DEUTSCHES ÄRZTEBLATT
NOTIZ
1. Erfolgsrate
der In-vitro-Fertilisation und Embryotransfer
Die Ergebnisse der Bonner Ar- beitsgruppe sind mit einer Schwangerschaftsrate von derzeit 20 Prozent der transferierten Em- bryonen erstaunlich gut und anzu- erkennen. Es wird jedoch in dem Artikel weder erläutert noch dis- kutiert, daß es sich hier nicht um Schwangerschaften handelt, bei denen Kinder geboren wurden, sondern, daß alle Patientinnen mit einbezogen wurden, bei denen im Anschluß an den Embryotransfer ein Hormonanstieg festgestellt wurde oder die Regelblutung am Termin ausblieb. Diese Patientin- nen sind zwar schwanger gewor- den, der Kinderwunsch ging je- doch nur bei einem Teil von ihnen in Erfüllung.
Berücksichtigt man weiterhin, daß die Schwangerschaftsrate, bezo- gen auf die Zahl der Laparosko- pien, bei 16 Prozent liegt, und daß sie auch nach Angabe der Auto- ren bei Patientinnen, die älter als 30 Jahre sind, signifikant niedri- ger liegt, so wird das Bild schon realistischer, denn ein großer Teil der Patientinnen liegt in diesem Altersbereich. Außerdem liegt die Schwangerschaftsrate bei Patien- tinnen mit Zyklusanomalien nach den Erfahrungen der Autoren um mehr als 50 Prozent niedriger, als bei Patientinnen mit biphasi- schem Zyklus, und es kann nur bei
Normozoospermie mit den ge- nannten Erfolgsraten gerechnet werden. Die Prognose sieht also nur für den kleineren Teil der Paa- re mit Kinderwunsch so günstig aus, wie in der Übersichtsarbeit geschildert.
Es ist auf der einen Seite bewun- dernswert, welche Erfolge in den letzten fünf Jahren weltweit mit der neuen Technik gemacht wur- den. Sie erreichen schon bald die Erfolgsrate normaler Befruchtun- gen in vivo, denn nach Berech- nungen erfahrener Entwicklungs- biologen überleben nur ca. 30 Prozent aller in vivo befruchteten
menschlichen Eizellen bis zur Ge- burt, dabei sterben ca. 50 Prozent der befruchteten Embryonen be- reits vor und während der Implan- tation ab (Biggers, 1981). Deshalb sollten nicht durch eine zu positi- ve Darstellung von Erfolgsraten unerfüllbare Hoffnungen geweckt werden. Bei Berücksichtigung der oben angeführten Einschränkun- gen liegt die Wahrscheinlichkeit, daß ein Kind nach einem Versuch der ln-vitro-Fertilisierung geboren wird, bei weniger als fünf Prozent.
Erfolgsraten von 20 Prozent sind kontinuierlich zur Zeit nur bei jun- gen Paaren mit primärer tubarer Sterilität zu erzielen. Aus ethi- schen Gründen sollten derartige
„Rekorde" jedoch nicht ange- strebt werden, denn dann müßten die Paare mit Kinderwunsch, bei denen die Erfolgswahrscheinlich- keit niedriger ist, ausgeschlossen werden. Bei der Auswahl der Paa- re für die ln-vitro-Fertilisierung beginnt also bereits die Ethik!
2. Beginn des Lebens
— Experimente an Embryonen Bei der Diskussion um den mög- lichen Mißbrauch menschlicher Embryonen im Rahmen der In-vi- tro-Fertilisierung herrscht oft Un- klarheit über den Beginn des Le- bens aus naturwissenschaftlicher Sicht. Mit Methoden der bioche- mischen Genetik lassen sich in frühen Embryonen Enzyme nach- weisen, die in der Eizelle nicht vorhanden waren und die auf die Aktivität väterlicher Gene zurück- zuführen sind, welche über das Spermium vererbt wurden. Heute läßt sich zeigen, daß bereits im Zwei-Zell-Embryo derartige Merk- male nachweisbar sind, die primär
nicht in der Eizelle vorhanden wa- ren und die an die Aktivität des Genoms gebunden sind. Ein Em- bryo im Zwei-Zell-Stadium muß daher als neues Lebewesen ange- sehen werden.
Es ist auch medizinisch-naturwis- senschaftlich von Bedeutung zu wissen, wie sich ein Embryo vor der Implantation in den Uterus von anderen menschlichen Gewe- ben unterscheidet, an denen For- schung betrieben wird. Der Hauptunterschied zwischen ei- nem Zwei-Zelt- oder Vier-Zell-Em- bryo und anderen Zellen aus Zelt- oder Organkulturen ist, daß nur die noch nicht implantierten Em- bryonen das Potential haben, daß sich aus ihnen ein ganzer Mensch entwickelt. Dasselbe Entwick-
lungspotential haben keine ande- ren Gewebe- oder Organkulturen und auch keine Zellgruppen im- plantierter Embryonen.
Auch nach diesen Ergebnissen sind frühe Embryonen schon als ganze Lebewesen anzusehen.
Diese wissenschaftlich unstrittige Tatsache widerspricht unseren ju-
ristischen Normen im Zusammen- hang mit dem Schwangerschafts- abbruch.
Trotz Kenntnis aller dieser Fakten haben wissenschaftliche Gesell- schaften im Ausland Experimente an frühen menschlichen Embryo- nen akzeptiert. So wurden in Eng- land menschliche Embryonen nur zu wissenschaftlichen Zwecken gezüchtet (Angell et al., 1983).
Eine extreme Position vertritt ei- ner der Väter der Methode R. Ed- wards aus England. Er hat eine Theorie über die „Symmetrie des Lebens" aufgestellt, die einleuch-
Extrakorporale Befruchtung und Embryotransfer
Zu den Übersichtsaufsätzen und dem Editorial in Heft 51/52 vom 21. Dezember 1984, Seite 3814 ff.
1264 (68) Heft 17 vom 24. April 1985 82. Jahrgang Ausgabe A
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Embryotransfer
tend erscheinen mag. Es wird heute allgemein akzeptiert, daß
„der Tod in dem Augenblick ein- tritt, in dem das Zentralnervensy- stem zu arbeiten aufhört". Ed- wards folgert nur umgekehrt — hier liegt die Symmetrie — „Das Leben beginnt, wenn das erste Mal Aktivität des Zentralnervensy- stems in einem Embryo nachweis- bar ist". Das fällt nach Edwards mit dem Beginn des Schmerz- empfindens in der sechsten Schwangerschaftswoche zusam- men. Bis zu diesem Zeitpunkt, al- so lange nach der Implantation, will Edwards mit menschlichen Embryonen experimentieren. Die Argumentation macht deutlich, daß Wissenschaftler mit der Problematik überfordert sind und daß die Öffentlichkeit ihnen zur Orientierung Richtlinien geben sollte.
3. Ethische Normen
Die bisherigen Erfahrungen mit der In-vitro-Fertilisierung des
Menschen in der Bundesrepublik Deutschland scheinen zwingend vorgeschriebene Regeln überflüs- sig zu machen. Es ist jedoch we- gen der allgemeinen Unsicherheit auch unter Ärzten der Vorstand der Bundesärztekammer auf dem Deutschen Ärztetag 1984 beauf- tragt worden, ethische Rahmen- richtlinien auszuarbeiten, die den betroffenen Patienten und auch den Ärzten, die diese Therapie- form praktizieren, Gewißheit dar- über geben, daß nur ganz be- stimmte, für die Therapie unerläß- liche Manipulationen an Eizellen, Spermien und Embryonen vorge- nommen werden und daß jeder Mißbrauch ausgeschlossen ist.
Die Öffentlichkeit erwartet einen derartigen Schritt, wie aus Stel- lungnahmen der politischen Par- teien zu entnehmen ist, die eine gesetzliche Regelung anstreben.
Aus ärztlicher Sicht sind die ethi- schen Grenzen sehr viel strenger abzustecken, denn es sollten nur
erfahrene Arbeitsgruppen mit ei- ner ausreichenden personellen und apparativen Ausstattung die neue Methode durchführen. Hier ist zwischen Profilierungsdrang bestimmter Ärzte und den nur zu leicht enttäuschten Erwartungen der Patienten abzuwägen. Die Me- thode ist nicht beliebig oft wieder- holbar, denn nach mehrfacher hormoneller Stimulation sind bei Patientinnen nur noch wenige be- fruchtungsfähige Eizellen zu ge- winnen.
Kommissionen der ärztlichen Selbstverwaltung sollten hier wie auch bei der Prüfung von Arznei- mitteln am Menschen die Einhal- tung der erforderlichen ärztlich- ethischen Rahmenbedingungen gewährleisten.
Privatdozent
Dr. med. Horst Spielmann Arzt für Pharmakologie und klinische Pharmakologie
Zerbster Straße 22, 1000 Berlin 45
AUSSPRACHE
Antiarrhythmika:
Neue Substanzen erweitern das Therapiespektrum
Zu dem Beitrag von
Professor Dr. med. Bernd Lüderitz in Heft 46/1984, Seiten 3409 bis 3417
Stellungnahme I
Der Beitrag von Lüderitz bedarf hinsichtlich der potentiellen he- patotoxischen Nebenwirkungen von Amiodarone einer Ergänzung.
Auf die Möglichkeit dieser Neben- wirkung weist der Autor in seiner Tabelle 3 leider überhaupt nicht hin, im Text wird lediglich ein möglicher Anstieg der Transami- nasen erwähnt. Nach den Anga- ben von Harris (Harris, L., et al.:
Side effects of long-term amioda-
rone therapy. Circulation 67/1983, 45-51) entwickelten immerhin 15 Prozent und nach Fogoros (Fogo- ros, R. N. et al.: Clinical efficacy and toxicity in 96 patients with re- current, drug-refractory arrhyth- mias. Circulation 68/1983, 88-94) 19,8 Prozent ihrer Patienten wäh- rend der Amiodarone-Therapie Transaminasenanstiege. Kürzlich haben J. B. Simon (Simon, J. B. et al.: Amiodarone hepatotoxicity si- mulating alcoholic liver disease, New Engl. J. Med. 311/1984,
167-171) sowie S. Poucell (Pou- cell, S. et al.: Amiodarone-asso- ciated phospholipidosis and fibro- sis of the liver. Gastroenterology 86/1984, 926-936) über ausge- prägte histologische Leberverän- derungen unter einer Behandlung mit Amiodarone berichtet. Simon und Mitarbeiter konnten 305 Tage nach Absetzen des Präparates noch beträchtliche Konzentratio- nen von Amiodarone und seinem Hauptmetaboliten N-desäthyla- miodarone im Lebergewebe Ausgabe A 82. Jahrgang Heft 17 vom 24. April 1985 (71) 1265