„Ein-Mann-Partei”
gezogen fühlen, sich im politischen Alltag jedoch nicht zurechtgefunden haben. Fredersdorf entwickelte das Programm, die Satzung und leitete den Frankfurter Parteitag.
Dementsprechend bildete der Frankfurter Parteitag das Podium für die Selbstdarstellung des Partei- vorsitzenden. Programmatisch im Sinne einer Verbreitung ihrer Ziele in der Öffentlichkeit äußerte sich dieser Kongreß nicht. Er beschäftig- te sich vielmehr mit Strategie und Taktik, Satzung und Geschäftsord- nung.
In seiner Rede auf der Schlußkund- gebung des Parteitages ging Fre- dersdorf noch einmal mit dem da- maligen kommissarischen Bundes- vorsitzenden der „Grünen", Herbert Gruhl MdB, ins Gericht.
Deutlich war ihm der Ärger über den zur Zeit erfolgreicheren Parteivorsit- zenden anzumerken, der der „Bür- gerpartei" weitgehend ihre Erfolgs- aussichten, zumindest aber ihre Po- pularität genommen hat.
Emil Peter Müller, Köln
—BLÜTENLESE
Clairvoyance
Lord Salisbury (1830-1903), der dreimal Ministerpräsident der Queen Victoria war (und nach dem die rhodesische — pardon zimbabwesische — Hauptstadt getauft wurde), trieb eine spektakuläre, impe- rialistische Kolonialpolitik (In- dien, Ostafrika, Sudan, Buren- krieg . . .). Ganz wohl muß ihm aber schon damals bei man- chen „Erwerbungen" nicht gewesen sein. Als Politiker mit staatsmännischem Format war ihm die Maxime eigen:
gouverner c'est prevoir. Dem angemessen ist sein Aus- spruch: „Afrika ist ein Konti- nent, geschaffen, eine eitern- de Wunde, ein Fieberherd des Foreign Office zu werden."
Dr. Fleiß
BRIEFE AN DIE REDAKTION
DEFINITION
Zu der Glosse von Prof. Dr. Michael Ar- nold: „Was ist eigentlich Medizin?" in Heft 48/1979, Seite 3206f.:
Techne
... Die Medizin ist überhaupt keine Wissenschaft, sondern eine aus- übende Tätigkeit (eine „Techne").
Diese Tätigkeit bedient sich der Wis- senschaft im Sinne einer wissen- schaftlichen Heilkunde. Die Seefahrt bedient sich der Wissenschaft und ist trotzdem keine Wissenschaft, dasselbe gilt für die Luftfahrt. Etwas näher kommt man mit der Definition, die Medizin sei eine Kunst, was ganz besonders deshalb nicht mehr an- maßend ist, weil auch sonst die Kunst heute nicht mehr so nach Vollkommenheit strebt, wie das frü- her üblich war, die Kunst hat es also den Medizinern leichter gemacht, sich den Künstlern ebenbürtig zu fühlen, was ganz sicher Albrecht Dü- rer und Michelangelo als Beleidi- gung empfunden hätten. Es ist also schon verblüffend, daß bei dieser Frage Verlegenheit aufkommen konnte. An der Gesamtschule als Bildungsgrundlage kann es noch nicht liegen.
Dr. med. Friedrich Busch Schillerstraße 16
7082 Oberkochen
SELBSTBETEILIGUNG
Zu einer (wieder) auflebenden Diskus- sion:
Gespenst
Während die Ärzteschaft in der Selbstbeteiligung der Patienten ei- nen Anreiz zur Eigenverantwortung und Kostendämpfung sieht, ist sie für den Gesundheitssenator Herbert Brückner in Bremen ein „Ge- spenst", „ein Griff in die Mottenkiste früherer gesundheitspolitischer Sünden". Als Mitglied der SPD ver- kündete Senator Brückner: „Wir werden uns mit aller gebotenen Ent- schiedenheit jedweden Versuchen entgegenstellen, vor der Inan-
spruchnahme von Gesundheitslei- stungen zusätzliche Barrieren in Form von Eigenleistungsmodellen aufzubauen". Denn jede Form der Selbstbeteiligung ginge zu Lasten der Arbeitnehmerhaushalte. Daher könne „Kostendämpfung auf dem Gesundheitssektor nur in die Ver- antwortung der Ärzte fallen". (Quel- le: „Kreiszeitung" Syke)
Dr. Lothar Nath 2803 Melchiorshausen
UNBEWUSSTES
Zu der Bemerkung (unter „Post scrip- tum") „Klassische Konditionierung" in Heft 42/1979, Seite 2790:
Natürlich
schon bei Goethe
Der „Kernsatz der Neurosenlehre von Freud und seiner Lehre vom Un- bewußten" (so muß es richtig hei- ßen! Freud sprach, soviel ich weiß, nie vom Unter-, sondern immer vom Unbewußten!) ist nicht nur, wie Sie ... durch Kollegen Weinmann mitteilen lassen, von Balzac vorweg- genommen. Vielmehr findet sich ei- ne solche Vorwegnahme oder erste Formulierung bereits bei Goethe, und zwar in seinem Gedicht „An den
Mond", wo es nicht nur, in der er- sten Strophe, heißt „ ... Lösest end- lich auch einmal Meine Seele ganz . ..", sondern, in der Schluß- strophe noch deutlicher: „ . .. Was vom Menschen nicht gewußt, oder nicht bedacht, Durch das Labyrinth der Brust Wandelt in der Nacht."
Daß Goethe, wie man aus der vor- letzten Strophe sieht, andere, freundlichere Vorstellungen von dem hatte, was sich dann später als Psychoanalyse entwickeln sollte („Selig, wer sich vor der Welt Ohne Haß verschließt, Einen Freund am Busen hält Und mit dem ge- nießt .. .") steht auf einem anderen Blatt; und auch dies, daß vom Voll- mond, wie es Goethe treffend wie- dergibt und wie der Einsender die- ser Zeilen bestätigen kann, psycho- lytische, kathartische und abreagie- rende Einflüsse ausgehen können.>
990 Heft 15 vom 10. April 1980 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT
Aufsätze • Notizen Briefe an die Redaktion
(Über Klassizität, Genialität, Einfach- heit, Schönheit, Formvollendung und Stimmungsgehalt der Goethe- schen Gedanken sich hier auszulas- sen hieße das Thema dieses Bei- trags sprengen!)
Dr. med. Wolfgang Rupprecht Langbürg nerseestraße 24/1 8207 Endorf/Obb.
ERLEBNISDEFIZIT
Zu dem Brief „Erlebnisdefizit" in Heft 5/
1980, Seite 275:
Wirklich ergreifend
Wenn sich viele Ärzte der therapeuti- schen Empfehlung von Herrn Dirk Arntzen anschließen, dann werden viele, viele Kinder ihr „Fieber-Erle- ben", ihre Krankheit wirklich durch- machen dürfen. Dann brauchen wir allerdings auch keine Sorgen mehr darum zu haben, daß den Herz(klap- pen)chirurgen das „Krankengut"
ausgeht, nachdem wir das rheumati- sche Fieber durch intensive antibio- tische Therapie fast zum Verschwin- den gebracht haben.
Es ist doch wohlgetan, wenn immer wieder jemand dafür sorgen will, daß subtile, kostspielige und mit nicht unerheblicher Mortalität be- haftete chirurgische Künste nicht ad acta gelegt zu werden brauchen. Je- dem Kind sein Krankheitserlebnis — 30 Jahre später in tabula wiederholt.
Wirklich ergreifend.
Wer nicht weiß, was uns ältere Hauss, Hoff, Kikuth, Letterer und vie- le andere gelehrt haben: Jeder virale Infekt ist spätestens am dritten Tag super- oder mischinfiziert. Jede bak- terielle und gerade die sogenannte banale Entzündung beziehungswei- se Infektion hinterläßt irgendwo im Mesenchym der Gefäßwand ihr Do- kument. Wer das nicht weiß, der hat entweder beim Studium gerade ge- fehlt, oder er gehört schon zur „Mu- tiple-choice-Generation".
Dr. med. Georg Munck Meisenweg 2
7030 Böblingen-Tannenberg
NEUBILDUNG
Zu dem Bericht über die Hartmannbund- Hauptversammlung: „Wider die Überfor- derung des Sozialstaates" in Heft 2/1980:
SPD-Urologen?
In meinem Alter (Jahrgang 11) hat man hier und da Schwierigkeiten, all das zu verstehen, was so geschrie- ben wird. Fremdwörter, Fachaus- drücke, neue Begriffe, verwandte Fachrichtungen, Slang, Sprache der Jugend oder der Fernsehmoderato-
ren machen unsereinem zu schaf- fen.
Nun haben Sie auf Seite 70, 3. Spal- te, den „Katheter-Sozialisten" ein- geführt, und ich wüßte nun gern, ob es sich da um eine besonders weit links stehende Gruppe der SPD han- delt, ob es eine Fachgruppe der Uro- logie-Pfleger ist oder eine gemischte Gruppe. Im fortschrittlichen Bremen war man gestern abend noch nicht unterrichtet, aber gerade dort ließe sich vielleicht ein Lehrstuhl (Kathe- der) für dieses Fach errichten, damit der Name „Universität" mehr unter- mauert wird.
Dr. med. H. Voigtlaender 2860 Osterholz-Scharmbeck
MULTIPLE CHOICE
Zu dem Artikel „Mißerfolgsquote stark erhöht — wo liegen die Ursachen?" von Dr. jur. H. J. Kraemer (Heft 9/1980):
Wurm im Studium
Meiner Meinung nach können wir noch soviel mit Statistiken belegen wollen, der Wurm des Medizinstu- diums liegt einzig und allein im
„Multiple-choice"-Fragesystem.
Dieses System kann einfach kein fundamentiertes Wissen erfolgssi- cher abfragen, sei es mit 50 Prozent oder 60 Prozent Bestehensregel. Es werden nämlich keine relevanten Wissenszusammenhänge geprüft, auch nicht durch die sogenannten Verknüpfungsfragen, sondern wahl- los irgendwelche Fakten. Ich möch-
te dabei nicht weiter auf die sehr oft verwirrenden Fragestellungen und Antworten eingehen — man muß be- denken: in 90 Sekunden Frage le- sen, verstehen, beantworten, in Computerbogen eintragen —, son- dern eine Bitte an die Verantwortli- chen richten: Schafft das MC-Sy- stern ab oder ändert die Totalität des MC-Systems, das heißt, daß eine zum Beispiel 3/4 richtig beantwortete Frage nicht als total falsch gewertet wird! Ich sehe sonst in Zukunft nur noch Studenten (mich eingeschlos- sen), die MC-Fragen beantworten können, aber keine Mediziner sind!
stud. med. Andreas Rieger Am Deipensiek 6
3200 Hildesheim
ZIVILISATION
Zu zwei Beiträgen in den Heften 36 und 44/1979:
Resonanz
Im September brachte das DEUT- SCHE ÄRZTEBLATT einen vorzügli- chen Artikel von Dr. Hermann Kater über die ungeheuren gesundheitli- chen Gefahren, die durch die zuneh- mende Umweltvergiftung entstehen.
Jeder aufmerksame Leser mußte daraus schließen, daß diese Gifte ei- ne der Hauptursachen der zuneh- menden Zivilisationskrankheiten sind. Es fehlt jedoch jede Resonanz (mit Ausnahme von kritischen Äuße- rungen in Heft 45/1979; die Red.). Im Gegenteil: In Heft 44 erscheint ein ausführlicher Artikel von Friedrich Wilhelm Schwartz zu eben diesem Thema: „Prävention — eine perma- nente Herausforderung". Die oben erwähnte wichtigste Ursache, die man durch geeignete Gesetze weit- gehend reduzieren und damit echt präventiv angehen könnte, wird in diesem Artikel schlicht und einfach übergangen. Welchen Reim sollen wir Leser uns aus dieser Diskrepanz machen?
Dr. med. Walter Harless prakt. Arzt (Naturheilverfahren) Residenzstraße 20
8000 München 2
DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Heft 15 vom 10. April 1980 991