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Archiv "Physiologische und pharmakologische Grundlagen der Therapie mit sogenannten Calcium-Antagonisten" (14.02.1980)

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1. Einleitung

Wir wissen seit fast 100 Jahren, daß die Kontraktionskraft des Herzens von der extrazellulären Calcium- ionen-(Ca++)Konzentration ab- hängt. Eine Zunahme der Ca-+- Konzentration führt zu einer Zunah- me der Kontraktionskraft. Umge- kehrt bewirkt extrazellulärer Ca++- Entzug eine elektromechanische Entkopplung, das heißt eine Herab- setzung der Kontraktionskraft ohne wesentliche Veränderung der elek- trischen Erregung, wie sie sich in der Aufstrichphase und der Dauer des Aktionspotentials zeigt (Einzel- heiten zum Ablauf eines Aktionspo- tentials siehe 2.1. und Darstel- lung 1).

Eine ähnliche Wirkung läßt sich mit den üblicherweise als „Calcium-Ant- agonisten" bezeichneten Substan- zen erzielen, die den Einstrom von Ca++ durch die Zellmembran in die erregte Herzmuskelzelle hemmen und damit unter anderem zu einer Verminderung der Ca++-abhängi- gen Aktivierung der kontraktilen Myofibriilen führen.

An der glatten Gefäßmuskulatur füh- ren Calcium-Antagonisten wahr- scheinlich über einen ähnlichen Me- chanismus zur Relaxation.

Fleckenstein hat 1964 zuerst darauf hingewiesen, daß Verapamil oder Prenylamin und Ca++-Entzug expe-

rimentell am Herzen zu ähnlichen Effekten führen können. Inzwischen werden Calcium-Antagonisten bei der koronaren Herzkrankheit und teilweise auch bei Tachyarrhythmien hierzulande in größerem Umfang therapeutisch verwendet.

Im folgenden wird versucht, die erst in den letzten Jahren deutlich ge- wordene Bedeutung transmembra- närer Ca++-Bewegungen (das heißt des Durchtritts von Ca++ durch Zell- membranen) an Herz und Gefäßen darzustellen. Darauf aufbauend sol- len die Grundwirkungen der Cal- cium-Antagonisten zusammenge- faßt werden.

Substanzen mit experimentell beob- achteter Ca++-antagonistischer Wir- kung sind insbesondere Verapamil (Isoptin®) und D600 (ein Meth- oxyderivat des Verapamil) sowie Ni- fedipin (Adalat®), Prenylamin (Se- gontin®), Fendilin (Sensit®) und Per- hexilin (Pexid®).

Es sei jedoch schon jetzt betont, daß das klinische Wirkungsbild der ge- nannten Substanzen aus bisher weitgehend unbekannten Gründen nicht einheitlich ist (siehe zum Bei- spiel Kaufmann, 1977; Schulz und Kober, 1979). So hat beispielsweise Nifedipin in vivo offenbar keine we- sentliche antiarrhythmische Wir- kung. Die folgenden Überlegungen gelten deshalb vor allem für das am besten untersuchte Verapamil.

Die üblicherweise als „Cal- cium-Antagonisten" bezeich- neten Substanzen hemmen transmembranäre Ca - -Be- wegungen in die erregte Herz- muskelzelle und die glatte Ge- fäßmuskulatur. Calcium-Ant- agonisten haben negativ ino- trope und negativ chronotro- pe Wirkungen, die in vivo al- lerdings häufig auf reflektori- schem Weg kompensiert wer- den, Die Wirkung der Cal- cium-Antagonisten bei der ko- ronaren Herzkrankheit beruht überwiegend auf einer peri- pheren Vasodilatation. Einige Calcium-Antagonisten (zum Beispiel Verapamil) haben an- tiarrhythmische Effekte, die wahrscheinlich auf die Hem- mung _langsamer Aktionspo- tentiale" zurückzuführen sind, die physiologisch im Sinus- und AV-Knoten sowie patho- logisch in hypoxischen Myo- kardarealen vorkommen.

2. Transmembranäre Ca++-Be- wegungen während des Erre- gungsablaufs am Herzen und an der glatten Gefäßmuskulatur und Grundwirkungen der Cal- cium-Antagonisten

2.1. Arbeitsmyokard

Wie bei Nerven- oder Skelettmuskel- fasern beruht die Aufstrichphase des Aktionspotentials (Phase 0 = Depolarisationsphase) am Arbeits- myokard auf einem schnellen trans- membranären Einstrom von Na+ aus dem Extra- in den Intrazellulärraum durch einen „schnellen Kanal" (Dar- stellung 1). Der endgültigen Repola- risation (Phase 3) liegt im wesentli- chen ein Ausstrom von K+ aus dem Intra- in den Extrazellulärraum zu- grunde. Dazwischen liegt das für die Herzmuskulatur charakteristische Plateau (Phase 2), das zu einem be- trächtlichen Teil auf einem zweiten, im Vergleich zum initialen Na-- Strom langsameren und kleineren

Physiologische und

pharmakologische Grundlagen der Therapie mit sogenannten Calcium-Antagonisten

Hasso Scholz

Aus der Abteilung III (Biochemische Pharmakologie) im Institut für Pharmakologie und Toxikologie der Medizinischen Hochschule Hannover

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Heft 7 vom 14. Februar 1980

381

(2)

+50 mV

0

—50

—100 1— 300 msec

Spitze (1)

Plateau (2)

—Repolarisation (3) Aufstrich

(0)

Ruhepotential (4)

1

1 Na+ Ca++

1

1 1

+1— 1 +

I 1

1 1

K+

Darstellung 1: Oben: Ruhe- und Aktionspotential einer Herzmuskelzelle (Arbeitsmyokard). Die einzelnen Phasen (0 bis 4) sind durch die Ziffern in Klammern gekennzeichnet. In Ruhe besteht zwischen dem Zellinneren und dem Extrazellulärraum eine Potentialdifferenz von etwa 90 mV (Ruhepotential, Phase 4): die Zellmembran ist polarisiert, wobei ihre Innenseite negativ, ihre Außenseite positiv geladen ist. Bei der Erregung wird die Zellmembran depola- risiert (Aufstrichphase 0). Während der Phasen 1 bis 3 kommt es zur Erre- gungsrückbildung und zum Wiederaufbau des Ruhepotentials (Repolarisa- tion). Die Dauer des Aktionspotentials (Phase 0 bis 3) beträgt etwa 300 msec. — Unten: Schema der lonenströme, die dem Aktionspotential zugrunde liegen.

Die Dicke der Pfeile symbolisiert die Stärke des betreffenden Stroms. Der Einstrom positiv geladener Ionen (Na+, Ca++) wirkt depolarisierend, ihr Aus- strom (K+) repolarisierend. Beispielsweise beruht die Depolarisations- = Auf- strichphase des hier gezeigten Aktionspotentials der Arbeitsmuskulatur auf einem Einstrom von Natrium-Ionen (Na). Modifiziert nach R. F. Schmidt und G. Thews (Hrsg.), Physiologie des Menschen, S. 349, Springer-Verlag 1976

Myokardfaser

transmembranären Einwärtsstrom durch einen „langsamen Kanal" be- ruht. Bei diesem „langsamen Ein- wärtsstrom" bilden Calciumionen unter physiologischen Bedingungen die wichtigsten Ladungsträger.

Den während des Aktionspotentials in die Herzmuskelzelle einströmen- den Ca++ kommt bei der Auslösung der Kontraktion eine Schlüsselfunk- tion zu. Es ist im einzelnen nicht geklärt, wieder langsame Einwärts- strom zur Aktivierung des kontrakti- len Systems führt. Es besteht jedoch kein Zweifel daran, daß die Stärke der myokardialen Kontraktion, die von der Konzentration an freien

Ca++ in der Zelle abhängt, vom langsamen Einwärtsstrom gesteuert wird. Eine Zunahme des langsamen Einwärtsstroms (zum Beispiel durch Erhöhung der extrazellulären Ca+±- Konzentration, durch Betasympa- thomimetika wie Adrenalin oder Noradrenalin, durch Methylxanthine wie Theophyllin oder Coffein) be- wirkt eine Steigerung der Kontrak- tionskraft, während umgekehrt eine Abnahme zu einem negativ inotro- pen Effekt führt.

Die Grundwirkung der Calcium-Ant- agonisten besteht in einer Hem- mung des langsamen Einwärts- stroms. Dabei wird allerdings nicht

die Bewegung des Calciumions an sich gehemmt, sondern es wird der

„langsame Kanal" blockiert. So hemmen „Calcium-Antagonisten"

den langsamen Einwärtsstrom auch dann, wenn er nicht durch Ca", sondern im Experiment zum Bei- spiel durch Strontiumionen (Sr") getragen wird. Im angelsächsischen Sprachraum wird deshalb korrekter- weise nicht von „calcium-antago- nists", sondern von „slow-channel- blockers" gesprochen. Der schnelle Na+-Einstrom wird durch Calcium- Antagonisten nicht wesentlich be- einflußt.

Die meisten Calcium-Antagonisten führen infolge der Hemmung des langsamen Einwärtsstroms in vitro zu einer Abnahme der Kontraktions- kraft (negativ inotrope Wirkung).

Das bedeutet jedoch nicht notwen- digerweise, daß die Kontraktions- kraft des Herzens auch in vivo bei Verwendung therapeutischer Dosen und bei nicht insuffizienten Herzen wesentlich vermindert wird. In situ kommt es als Folge der peripheren Vasodilatation (siehe unten) zu einer reflektorischen Zunahme der Kon- traktionskraft, wodurch die direkte negativ inotrope Wirkung der Cal- cium-Antagonisten antagonisiert werden kann.

Voraussetzung für diese durch den Sympathikus gesteuerte Gegenre- gulation ist jedoch, daß nicht gleich- zeitig die adrenergen Betarezepto- ren blockiert sind.

2.2. Schrittmacherzellen

In Herzmuskelzellen mit der Fähig- keit zur spontanen Erregungsbil- dung (zum Beispiel im Sinusknoten) ist das Ruhepotential (Darstellung 1, Phase 4) nach Abschluß der Repola- risationsphase eines Aktionspotenti- als nicht konstant. Vielmehr kommt es (ausgehend von einem maxima- len diastolischen Potential) zu einer spontanen Abnahme des Ruhepo- tentials (langsame diastolische De- polarisation), wodurch nach Errei- chen eines Schwellenpotentials (das bei etwa —50 mV liegt) eine Erre-

(3)

—100 100 m sec

Schwellen- potential 0

mV

—50

Maximales diastolisches Potential

langsame diastolische Depolarisation

Schrittmacherzelle

K' I

Darstellung 2: Oben: Aktionspotentiale einer Herzmuskelzelle mit der Fähigkeit zur spontanen Erregungsbildung (Schrittmacherzelle). Während der Diastole kommt es zur spontanen Depolarisation (langsame diastolische Depolarisa- tion) und bei Erreichen des Schwellenpotentials zur Auslösung eines Aktions- potentials. — Unten: Schema der lonenströme, die der langsamen diastolischen Depolarisation zugrunde liegen. Die Dicke der Pfeile symbolisiert die Stärke des entsprechenden Stroms

100 msec

Darstellung 3: Beziehung zwischen Ausgangsruhepotential und Aufstrichge- schwindigkeit sowie Amplitude des Aktionspotentials. Die Darstellung zeigt links ein einzelnes Kontrollaktionspotential und rechts eine Serie von Aktionspotentialen mit zunehmend niedrigerem (weniger negativem) Ausgangsruhepotential. Mit Erniedrigung des Ruhepotentials nehmen Auf- strichgeschwindigkeit und Amplitude der Aktionspotentiale ab. — Nach M. R.

Rosen, A. L. Wit, B. F. Hoffmann, Amer. Heart J. 88 (1974) 380-385

Membranpotential (mV)

gung ausgelöst wird (Darstellung 2).

Der langsamen diastolischen Depo- larisation liegt ein mit der Zeit ab- nehmender K+-Ausstrom und ein Einstrom von Na+ und Ca++ zugrun- de. Calcium-Antagonisten bewirken eine Verlangsamung der diastoli- schen Depolarisation und damit eine Abnahme der Herzfrequenz (negativ chronotrope Wirkung). Dieser direk- te negativ chronotrope Effekt wird jedoch in vivo wie die negativ inotro- pe Wirkung (siehe 2.1.) auf reflekto- rischem Weg in der Regel wieder ausgeglichen.

2.3. Sogenannte

„langsame Aktionspotentiale"

Die Aufstrichgeschwindigkeit und die Amplitude der Phase 0 des Ak- tionspotentials werden durch das Ausgangsruhepotential beeinflußt:

je niedriger (weniger negativ) das Ruhepotential ist, um so geringer sind Aufstrichgeschwindigkeit und Amplitude der Phase 0 (Darstellung 3). Ursache für diese Gesetzmäßig- keit ist, daß der schnelle Nat-Ein- strom mit abnehmendem Ruhepo- tential weniger aktivierbar ist. Bei ei- nem Ruhepotential von etwa —50 mV ist das schnelle Na+-System voll- ständig inaktiviert, und es werden Erregungen ausgebildet, die vom langsamen Einwärtsstrom getragen werden, dem vorwiegend Calcium- ionen zugrunde liegen und der beim

„schnellen Aktionspotential" (siehe 2.1.) vor allem die Dauer des Pla- teaus bestimmt. Diese sogenann- ten „langsamen Aktionspotentiale"

(Darstellung 4) sind gekennzeichnet durch ein niedriges Ausgangspo- tential, eine geringe Amplitude und Aufstrichgeschwindigkeit und eine entsprechend langsame Leitungsge- schwindigkeit. Schnelle und langsa- me Aktionspotentiale unterscheiden sich auch durch ihre pharmakologi- sche Beeinflußbarkeit. Aufstrichge- schwindigkeit und Amplitude der langsamen, nicht aber der schnellen Aktionspotentiale werden durch Substanzen erhöht, die den langsa- men Einwärtsstrom steigern (zum Beispiel Calciumionen, Betasympa- thomimetika und Methylxanthine;

siehe 2.1.). Umgekehrt führen Cal-

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Heft 7 vom 14. Februar 1980 383

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90 mV Ca++

— -60 bis -50 mV cium-Antagonisten zu einer Hem-

mung der langsamen Aktionspoten- tiale.

Elektrophysiologische Untersu- chungen der letzten Jahre haben ge- zeigt, daß langsame Aktionspo- tentiale von erheblicher physiologi- scher und sehr wahrscheinlich auch pathophysiologischer Bedeutung sind.

2.3.1. Physiologische

„langsame Aktionspotentiale"

Aus Darstellung 5, in der Aktionspo- tentiale verschiedener Herzregionen dargestellt sind, geht hervor, daß die Aktionspotentiale des Sinus- und des AV-Knotens unter physiologi- schen Bedingungen „langsame Ak- tionspotentiale" sind.

Letzteres ist wahrscheinlich die Hauptursache dafür, daß einige Cal-

cium-Antagonisten (zum Beispiel Verapamil) die Erregungsleitung im AV-Knoten hemmen und supraven- trikuläre Tachyarrhythmien unter- brechen, aber auch unerwünschte AV-Blockierungen verursachen oder verstärken können.

2.3.2. Pathologische

„langsame Aktionspotentiale"

Pathologischerweise kommen Cal- cium-abhängige langsame Aktions- potentiale in schlecht versorgten be- ziehungsweise infarzierten Arealen mit niedrigem Ruhepotential vor, in denen das schnelle Na+-System inaktiviert ist.

Hier können sie die Grundlage für vorzeitig einfallende Erregungen so- wie für Extrasystolen und Tachyar- rhythmien vom sogenannten Re- entry-(Wiedereintritt-)Typ sein. Bei letzteren handelt es sich um kreisen-

de Erregungen auf der Basis verzö- gert fortgeleiteter langsamer Ak- tionspotentiale. Die Unterdrückung dieser langsamen Aktionspotentiale erklärt wahrscheinlich, daß Verapa- mil nicht nur bei supraventrikulären, sondern auch bei ventrikulären Tachyarrhythmien (zum Beispiel beim Myokardinfarkt) unter Umstän- den wirksam ist.

2.4. Glatte Gefäßmuskulatur Calcium-Antagonisten wirken rela- xierend auf die glatte Muskulatur der peripheren Gefäße, der Koronar- arterien und anderer Strukturen (zum Beispiel Trachealmuskulatur und Uterus). Auch diesen Effekten scheint eine Hemmung der trans- membranären Calcium-Aufnahme und eine Verminderung der Ca"- abhängigen Aktivierung der kon- traktilen Proteine zugrunde zu lie- gen.

Schnelles Aktionspotential Langsames Aktionspotential

-100 0

mV

Na+ 100 msec

Leitungs-

geschwindigkeit: bis zu 4 msec 0,01-0,1 msec

Darstellung 4: Vergleich der elektrophysiologischen Eigenschaften eines schnellen und eines langsamen myokardialen Aktionspotentials. Das schnelle Aktionspotential (links) geht von einem Ruhepotential von etwa —90 mV aus. Seine Amplitude beträgt etwa 120 mV, seine Aufstrichgeschwindigkeit bis zu 1000 V/sec und seine Leistungsgeschwindigkeit bis zu 4 m/sec. Das langsame Aktionspotential (rechts) beginnt bei relativ niedrigem Ruhepotential (-60 bis —50 mV), seine Aufstrichgeschwindigkeit (5-20 V/sec) und seine Amplitude sind klein (etwa 50 mV), und es wird sehr langsam geleitet (0,01-0,1 m/sec). Der Aufstrichphase des langsamen Aktionspotentials liegt ein langsamer. Ca - -abhängiger Einwärts- strom zugrunde, der durch Ca — , Betasympathomimetika oder Methylxanthine gesteigert und durch Calcium-Antagonisten gehemmt wird

(5)

Sinusknoten +50

0

—50

E —100 Tzs

+50

0 0 c T..

_o 0 E a) 2

—50

100

300 msec

Zeit

Darstellung 5: Aktionspotentiale in verschiedenen Herzregionen. Die Darstellung zeigt, daß die Aktionspotentiale des Sinus- und AV-Knotens unter physiologischen Bedingungen „langsame Aktionspotentiale" sind. — Nach A. M. Katz, Physiology of the Heart, S. 251, Raven Press 1977

3. Vergleich zwischen Calcium- Antagonisten und Betarezepto- renblockern oder Antifibrillan- tien

Auf zellulärer Ebene haben Calcium- Antagonisten und Betarezeptoren- blocker am Herzen zum Teil ähnli- che Wirkungen, wenn auch ver- schiedene Angriffspunkte. Erstere wirken durch direkte Blockade des langsamen Kanals, während letztere den langsamen Einwärtsstrom durch Reduktion des sympathischen Antriebs vermindern.

Wesentliche Unterschiede bestehen darin, daß bei der Anwendung von Calcium-Antagonisten die An- sprechbarkeit des Herzens für ad- renerge Überträgerstoffe erhalten bleibt und daß die Calcium-Antago- nisten im Gegensatz zu den Betare-

zeptorenblockern zu einer Erweite- rung von Koronararterien und peri- pheren Gefäßen führen (Tabelle 1).

Die Kombination von Gefäßerweite- rung und (wenn auch in vivo unter klinisch-therapeutischen Bedingun- gen häufig nicht sehr ausgeprägter) negativ inotroper sowie negativ chronotroper Wirkung scheint für die Calcium-Antagonisten beson- ders kennzeichnend zu sein. Außer- dem führen Calcium-Antagonisten nicht zur Bronchokonstriktion.

Wesentliche Unterschiede ergeben sich auch zwischen Calcium-Ant- agonisten und Antifibrillantien vom Chinidin- oder Lidocaintyp.

Letztere wirken in erster Linie über eine Hemmung des schnellen Na-- Einstroms antiarrhyth misch, der durch Calcium-Antagonisten nicht wesentlich beeinflußt wird.

4. Therapeutische Anwendung der Calcium-Antagonisten

4.1. Koronare Herzkrankheit Therapeutisch werden Calcium-Ant- agonisten zur Dauertherapie der ko- ronaren Herzkrankheit als Mittel zweiter Wahl nach Nitrokörpern und Betarezeptorenblockern verwendet.

Eine sichere antianginöse Wirkung konnte bisher für Verapamil (Isop- tin®), Nifedipin (Adalat®) und Perhe- xilin (Pexid®) nachgewiesen werden.

Der entscheidende Angriffspunkt scheint in der Senkung des myokar- dialen Sauerstoffverbrauchs durch Herabsetzung der Herzarbeit zu lie- gen. Dies wiederum beruht auf der Verminderung der Vor- und vor al- lem der Nachbelastung des Herzens

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Heft 7 vom 14. Februar 1980

385

(6)

Tabelle 1: Vergleich zwischen Calcium-Antagonisten und Beta- rezeptorenblockern

Calcium- Antagonisten

Betarezeptoren- blocker Herzfrequenz und

Herzkraft

Koronargefäße Periphere Gefäße Bronchen Unerwünschte Wirkungen

in vitro: vermindert in vivo: häufig nicht vermindert infolge adrenerger Gegen- regulation

erweitert erweitert

keine wesentliche Wir- kung

AV-Block

Myokardinsuffizienz Hypotonie

vermindert vermindert

verengt verengt

Bronchokonstriktion AV-Block

Myokardinsuffizienz Bronchospasmus Periphere Durchblu- tungsstörungen Calcium-Antagonisten

(durch Verminderung des venösen Zustroms und des peripheren Wider- standes) infolge der direkten Er- schlaffung der glatten Gefäßmusku- latur (siehe 2.4.). Es handelt sich al- so im wesentlichen um einen extra- kardialen Effekt. Dagegen ist die Er- weiterung der Koronargefäße bezie- hungsweise die Behebung von Ko- ronarspasmen offenbar von Bedeu- tung bei der Therapie der Prinzme- tal-Angina (siehe unten). Die Sen- kung von Kontraktionskraft (siehe 2.1.) und -frequenz (siehe 2.2.), die ja in vivo — therapeutische Dosierung und Fehlen einer Myokardinsuffi- zienz vorausgesetzt — nicht wesent- lich vermindert werden, ist bei der antianginösen Wirkung der Cal- cium-Antagonisten wahrscheinlich nicht entscheidend.

Die primäre Behandlung der Angina pectoris mit Calcium-Antagonisten ist selten indiziert. Wegen ihrer rela- tiv geringen Nebenwirkungen sind Nitrokörper weiterhin Medikamente der ersten Wahl. Werden Nitrokör- per jedoch zum Beispiel wegen Kopfschmerzen oder orthostati- scher Störungen nicht toleriert, so kommen Calcium-Antagonisten in Frage, die in diesem Fall eine Alter- native zu den Betarezeptorenblok-

kern darstellen. Der Einsatz von Cal- cium-Antagonisten ist vor allem dann gerechtfertigt, wenn die Thera- pie mit Betarezeptorenblockern we- gen Nebenwirkungen oder Kontrain- dikationen nicht möglich ist. Dies kann zum Beispiel bei Patienten mit Asthma bronchiale, bei peripheren Durchblutungsstörungen und bei schwer einstellbarem Diabetes mel- litus mit Neigung zu Hypoglykämien der Fall sein.

Verapamil oder Nifedipin sind wei- terhin bei koronarer Herzkrankheit mit gleichzeitiger Hypertonie indi- ziert. Bei koronarer Herzkrankheit in Verbindung mit tachykarden Herz- rhythmusstörungen hat sich der Ein- satz von Verapamil bewährt.

Eine bevorzugte Indikation für Cal- cium-Antagonisten ist die soge- nannte Prinzmetal-Angina („variant- angina"), bei der nächtliche Angina- pectoris-Anfälle und Ruheschmer- zen im Vordergrund stehen. Hier gelten Calcium-Antagonisten heute als Medikamente der ersten Wahl.

Bei dieser Form der koronaren Herz- krankheit spielen Koronarspasmen offenbar eine wesentliche Rolle, und die gefäßmuskelerschlaffende Wir- kung der Calcium-Antagonisten

scheint sich bei dieser spastischen Komponente besonders auszuwir- ken. Betarezeptorenblocker bewir- ken hier nicht selten eine Zunahme der Beschwerden und der Ischämie, da Betablocker koronare und peri- phere Gefäße verengen.

4.2. Herzrhythmusstörungen Von den heute bekannten Calcium- Antagonisten hat sich in der Thera- pie kardialer Arrhythmien insbeson- dere Verapamil bewährt. Eine gesi- cherte Indikation für Verapamil — mit dem Ziel einer Verminderung der Ventrikelfrequenz — sind paroxysma- le supraventrikuläre Tachykardien sowie Vorhofflimmern und Vorhof- flattern. Wahrscheinlich kommt hier- bei der Hemmung der Erregungslei- tung im AV-Knoten die größte Be- deutung zu (siehe 2.3.1.). Weitere Anwendungsmöglichkeiten werden gegenwärtig diskutiert.

Die Hemmung pathologischer

„langsamer Aktionspotentiale" in geschädigten Arealen (zum Beispiel bei akutem Myokardinfarkt; siehe 2.3.2.) führt möglicherweise zur Un- terdrückung von Extrasystolen und Tachyarrhythmien vom Re-entry- Typ. Allerdings läßt sich gegenwär- tig eine Arrhythmie in der Klinik nur selten einem bestimmten elektro- physiologischen Entstehungsme- chanismus zuordnen. Eine endgülti- ge Bewertung dieses bislang vorwie- gend theoretischen Therapieprin- zips ist deshalb zur Zeit noch nicht möglich.

Als Applikationsform für Verapamil bei Herzrhythmusstörungen ist die langsame intravenöse Injektion un- ter gleichzeitiger EKG-Kontrolle zu bevorzugen. Das gilt insbesondere für die Fälle, bei denen eine rasche Wirkung erzielt werden soll. Die übli- che Dosierung beträgt 5 bis 10 mg (1 bis 2 Ampullen). Die orale Gabe ist wesentlich weniger wirksam. Wegen seines hohen Metabolismus bei der ersten Leberpassage (80 bis 90 Pro- zent) ist eine orale Behandlung mit Verapamil nur als Dauertherapie mit hohen Dosen möglich (z. B. 3mal 1 Dragee ä 80 mg). Zur Prophylaxe

(7)

supraventrikulärer Tachyarrhyth- mien ist auch die Retard-Form ge- eignet (zum Beispiel 2- bis 3mal 1 Retard-Filmtablette ä 120 mg).

4.3. Hypertensive Krise

Verapamil (5 bis 10 mg i. v.) kann auch bei der akuten Hochdruckkrise erfolgreich eingesetzt werden. Seit der Einführung von Diazoxid (Hyper- tonalum®) und Nitroprussidnatrium (Nipride®) ist die Anwendung für die- sen Zweck jedoch nicht mehr sehr häufig.

Wiederholt sei an dieser Stelle, daß sich die geschilderten Wirkungen der Calcium-Antagonisten zwar durch Hemmung transmembranärer Ca"-Bewegungen erklären lassen.

Es sollen jedoch zusätzliche Wirkun- gen dieser chemisch sehr heteroge- nen Gruppe von Pharmaka nicht ausgeschlossen werden. So sollen zum Beispiel Verapamil und Prenyl- amin auch eine hemmende Wirkung auf das schnelle Na+-System haben, was zum Beispiel zur antiarrhythmi- schen Wirkung dieser Substanzen durchaus beitragen kann.

5. Unerwünschte Wirkungen bei der Therapie mit Calcium- Antagonisten

Abschließend sei auf die möglichen unerwünschten Wirkungen einer Therapie mit Calcium-Antagonisten hingewiesen. Auch hier liegen für Verapamil die meisten Berichte vor.

Verapamil kann zu einer Verminde- rung der Kontraktionskraft des Her- zens sowie zu hochgradigen atrio- ventrikulären Leitungsstörungen und bedrohlichem Blutdruckabfall führen. Diese Effekte treten insbe- sondere bei zu schneller i. v. Injek- tion und bei Vorliegen einer Herz- muskelinsuffizienz, eines Myokard- infarkts oder eines AV-Blocks sowie nach Vorbehandlung der Patienten mit Betarezeptorenblockern auf. Als Kontraindikation für Verapamil gilt die manifeste Herzmuskelinsuffi- zienz (hier ist eine gleichzeitige Digi- talisierung notwendig), Schockzu- stände unterschiedlicher Genese

und höhergradige AV-Blockierun- gen. Vor einer Kombination von Cal- cium-Antagonisten und Betarezep- torenblockern wird gewarnt. Die kar- diodepressiven und AV-blockieren- den Wirkungen beider Substanz- gruppen können sich addieren. Au- ßerdem wird die reflektorische, den negativ inotropen Effekt der Cal- cium-Antagonisten neutralisierende Stimulation des Herzens durch Beta- rezeptorenblocker aufgehoben.

Erwähnt wurde bereits, daß Nifedi- pin in vivo offenbar keine wesentli- chen Wirkungen auf die atrioventri- kuläre Erregungsleitung hat. Die häufigste unerwünschte Wirkung bei der Behandlung mit Nifedipin sind vasomotorische Kopfschmer- zen. Mit einem unter Umständen be- trächtlichen Abfall des Blutdrucks muß jedoch auch bei Nifedipin ge- rechnet werden.

Lite ratu r

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Anschrift des Verfassers:

Professor Dr. med.

Hasso Scholz Abteilung III

(Biochemische Pharmakologie) Im Institut für

Pharmakologie und Toxikologie Medizinische Hochschule Hannover Karl-Wiechert-Allee 9

3000 Hannover 61

Prophylaxe der tiefen Beinvenen-Rethrombose:

Cumarine

oder Low-Dose-Heparin?

Heparin ist unbestritten das Mittel der Wahl zur Initialtherapie einer tie- fen Beinvenenthrombose. Üblicher- weise schließt sich daran eine länge- re Antikoagulation mit Cumarinderi- vaten an. Die Überlegenheit dieser Therapie, verglichen mit anderen medikamentösen Maßnahmen, wur- de bisher nicht eindeutig bewiesen.

Kanadische Autoren gingen jetzt dieser Frage nach und randomisier- ten 68 Patienten mit tiefer Beinve- nenthrombose nach vierzehntägiger stationärer Heparintherapie in eine Cumaringruppe (n = 33, Einstellung in den therapeutischen Bereich ent- sprechend Prothrombinzeit mit War- farin-Natrium) und in eine Low- Dose-Heparingruppe (n = 35, 2 x 5000 IE sc. täglich). Die Therapie — sowohl Cu marin als auch Low-Dose- Heparin — wurde über zwölf Wochen bei proximaler Beinvenenthrombose und über sechs Wochen bei alleini- ger Wadenvenenthrombose durch- geführt. Bei den Patienten mit Wa- denvenenthrombose zeigte sich kein Unterschied zwischen beiden Therapien: In keinem Fall trat eine Rethrombose auf. Große Unter- schiede fanden sich allerdings bei den proximalen Beinvenenthrombo- sen: Fast die Hälfte (neun von 19) aller Patienten, die Low-Dose-Hepa- rin erhielten, bekamen eine Re- thrombose, verglichen mit keinem Fall in der Cumaringruppe (n = 17).

In acht der neun Fälle trat die Re- thrombose bereits während der er- sten drei Wochen auf. Diesem ein- deutigen Therapievorteil steht die hohe Blutungsgefahr unter Cuma- rineinnahme gegenüber: Immerhin sieben der 33 Cumarinpatienten ent- wickelten Blutungskomplikationen, die in vier Fällen so schwer waren, daß transfundiert werden mußte. Al- le vier Patienten hatten allerdings ein erhöhtes Blutungsrisiko (zwei traumatisierte Paraplegier, ein Pa- tient nach Knieoperation, ein okkul- tes Kolonkarzinom). Nur in einem Fall — bei den leichten Blutungskom-

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Heft 7 vom 14. Februar 1980

387

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a) Thrombinzeit (TZ): Thrombin wird Zitratplasma zugesetzt, und die Zeit bis zur Fibrinbildung gemessen. Heparin verlängert die TZ. Die Me- thode ist einfach durchführbar, es