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Archiv "Pharmakologische Grundlagen der Schmerztherapie" (04.05.1984)

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(1)

Aktuelle Medizin

Zur Fortbildung

Pharmakologische Grundlagen der Schmerztherapie

Ilmar Jurna

Aus dem Institut für Pharmakologie und Toxikologie der Universität des Saarlandes

E

ine Schädigung von Gewebe durch eine Noxe aktiviert das nozizeptive System (Dar- stellung 1), das für das gesamte Spektrum von Reaktionen auf ei- nen Schmerzreiz, einschließlich der Schmerzwahrnehmung und des Schmerzerlebnisses, verant- wortlich ist. Diese Reaktionen lau- fen auf verschiedenen Ebenen des peripheren und zentralen Nervensystems ab, auf denen Pharmaka angreifen können, die zur Bekämpfung von Schmerzzu- ständen verwendet werden. Hier- zu sind Analgetika im strengen Sinn zu rechnen, aber auch Tran- quillantien mit zentral muskelrela- xierender Eigenschaft, Neurolep- tika und Antidepressiva sowie ei- nige Antiepileptika.

Durch die Gewebeschädigung wird eine Bildung und Freiset- zung von Bradykinin, Histamin, 5-Hydroxytryptamin und Prosta- glandin E2 ausgelöst. Diese alge- tisch wirkenden Substanzen erre- gen Nozizeptoren, die freie Endi- gungen sensibler Nervenfasern sind. Es handelt sich hierbei um markhaltige AS-Fasern und mark- lose C-Fasern, die als nozizeptive Afferenzen die Erregung aus der geschädigten Peripherie ins Zen- tralnervensystem leiten. Sie en- den größtenteils in der Substantia gelatinosa im Hinterhorn des Rük-

Mit Analgetika werden Schmerzen beseitigt durch Angriff an verschiedenen Teilen des nozizeptiven Sy- stems. Sie werden auf ver- schiedenen Ebenen des pe- ripheren und zentralen Ner- vensystems wirksam. Auch Tranquillantien, Neurolepti-

ka und Antidepressiva kön- nen die Schmerzempfin- dung vermindern. Morphin und verwandte Substanzen sind die potentesten Anal- getika, weil sie an allen Tei- len des nozizeptiven Sy- stems angreifen. Die Thera- pie chronischer Schmerzen sollte in Schmerzambulan- zen eingeleitet werden.

kenmarkes, wo sie Synapsen mit Neuronen bilden, die die motori- schen und sensiblen Antworten des nozizeptiven Systems im Rük- kenmark vermitteln. Motorische Antworten auf eine Aktivierung nozizeptiver Afferenzen sind die nozizeptiven Reflexe. Sie beste- hen einerseits aus Flexorreflex- aktivität auf der Seite der Schädi- gung, andererseits aus gekreuz- ten Extensorreflexen, die auf der gegenüberliegenden Seite ablau- fen und die Flexorreflexaktivität unterstützen. Nozizeptive Reflexe

sind brüske Fluchtbewegungen, die beispielsweise durch Berüh- ren eines heißen Gegenstandes ausgelöst werden, und die toni- schen Muskelkontraktionen bei Schonhaltungen und Muskelver- spannungen. Die sensible Antwort ist die Aktivität, die in den aszen- dierenden Axonen des Tractus spinothalamicus ausgelöst wird, zu den unspezifischen thalami- schen Kernen aufsteigt und von dort über entsprechende Projek- tionen die Assoziationsreale der Hirnrinde erreicht. Sie wird als Schmerz wahrgenommen und in ein subjektives Schmerzerlebnis umgesetzt. Über Projektionen zum limbischen System beein- flußt sie die Stimmungslage. Über Kollaterale, die von Axonen des Tractus spinothalamicus in die Formatio reticularis des Hirnstam- mes abgehen, werden vegetative Funktionen (z. B. Herzfrequenz, Blutdruck, Atmung, Schweißse- kretion) sowie der Wachzustand verändert.

Schwach wirksame Analgetika vom Typ der Acetylsalicylsäure Prostaglandin E 2 selbst erregt die Nozizeptoren nicht, bestimmt je- doch deren Erregbarkeit durch die algetisch wirkenden Substan- zen. Fehlt Prostaglandin E2 im Ge-

(2)

unspezifische thalamische Kerne

periaquäduktales Grau

Raphä-Kerne

vegetative Zentren Schlaf- und Wachzentren

webe, ist die Empfindlichkeit der Nozizeptoren gegenüber Bradyki- nin, Histamin und 5-Hydroxytrypt- amin ganz erheblich vermindert.

Da Kortikosteroide durch Hem- mung der Bildung von Arachidon- säure aus Phospholipiden und Substanzen vom Typ der Acetylsa- licylsäure durch Hemmung der Cyclooxygenase die Konzentra- tion von Prostaglandin E2 in ver- letztem oder entzündetem Gewe- be vermindern, verringern sie den Impulseinstrom in den nozizepti- ven Afferenzen und dadurch schließlich die Schmerzwahrneh- mung. Auf diese Weise dämpfen sie außerdem nozizeptive Re- flexaktivität und unterbrechen

den Circulus vitiosus, der sich bei Myalgien und Ischialgien durch ständigen schmerzhaften Zug an Sehnen, Bändern und Gelenkkap- seln aufbaut. Wegen der Wirkung auf die Prostaglandinsynthese werden Analgetika wie Acetylsali- cylsäure häufig als „peripher wir- kende Analgetika" den „zentral wirkenden Analgetika" vom Typ des Morphins gegenübergestellt.

Sehr wahrscheinlich jedoch be- seitigen Acetylsalicylsäure, Pyra- zolonderivate wie Metamizol und das Aminophenolderivat Parace- tamol Schmerzen auch durch eine zentrale Wirkung. Dafür spricht u. a., daß Kortikosteroide bei der Behandlung banaler Kopfschmer-

zen wirkungslos sind, obwohl sie wie Acetylsalicylsäure die Pro- staglandinsynthese hemmen, und daß Indometacin, das die Cy- clooxygenase weitaus stärker als Acetylsalicylsäure hemmt, sogar Kopfschmerzen verursachen kann.

Substanzen dieser Gruppe sind in der Tabelle 1 unter Berücksichti- gung der durch sie beherrschba- ren Schmerzen als „schwach wirksame Analgetika" zusammen- gefaßt, denn sie sind (mit Ausnah- me von Metamizol) nicht bei star- ken Schmerzen wirksam. Für sie findet man auch häufig die Be- zeichnung „kleine Analgetika".

Alle in der Tabelle aufgeführten Substanzen wirken fiebersenkend

Darstellung 1: Schematische Dar- stellung des nozizeptiven Systems.

Eine Gewebeschädigung führt zur Erregung von Nozizeptoren und da- durch zur Aktivierung nozizeptiver Afferenzen (A b- und C-Fasern). Die Erregung wird in der Substantia ge- latinosa im Hinterhorn des Rücken- markes auf Neurone übergeleitet, die an nozizeptiven Reflexen betei- ligt sind oder mit ihren Axonen den Tractus spinothalamicus bilden. Die- se Axone geben Kollateralen in die Formatio reticularis des Stammhirns ab, über die vegetative Funktionen und der Wachzustand verändert werden, und enden in den unspezi- fischen thalamischen Kernen, die für die Schmerzwahrnehmung von Bedeutung sind. Projektionen zum limbischen System und den Asso- ziationsarealen der Großhirnrinde sind für die emotionale und affekti- ve Verarbeitung bzw. für das sub- jektive Erlebnis des Schmerzes verantwortlich. Die Erregungs- überleitung im Hinterhorn des Rückenmarkes wird durch ein end- orphinerges Neuron (schwarzer Zeltkörper und schwarze Terminale) und durch eine aus dem periaquä- duktalen Grau und den Raphe- Kernen absteigende Bahn (schwar- ze Terminale) gehemmt

(3)

Schwach wirksame Analgetika') Handelsnamen 2)

Derivate schwacher Carbonsäuren

Einzeldosis (g) beim Erwachsenen

Plasma- halb- wertzeit

Acetylsalicyl- säure

O Acemetacin O Carprofen O Diclofenac O Fenoprofen O Floctafenin O Flufenamin-

säure O Flurbiprofen O Glafenin O Ibuprofen O Indometacin

O Indoprofen O Ketoprofen O Lonazolac O Mefenamin-

säure O Naproxen O Nifluminsäure O Tolmetin

Acetylin®, Acidum acetylosalicylicum, Apyron®, Aspirin®, As- pirol®, Aspro®, ASS- ratiopharma®, ASS- Woelm®, Canocyl®, Delgesic®, Hagedab- letten, Acidum acety- losalicylicum®, Hal- gon®, Solpyron®, Te- magin®, Trineral®

Rantudil®

Imadyl®

Voltaren®

Feprona®

ldarac®

Arlef®, Sastridex®

Froben®

Glifanan®

Dolgit®, Mono-Attri- tin®

Amuno®, Argun®, In- domet, Indo-Phlo- gont®, Indorektale, In- do-Tablinene, Vo- num®

Flosin®

Alrheumum®, Orudis®

Irritren®

Parkemed®, Ponalar®

Proxen®

Actol®

Tolectin®

0,5-3,0

0,03-0,06 0,3-0,6 0,1-0,2 1,8-2,4 0,2-1,0 0,3-0,6 0,15-0,2 0,4-0,8 0,9-1,6 0,075-0,2

0,2-0,8 0,1-0,3 0,6 0,6-1,0 0,5-0,75 0,5-1,0 0,6-1,2

3-6 (je nach Dosis)

1-2 3 9

3-11

2

3-4 12-15

Pyrazolon- derivate

Propyphenazon Metamizol

in vielen Mischpräpa- raten

Novalgin®, Novaminsulfon®

0,5-2,0 7-10

Aminophenol- derivat

Paracetamol Anaflon®, ben-u-rone, Enelfa®

0,5-1,0 2-3 Tabelle 1

1) ausschließlich Monopräparate

2) es sind ausschließlich Präparate be- rücksichtigt, die in der Roten Liste zur Behandlung von Schmerzen einschließ- lich Lumbago ausgewiesen sind 0 Substanzen sind nur bei Schmerzen entzündlicher Genese als Analgetika von therapeutischem Nutzen

und, mit Ausnahme von Paraceta- mol, entzündungshemmend.

Wichtig für eine reine Schmerz- therapie sind nur Acetylsalicylsäu- re, Metamizol und Paracetamol.

Bei Schmerzzuständen nichtent- zündlicher Genese ist Acetylsali- cylsäure den übrigen Derivaten schwacher Carbonsäuren vorzu- ziehen. Bei allen diesen Derivaten ist wie bei der Acetylsalicylsäure mit gastrointestinalen Beschwer- den, Schädigung der Magen- schleimhaut, okkulten Blutungen und Ausbildung bzw. Reaktivie- rung von Ulzera zu rechnen. Dies ist auf die Hemmung der Synthese von Prostaglandin E2 und Prosta- cyclin zurückzuführen, die eine Schutzwirkung auf die Magen- schleimhaut ausüben, so daß die epithelschädigende Wirkung der Substanzen voll zur Wirkung ge- langt. Bei gleichzeitiger Aufnah- me von Alkohol wird die ulzeroge- ne Wirkung verstärkt.

Die Hemmung der Cyclooxygena- se, die für die Überführung von Arachidonsäure in Peroxide ver- antwortlich ist, aus denen Prosta- glandine entstehen, führt außer- dem zu einer Anhäufung von Arachidonsäure, aus denen nun vermehrt Leukotriene gebildet werden; diese wirken broncho- konstriktorisch, was zusammen mit der verminderten Bildung von bronchospasmolytisch wirken- dem Prostaglandin E2 bei entspre- chender Prädisposition einen Asthmaanfall auslösen kann. Ace- tylsalicylsäure bewirkt eine starke und lang anhaltende Hemmung der Thrombozytenaggregation, was bei Blutgerinnungsstörungen zu beachten ist. Da sie die tubulä- re Sekretion der Harnsäure behin- dert, sollte sie bei einer Gicht ver- mieden werden. Die Brauchbar- keit von Indometacin wird durch die Häufigkeit von Kopfschmerz

(4)

zum

(13

Thalamus nozizeptive

Afferenz

• O

und Schwindel als Nebenwirkun- gen erheblich eingeschränkt.

Propyphenazon hat Aminophena- zon („Pyramidon") wegen der Ge- fahr der Bildung des karzinogen wirksamen Dimethylnitrosamins im Organismus in vielen Misch- präparaten ersetzt. Außerdem wurde die Möglichkeit der Ausbil- dung einer Agranulozytose beim Aminophenazon besonders hoch eingeschätzt; sie scheint beim Propyphenazon geringer zu sein.

Da die Anwendung von Kombina- tionspräparaten gegenüber einer Monotherapie keine nennenswer- ten Vorteile bietet, sollte man auf sie verzichten. Unbedingt abzura-

Darstellung 2: Synaptische Verbin- dung zwischen einer nozizeptiven Afferenz und einem Neuron, dessen Axon im Tractus spinothalamicus zum Gehirn aufsteigt. Die Erre- gungsüberleitung im Bereich dieser Synapse wird durch ein Endorphin aus dem mit E gekennzeichneten endorphinergen Neuron oder durch 5-Hydroxytryptamin (5-HT) oder Substanz P (SP) gehemmt, die aus den entsprechenden Neuronen frei- gesetzt werden. Morphin und ver- wandte Opioide wirken wie das Endorphin durch Bindung an Opiat- rezeptoren. Aus einem GABA-ergen

ten ist von Kombinationspräpara- ten, die Barbiturate bzw. Brom- carbamide enthalten, da sie Ab- hängigkeit verursachen können.

Metamizol ist das stärkste von al- len in der Tabelle 1 aufgeführten Analgetika und bei schweren aku- ten Schmerzen eine erwägens- werte Alternative zu den Opioden.

Im Gegensatz zu diesen besitzt es spasmolytische Eigenschaften, die therapeutisch zu nutzen sind.

Nachteilig ist, daß es wie alle Pyra- zolonderivate eine Agranulozyto- se auslösen kann. Kreislauf- schocks mit tödlichem Verlauf wurden vor allem bei intravenöser Verabfolgung hoher Dosen beob-

Neuron wird GABA (y-Aminobutter- säure) freigesetzt, die an einem GABA-Rezeptor an der Terminale der nozizeptiven Afferenz gebunden wird und dadurch die Erregungs- überleitung hemmt. Benzodiazepin- derivate greifen am GABA-Rezeptor- komplex an und fördern die durch GABA vermittelte Hemmung.

Ähnliche Möglichkeiten einer morphinsynergistischen Hemmung durch Substanzen, die nicht an Opiatrezeptoren, sondern an anderen Rezeptoren angreifen, gibt es in verschiedenen Teilen des nozizeptiven Systems

achtet. Allergische Reaktionen scheinen neben der erschlaffen- den Wirkung auf die glatte Gefäß- muskulatur dafür verantwortlich zu sein. Es wird zwar allgemein angenommen, daß schwach wirk- same Analgetika Leber- und Nie- renschäden auslösen können, je- doch sind Leberschäden mit Si- cherheit nur bei Paracetamol nachgewiesen worden.

Stark wirksame Analgetika vom Typ des Morphins

Die Substantia gelatinosa im Hin- terhorn des Rückenmarkes, wo die Erregungsüberleitung von den nozizeptiven Afferenzen auf nach- geschaltete Neurone erfolgt, ist reich an Opiatrezeptoren und kör- pereigenen opiatähnlich wirken- den Peptiden (Endorphinen (1)).

Wenn diese aus endorphinergen Neuronen freigesetzt werden, oder wenn Morphin und verwand- te Analgetika nach systemischer Anwendung die Substantia gelati- nosa auf dem Blutweg erreichen, binden sie sich an die Opiatrezep- toren und blockieren die Erre- gungsüberleitung. Zur Durchfüh- rung einer Spinalanalgesie sub- dural oder epidural injiziertes Morphin (2) schaltet die Schmerz- wahrnehmung und nozizeptive Reflexe im Rückenmark selektiv aus, ohne andere Sinneswahrneh- mungen in der Peripherie, die Willkürmotorik oder die Funktion des Grenzstranges zu beeinträch- tigen, wie das bei der Spinalanäs-

thesie mit Lokalanästhetika ge- schieht.

Da die Wahrnehmung von Schmerzen u. a. von der Erwar- tungsangst abhängt, können Ben- zodiazepinderivate durch ihre an- xiolytischen und vigilanzmindern- den Eigenschaften schmerz- dämpfend wirksam werden. Zum anderen sind sie in der Lage, die Erregungsüberleitung von den nozizeptiven Afferenzen auf nach- geschaltete Neurone des nozizep- tiven Systems im Rückenmark, einschließlich derjenigen, die ihr Axon im Tractus spinothalamicus

(5)

Stark wirksame Analgetika') Handels-

namen

Einzeldosis (g)

beim Erwachse- nen

Anwen- dungs- weise

Wirkungs- dauer in Stunden

0,01-0,015 0,01-0,015 0,03-0,06

i. v.

s. c., i. m.

oral

Morphin 2

2-4 4-5 Cetobemidon Cliradon® 0,005-0,015 oral, rectal

s. c., i. m.

4-5 Dextromoramid

Hydromorphon

Jetrium®

Dilaudid®

0,0035-0,007 0,002 0,0025

1-2 2-3 Levomethadon L-Polami-

don®

0,0025 oral, s. c., i. m.

5-7 Oxycodon

Pentazocin Pethidin

Eukodal®

Fortral®

Dolantin®

0,005-0,02 0,025-0,05 0,1-0,15

oral, s. c., i. m.

oral, rectal, s. c., i. m.

oral, rectal, s. c., i. m., i. v.

Piritramid Tramadol

Dipido- lo

Tramal®

0,007-0,03 0,05-0,1

i. v., i. m.

oral, rectal, s. c., i. m., i. v.

2-4 4-6

1) ausschließlich Monopräparate

oral s. c., i. m.

oral

4-5 2-3 2-4

Tabelle 2 hirnwärts aufsteigen lassen, da-

durch zu beeinträchtigen, daß sie die durch den inhibitorischen Überträgerstoff y-Aminobutter- säure (GABA) vermittelte Hem- mung fördern (Darstellung 2).

Die beiden Antiepileptika Pheny- toin (Phenydan®, Zentropil®) und Carbamazepin (Tegretal®, Timo- nil®) beseitigen die Schmerzen bei der Trigeminusneuralgie durch Hemmung der synapti- schen Erregungsüberleitung von den nozizeptiven Afferenzen auf nachgeschaltete Neurone in der Substantia gelatinosa des sensi- blen Trigeminuskerns.

Die nozizeptive Erregungsüberlei- tung untersteht einer hemmen- den Kontrolle aus dem periaquä- duktalen Grau (PAG) und den Ra- phe-Kernen. Elektrische Reizung mit stereotaktisch in diese Hirn- stammgebiete eingebrachten Elektroden kann bei Patienten mit chronischen Schmerzzustän- den, die medikamentös nicht oder nicht mehr zu beherrschen sind, Erleichterung verschaffen.

Gleichzeitig werden nozizeptive Reflexe gehemmt. Morphin wirkt wie eine derartige elektrische Rei- zung im Hirnstamm; es aktiviert die deszendierende Hemmung aus dem PAG und den Raphe-Ker- nen und unterdrückt folglich nozi- zeptive Aktivität im Rückenmark durch Angriff auf spinaler und supraspinaler Ebene. Die spinalen Mechanismen der Analgesie wer- den derzeit weitaus besser ver- standen als die Vorgänge im Ge- hirn, die die Schmerzverarbei- tung beeinflussen. Ohne Zweifel dämpft aber Morphin die Schmerz- empfindung auch durch Angriff an verschiedenen Hirnarealen.

Seitdem bekannt ist, daß es seine Wirkungen durch Bindung an Opiatrezeptoren entfaltet, kann eine besonders große Dichte von Rezeptoren in Verbindung mit ei- ner hohen Konzentration von En- dorphinen Hinweise auf die dafür in Frage kommenden Regionen liefern. Eine große Zahl von Opiat- rezeptoren und eine hohe Endor- phinkonzentration finden sich,

wie schon erwähnt, in der Sub- stantia gelatinosa, wo Morphin die nozizeptive Erregungsüberleitung blockiert, sowie im PAG und den Raphe-Kernen, von wo Morphin durch die Aktivierung deszendie- render Hemmung zusätzlich die spinale Erregungsüberleitung dämpft. Weiterhin ist diese Be- sonderheit in folgenden Berei- chen vorhanden: (1) in thalami- schen Kernen mit Projektionen zu Assoziationsarealen der Großhirn- rinde; sie spielen eine wichtige Rolle bei der Schmerzverarbei- tung; (2) im nigrostriatalen Sy- stem, das u. a. die Aktivität im no- zizeptiven System kontrolliert;

hier können Neuroleptika durch

Angriff an Dopaminrezeptoren die Schmerzempfindung vermindern;

(3) im limbischen System als Basis der emotionalen und affektiven Schmerzverarbeitung; hier lösen Morphin und verwandte Analgeti- ka ihre euphorisierende Wirkung aus, die schließlich zum Abusus führen kann, und dies ist wahr- scheinlich auch der Ort, wo Anti- depressiva die Schmerzempfin- dung beeinflussen.

Die Tatsache, daß Morphin und verwandte Opioide im Gegensatz zu anderen schmerzdämpfenden Substanzen an verschiedenen Teilen des nozizeptiven Systems angreifen, macht verständlich,

(6)

Buprenor- phin**) Codein*) Dextroprop- oxyphen*) Nefopam**)

Handels- namen

Temge- sic®

Develin (D- retard Ajan®

Einzel- dosis (g) beim

Erwachsenen 0,0003-0,0006 0,0002-0,0006 0,03-0,06 0,15 0,02-0,03

Anwen- dungs- weise

1. v.

i. m., sub- lingual oral, rec- tal, s. c.

oral oral, s. c., i. m.

Wir- kungs- dauer in Stun- den 4-8

3-5

3-4

') geringe Affinität zu Opiatrezeptoren

—) Wirkung wird durch Opiatantagonisten nicht aufgehoben

Analgetika mit morphinähnlicher Wirkung

Tabelle 3

daß sie die potentesten Analgeti- ka sind. Sie sind in der Tabelle 2 als „stark wirksame Analgetika"

aufgeführt, da sie auch bei star- ken Schmerzen wirksam sind, bei denen andere Analgetika im allge- meinen versagen (Ausnahme:

Buprenorphin in Tabelle 3). Sie wirken durch Bindung an Opiatre- zeptoren; ihre Wirkung wird daher durch Anwendung eines Opiat- antagonisten stark abgeschwächt oder aufgehoben, was für die Be- seitigung einer Atemdepression infolge Überdosierung oder Be- handlung einer akuten Intoxika- tion von Bedeutung ist.

Pentazocin besitzt neben seiner agonistischen (z. B. analgeti- schen) opiatantagonistische Ei- genschaften und kann deshalb bei einer Opiatgewöhnung Ent- zugserscheinungen hervorrufen.

Tilidin ist nicht als Monosubstanz im Handel, sondern in einer Kom- bination mit dem Opiatantagoni- sten Naloxon (als Valoron-N 8 ). Die Frage, ob diese Kombination sinn- voll ist, ist umstritten. Die in der Tabelle 2 (und in Tabelle 3) ange- gebenen therapeutischen Einzel- dosen gelten nur für den Erwach- senen, bei dem sich noch keine Gewöhnung ausgebildet hat. Alle Substanzen haben dieselben Wir- kungen wie Morphin.

Schmerzfreiheit stellt sich nach i. v. Injektion von Morphin, Pethi- din und Piritramid schon inner- halb von 20 Minuten ein; sie hält allerdings nur etwa 2 Stunden an.

So angewendet eignen sich diese Substanzen besonders zur Be- handlung starker akuter Schmerz- zustände wie beispielsweise beim Myokardinfarkt. Bei diesem sind nicht nur die analgetische und se- dierende Eigenschaft von Mor- phin und seinen Verwandten gün- stig, sondern auch die Hemmung der reflektorischen Aktivierung der Sympathikuszentren (sog. kar- dioprotektive Wirkung), die auch für die Neigung zum orthostati- schen Kollaps (besonders nach i. v. Injektion) verantwortlich ist.

Bei chronischen Schmerzzustän- den wie dem präterminalen Karzi- nomschmerz empfiehlt sich die orale Anwendung von Analgetika mit langer Wirkungsdauer (Mor- phin, Cetobemidon, Levometha- don, Oxycodon und Tramal sowie Buprenorphin aus Tabelle 3). We- gen eines „first-pass"-Effektes ist allerdings die Ausbildung einer analgetischen Wirkung bei oraler Anwendung von Morphin nicht so sicher wie bei parenteraler. Die Verwandten des Morphins zeich- nen sich dadurch aus, daß sie oral oder parenteral gegeben gleicher- maßen gut zur Wirkung gelangen.

Wenn starke Schmerzen vorlie- gen, ist eine Atemdepression mit meßbaren Änderungen der Sauer- stoff- und Kohlendioxidkonzentra- tion im Blut bei Anwendung thera- peutischer Dosen praktisch nicht nachweisbar. Verhältnismäßig häufige Nebenwirkungen sind je- doch Nausea und Erbrechen, die durch Antiemetika verhindert wer- den können. Morphin und seine Verwandten dürfen nicht zusam- men mit Schlafmitteln verwendet werden. Von Alkoholgenuß wäh- rend der Anwendung starker Anal- getika ist wegen der Möglichkeit, daß Verwirrtheitszustände ausge- löst werden, unbedingt abzuraten.

Alle stark wirksamen Analgetika verlängern die Darmpassagezeit und hemmen die sekretorische Aktivität der Darmschleimhaut;

Obstipation ist die Folge. Sie er- zeugen Spasmen der glatten Mus- kulatur (Vorsicht bei Pankreatitis:

Spasmus des Sphincter Oddi), weswegen bei Koliken zusätzlich Spasmolytika gegeben werden müssen. Die häufig beobachtete Harnverhaltung, besonders bei Prädisposition durch Prostatahy- pertrophie, ist Folge der spasmo- genen Wirkung sowie auch einer Hemmung des Miktionsreflexes.

Da Opioide und Morphin auch den Liquordruck steigern können, sollten sie bei Kopftraumen ver- mieden werden. Vorsicht ist auch bei Krampfleiden geboten, da die Krampfbereitschaft gefördert wer- den kann.

Die in der Tabelle 3 aufgeführten Analgetika haben dieselben Wir- kungen wie Morphin, unterschei- den sich von diesem bzw. den üb- rigen in Tabelle 2 aufgeführten Analgetika dadurch, daß sie ent- weder sehr schlecht an Opiatre- zeptoren binden (Codein, Dex- tropropoxyphen) oder ihre Wir- kung durch Opiatantagonisten nicht aufgehoben wird (Buprenor- phin, Nefopam). Eine Atemde- pression infolge Überdosierung von Buprenorphin läßt sich durch Doxapram (Dopram®), ein Atem- analeptikum, abschwächen. Bu- prenorphin besitzt neben seinen

(7)

agonistischen (z. B. analgeti- schen) auch opiatantagonistische Eigenschaften und kann bei einer Gewöhnung Entzugserscheinun- gen hervorrufen. Nach i. v. Injek- tion setzt seine analgetische Wir- kung schon nach 10 Minuten ein, ist jedoch von kürzerer Dauer als nach sublingualer Anwendung, die sich besonders zur Behand- lung chronischer Schmerzzustän- de empfiehlt. Es ist bei starken Schmerzen wirksam, während die Wirkung von Codein, Nefopam und Dextropropoxyphen derjenigen der Acetylsalicylsäure entspricht.

Auch die in Tabelle 3 aufgeführten Substanzen können Übelkeit, Er- brechen und Obstipation auslö- sen und sollten bei Krampfleiden nicht gegeben werden.

Schmerzambulanzen und Schmerzkliniken

Bei ständiger Anwendung stark wirksamer Analgetika bildet sich nach einigen Wochen eine Ge-

wöhnung aus, die es notwendig macht, zur Erzielung eines anal- getischen Effektes höhere Dosen anzuwenden. Das bedeutet aber auch, daß höhere Dosen als nor- malerweise toleriert werden. Ein häufiger Wechsel der Analgetika (u. U. auch ihr vorübergehender Ersatz durch ein Neuroleptikum oder Antidepressivum) kann die Ausbildung der Gewöhnung er- heblich verzögern. Ein Wechsel zwischen Morphin und den Opio-

iden ist deshalb günstig, weil die- se Substanzen eine unterschied- liche Affinität zu den verschiede- nen Opiatrezeptoren aufweisen.

Im Stadium der Gewöhnung und Toleranz liegt eine physische Ab- hängigkeit von Morphin und sei- nen Verwandten vor: setzt man diese Substanzen ab, treten Ent- zugserscheinungen auf. Neben der physischen kann auch eine psychische Abhängigkeit entstan- den sein. So unerwünscht die- se Gefahr auch sein mag, sie ist für den Patienten keineswegs lebensbedrohlich und darf nicht

dazu führen, daß bei chronischen Schmerzen auf den Einsatz star- ker Analgetika verzichtet wird.

Wenn ein Patient unter starken Schmerzen leidet, hat er ein An- recht auf Linderung. Die Entschei- dung darüber, welche Mittel im je- weiligen Fall anzuwenden sind, sollte bei starken chronischen Schmerzen in Schmerzambulan- zen und -kliniken getroffen wer- den, wo die Erfahrungen im Um- gang mit Analgetika und sonsti- gen schmerzdämpfenden Sub- stanzen am größten sind.

Literatur

(1) Schulz, R.: Körpereigene Opiate — Endor- phine, DEUTSCHES ARZTEBLATT 75 (1978) 2255-2260 — (2) Jurna, I.: Schmerzdämpfung durch Opiate — die Spinalanalgesie, DEUT- SCHES ARZTEBLATT 78 (1981) 983-988

Anschrift des Verfassers:

Professor Dr. med. Ilmar Jurna Institut für Pharmakologie und Toxikologie

der Universität des Saarlandes 6650 Homburg/Saar

FÜR SIE GELESEN

Ösophagusperistaltik mit hohen Kontraktions- amplituden

und Brustschmerz

112 Patienten mit Brustschmer- zen unklarer Ätiologie nahmen über drei Jahre an einer Studie zur Aufzeichnung der Ösophagus- motilität teil. 13 Patienten (12 Pro- zent) hatten peristaltische Kon- traktionen mit hoher Amplitude und Spitzen von 170 — 245 mmHg.

Alle 13 Patienten litten unter druckartigen Schmerzen, 10 hat- ten Dysphasie, 6 zeigten Sympto- me von gastroösophagalem Re- flux. Bei 5 Patienten deutete ein erhöhter Druck des unteren Öso- phagussphinkters (> 34 mmHg)

ein Spektrum hypertonischer Ösophagusstörungen an, die die Speiseröhre, den Sphinkter oder beide betrafen. Die zuletzt ge- nannte Untergruppe reagierte auf Bougieren des Ösophagus.

Die Beschwerden der sechs Pa- tienten mit objektiven Anzeichen von gastroösophagalem Reflux wurden zumindest zum Teil durch Antireflux-Diät gelindert.

Die Autoren kommen zu dem Schluß, daß der Nachweis bzw.

Ausschluß hoher Kontraktionsam- plituden bei der Ösophagusperi- staltik in der Differentialdiagnose von nicht herzbedingten Brust- schmerzen unbedingt sorgfältig geführt werden sollte, da das Er- kennen dieser Störungen zu ge-

zielter Behandlung und Sym- ptomlinderung führen kann. Vor- läufig unkontrollierte Beobach- tungen über die Gabe der Kalzi- umantagonisten Nifedipin und Dil- tiazem bei Patienten mit schmerz- haften motorisch bedingten Öso- phagusbeschwerden sind ermuti- gend; weitere Studien sind jedoch notwendig, um deren positive Rol- le bei der Behandlung derarti- ger Ösophagusbeschwerden ein- schließlich peristaltischer Kon- traktionen mit hoher Amplitude zu definieren. dpe

Traube, M.; Albibi, R.; McCallum, R. W.: High- Amplitude Peristaltic Esophageal Contrac- tions Associated With Chest Pain, JAMA 250 (1983) 2655-2659, Dr. McCallum, Yale Uni- versity School of Medicine, Gastroenterology Section, 92 LMP, 333 Cadar ST, PO Box 3333, New Haven, CT 06510, U.S.A.

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Zusammensetzung: 1 Kapsel enthält: Codein wasserfrei 30 mg, Phenyltoloxamin 10 mg, beide Substanzen gebunden an I onen- austauscher. 100 g Saft enthalten: Codein wasserfrei 200 mg,

RAUSCHGIFTDELIKTE (BTM-GESETZ VOM 28.07.1981) SOWEIT NICHT BEREITS ANDERS ERFAßT DAV. ALLGEMEINE VERSTÖßE GEGEN §29

Die pharmakologische Wir- kung Die analgetischen und insbesondere antitussiven, also hustenreizstillenden und beru- higenden Eigenschaften der Al- kaloide Morphin und Codein