- piebedingte seelische Stabilisierung nicht regelhaft mit einer körperli- chen Besserung verknüpft.

1.3. Grenze der Psychotherapie Das vierte Teilergebnis der amerika- nischen Forschergruppe bestätigt die klinisch-psychosomatische Er- fahrung, daß wir mittels Psychothe- rapie in der Regel zwar die Psycho- dynamik des Kolitispatienten beein- flussen können, jedoch nicht immer gleichzeitig imstande sind, auch auf die somatischen Prozesse günstig zu wirken.

Diese Feststellung, die den Stellen- wert der Psychotherapie ein Stück zurücknimmt, wird verständlicher, wenn wir folgenden weiteren Ge- sichtspunkt berücksichtigen: Die Stimulation des Immunsystems, die nach Manifestation der Kolitis wahr- scheinlich deren chronische Ver- laufstendenz wesentlich mitbe- stimmt und damit für die Pathogene- se sehr wichtig ist, scheint nach dem derzeitigen Forschungsstand ein pa- thophysiologisches Geschehen zu

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Psychotherapie bei Colitis ulcerosa und Morbus Crohn

sein, das keiner psychovegetativen Beeinflussung unterliegt und damit psychotherapeutisch nicht erreich- bar ist.

Auch aufgrund dieses Gesichtspunk- tes sind folgende weitere Anmerkun- gen zur Psychotherapie des Colitis- ulcerosa-Patienten notwendig:

o Kolitisrezidive während der Psy- chotherapie oder nach deren Ab- schluß müssen nicht in jedem Falle für eine mangelhafte psychothera- peutische Effektivität sprechen.

(;) Jeder psychotherapeutische Ver- such bei Kolitispatienten muß mit ei- ner kontinuierlichen internistischen Betreuung verbunden sein. Anläß- lich eines Kolitisschubes haben in jedem Falle die therapeutischen Ak- tivitäten des Internisten Vorrang, während supportiv-psychotherapeu- tische Interventionen zwar ebenfalls angezeigt, jedoch zweitrangig sind.

Demgegenüber sollte im Verlaufe der Remission die Psychotherapie dominieren, während internistische Maßnahmen eine Art begleitender Rezidivprophylaxe darstellen.

(;) Bei einer chronisch-kontinuierli- chen Kolitis läßt sich durch psycho- therapeutische Maßnahmen der Zeitpunkt einer anstehenden Opera- tion fast niemals hinausschieben, weil sich diese Verlaufsform hin- sichtlich ihrer organischen Manife- station einer faßbaren psychovege- tativen Beeinflußbarkeit weitgehend entzieht. Dies betonen wir hier be- sonders, weil zum Psychosomatiker nicht selten Patienten mit chro- nisch-kontinuierlicher Kolitis und Operationsanzeige überwiesen wer- den, die sehr große Ängste im Hin- blick auf die Kolektomie hegen. Die- se Patienten erhoffen von der Psy- chotherapie, der sie eigentlich ohne merkliche innere Motivation gegen- überstehen, daß die Operation ver- meidbar wird.

2. Morbus Crohn

Im Gegensatz zur Colitis ulcerosa hat der Morbus Crohn bisher noch

gung seitens der Psychosomatik er- fahren. Diese Diskrepanz ist auf den ersten Blick deshalb so überra- schend, weil gerade bei einem nicht kleinen Teil der hospitalisierten Mor- bus-Crohn-Patienten immer wieder deren erhebliche psychische Ge- störtheiten auffallen, die nach unse- rer Erfahrung ebenfalls kaum sekun- där-psychische Veränderungen dar- stellen.

Die Diskrepanz läßt sich wahr- scheinlich dadurch erklären, daß die Mehrzahl der Crohn-Patienten be- züglich einer psychotherapeuti- schen Zusammenarbeit nicht so kooperativ ist, wie das die Colitis- ulcerosa-Patienten meist sind.

Psychopathologisch und psychody- namisch scheinen Crohn-Patienten zwar nicht so ausgeprägt infantil-ab- hängigkeitssuchend und nicht so stark narzißtisch-vulnerabel gegen- über Versagungen wie Colitis-ulce- rosa-Patienten zu sein. Sie neigen jedoch vor allem zu deutlich aggres- siverem Agieren und sind weniger motiviert für psychodynamische In- terviews und für Psychotherapie überhaupt.

Unsere bisherigen Arbeitserfahrun- gen im klinisch-psychosomatischen Umgang mit Crohn-Patienten zeigen aber auch, daß es eine sehr kleine Gruppe von Patienten gibt, die ähnli- che seelische Modalitäten wie Coli- tis-ulcerosa-Patienten aufweisen und ebenfalls für Psychotherapie in Frage kommen.

Zur sehr viel größeren Crohn-Patien- ten-Gruppe, die entweder Psycho- therapie von vornherein ablehnt oder wieder abbricht, gehören vor allem jene — für Internisten, Psycho- somatiker und Chirurgen gleicher- maßen problematischen — Patienten, bei denen eine Kombination von schwerer Morbus-Crohn-Verlaufs- form und hartnäckiger anorektifor- mer Reaktion — nicht selten auch als typisches Bild der Anorexia nervosa

— vorliegt.

Die derzeitige psychotherapeutische Situation des Crohn-Patienten ent-

Patienten in den 40er Jahren, als die allerersten psychologisch-medizini- schen Befunde bekannt wurden und als man als Konsequenz hiervon erst jene Therapiestrategien erproben mußte, für die heute eindrucksvolle objektivierende Dokumentationen vorliegen.

Auch im Falle des Crohn-Patienten wird es zunächst — in enger Koope- ration mit internistischen Arbeits- gruppen — konsequenter Psychothe- rapie-Versuchsanordnungen bedür- fen, ehe wir auch hier über Strate- gien verfügen, die geeignet sind, die Effektivität von internistischen Be- handlungsmaßnahmen zu erhöhen beziehungsweise den somatischen Krankheitsablauf günstig zu beein- flussen.

Literatur

(1) Engel, G. L.: Psychological process and gastrointestinal disorder, in: M. Paulson (Ed.), Gastroenterologic medicine. Lea and Febiger, Philadelphia (1969) — (2) Freyberger, H.:

Psychosomatik und Psychotherapie. in: C.

Krauspe et al. (Hrsg.), Colitis ulcerosa und granulomatosa. Urban & Schwarzenberg, München (1972) — (3) Groen, J. J.; van der Valk, J. M.: Psychosomatic aspects of ulcerative colitis. Gastroenterologica 86 (1968) 130-153 — (4) Karush, A.; Daniels, G. E.; Flood, Ch.;

O'Connor, J. F.: Psychotherapy in chronic ul- cerative colitis, Saunders, Philadelphia (1977)

— (5) Liedtke, R.; Schemmel, K.: Zepf, S.: Be- handlungsmodalität der Colitis ulcerosa und symptomfreies Intervall, Med. Klin. 67 (1972) 1666-1671 — (6) Parent. K.; Mitchell, P.: Cell wall-defective variants of Pseudomonas-Iike (Group Va) bacteria in Crohn's disease, Gas- troenterology 75 (1978) 368-372 — (7) Zepf. S.:

Die Sozialisation des psychosomatisch Kran- ken, Campus. Frankfurt (1976)

Anschrift der Verfassers:

Professor Dr. med.

Hellmuth Freyberger, Dr. med. Reinhard Liedtke, Abteilung für Psychosomatik Dr. med. Walter Wellmann,

Abteilung für Gastroenterologie und Hepatologie

Medizinische Hochschule Karl-Wiechert-Allee 9 3000 Hannover 61 (Kleefeld) keine systematische Berücksichti- spricht jener des Colitis-ulcerosa-

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