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Archiv "„Retortenbabies„ und „Leihmütter„ noch im rechtsfreien Raum" (25.07.1984)

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Die Möglichkeiten des künstlichen Eingreifens in die Fort- pflanzung des Menschen durch extrakorporale Befruchtung und Verpflanzung des Embryos sind einerseits heute noch nicht so weit entwickelt, wie Teile der Öffentlichkeit glauben und manche sensationellen Darstellungen der Medien glau- ben lassen. Andererseits sind in der letzten Zeit auf diesem Gebiet doch so schnelle Fortschritte gemacht worden, daß weder die ethischen Vorstellungen über das, was erlaubt und was nicht erlaubt sein sollte, noch juristische Regelungen Schritt gehalten haben. Zur Erfüllung des Kinderwunsches steriler Partner wird zum Teil im rechtsfreien Raum experi- mentiert und behandelt; das allgemeine Unbehagen ist groß.

ter. Professor Semm verdeutlich- te, wie vieler Tricks sich die Tier- welt bedient, um die Fortpflan- zung in entschieden weitergehen- der Weise zu steuern, als die Me- dizin es jetzt beim Menschen möglich zu machen scheint. So ist zum Beispiel bei vielen Tieren die Ovulation abhängig von Umwelt- einflüssen oder vom Stattfinden einer Kopulation. Rehe und Kän- guruhs können das befruchtete Ei vor der Nidation ruhen lassen, um einen günstigen Geburtszeitpunkt zu erreichen. Manche Tiere kön- nen die Tragzeit steuern, andere (Fledermäuse) betreiben Samen- konservierung. Bei Fischen ist die extrakorporale Befruchtung der normale Vorgang. Umgekehrt als beim Menschen bestimmt bei den Vögeln das weibliche Tier das Ge- schlecht des Nachkommens. Bie- nen betreiben echte Genmanipu- lation und produzieren je nach Bedarf Arbeits- oder Honigbie- nen. Sogar das Prinzip der „Leih- mutter" ist in der Tierwelt üblich, nämlich beim Kuckuck.

In der Viehzucht sind Verfahren der In-vitro-Fertilisation und der Embryo-Übertragung längst Rou- tine, ebenso, wie auch in der Bak- teriologie, genetische Manipula- tionen und Transformationen.

I

Klinische der künstlichen Befruchtung Praxis Für die Anwendung all dieser Ver- fahren beim Menschen haben nach Professor Semm zwei tech- nische Fortschritte die wesent- lichen Voraussetzungen geschaf- fen. Das ist einmal die Gefrierkon- servierung, vor allem von Sperma, aber auch von Eiern und Embryo- nen, zum anderen die Endosko- pie, die es ermöglicht, der Frau ohne Leibesöffnung reife Eier zu entnehmen, was dann auch ohne größere Belastung wiederholt werden kann.

Über die klinische Praxis der ex- trakorporalen Fertilisation refe- rierte Professor Dr. Dieter Krebs,

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

TAGUNGSBERICHT

"Retorlenbabies" und "Leihmütter"

noch im rechtsfreien Raum

Fakten und Argumente

aus einem Seminar des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesärztekammer

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er Information über den Stand der Forschung und Entwicklung wie auch der ethischen und juristischen Aspek- te diente ein Seminar, das der Wissenschaftliche Beirat der Bun- desärztekammer unter der Lei- tung seines Vorsitzenden, Profes- sor Dr. Hanns Peter Wolff, Mün- chen, in Köln durchführte. An der Veranstaltung nahmen interes- sierte Fachkreise und auch Ver- treter der Medien teil. Das Semi- nar hatte ausdrücklich nicht den Zweck, sich etwa auf Forde- rungskataloge über notwendige gesetzliche oder andere Regelun- gen zu einigen. Es diente viel- mehr als Bestandsaufnahme und als Überlegungshilfe unter ande- rem für den Wissenschaftlichen Beirat und auch den Vorstand der Bundesärztekammer über die Fra- ge, was und auf welche Weise re- gelungsbedürftig ist. Der Vor- stand der Bundesärztekammer hat sich inzwischen ausführlich mit dem Problemkreis und den Erörterungen des Seminars be- schäftigt.

I

Tricks der Natur bei der Fortpflanzung

Der Direktor der Abteilung Frau- enheilkunde der Universität Kiel, Professor Dr. Dr. h. c. Kurt Semm, der beim Seminar über die biolo- gischen Grundlagen der extrakor- poralen Fertilisation und des Em- bryotransfers referierte, brachte das, was beim Menschen möglich ist, auf die kurze Formel: Der Er- zeuger eines Kindes braucht nicht mehr zu leben; die Gebärende ist nicht unbedingt die leibliche Mut-

2224 (16) Heft 30 vom 25. Juli 1984 81. Jahrgang Ausgabe A

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Für die Zukunft kann die Transplantation transfor- mierter Zellen in erwachse- ne Säuger als möglicher Weg für eine Gen-Therapie genannt werden . . . Ob die- se durch den Homo sapiens neu erstellten Modifika- tionssysteme zum Vor- oder Nachteil der Menschheit dienen werden, wird die Na- tur beantworten.

Prof. Dr. Dr. h. c.

Kurt Semm

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DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Extrakorporale Befruchtung

Direktor der Klinik und Poliklinik für Geburtshilfe und Frauenheil- kunde der Universität Bonn. Er sagte, die extrakorporale Befruch- tung werde als Behandlung der Sterilität immer ein Ausnahmefall bleiben, zumal sich nur etwa 30 Prozent der interessierten Patien- ten überhaupt dafür eignen. Der Vorgang dauert maximal 48 Stun- den, und er unterscheidet sich nicht im Prinzip, sondern nur in der „Technik" von dem, was nor- malerweise im Körper stattfindet.

Ein extrakorporal versehentlich mehrfach befruchtetes Ei stirbt genauso ab wie beim natürlichen Vorgang. Das befruchtete Ei wird dann im Vier-Zellen-Stadium reimplantiert, und das ist sogar ein früherer Zeitpunkt als bei der normalen Nidation.

I

Rechtsprobleme bei

der heterologen Insemination

Die Erfolgsquote der extrakorpo- ralen Fertilisation bezifferte Pro- fessor Krebs mit etwa zwölf bis 20 Prozent, wobei man aber beden- ken muß, daß es sich um ausge- wählte Patienten handelt. Man müsse dies vergleichen mit der natürlichen Fortpflanzung des Menschen, bei der sich wahr- scheinlich nur 35 bis 40 Prozent der befruchteten Eier zu einer bleibenden Schwangerschaft ent- wickeln. Die Erfolgsrate läßt sich steigern, indem man versucht, gleichzeitig mehrere Eizellen zu befruchten — genau dies führt aber auch zu der ethischen Frage, was mit den möglicherweise

„überschüssigen" Embryonen ge- schehen soll.

Der Naturwissenschaftler wolle das Können erweitern; der Jurist müsse das Dürfen in Frage stel- len, erklärte Professor Dr. Albin Eser vom Lehrstuhl für deutsches und ausländisches Strafrecht der Universität Freiburg zum Beginn seines Referats. Wenn beide Part- ner miteinander verheiratet sind, dann entstehen — so Professor Eser — bei einer extrakorporalen Befruchtung und einer Embryo-

Übertragung keine juristischen Probleme. Schwerwiegende Fra- gen wirft aber die heterologe In- semination auf: Wer soll als Vater des Kindes gelten? Wer hat die Unterhaltspflicht? Ist das Recht des Kindes, seinen Vater zu ken- nen, als Rechtsgut höher zu stel- len als die Anonymität des Samen- spenders? Sollte dies nicht der Fall sein, dann werden in Zukunft Ehen zwischen Geschwistern möglich. Ein einfaches Verbot der heterologen Insemination wäre kein Ausweg — man müßte dann

nämlich auch den Ehebruch ver- bieten.

Die Probleme potenzieren sich beim Embryotransfer, weil ein so geborenes Kind quasi zwei Mütter hat. Es ist ungeklärt, ob die „Leih- mutter" in jedem Falle rechtlich verpflichtet werden kann, das von ihr nach der Austragung zur Welt gebrachte Kind herauszugeben;

ob die „Eimutter" es in jedem Fall

„abnehmen" muß, ist ebenfalls unklar. Was geschieht zum Bei- spiel, wenn das Kind behindert geboren wird? Kann man hier- über vorsorglich zivilrechtliche Verträge abschließen? Wären sie nicht sittenwidrig?

In eine beängstigende Zukunft weist das Testen menschlicher Samenzellen an Hamstereiern — hier entsteht die Möglichkeit der

Kreuzung von Tier und Mensch (Kreuzungen von Tieren sind be- reits möglich). Darf so entstehen- des „Leben" vernichtet werden?

— oder aber: muß so entstehendes Leben nicht vernichtet werden?

Aus der Sicht des Moralphiloso- phen forderte Professor Dr. Hans- Martin Saß, Institut für Philoso- phie der Universität Bochum und Kennedy Institute of Ethics, Wa- shington, eine Beschleunigung der ethischen Diskussion. Unsere pluralistische Gesellschaft erlau- be freie ethische Entscheidun- gen, die aber Verantwortungsbe- wußtsein und die Erarbeitung ei- nes allgemeinen, auf „informed consent" basierenden Wertesy- stems voraussetzen. Ein solcher Konsensus ermöglicht Regelun- gen durch standesrechtliche Selbstbeschränkungen, denen in vielen westlichen Ländern der Vorzug vor gesetzlichen Regelun- gen gegeben wird.

In der von Professor Dr. Wolfgang Spann, Vorstand des Instituts für Rechtsmedizin der Universität München, geleiteten, auf hohem Niveau geführten Diskussion er- schien die auch schon von Profes- sor Eser angesprochene Frage besonders dringlich, was mit

„überschüssigen" befruchteten Eiern geschehen darf. Hier gibt es einen rechtsfreien Raum: das Strafgesetzbuch schützt ungebo- renes Leben erst nach der Einni- stung des Eis (sonst müßten auch die Spirale und die „Pille danach"

verboten sein).

I

Was geschieht mit

„überschüssigen" Embryonen?

Ein Embryo kann schon von der Befruchtung an krank sein (aus genetischen Ursachen); er gibt schon wenige Stunden nach der Befruchtung, also lange vor der Nidation, hormonelle Signale an die Mutter. Er ist zweifellos ein In- dividuum und aus ethischer Sicht also „Leben"; aber es ist zur Zeit rechtlich nicht geschützt. Profes- sor Eser wies darauf hin, daß in Ausgabe A 81. Jahrgang Heft 30 vom 25. Juli 1984 (19) 2225

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DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Extrakorporale Befruchtung KURZBERICHT

unserem Recht dagegen andere lebende und tote Objekte sogar gegen ihren Eigentümer ge- schützt sind: Bäume, Kunstdenk- mäler.

Rechtlich sind also Experimente und Manipulationen an „freien"

Embryos nicht relevant. Es er- scheint möglich, ihre Verwen- dung zu Forschungszwecken in- nerhalb einer bestimmten Zeit- spanne zuzulassen, ihre nachfol- gende Einpflanzung jedoch für unzulässig zu erklären. Nur: da- nach müßten sie beseitigt werden.

Man könnte dies aus ethischer Sicht als „Tötung" ansehen — man könnte aber, ebenso aus ethi- scher Sicht, geradezu fordern, daß solche Embryonen vernichtet werden müssen.

Dies führt unweigerlich zu einem weiteren Dilemma: man muß dann selektieren. Ein Vorgang, den die Natur in ihrer Grausamkeit bei der natürlichen Fortpflanzung aller Wahrscheinlichkeit nach auch be- treibt — nur kennen wir ihre Krite- rien nicht, und wir wissen auch nicht, ob es moralisch und juri- stisch statthaft sein kann, unsere eigenen Maßstäbe anzulegen: Zu- fallsprinzip? Optimierung (darf

man, soll man Krankheitsanlagen überhaupt ausmerzen, falls dies eines Tages möglich werden soll- te)? Gesellschaftliche, politische, ideologische Gesichtspunkte? .. .

I

Intensive Diskussion ist dringend notwendig Der Vorstand der Bundesärzte- kammer kam nach eingehender Diskussion einhellig zu der Auf- fassung, daß diese und ähnliche

Einzelfragen dringend auf breiter Basis diskutiert werden müssen.

Man wird hierzu das Gespräch mit allen Interessierten suchen, wo- bei schon auf dem Seminar als Vorbild für ein mögliches Ergeb- nis Richtlinien genannt wurden, wie sie der Wissenschaftliche Bei-

rat beispielsweise für die Fest- stellung des Hirntodes erarbeitet hat. Günter Burkart

„Das Gesundheitswesen, insbe- sondere der zentrale Steuerungs- und Verteilungsapparat, die ge- setzliche Krankenversicherung (GKV), muß auf den Prüfstand. Ins- besondere das Organisationsge- füge und die historisch und sehr unsystematisch entstandenen Strukturen müssen zum TÜV". So der Tenor eines fast unter Aus- schluß der Öffentlichkeit durchge- führten zweitägigen öffentlichen gesundheitspolitischen Anhö- rungsverfahrens der SPD-Bundes- tagsfraktion im Bundeshaus.

Wer unkonventionelle und neue Reformthesen und gar Patentre- zepte für die aktuelle gesund- heitspolitische Diskussion von dem Plausch im „Hohen Haus" er- wartet hatte, kam kaum auf seine Kosten. In einem war sich die Handvoll zum Dialog bereiter So- zial- und Gesundheitspolitiker der SPD mit den Repräsentanten der Krankenkassen und ärztlichen Verbände allerdings einig: Das Gesundheitswesen und die ge- setzliche Krankenversicherung sind zu wichtige und sensible Ge- bilde, als daß sie für waghalsige Experimente, für eine „Reform an Haupt und Gliedern" zur Disposi- tion gestellt werden dürften. Ex- trem einseitige Lösungsansätze haben kaum eine Chance, rea- lisiert zu werden. Dies gilt für puri- stische und rein ökonomistische Ansätze von vorwiegend markt- wirtschaftlich orientierten Ge- sundheitsökonomen ebenso wie für etatistische, straff zentralver- waltungswirtschaftlich ausgerich- tete Reformmodelle.

So sehr manche prominente SPD-Gesundheitspolitiker (Anke Fuchs, Erwin Jahn) nicht verheh- len wollen, daß sie das Heil der weiter zu betreibenden Kosten- dämpfungspolitik darin sehen, die staatliche Globalsteuerung auszu- bauen und am straffen Zügel zu führen, so sehr polarisiert sich

diese Position mit der Meinung sowohl der Krankenkassen- als auch der „Leistungserbringer"- Seite. Sie geben der eigeninitiier- ten Systemsteuerung auf „mittle- rer Ebene" (also der Verbände) den Vorzug vor allen staats-inter- ventionistischen und von oben diktierten Eingriffen in das Sy- stem. Daraus könne unvermittels eine nicht gewollte Interventions- spirale mit allen negativen Vorzei- chen entstehen.

Der (liberale) Hannoveraner Ge- sundheitsökonom Prof. Dr. rer.

pol. Klaus-Dirk Henke warnte vor einem übertriebenen Pragmatis- mus in der Gesundheitspolitik, der den Blick für Prioritäten und Qualitätsgesichtspunkte verstellt.

Er betonte: Will man sich mit dem

„Durchwursteln" nicht für alle Zeiten abfinden, dann brauchen wir mehr Rationalität in der Mittel- verwendung. Rationalität ist aber seiner Auffassung nach genau das Gegenteil dessen, was landläufig unter Rationierung, Quotierung, Plafondierung und bloßer Zutei- lung von Gesundheitsgütern und -dienstleistungen zu verstehen ist.

Im politischen Reformgeschäft und unter dem Ziel einer rationel- leren Gesundheitsversorgung sind nach Henke vier Ziele anzu- steuern:

• Ausgewählte Krankheiten soll- ten wirkungsvoller bekämpft und unter dem Gesichtspunkt der Ko- sten-Mittel-Relation beurteilt wer- den, ohne aber den Mitteleinsatz von einer inhumanen Mittelbe- grenzung abhängig zu machen.

O Auch in den achtziger Jahren müsse gezielt Kostendämpfung betrieben werden. Dabei sollte ein wohl austariertes, alle Sekto- ren umfassendes Konzept zum Zuge kommen, ohne daß einer des anderen Kostgänger wird und bleibt. Nur eine gesamtwirtschaft-

Kosten bremsen aber wie?

Gesundheitspolitische Anhörung der SPD-Bundestagsfraktion

2226 (20) Heft 30 vom 25. Juli 1984 81. Jahrgang Ausgabe A

Referenzen

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10.2, 10.3 und 10.4 dürfen nur durchgeführt werden, wenn die Ehegatten zuvor von einem Arzt, der die Maßnahmen nicht selbst durchführt, über die medizinischen, psychischen

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