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Archiv "Psychosomatische Aspekte bei entzündlich-rheumatischen Erkrankungen" (07.04.1995)

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MEDIZIN AKTUELL

Psychosomatische Aspekte

bei entzündlich-rheumatischen Erkrankungen

Wolfgang Eich

D

ie Psychosomatik organischer Erkrankungen, also die klassi- sche Psychosomatik im enge- ren Sinne, beschäftigt sich mit den psychischen Faktoren in der Ätiologie, der Pathogenese und dem Verlauf somatischer Erkrankungen.

Sie betreibt dabei eine Integration von spezialisierten Erkenntnissen aus der psychotherapeutischen Medizin in die ebenso spezialisierte praktische und klinische Medizin der jeweiligen Fächer. Damit läßt sie sich von der Psychosomatik als Psychotherapie neurotischer oder funktioneller Er- krankungen unterscheiden, die sich mittlerweile mit der Ausarbeitung an- erkannter diagnostischer und daraus abgeleiteter therapeutischer Richtlini- en als eigenes Fachgebiet für „Psycho- therapeutische Medizin" etabliert hat.

Anlehnend an das Alltagsmodell der Psychosomatik, das sich in zahl- reichen umgangssprachlichen, meta- phorischen und subjektiven Sprech- weisen niederschlägt (Alltagstheorie), hat die wissenschaftliche Psychoso- matik für das Verständnis des Zusam- menwirkens von Körper und Seele verschiedene Theorien und Modelle entwickelt (Übersicht in 19, 47). Das früheste wissenschaftliche Modell wies einem spezifischen, psychodyna- misch isolierbaren Konflikt eine spe- zielle Krankheit zu (Spezifitätstheo- rie). Ergänzend versuchte man später, in einem spezifischen psychischen Defizit, zum Beispiel der „Unfähig- keit, die eigenen Gefühle zu erken- nen" (sogenannte „Alexithymie"), ei- ne Disposition zu einer psychosomati- schen Erkrankung zu sehen (Defizit- theorie). Diese Theorien wurden er- weitert durch die Annahme unspezifi- scher, psychisch belastender Auslöse- faktoren (Streßtheorie) und durch die Interpretation der subjektiven Ein- stellungen und des Verhaltens im Ver-

Psychosoziale Faktoren haben bei ent- zündlich-rheumatischen Erkrankungen entscheidende Auswirkung auf die Art der Erstmanifestation, die Art der Krankheitsverarbeitung und den Ver- lauf. Psychosoziale Faktoren beeinflus- sen darüber hinaus auch das Ausmaß der körperlichen Symptome, den Funk- tionsstatus der Gelenke und damit den Ausgang der Erkrankung. Somit muß die ärztliche Therapie auch Elemente der Psychotherapie im Sinne der psy- chosomatischen Grundversorgung ent- halten. Hierbei geht es um eine aktiv haltende und stützende Einstellung des Arztes, damit es langfristig zu ver- mehrter Selbstsicherheit und zum Auf- bau des Gefühls kommt, der Krankheit nicht nur ausgeliefert zu sein, sondern sie auch beeinflussen zu können.

lauf chronischer Erkrankungen als ei- nes Lernprozesses (Lerntheorie).

Neuentwicklungen in der psychoso- matischen Theoriebildung der letzten Jahrzehnte führten damit zur Be- schreibung von immer komplexeren bio-psychosozialen Modellen der kli- nischen Psychosomatik (20, 21). Dies gilt auch für die klinische Psychoso- matik entzündlich-rheumatischer Er- krankungen (Übersichtswerke: 13, 48, 49), wie hier am Beispiel der chroni- schen Polyarthritis, der ankylosieren- den Spondylitis und des systemischen Abteilung Innere Medizin II (Schwerpunkt:

Allgemeine Klinische und Psychosomatische Medizin, Ärztlicher Direktor: Prof. Dr. med.

Peter Hahn) der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg.

Lupus erythematodes (LE) erläutert werden sollen.

Chronische Polyarthritis (cP)

Aus der Gruppe der rheumati- schen Erkrankungen wurde die cP ge- radezu paradigmatisch für rheumati- sche Erkrankungen immer wieder auf psychologische Faktoren hin unter- sucht.

F. Alexander (2) nahm sie in sei- nen Kanon der psychosomatischen Krankheiten im engeren Sinne auf.

Als häufigste chronisch-entzündliche, in Schüben verlaufende rheumatische Erkrankung sind Patienten und Ärzte immer wieder mit den schwierigen psychosozialen Auslöse- und Ver- laufsbedingungen einer Krankheit konfrontiert, die chronisch Schmer- zen bereitet und die Bewegung behin- dert.

cP und klinische Psychosomatik

Frühe klinische Beschreibungen charakterisierten die cP als eine auch psychologisch auffällige Patientenpo- pulation. Die Patienten erschienen den Autoren in kasuistischen Studien ruhig, bescheiden, zuverlässig, gewis- senhaft, beruflich selbständig, ge- fühlsmäßig äußerungsgehemmt und selbstaufopfernd (22), sowie unreif, umweltabhängig und perfektioni- stisch (30). Durch ihre Schwierigkei- ten, Gefühle auszudrücken (2, 7, 22), insbesondere Ärger und Aggression (22, 32), wirkten sie hinter einer Fassade gespielter Selbstsicherheit doch erheblich unsicher und hatten Schwierigkeiten im mitmenschlichen Umgang (37). Diese frühen klini- schen Deskriptionen haben aus heuti- Deutsches Ärzteblatt 92, Heft 14, 7. April 1995 (51) A-1021

(2)

ger Sicht den methodischen Mangel einer nicht charakterisierten Patien- tenselektion und eines fehlenden Kontrollgruppen-Vergleichs.

F. Alexander (2) postulierte-wie auch andere psychoanalytisch gepräg- te Autoren -für diese klinische Sym- ptomatik einen gemeinsamen psycho- dynamischen Hintergrund, indem er eine spezifische Form der Aggressi- onshemmung annahm.

Neuere Untersuchungen mit standardisierten Testinstrumenten haben gezeigt, daß die Persönlich- keitsstruktur von Patienten mit einer cP, wenn sie in den Frühstadien erfaßt wird, sich von der bei anderen chro- nisch Kranken nicht unterscheidet.

Auch neuere psychoanalytisch inspi- rierte Untersuchungen zeigten keine spezifischen Konflikte, sondern ent- lang der individuellen psychogeneti- schen Entwicklungslinie unterschied- liche Vulnerabilitäten gegenüber konflikthaften Lebenssituationen (23). Die oben aufgezeigten Persön- lichkeitseigenschaften sind somit wahrscheinlich krankheitsreaktiv in- terpretierbar oder Ausdruck einer Persönlichkeitsstruktur chronisch Kranker ( 46) überhaupt. Das ändert jedoch nichts an der Tatsache, daß bei nahezu allen Patienten konflikthafte Probleme mit der Krankheit auftre- ten. In einer größeren Stichprobe konnte nur bei 19 Prozent dercP-Pati- enten kein Konflikt gefunden werden (44), auch wenn es sich hierbei nicht um spezifische Konflikte handelte.

cP und Auslösung

Eine zunehmende Anzahl von Untersuchungen belegt einen Zusam- menhang zwischen belastenden Le- bensereignissen (life-events) und Krankheitsausbruch. Während des letzten Jahres vor Beginn der Erkran- kung finden sich signifikant mehr psy- chologische Stressoren und familiäre Konflikte (3). Trennung vom Ehe- partner sowie Krisen in den zwi- schenmenschlichen Beziehungen, Tod und Verlust wichtiger Bezugsper- sonen oder Autoritäts- und Ehepro- bleme gehen der Auslösung der Er- krankung oft voran. Die Psychoneu- roimmunologie (1) als Versuch, das

"missing link" zwischen Körper und Psyche zu bestimmen, hat für diese

AKTUELL

Tabelle 1 : Psychosomatische Aspekte der chronischen Polyarthritis

Bei der Erstmanifestation (nach Baker [3]):

..,.. während des letzten Jahres vor Beginn der Erkrankung signifi- kant mehr psychologische Stressoren und familiäre Kon- flikte

Im Verlauf (nach Rimon [36]):

1. "major-conflict group"

.... deutliche Häufung psychischer Konflikte,

....

akute Symptomatik,

....

rapide Progression

2. "non conflict group"

....

psychische Konflikte können

nicht festgestellt werden

....

schleichender Beginn,

....

langsamer Verlauf,

....

positive Familienanamnese

Durch die Art der Krankheitsver- arbeitung (nach Keefe et al. [25]): .... Niedrige Einschätzung eigener Beeinflussungsmöglichkeiten, ..,.. erlernte Hilflosigkeit und .... "Katastrophisieren" führen zu signifikant stärkeren Schmerzen und schlechterem Funktionsstatus der Gelenke als aktive Auseinan- dersetzung

Zusammenhänge neuerdings e1mge Belege geliefert, indem sie den Zu- sammenhang zwischen Verlusterleb- nissen und Änderungen immunologi- scher Parameter aufgezeigt hat.

cP und Verlauf

Der Verlauf der cP wird durch das Vorhandensein psychischer Kon- flikte und durch die Art des Umgangs sowie die bewußte und unbewußte Einstellung (Coping) zur Krankheit insgesamt beeinflußt.

Erste psychologisch bedingte Differenzierungen in der wahrschein- lich inhomogenen Gruppe von Pati- enten mit cP wurden durch Rimon (36) gezeigt. Er isolierte zwei Sub- gruppen, deren klinischer Verlauf mit der An- oder Abwesenheit psychi- scher Konflikte korrelierte:

1. eine "major-conflict-group"

mit: akuter Symptomatik, rapider Progression, deutlicher Häufung psy- chischer Konflikte;

A-1022 (52) Deutsches Ärzteblatt 92, Heft 14, 7. April1995

2. eine "non-conflict-group" mit:

Ausbleiben psychischer Konflikte, schleichendem Beginn, langsameren Verlauf, positiver Familienanamnese.

Er schloß deshalb bei der "non- conflict-group" auf das Vorherrschen eines genetischen Faktors, der bei der

"major-conflict-group" nicht vorlie- gen sollte.

Die Coping-Forschung konnte zudem zeigen, daß die Art des für je- den Patienten typischen Bewälti- gungsstils einen bisher unterschätzten Einfluß auch auf den körperlichen Verlauf der Erkrankung hat und eng mit dem Funktionsstatus der Gelenke korreliert ist. Insbesondere ein pas- siv-hinnehmendes Coping, zusammen mit einer niedrigen Einschätzung ei- gener Beeinflussungsmöglichkeiten (self-efficacy), ist mit Hoffnungslosig- keit und Depression verbunden.

Angst und Depression wiederum füh- ren zu einem deutlich schlechteren Verlauf der cP. Erlernte Hilflosigkeit und "Katastrophisieren" haben einen signifikant schlechten Einfluß auf die Schmerzen und den Funktionsstatus (25) .

Grob klassifizierend können drei verschiedene Copingmuster ( 45) der Krankheitsbewältigung unterschie- den werden:

e

aktive Auseinandersetzung,

e

Verleugnung,

e

hilflose Unterwerfung.

Diese unterschiedlichen Coping- stile haben einen prädiktiven Wert nicht nur für das psychische Wohlbe- finden, sondern auch für den Funkti- onsstatus der Gelenke (33). Die Ver- laufsforschung konnte sogar zeigen, daß psychologische Variablen wie Angst und Depression den Funkti- onszustand der Gelenke besser prädi- zieren können als jeder somatische Parameter, ja selbst besser als Akti- vitätsparameter (wie BKS, CRP und andere) und Schweregradparameter (wie röntgenologischer Befund) (18).

Das weist nochmals eindringlich auf die Bedeutung psychischer Faktoren für den Verlauf hin (Tabelle 1).

Verknüpft man die Ergebnisse der Persönlichkeits-, der Streß- und Verlaufsforschung, so wird deutlich, daß belastende Lebensereignisse dann größeres Gewicht haben, wenn der Ausbruch der Erkrankung jen- seits der eigenen Kontrollierbarkeit

(3)

Tabelle 2: Psychotherapeutische Funk- tionen des Arztes bei Patienten mit ent- zündlich-rheumatischen Erkrankungen, sogenannte „psychosomatische Grund- versorgung"

1. Aktiv stützende und haltende Einstellung, die den Patienten in seinen Ängsten annimmt.

2. Information und Beratung des Patienten und der Angehöri- gen, damit die individuellen und familiären Ressourcen genutzt werden können.

3. Stimulierung einer introspekti- ven und selbstreflektiven Wahr- nehmungsfähigkeit, um die eigene Befindlichkeit sowie Krankheitssymptome und Medikamentenwirkungen und -nebenwirkungen besser abschätzen zu können 4. Kontinuierliche und geduldige

Betreuung des Patienten, die das Anlehnungsbedürfnis des Patienten versteht

5. Ich-Stärkung durch die gemein- same Bearbeitung individueller Konflikte bei der Krankheits- auslösung und im Verlauf der Erkrankung („individuelle Si- tuationsanalyse")

6. Beachtung des Zeitpunkts der Überweisung zur Psychothera- pie (Einzel-/Paar- oder Famili- entherapie) oder Hinweis auf krankheitsorientierte Gruppen- therapien

MEDIZIN

erlebt wird und wenn es infolge er- lernter Hilflosigkeit, Depression oder Angst zu mangelnder Compliance und unvollständiger medizinischer Therapie kommt

Das ist besonders dann deletär, wenn infolge mangelnder Körper- und Selbstwahrnehmung der Patient nur schwer in der Lage ist, über seine somatischen und psychischen Be- schwerden adäquat mit dem Arzt zu kommunizieren.

Ein günstiger Verlauf kann sich aber dann einstellen, wenn Stressoren weitgehend fehlen, eine Kontrollier- barkeit der Erkrankung empfunden wird und der Patient in seiner Wahr- nehmung durch möglichst wenig neu- rotische Verzerrungen eingeschränkt ist.

cP und psychosomatische Grundversorgung

Für den rheumatologisch orien- tierten Allgemeinmediziner, Interni- sten oder Orthopäden geht es deshalb bei der Behandlung von cP-Patienten um eine langfristige und abgestufte psychotherapeutische Begleitung, wie sie in der psychosomatischen Grund- versorgung (beispielhaft in 5, 47) kon- zeptualisiert ist. Über Jahre oder Jahrzehnte ist der Arzt der entschei- dende Ansprechpartner, mit dem wichtige Entscheidungen wie Medi- kamentenänderungen, Operationen, Zeitpunkt einer Rehabilitationsmaß- nahme, berufliche Schwierigkeiten, Berufsaufgabe und anderes bespro- chen werden und der mit neu aufkom- mender Sorge, Angst, Depression und Verzweiflung sowie der zwi- schenzeitlichen Hoffnungslosigkeit zuerst konfrontiert wird. Seine psy- chotherapeutischen Funktionen be- stehen in einer Vielzahl von Aktivitä- ten, die in Tabelle 2 zusammengefaßt sind.

Eine Indikation zur Psychothera- pie ergibt sich dann, wenn zwischen Arzt und Patient ein Grundkonsens über eine psychosoziale Konfliktsi- tuation und deren Zusammenhänge erreicht ist, das heißt, wenn eine genü- gend große Introspektionsfähigkeit vorliegt, der Patient nach einer reflek- tierenden Annahme der eigenen Krankheit zu einer Therapie moti- viert ist und wenn das Ausmaß der

AKTUELL

psychischen Störung die Erkrankung des Patienten beeinflußt.

Studien zur Einzel-Psychothera- pie der cP sind rar, berichten aber über teilweise erstaunliche Ergebnis- se (29) bis zur Symptomfreiheit (27).

Die Behandlung besteht dabei in ei- ner niedrigfrequenten Psychothera- pie über mehrere Jahre (11). Zuneh- mend werden die Ergebnisse krank- heitsorientierter Gruppentherapien (12, 51) bekannt, die neben Entspan- nungsmethoden (Autogenem Trai- ning, Biofeedback oder Progressiver Muskelrelaxation) aus bis zu zehn- stündigen psychodynamischen (9) oder kognitiv-verhaltenstherapeu- tisch (31) orientierten Gruppenge- sprächen bestehen und mit Schmerz-

bewältigungsstrategien und gezieltem Aktivitätsaufbau arbeiten.

Diese Gruppentherapien stellen für den Patienten oft ein subjektiv vergleichsweise gering bewertetes therapeutisches Verfahren dar, mit dem sie sich nicht genug gefördert se- hen. Als ein eigenständiges Therapie- verfahren bietet es dem Patienten je- doch in konzentrierter Form vielfäl- tigste Möglichkeiten der Krankheits- bewältigung und darüber hinaus eine Fülle neuer Kommunikationsmög- lichkeiten.

Verglichen mit Patienten, die le- diglich soziale Unterstützung und kei- ne Gruppentherapie erhielten, zeig- ten Patienten, die an einer Gruppen- therapie teilnahmen, eine deutlichere Schmerzreduktion, einen verbesser- ten Funktionsstatus sowie signifikan- te Verbesserungen der Krankheitsak- tivitätsparameter wie BKS, Zahl der betroffenen Gelenke, Griffstärke und Titer des Rheumafaktors (8, 34).

Ankylosierende Spondylitis (AS)

AS und klinische Psychosomatik

Der klinische Eindruck, daß Pati- enten mit AS (früher: M. Bechterew) im sozialen Bereich sehr angepaßt, ar- beitssam, strebsam sowie wenig krank seien, wenig klagten und in der Bezie- hung zum Arzt sehr kooperativ seien, konnte durch Untersuchungen be- stätigt werden (53). Patienten mit ei- ner AS haben eine höhere interne

„Kontrollüberzeugung", was sich auch darin zeigt, daß sie besser mit ih- rer Krankheit umgehen können und sie besser in den Griff bekommen als Patienten mit einer cP (16).

AS-Subgruppen

In psychoanalytischen Interviews (40, 41, 42) fanden sich in nichtkon- trollierten Studien ausgeprägte früh- kindliche, hypermotorische Impulse, deren Hemmung zum späteren Zeit- punkt (beispielsweise bei Eintritt in das Berufsleben oder bei Heirat) mit dem Krankheitsbeginn assoziiert schien (52).

Deutsches Ärzteblatt 92, Heft 14, 7. April 1995 (55) A-1023

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In einer eigenen Untersuchung von 67 Patienten mit AS und einer gleich großen, nach Alter und Ge- schlecht parallelisierten gesunden Kontrollgruppe konnten wir anhand von semistrukturierten Interviews und testpsychologischen Untersu- chungen nachweisen, daß die meisten dieser Thesen nicht mehr aufrechter- halten werden können (14), sondern daß eine Differenzierung nötig ist.

Bestehen blieben allenfalls Hinweise auf eine verstärkte frühkindliche Mo- torik bei den Patienten und Hinweise auf eine krankheitsreaktive soziale Isolierung. Anband der Art der Selbstwertregulation konnten wir drei psychologisch unterscheidbare AS-Subgruppen identifizieren, die auch klinisch und damit differen- tialtherapeutisch relevant sind (15).

~ 52 Prozent der AS-Patienten zeigten eine stabile Selbstwertregula- tion, mit relativ geringem Leidens- druck und geringem subjektiven Krankheitserleben und meisterten ih- re Erkrankung auch bei hoher Krank- heitsaktivität adäquat. Sie brauchen allenfalls eine Beratung und Informa- tion von seiten des Arztes.

~ 35 Prozent der AS-Patienten konnten unter Zuhilfenahme aktiver Gegenregulationsbemühungen ihr bedrohtes Selbstwertgefühl wieder deutlich stabilisieren. Sie hatten selbst bei mittlerer Krankheitsakti- vität einen sehr guten Funktionsstatus von Gelenken und Wirbelsäule. Diese Patienten bedürfen einer supportiv- unterstützenden und entängstigenden Begleitung durch den Arzt.

~ 13 Prozent der AS-Patienten zeigten ein ausgesprochen instabiles Selbstwertgefühl, das durch keinerlei Bemühungen kompensiert werden konnte. Sie glichen hierin den Patien- ten einer psychosomatischen Ambu- lanz. Schon bei geringer Erkran- kungsaktivität zeigten sie eine hohe Funktionseinschränkung. Diese Pati- enten bedürfen daher dringend neben der rheumatologischen einer zusätzli- chen psychosomatischen, oft kon- fliktzentrierten Behandlung.

AS und Psychotherapie

Als evaluiertes Psychotherapie- konzept bei AS kann über ein stan- dardisiertes Gruppen-Behandlungs-

,.,

... ,

AKTUELL

programm mit den Elementen pro- gressive Muskelrelaxation, kognitives Training, Aufmerksamkeitsfocussie- rung und Aktivitätsförderung berich- tet werden, das zu deutlicher Verbes- serung der Selbstkontrolle des chroni- schen Schmerzes und zur Reduktion von Ängstlichkeit und Depression bei Patienten mit AS führt (4).

Systemischer Lupus erythemetades (SLE)

SLE und klinische Psychosomatik

Das Erstmanifestationsalter zwi- schen dem 15. und 25. Lebensjahr (39) bedingt ein charakteristisches Zusam- mentreffen mit Schwellensituationen des frühen Erwachsenenlebens wie Berufsbeginn, Berufsausbildung, Pu- bertät, Freundschaftsbeziehungen, Ehe, Schwangerschaftswunsch und

SLE und organische Psychosyndrome

Durch die Möglichkeit eines ze- rebralen Lupus-Befalls kommt er- schwerend hinzu, daß zwischen 50 Prozent und 75 Prozent der Patienten mit SLE neuropsychiatrische Sympto- me aufweisen. Häufigstes psychisches Symptom sind organische Psychosen mit optischen und akustischen Hallu- zinationen und paranoiden Verken- nungen. Daneben finden sich auch de- mentielle Entwicklungen und depres- sive Zustandsbilder (6). Wichtigstes Frühsymptom sind Konzentrations- störungen.

49 Prozent der SLE-Patienten haben vor der Erstdiagnose des SLE psychiatrische Symptome, 33 Prozent der SLE-Patienten waren deshalb schon vor der Diagnose des SLE in psychiatrischer Behandlung (50). Ein routinemäßiges Antikörper-Scree- ning aller psychiatrischen Patienten auf ds-DNA-Antikörper kann trotz- dem nicht als effektiver diagnosti- scher Weg empfohlen werden, da nur 0,1 bis 0,2 Prozent der Patienten, die in ein psychiatrisches Krankenhaus eingeliefert werden, einen SLE zur Grundlage haben (10).

A-1024 (56) Deutsches Ärzteblatt 92, Heft 14, 7. April1995

Schwangerschaft. Dabei ist deutlich, daß die Konflikte um so besser bewäl- tigt werden können, je stabiler die prämorbide Persönlichkeitsstruktur ist.

Die "impact" (Zusammenstoß, Einfluß)-Forschung hat nun gezeigt, daß SLE-Patienten hier mindestens ebenso große Probleme haben wie Patienten mit einer cP (28).

Abhängig von der Schwere der Erkrankung, mit einer Mortalität von bis zu 20 Prozent innerhalb von zehn Jahren (35), und der prämorbiden Persönlichkeitsstruktur sind die meist jungen Patientinnen erheblich verun- sichert und haben große psychische Probleme (1.) mit einer bedrohlich er- scheinenden Krankheit, die sie oft zu verleugnen versuchen, und (2.) mit der unter Umständen hochdosierten und aggressiven Therapie.

Je länger sie sich mit Krankheit und intensiver Therapie konfrontiert sehen, um so eher zeigen sie ängstli- che und depressive Reaktionen (28).

Neuere Untersuchungen zeigen, daß insbesondere Patienten mit zere- bralem Befall schwere psychische Störungen aufweisen, nämlich "Bor- derline-Persönlichkeits-Störungen",

"schwere neurotische Störungen"

oder "psychotische Depressionen"

(17) (nach DSM-III-R). Dieselben Patienten zeigen auch eine niedrigere neurokognitive Konzentrationsfähig- keit.

Es muß jedoch davor gewarnt werden, diese psychischen Manifesta- tionen immer als integralen Part eines ZNS-Lupus zu sehen (38). Sie können genauso gut Ausdruck einer comorbi- den Persönlichkeitsstörung, die unab- hängig vom SLE besteht, oder Resul- tat der Medikation (in der Regel Steroide und NSAR) sein. Die diffe- rentialdiagnostischen Überlegungen müssen am Einzelfall entschieden werden.

SLE und Psychotherapie

Die Summation der Befunde zeigt, daß bei nahezu jedem SLE-Pa- tienten mit erheblichen psychosozia- len Problemen zu rechnen ist. Im Ein- zelfall bedeutet dies für den behan- delnden Arzt ein Vorgehen im Sinne

(5)

MEDIZIN

der integrierten psychosomatischen Grundversorgung mit der Bereit- schaft zur verantwortlichen Übernah- me längerfristiger Begleitung mit In- formation, Aufklärung, Beratung und Beruhigung sowie der Möglichkeit der Rückversicherung für den Patien- ten in unklaren Situationen und der Stimulation zur besseren Selbstbeob- achtung.

Wenn darüber hinaus — durch die Schwere der psychischen Symptoma- tik indiziert — eine Psychotherapie notwendig ist, so sollte bei jugendli- chen Patienten auch an ein oder meh- rere Familiengespräche (38) gedacht werden. In einzelnen Fällen kann nur durch die kombinierte und langfristig koordinierte Zusammenarbeit von Immunologen, Psychiatern und psy- chosomatisch arbeitenden Internisten eine erfolgreiche psychosomatische Therapie gelingen (24, 26).

Berichte über erfolgreiche psy- chotherapeutische Einzelbehandlun- gen sind selten (43).

Ausblick

Für die Rheumatologie sollte die systematische Einbeziehung psycho- sozialer Aspekte bei der Erstmanife- station, dem Verlauf und der Thera- pie entzündlich-rheumatischer Er- krankungen integraler Bestandteil ih- res Selbstverständnisses sein. Dazu gilt es, zunächst das vorhandene Wis- sen zu bündeln, zu systematisieren und für die Praxis nutzbar zu machen.

Patienten-Selbsthilfe-Organisationen (Rheumaliga, Bechterew-Vereini- gung, SLE-Gruppen und andere) ha- ben die Notwendigkeit dieser inte- grierten Betreuung schon frühzeitig erkannt. Bisher in ihren psychosoma- tischen Anteilen nur wenig erforschte rheumatologische Krankheitsbilder, wie die Sklerodermie, die Wegener- sche Granulomatose, die Borreliose, und andere schwere rheumatische Er- krankungen, wie Kollagenosen oder Vaskulitiden, sollten dabei in Zukunft mehr berücksichtigt werden.

Aus wissenschaftlicher Sicht geht es darum, anstatt gutgemeinter poly- pragmatischer Behandlungsversuche wissenschaftlich begründete und in ihrer Effektivität evaluierte Hand- lungsanweisungen für die Praxis und

AKTUELL / FÜR SIE REFERIERT

für die spezialisierte klinische Be- handlung zu erarbeiten. Wenn dieses Feld nicht halb- oder antiwissen- schaftlichen Richtungen überlassen werden soll, so müßte in den beste- henden Institutionen die Psychoso- matik rheumatischer Erkrankungen durch wissenschaftliche Projektbil- dungen dringend und nachhaltig ge- fördert werden.

Durch das abgestufte psychothe- rapeutische Vorgehen in psychosoma- tischer Grundversorgung, krankheits- orientierter Gruppentherapie und ge- gebenenfalls Einzel- und Famili- entherapie ist es möglich geworden, psychosomatisches Wissen mehr als bisher in den Alltag der Betreuung von Patienten mit entzündlich-rheu- matischen Erkrankungen einzubezie- hen. Neben der wissenschaftlichen Aufarbeitung geht es also auch im In- teresse der Patienten darum, das Be-

Impfstoff gegen Malaria in Sicht?

Trotz aller Bemühungen ist es bislang noch nicht gelungen, einen ef- fektiven, sicheren Impfstoff gegen Malaria zu entwickeln.

Eine multinationale Arbeits- gruppe berichtet über den Einsatz ei- nes synthetischen Impfstoffes gegen Plasmodium falciparum in Tansania.

Hierbei wurden Polypeptide der präerythrozytären und asexuellen Phase des Plasmodium falciparum synthetisiert und nach entsprechen- den Vorversuchen bezüglich Sicher- heit und Immunogenität bei 586 Kin- dern randomisiert doppelblind kon- trolliert eingesetzt.

Sowohl nach den drei Impfzyklen als auch in der einjährigen Nachbeob- achtungszeit wurden keine schweren Nebenwirkungen des Impfstoffes be- obachtet, die Rate leichter Nebenwir-

wußtsein für die Notwendigkeit psy- chotherapeutischen Wissens in der Fort- und Weiterbildung zu unter- streichen.

Zitierweise dieses Beitrags:

Dt Ärzteb11995; 92: A-1021-1026 [Heft 14]

Die Zahlen in Klammern beziehen sich auf das Literaturverzeichnis im Sonderdruck, anzufordern über den Verfasser.

Anschrift des Verfassers:

PD Dr. med. Wolfgang Eich Präsident der Gesellschaft für

Psychosomatik in der Rheumatologie Medizinische Klinik und Poliklinik Ruprecht-Karls-Universität Bergheimer Straße 58 69115 Heidelberg

kungen betrug nach der dritten Impf- stoffgabe weniger als 6 Prozent.

Der Impfstoff erwies sich als hoch immunogen, nach drei Impfun- gen hatten alle Kinder der Verum- gruppe nachweisbare anti-SPf66-An- tikörper.

Die Inzidenz einer Parasitämie war zwar in der Plazebo- wie in der Verumgruppe gleich (etwa ein Viertel der Geimpften und ein Drittel der Nichtgeimpften), die Zahl der tödlich verlaufenden Malariafälle ließ sich je- doch im Beobachtungszeitraum signi- fikant senken (ein Todesfall in der Verumgruppe, fünf in der Plazebo- gruppe).

Nach Auswertung aller Daten er- gab sich eine Effektivität des Impf- stoffes von 31 Prozent.

Die Autoren halten den geteste- ten Impfstoff für sicher, ausreichend immunogen und geeignet, das Risiko der Malaria in einem Endemiegebiet zu senken. acc

Alonso PL et al.: Randomized trial of SPf66 vaccine against Plasmodium falci- parum malaria in children in southern Tanzania. Lancet 1994; 344: 1175-1181.

Dr. PL Alonso, Unidad de Epidemiolo- gia y Bioestadistica, Fundacio per a la Recerca Biomedica, Hospital Clinic i Provincial, Villaroel 170, E-08036 Barce- lona, Spanien.

A-1026 (58) Deutsches Ärzteblatt 92, Heft 14,7. April 1995

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