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Archiv "Psychosomatische Aspekte in der Geburtshilfe" (22.03.1979)

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Psychosomatische Aspekte in der Geburtshilfe

Manfred Stauber*)

Aus der Frauenklinik Charlottenburg der Freien Universität Berlin (Direktor: Professor Dr. Herbert Lax)

Die Vorstellung der erwarteten Ge- burt geht bei jeder Schwangeren mit Phantasien und Ängsten einher.

Wenn man Erstgravidae nach ihren Ängsten im Zusammenhang mit der Geburt befragt, berichten sie von verschiedenartigsten Ängsten, die in Darstellung 1 gerafft dargestellt sind (Perres, Schenkel, Stauber 1978).

ln dieser Hierarchie fallen Ängste auf, in die man sich gut einfühlen

kann, so zum Beispiel die Angst vor

einer Mißbildung beim Kind, die Angst vor Komplikationen, die Angst vor Schmerzen usw. Man kann diese Ängste als "Realängste" bezeich- nen, wenn sie auch manchmal auf der Basis neurotischer Entwicklun- gen übersteigert empfunden wer- den.

Solche realen Ängste, die teilweise auch auf falschen Vorstellungen be- ruhen, lassen sich abbauen durth eine gelungene Arzt-Palientin-Be- ziehung und durch sicherheitsge- bende Maßnahmen, wie Amniozen- tese, Echolot, Hormonanalysen, CTG usw.

Die Ängste der zweiten Gruppe sind eher zu den "neurotischen Ängsten"

zu rechnen, so zum Beispiel die Angst vor dem Verlust der Selbst- kontrolle, die Angst vor dem Ausge- liefertsein oder die Angst vor dem eigenen Tod. Meist handelt es sich um Patientinnen, bei denen man schon im frühen Schwangerschafts- verlauf vorwiegend psychosomati- sche Symptome wie zum Beispiel vermehrtes Schwangerschaftserbre- chen beobachtete. Genauer lassen sich diese neurotischen Ängste erst

verstehen, wenn man sie auf dem Hintergrund der spezifischen Bio- graphie der einzelnen Schwangeren betrachtet (vgl. Molinski 1972).

Die Geburt ist nicht lediglich das physiologische Ende der Schwan- gerschaft, sondern ein psychosoma- tisches Ereignis -ein Erlebnis, das die Frau mit Leib und Seele erfaßt.

Wohl kaum ein Ereignis im mensch- lichen Leben ist von so vielen Ge- heimnissen umgeben und mit einer solchen Vielfalt an Bedeutungsge- halten versehen worden.

ln tiefenpsychologischen Arbeiten zur Geburt wird auf den Objektver- lust der Frau hingewiesen, der indi- viduell verschieden verarbeitet wird und postpartale Depressionen erklä- ren kann. Die Mutter muß sich schließlich von dem einverleibten Kind trennen, was bei 1hr eige- ne Trennungsängste aktualisieren kann.

ln der geburtshilfliehen Praxis hat man von jeher dem Geburtsschmerz die größte Beachtung geschenkt.

Zwischen folgenden beiden Extre- men lagen die Ansichten:

..,.. Der Schmerz gehöre wesensmä- ßig zur Geburt, nachdem es bereits in der Genesis heißt: "Du sollst dein Kind unter Schmerzen gebären".

..,.. Der Schmerz sei eine sinnlose und deshalb überflüssige Begleiter- scheinung der Geburt.

Nun wird die Schmerzreaktion in starkem Maße von der emotionellen Verfassung der Gebärenden mitbe-

Die einseitig praktizierte ap- parative Geburtshilfe bedarf

der Einbeziehung neuerer

psychosomatischer For- schungsergebnisse. Zur Ver- meidung neurosenrelevanter Entwicklungen bei Mutter und Kind werden präventivmedizi- nische psychosomatische An- satzpunkte in der perinatalen Medizin aufgezeigt. Sowohl für die Schwangerenberatung als auch für den Kreißsaal und

die Wochenbettstation wer-

den praxisnahe Maßnahmen diskutiert. die eine familien- orientierte Geburtshilfe er-

möglichen.

stimmt. Das "Angst-Spannungs- Schmerz-Syndrom", das durch Ar- beiten von Platanow (1923), Read (1933), Lukas (1968) u. a. zu größe- rer Klarheit gekommen ist, dient da- bei zur Erklärung psychogener Ge- bärstöru ngen. Die ängstlich ge- spannte Gebärende zeigt eine Stei- gerung der Schmerzempfindung mit den klinischen Zeichen eines Spas- mus der Cervix uteri.

Zur Verminderung der Geburtsäng- ste und damit der Schmerzen wur- den deshalb in den letzten Jahr- zehnten vermehrt psychologische Vorbereitungsmethoden angewen- det. Im deutschsprachigen Raum hat vor allem die Tübinger Schule um Römer (1967) und das Autogene Training von I. H. Schultz (1970)- vertreten durch Arbeiten von Prill (1977) und Pöttgen (1977)- großen Aufschwung erlebt. Zuvor hat die englische Methode nach Read (1933), die russische Methode durch Velvolvski (1953) und die französi- sche Schule nach Lamaze ( 1952) be- reits zahlreiche Anhänger gefunden.

Diese Methoden, die je nach Schwerpunkt aufklärende, gymna- stische, atemtechnische, lerntheore- tische und autosuggestive Hilfen zur Geburtsvorbereitung geben, haben nach einer Sammelstatistik zwi-

·) Herrn Professor Dr. H. Lax zum 70. Ge- burtstag gewidmet

DEUTSCHES ARZTEBLATT

Heft

12

vom

22.

März

1979

797

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Psychosomatik in der Geburtshilfe

sehen 75 und 96,Prozent Erfolge zu verzeichnen (vgl. Ruppin u. Mitarb.

1977).

Neben dieser ersten großen Gruppe der psychologischen Gebu rtser- leichterung haben die medikamen- tösen Verfahren an Bedeutung ge- wonnen (vgl. Lenz 1973, Beck 1976).

ln psychosomatischer Hinsicht hat nach unserer Ansicht die noch im- mer in mehreren Kliniken gehand- habte Allgemeinnarkose- die soge- nannte Durchtrittsnarkose - einen großen Nachteil für die Mutter, da diese die Geburt selbst nicht bewußt miterleben kann.

Dazu berichtet die Psychoanalytike- rin H. Deutsch (1954) von Frauen, die nach einer prolongierten Entbin- dungsnarkose erklärten, daß das ih- nen vorgestelllte Kind nicht das ihri- ge sei, sondern vertauscht sei. Sie erklärt dieses Phänomen so, daß die ganze an den Geburtsvorgang ge- knüpfte, von der Außenwelt zurück- gezogene psychische Energie in dem Moment der Entspannung dem Kinde zufließt. Das plötzliche Be- freitsein von Schmerz und Angst,

. - - -

- -häufig---,

Schwangere haben ANGST

vor

kaum

V

das Wissen, es geschafft zu haben, führt zu einem Gefühl des Trium- phes und verleiht den ersten Mo- menten der Mutterschaft den Cha- rakter der Ekstase. Da dieser Prozeß in Vollnarkose beeinträchtigt ist, ap- pelliert sie an den Geburtshelfer, die Frau nicht ohne wichtigen Grund um den "Lohn ihrer Arbeit" (engl.

Wehen= labour) zu bringen, das heißt, um das triumphale Gefühl, es geschafft zu haben.

Übersicht 2 stellt die gebräuchlichen geburtserleichternden Verfahren nach ihren Vor- und Nachteilen ein- ander gegenüber. Die medikamen- tösen Methoden sollen die psycho- logische Geburtsvorbereitung nicht ersetzen, beide Methoden können sich sinnvoll ergänzen.

Zur Psychohygiene im Kreißsaal ist anzumerken, daß oft die apparative Medizin die notwendige menschli- che Zuwendung vernachlässigt Wenn Hebamme und Arzt vorwie- gend am Schaltpult des modernen Kreißsaales sitzen, unterbindet dies die erforderliche vertrauensvolle Be- ziehung zur Entbindenden. Es muß auch eine gute Zusammenarbeit

Mißbildung beim Kind Komplikationen

einer langen Geburtsdauer dem Verlust der Selbstkontrolle Schmerzen

der Narkose

allein gelassen zu werden dem Ausgeliefertsein chirurgischen Instrumenten dem eigenen Tod

Untersuchungen in der Klinik Geräuschen im Kreißsaal Hebammen

Krankenschwestern jungen Ärzten der Nachgeburt den Ärzten

Darstellung 1: Angsthierarchie bei Schwangeren. Ergebnis einer Fragebogen- untersuchung an der Frauenklinik Charlottenburg der Freien Universität Berlin

798 Heft 12 vom 22. März 1979 DEUTSCHES ARZTEBLATT

zwischen Arzt und Hebamme beste- hen- Konflikte zwischen ihnen wer- den oft zu Lasten der Kreißenden ausgetragen.

ln der Praxis haben sich auch einige Neuerungen durchgesetzt, die in vielen Kliniken noch als unbequeme Umstellungen mit Skepsis beobach- tet werden.

Väter bei der Geburt

Wenn Hebammen und Ärzte den Ehemann nicht als Aufpasser, son- dern als Helfer bei der Geburt sehen, so kann er

...,. einmal seiner Frau bei der Bei- behaltung der richtigen Atemtech- nik und zur Verarbeitung der Wehen behilflich sein,

...,. er kann weiterhin seiner Frau Si- cherheit und Geborgenheit geben ...,. und schließlich kann er als Infor- mationsübermittler zum Personal dienen, vor allem bei gehemmten und ängstlichen Müttern.

Nach Prill (1976) bewirkt das ge- meinsame" Geburtserlebnis weiter- hin eine Festigung des emotio- nellen Familiengefühles. Auch der Wunsch, das Kind unmittelbar nach der Geburt für eine längere Zeit zu behalten, kann wegbereitend für ei- ne bessere Mutter-Kind-Beziehung sein (H. Deutsch (1954]).

Frühe Mutter-Kind-Beziehung ln psychosomatischer Hinsicht be- ginnt nach der Geburt ein Prozeß, den der Psychoanalytiker Fornari (1970) "das zentrale Problem der ge- samten Entwicklung des kindlichen psychischen Lebens" nennt: die Be- ziehung zwischen Mutter und Kind.

Die Erforschung der frühesten psy- chischen Entwicklung des Kindes ist praktisch erst das Werk der letzten Jahrzehnte. Auf der einen Seite ha- ben Spitz (1957, 1967), Bowlby (1952), Mü ller-Braunschweig (1975) u. a. versucht, durch experimentelle

(3)

+ = halbgünstig

— = ungünstig

ANÄSTHESIE SEDATIVA LAMAZE, AT)

KRITERIEN i. v. / Inhal. Peridural- Caudal-

Pudendus Damminfiltr.

Opiate Spasmolytika Transquilizer

Entspannungsübg.

Atemtechnik Gymnastik Vertrauensverhältnis

Arzt-Hebamme-Pat.

PCB

_,---Ausdehnung I. ANALGESIE

----Wirkungsgrad

+

+

Eröffnung II. GEBURTSPHASE

— Austritt

.„---Zur Vorbereitung III. ZEIT

----Wirkungsdauer Mutter

IV. NEBENWIRKUNGEN

— Kind

V. GEBURTSERLEBEN DER MUTTER

++

++

+

+

++

Darstellung 2: Analgesie in der Geburtshilfe

++

++

Beobachtungen die Entwicklung des Säuglings zu verfolgen. Auf der anderen Seite wurde aus den Psy- choanalysen von Kindern und Er- wachsenen durch Freud, Klein, Win- nicott (1965) u. a. Material und Er- kenntnisse zusammengetragen, die einen Einblick in die Genese neuro- tischer Entwicklungen gaben.

Allen Autoren kommt es bei der Be- schreibung der Mutter-Kind-Bezie- hung darauf an, zu betonen, daß Mutter und Kind nach der Geburt noch eine Einheit bilden. Dabei ist es interessant, daß der Biologe Port- mann (1963) das erste Lebensjahr des Menschen zur Embryonalzeit rechnet. Er stützt sich auf Untersu- chungen von Lange (1903) und Scammon (1922) und belegt, daß der Mensch gemäß seiner Wuchsform im ersten Lebensjahr sowie seiner Gehirngröße ein Jahr zu früh auf die Welt kommt. Im Vergleich zur Tier- welt nennt er den Menschen einen Nesthocker, der noch der extrauteri- nen Nabelschnur bedarf.

Für diesen zweiten postpartalen Uterus gelten beim Menschen in ei- nem nur geringen Maße die erblich

gegebenen instinktiven Ordnungen, die eine funktionierende Entwick- lung garantieren.

Die Erforschung des besonderen Wahrnehmungsinstrumentes, das die Mutter befähigt, die neonatale Situation ihres Kindes zu verstehen, liegt noch im Dunkeln. Die Tatsache, daß dieses Wahrnehmungsinstru- ment sich kaum in Worte, geschwei- ge denn in verifizierbare Größen fas- sen läßt, spricht dafür, daß es in den tiefsten vorsprachlichen Schichten des menschlichen Gefühlslebens angesiedelt ist. Dieses Phänomen der Beziehung der Mutter zu ihrem Säugling kann nur umschrieben werden. Wir sprechen von Empa- thie, von mütterlicher Intuition oder von einer gesteigerten Sensibilität.

Freud (1921) nannte diese frühe Mutter-Kind-Beziehung eine „Masse zu zweit". Spitz (1967) spricht von einer „Dyade" und Therese Benedek (1971) von der „Mutter-Kind-Zwei- einheit". Aus den Arbeiten von Mela- nie Klein darf man folgern, daß der Säugling die Außenwelt, so zum Bei- spiel die Brust der Mutter, als Teil von sich selbst erfaßt. Winnicott

(1974) sieht den Säugling als unrei- fes Wesen, das ständig am Rand un- vorstellbarer Angst steht. Er spricht von der „holding function", die die Mutter einnehmen muß, um dem Kind Halt zu geben. Die zunächst diffusen Gefühle beim Säugling wie Lust und Unlust können sich nur entwickeln, wenn die Gefühlsäuße- rungen jeweils von der Mutter ange- nommen und wiedergegeben wer- den. Der Mutter kommt bei diesem Prozeß eine Spiegelfunktion zu, wie Margret Mahler (1972) es genannt hat. Gelingt es der Mutter nicht, die Signale ihres Kindes zu verstehen, ist der „Dialog" zwischen ihr und dem Kind gestört, und es tritt beim Kind überstarke Unlust und Des- orientiertheit auf. Wird das Kind im- mer wieder diesen negativen irritie- renden Eindrücken ausgesetzt, kann es kein Urvertrauen (Erikson 1961) entwickeln, das die notwendige Ba- sis für eine weitere gesunde seeli- sche Entwicklung darstellt.

In den geburtshilflichen Abteilungen haben die tiefgreifenden psycholo- gischen Folgen einer frühen Mutter- entbehrung (Deprivation) bisher we- nig Verständnis gefunden, dachte

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Heft 12 vom 22. März 1979 799

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Psychosomatik in der Geburtshilfe

man doch daran, daß die Wochen- bettzeit vorwiegend von somati- schen und endokrinalogischen Pro- zessen bestimmt sei. Maas (1973) betonte schließlich - auf der Suche nach präventivmedizinischen psy- chosomatischen Ansatzpunkten - die Relevanz der perinatalen Peri- ode (vgl. auch Leboyer 1974). Es gibt auch einen experimentellen Anhalt dafür, daß es nach der Geburt eine "besonders sensitiv~ Phase"

gibt, die für die emotionale Bezie- hung zwischen Mutter und Kind von Bedeutung ist. Den Verhaltensfor- schern ist eine derartige Phase bei einer Reihe von Tieren bekannt. Bei Trennung von Muttertier und Jun- gen unmittelbar nach der Geburt reagieren diese mit einem abnormen Brutpflegeverhalten. So nimmt zum Beispiel die Mutter das Junge nach einer postpartalen Trennung nicht mehr an. Erfolgt die Trennung je-

%

68,9%

doch erst am fünften Tag, dann nimmt die Mutter ihr arteigenes, schützendes und pflegendes Verhal- ten wieder auf. Beim Menschen kann man solche Zusammenhänge· an Fällen ablesen, in denen Frauen in der Klinik irrtümlicherweise nicht das eigene Kind erhalten haben. Prill (1976) zitiert hierzu einen Fall, bei dem sich die Verwechslung der Neu- geborenen erst nach 14 Tagen auf- klärte. Die Mütter beider Kinder wa- ren nur schwer bereit, das jeweils versorgte fremde Kind gegen ihr ei- genes einzutauschen. Marshall u.

Mitarbeiter ( 1972) haben zwei G ru p- pen von Erstgebärenden verglichen.

Während die Mütter der ersten Gruppe gleich nach der Geburt ihr Kind für eine Stunde behielten und es während des Klinikaufenthaltes jeweils zusätzlich zu den Stillzeiten fünf Stunden am Nachmittag beka-

men, hatten die Mütter der Kontroll-

gruppe ihr Kind nur jeweils eine hal-

Darstellung 3: Stillhäufigkeit und Stilldauer Berliner Mütter (n == 1008) Untersu- chung in verschiedenen Bezirken, durchgeführt von der Frauenklinik Charlot- tenburg der Freien Universität Berlin

800 Heft 12 vom 22. März 1979

DEUTSCHES ARZTEBLATT

be Stunde zu den kliniküblichen Stillzeiten. Bei einer Nachuntersu- chung einen Monat später zeigte sich, daß die Mütter mit dem intensi- ven Kontakt zu ihren Kindern gegen- über den Müttern der Kontrollgrup- pen deutlich liebevoller und enga- gierter im Umgang mit ihren Kindern waren. Diese positive Einstellung war auch noch bei einer Nachunter- suchung, ein Jahr später, festzustel- len. Eine weitere Studie mit ähnli- chem Ergebnis, die sich vor allem auf die günstige Auswirkung des Stillens bezieht, lieferte Winter (1976).

Über die Mutter-Kind-Situation bei Frühgeborenen haben Kenell (1976), Sokoloff u. Mitarb. (1976) sowie Ke- nell (1976) Untersuchungen durch- geführt. Alle diese Autoren kamen zu dem übereinstimmenden Urteil, daß Kinder in der monotonen Umge- bung . des Brutkastens zusätzlich emotionelle und taktile Zuwendung brauchen. Sie konnten zeigen, daß Frühgeborene besser gedeihen, wenn man sie gleichzeitig in die Hände der Mutter gibt.

Rooming-in-System

Das "Rooming-in-System" - das

ganztägige Zusammenbringen von Mutter und Kind auf der Wochen- bettstation - hat sich als Unterstüt- zung beim Aufbau einer gelungenen Mutter-Kind-Beziehung bewährt.

Die Einheit von Mutter und Kind wird dadurch erhalten. Zusätzlich beste- hen Vorteile, die der Mutter mehr Sicherheit in dieser Zeit geben. So zum Beispiel

.,.. die Entwicklung besserer pflege- rischer Fähigkeiten,

.,.. die Entängstigung mancher Erst- gebärenden gegenüber ihrem Kind und

.,.. das schnellere Erkennen der nor- malen und individuellen Reaktionen des Kindes.

Selbstverständlich bewirkt das allei- nige räumliche Zusammenbringen von Mutter und Kind noch keine ge-

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lungene Dyade, es stellt aber einen Nährboden hierfür dar. H. Deutsch (1954) glaubt, daß sich die Zahl der versagenden Mütter sehr verringern würde, wenn man die freie Entwick-

lung der mütterlichen Gefühle weni- ger reglementieren würde.

Das trifft vor allem auf die Frage des Stillens zu, von dem Therese Bene-

0

Faktoren, die mit zunehmender Stilldauer positiv korrelieren

..". Intensive Vorbereitung auf Geburt und Kind ..". Positive Einstellung des Partners zum Stillen ..". Anwesenheit des Partners bei der Geburt

..". Sofortiger postpart. Kontakt zwischen Mutter und Kind ..". Positives Stillerleben

..". Aufsteigende soziale Schicht

f)

Faktoren, die mit zunehmender Stilldauer negativ korrelieren

..". Schwer empfundener Geburtsverlauf ..". Ungeduldiges Verhalten des Klinikpersonals ..". Furcht vor Beeinträchtigung der Figur

Darstellung 4: Faktoren, die in einem statistischen Zusammenhang mit der Stilldauer stehen (n = 1008, Irrtumswahrscheinlichkeit ~1 %)

0

Im Rahmen der Schwangerenberatung

..". Vertrauensvolle Arzt-Patient-Beziehung ("tender-loving-care") ..". Hilfestellung bei sozialen Problemen

..". Psychologische Geburtsvorbereitung (z. B. Read, AT, Kreißsaalbe- sichtigung)

..". Information über Relevanz der Mutter-Kind-Beziehung (einschließlich Säuglingskurs, Stillen, Hautkontakt)

f)

Im Kreißsaal

..". Intensive Zuwendung von Hebamme und Arzt ..". Möglichkeit zur Partneranwesenheit

..". Anstreben eines positiven Geburtserlebnisses (Analgesie) ..". Überlassen des Kindes der Mutter unmittelbar postpartal

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Auf der Woohenbett- und Säuglingsstation

..". Möglichkeit zum "Rooming-in" und "Self-Demand-Feeding"

..". Förderung der Mutter-Kind-Beziehung (sensitive Phase) ..". Ermutigende Unterstützung bei der Einbahnung des Stillens ..". Hilfe in allen den Säugling betreffenden Fragen (Frühgeburten) Darstellung 5: Präventivmedizinische psychosomatische Ansatzpunkte in der perinatalen Medizin

802 Heft 12 vom 22. März 1979 DEUTSCHES ARZTEBLATT

dek (1971) sagt, daß es gemeinsam mit dem Hautkontakt (vgl. Montagu 1974) die extrauterine Nabelschnur zwischen Mutter und Kind darstelle.

Ein für Mutter und Kind befriedigen- des Stillerlebnis gibt nach den Fest- stellungen vieler Autoren (Nitsch 1976, Meves 1977 u. a.) ein tragbares Fundament für eine genügend gute emotionelle Beziehung zwischen beiden. Man darf auch annehmen, daß das Stillen der Mutter ein besse- res Verstehen der averbalen Signale des Kindes ermöglicht.

Das Stillen

Wenn man das Stillen als Wegberei- ter für eine gelungene Mutter-Kind- Beziehung ansieht, kann das Stillen

als "präventivmedizinische Aufga-

be" der Geburtshilfe angesehen werden. Wie sieht nun hier aber die Wirklichkeit aus?

ln den Jahren von 1973-1976 haben wir eine Untersuchung durchge- führt, die sich mit der Stillhäufigkeit und dem Stillverhalten Berliner Müt- ter befaßt (Goldstein u. Stauber 1977). Einige Ergebnisse der Unter- suchung zeigt Darstellung 3, so etwa zu den Fragen: Wie häufig und wie lange stillen zur Zeit Berliner Mütter und welche Faktoren beeinflussen ihr Stillverhalten?

Die im letzten Jahr in New Orleans von der Amerikanischen Akademie für Kinderheilkunde mit Nachdruck geforderte Stillzeit von einem hal- ben Jahr wird nach unserer Untersu- chung bestenfalls in 5 Prozent er- füllt. Wenn man die Stillhäufigkeit noch auf die verschiedenen Entbin- dungskliniken verteilt, so fällt auf - und hier scheint der Einfluß des Kli- nikpersonals deutlich einzugehen - daß die Schwankungsbreite primär nichtstillender Frauen zwischen 4 und 44 Prozent liegt.

Greift man aus unserer Untersu- chung die Faktoren heraus, die mit zunehmender Stilldauer positiv be- ziehungsweise negativ korrelieren, so ergibt sich die in Darstellung 4 gezeigte Übersicht. Von den hier aufgeführten Punkten ließen sich im

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FÜR SIE GELESEN

In den Vereinigten Staaten wird eine besondere Art von Herzrhythmus- störungen als „holiday-heart-Syn- drome" bezeichnet, weil diese Form der Rhythmusstörung vorwiegend nach Wochenenden und in den Fe- rien auftritt.

Es handelt sich dabei um eine akute Herzrhythmusstörung einerseits und Reizleitungsstörungen andererseits, die bei an sich Herzgesunden nach stärkerem Alkoholgenuß auftreten und nach Abstinenz sofort wieder verschwinden.

Man nimmt an, daß bei diesen Pa- tienten eine Art „vorklinische" alko- holische Kardiomyopathie vorliegt und daß die auftretenden Arrhyth- mien verantwortlich sind für die ho- he Todesrate an plötzlichem Herz- tod bei Alkoholikern.

Leider werden diese Rhythmusstö- rungen, sofern sie überhaupt er- kannt werden, häufig als „idiopa- thisch" abgetan, da bei diesen Pa-

Zur Tamponade blutender Ösopha- gusvarizen findet entweder die Dop- pelballonsonde nach Sengstaken- Blakemore oder die birnenförmi- ge Linton-Nachlas-Sonde Verwen- dung, wobei sich die letztgenannte—

obwohl wegen einiger spektakulärer Todesfälle in den USA verboten — einer wachsenden Beliebtheit er- freut.

In einer kontrollierten Studie wur- den bei 79 Patienten mit einer Öso- phagusvarizenblutung beide Son- den hinsichtlich Effizienz und Si- cherheit analysiert.

Eine primäre Hämostase war mit beiden Sonden in 86 Prozent zu er- zielen, ein permanentes Sistieren von Ösophagusvarizenblutungen

tienten kardiologische Grund- erkrankungen zumeist nicht vorlie- gen. Eine Autorengruppe beobach- tete Herzrhythmusstörungen an 24 Patienten, bei denen anamnestisch ein erheblicher Äthylismus bekannt war.

Keiner dieser Patienten hatte EKG- beziehungsweise Röntgenverände- rungen des Herzens, und bei keinem gab es klinische Hinweise für eine organische Herzerkrankung.

Die häufigst beobachtete Rhythmus- störung war Vorhofflimmern, gefolgt von Vorhofflattern und ventrikulären Extrasystolen. Ein Patient hatte ei- nen vorübergehenden totalen AV- Block. Dem

Ettinger, P. 0.; WU, C. F.; De La Cruz, Jr. C.; et al. College of Medicine and Dentistry of New Jersey, New Jersey Medical School, and Mart- land Hospital Unit, Newark, and Englewood Hospital, Englewood, N. J.: Arrhythmias and the „holiday heart": Alcoholassociated cardiac rhythm disorders. Am. Heart J. 95 (1978) 555-562

gelang mit der Sengstaken-Blake- more Sonde in 52 Prozent, mit der Linton-Nachlas Sonde nur in 30 Pro- zent.

Bei blutenden Magenvarizen versag- te die Sengstaken-Sonde, eine pri- märe Hämostase gelang jedoch mit der Linton-Sonde in 50 Prozent. Die Tamponade sollte innerhalb von sechs Stunden nach Einsetzen der Blutung erfolgen, bei der Sengsta- ken-Sonde sollte auf einen externen Zug verzichtet werden.

Teres, J.; Cecilia, A.; Bordas, J. M.; Rimola, A.;

Bru, C.; Rodes, J.: Esophageal tamponade for bleeding varices. Controlled trial between the Sengstaken-Blakemore tube and the Linton- Nachlas tube, Gastroenterology 75 (1978) 566-569, Unidad de Hepatologia, Hospital Clinico y Provincial, Casanova 143, Barcelona 11

PsychosomatikinderGeburtshilfe

präventivmedizinischen Sinne vor allem die psychologische Geburts- vorbereitung, der frühe Kontakt zwi- schen Mutter und Kind sowie ein- fühlsameres Verhalten des Klinik- personals benutzen, um Verbesse- rungen zu erzielen.

Wenn man sich abschließend verge- genwärtigt, wie eminent wichtig die Förderung der sensitiven Phase in der perinatalen Periode für die spätere Persönlichkeitsentwicklung des Kindes ist, so kann man sich der hieraus erwachsenden präventivme- dizinischen Verantwortung kaum entziehen. Einige psychosomatische Ansatzpunkte, die vor allem für den Klinikbereich wichtig sind, sollen deshalb in der abschließenden Übersicht (Darstellung 5) zusam- mengefaßt werden.

Literatur

Deutsch, H.: Psychologie der Frau, 2. Band, Verlag H. Hubert, Bern u. Stuttgart (1954) 88-233 — Goldstein, M.; Stauber, M.: Untersu- chung zum Stillverhalten Berliner Mütter, noch unveröff. (1978) — Leboyer, F.: Der sanfte Weg ins Leben, K. Desch-Verlag, München (1974)

—Maas, G.: Praktische Psychohygiene zur Ver- hütung neurotischer und psychosomatischer Störungen, Diagnostik, 6 (1973) 544-547 — Me- ves C.: Der Weg in die neurotische Verwahrlo- sung, Vorschläge zu Heilung und Vorbeugung, Berliner Ärzteblatt 19 (1977) 874-879 — Molins- ki, H.: Bilder der eigenen Weiblichkeit, Ärger während der Geburt und Rigidität des Mutter- mundes, Zeitschr. Psychos. Med. Psychoanal.

14 (1968) 90-101 — Molinski, H.: Die unbewußte Angst vor dem Kind, Kindler, München (1972) — Müller-Braunschweig, H.: Die Wirkung der frü- hen Erfahrung, das erste Lebensjahr und seine Bedeutung für die psychische Entwicklung, Er- gebnisse und Probleme, Klett, Stuttgart (1975)

— Perrez, M.; Schenkel, H.; Stauber, M.: Eine experimentelle Untersuchung zur psychologi- schen Geburtsvorbereitung, Z. Geburtsh. u.

Perinat. 182 (1978) 149-155 — Pöttgen, H.: Die Integration des autogenen Trainings in die ge- burtshilfliche Psychoprophylaxe, Geburtshilfe und Frauenheilkunde 31 (1971) 150-151 — Prill, H. J.: Psychologie der Schwangeren, Gebären- den und Wöchnerin, Gynäkologie und Ge- burtshilfe, Bd. II, Thieme, Stuttgart (1967) 270 — Spitz, R. A.: Vom Säugling zum Kleinkind, Na- turgeschichte der Mutter-Kind-Beziehungen im ersten Lebensjahr, Klett, Stuttgart (1967) — Winnicott, D. W.: Reifungsprozesse und för- dernde Umwelt (1965), Kindler, München (1974)

Anschrift des Verfassers:

Privatdozent Dr. med.

Manfred Stauber, Ass. Prof.

Frauenklinik und Poliklinik Charlottenburg

der Freien Universität Berlin Pulsstraße 4-14, 1 Berlin 19

Das „Holiday-Herz-Syndrom"

Sengstaken-Blakemore-Sonde oder Linton-Nachlas-Sonde

bei tisophagusvarizenblutung?

804 Heft 12 vom 22. März 1979 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Referenzen

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