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Archiv "Klassifikation entzündlich-rheumatischer Erkrankungen" (31.03.1995)

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MEDIZ AKTUELL

Klassifikation

entzündlich-rheumatischer Erkrankungen

Wolfgang Müller

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bwohl die entzündlich-rheu- matischen Erkrankungen rein zahlenmäßig gegenüber den degenerativen Gelenk- und Wirbelsäulenerkrankungen wie auch den nichtentzündlichen extraarti- kulären rheumatischen Prozessen weit im Hintergrund stehen — sie ma- chen in der ärztlichen Praxis etwa fünf bis zehn Prozent aller im rheumati- schen Formenkreis zusammengefaß- ten Erkrankungen aus — spielen sie doch wegen ihres oft schwerwiegen- den, nicht selten sogar malignen und dann einer aggressiven Therapie hei- schenden Verlaufes sowie wegen ihrer häufigeren Manifestation schon im ju- gendlichen Alter in Klinik und Praxis eine große Rolle.

Grundsätzlich lassen sich die ent- zündlich-rheumatischen Erkrankun- gen aufgrund klinischer, genetischer, immunologischer und pathologischer Kriterien in vier Gruppen unterteilen, die „seronegativen" Spondarthritiden (Synonyme: HLA-B 27 assoziierte Spondarthritis, „seronegative" ( =- rheumafaktornegative) Spondylar- thropathie), die chronische Polyar- thritis (Synonym: Rheumatoide Ar- thritis) einschließlich ihrer Sonderfor- men, die Kollagenosen (Synonyme:

„Kollagenkrankheiten", systemische Autoimmunkrankheiten) und die von diesen in den letzten Jahren als beson- dere Krankheitsgruppe getrennten primären Vaskulitiden (Tabelle 1).

Spondarthritiden

Zu dieser Gruppe gehören die re- aktiven Arthritiden, die sich im Rah- men einer immunologischen Reakti- on auf bekannte exogene Faktoren, insbesondere mikrobielle Infektionen entwickeln. Sie sind streng von den ei- gentlichen infektiösen Arthritiden zu unterscheiden (Abbildung 1), deren Prototyp die septische Arthritis ist,

Nach der heute gültigen Klassifikation werden die entzündlich-rheumatischen

Erkrankungen in vier Hauptgruppen unterteilt. Die erste Gruppe, die soge- nannten seronegativen Spondarthriti- den, zu denen auch die reaktiven Ar- thritiden gezählt werden, entwickeln sich auf dem Boden einer genetischen Disposition. Auch bei der zweiten Grup- pe, der chronischen Polyarthritis und ihren Spielarten sind genetische Fakto- ren für den die Erkrankung unterhal- tenden Innmunprozeß entscheidend.

Auslösende Ursachen konnten bisher noch nicht nachgewiesen werden. Die dritte Gruppe umfaßt die durch eine sehr variable klinische Symptomatolo- gie gekennzeichneten sogenannten Kol- lagenkrankheiten, von denen in neu- erer Zeit als vierte Gruppe die primä- ren Vaskulitiden abgetrennt wurden.

bei der im Gegensatz zur reaktiven Arthritis nicht Immunprozesse, son- dern eine direkte Erregereinwirkung zur Gelenkentzündung und -zer- störung führt. Die Übergänge zwi- schen den mikrobiell — vorwiegend durch Bakterien — bedingten und den reaktiven Arthritiden sind allerdings fließend, wurden doch in neuerer Zeit durch subtile bakteriologische Unter- suchungen, insbesondere durch spezi- elle Verfahren wie die Polymerase- Kettenreaktion, unter anderem bei einigen der als reaktiv angesehenen Hochrhein-Institut für Rheumaforschung und Rheumaprävention (Vorstand: Dr. jur. Günther Nufer), Bad Säckingen

Arthritiden eine Persistenz der Erre- ger selbst (wie Borrelien-Arthritis) oder von Bestandteilen der Erreger (wie Chlamydien induzierte Arthri- tis) nachgewiesen. Während bei den erstgenannten Formen noch eine di- rekte Erregereinwirkung den Entzün- dungsprozeß im Gelenk erklären kann, ist bei den letztgenannten das Vorhandensein eines Antigens offen- sichtlich für die Auslösung und Un- terhaltung des Immunprozesses und damit der Arthritis von entscheiden- der Bedeutung, wie dies auch bei den durch exogene Allergene oder durch Fremdserum-Injektionen — etwa bei Impfungen mit Antiseren ausgelösten Arthritiden der Fall ist (Tabelle 2).

Als Trigger-Mechanismen für die Auslösung reaktiver Arthritiden kommen vor allem Infekte des Darms und der ableitenden Harnwege sowie Anginen durch hämolytische Strepto- kokken der Gruppe A und nicht allzu selten auch Virusinfekte in Frage (Ta- belle 2), wobei der Infekt der Arthritis meist um eine oder mehrere Wochen vorausgeht, selten auch verschiedene andere exogene Antigene.

Neben dem Infekt („Auslöser") spielen für die Manifestation der re- aktiven Arthritiden sicher auch gene- tische Faktoren („Prädisposition") ei- ne Rolle, entwickelten sich diese Er- krankungen doch zum Teil vorwie- gend bei Patienten mit bestimmten genetischen Merkmalen. So treten die durch Darm- und Urogenitalinfekte ausgelösten reaktiven Arthritiden be- sonders bei Personen auf, die Träger des HLA-B27 sind. Durch diesen ge- netischen Marker kann das klinische Erscheinungsbild der Erkrankung und ihr Verlauf entscheidend beein- flußt werden, wie dies am Beispiel der Yersinia-Arthritis gezeigt wurde.

Während HLA-B27-positive Perso- nen nach einer Yersinia-Enteritis ne- ben einer peripheren Arthritis auch ein Wirbelsäulenbefall und eventuell A-946 (48) Deutsches Ärzteblatt 92, Heft 13, 31. März 1995

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Abbildung l: Darstellung der durch Mikroorganismen bedingten Arthritiden

das klassische Bild eines Reiter-Syn- droms entwickeln, ist dies bei den HLA-B27-negativen Personen nicht der Fall.

Das klinische Bild der reaktiven Arthritiden ist- soweit nur die Gelen- ke befallen sind - relativ uncharakte- ristisch. Meist handelt es sich um Oli- goarthritiden, die sich bevorzugt an den unteren Extremitäten manifestie- ren, doch kommen auch Mono- und Polyarthritiden vor. In der Regel nimmt die Erkrankung einen selbst li- mitierenden Verlauf und klingt auch ohne Folgeerscheinungen am Gelenk ab. Seltener beobachtet man chroni- sche Verläufe, insbesondere bei der Manifestation eines Reiter-Syn- droms, wobei es auch zu Gelenkde- struktionen kommen kann.

Für die Diagnose der einzelnen reaktiven Arthritiden ist einmal die Anamnese mit dem Hinweis auf einen vorangegangenen Infekt (Angina, Darminfekt, Urogenitalinfekt und an- dere), zum anderen der Befall ver- schiedener Organsysteme und der ge- netische "Marker" (wie HLA-B27) von besonderer Bedeutung. So geht bekanntlich das nach einer Angina (A-Streptokokken!) auftretende rheumatische Fieber meist mit zusätz- lichen entzündlichen Veränderungen am Herzen, am Gehirn und zum Teil auch der Haut einher, während die nach einer durch Chlamydien aus- gelösten Urethritis auftretende Ar- thritis oft zusätzliche Symptome des Reiter-Syndroms (reaktive Arthritis

= inkomplettes Reiter-Syndrom) er- kennen läßt. Zur Unterbauung der Diagnose dient einmal der Nachweis der das Krankheitsbild auslösende Erreger, die allerdings oft nicht mehr erfaßt werden können, gegebenen- falls auch von Bestandteilen dieser Erreger, zum anderen vor allem die Bestimmung von Antikörpern gegen diese Erreger, wobei insbesondere Ti- ter-Veränderungen im Verlauf der Er- krankung diagnostisch wertvoll sind.

Sehr eng verwandt mit reaktiven Arthritiden sind die als seronegativ (weil Rheumafaktor negativ) be- zeichneten Spondarthritiden (oder Spondylarthritiden [Abbildung 2 ]),

AKTUELL

Arthritis mit Erregerpersistenz Beispiel: Barrelien-Arthritis

Tabelle 1: Einteilung entzündlich-rheu- matischer Erkrankungen

1. Spondarthritiden ... reaktive Arthritiden*

(nach Yersinien-, Chlamydien-, Campylobakter- u. a. Infektion) ..,.. Psoriasisarthritis

..,.. Spondylitis ankylosans ..,.. Spondylitis bei Psoriasis ..,.. Spondylitis bei chronischem Reiter-Syndrom

..,.. Spondylitis bei chronischen Enteropathien

(Colitis ulcerosa, Enteritis re- gionalis)

..,.. Spondylitis bei Morbus Behr,:et

2. chronische Polyarthritis ( rheumatoide Arthritis-Grup- pe) und Sonderformen: Felty- Syndrom, Alters-cP,

rheumatoide Vaskulitis 3. Kollagenosen

..,.. systemischer Lupus erythe- matodes (SLE)

..,.. Poly-/Dermatomyositis ..,.. progressive Sklerodermie ..,.. Mixed connective tissue- disease

4. Primäre Vaskulitiden ..,.. Panarteritis nodosa

..,.. mikroskopische Polyangiitis ..,.. Wegeuer Granulomatose ..,.. Churg-Strauss-Syndrom ..,.. Riesenzellarteriiden

* beachte: Das rheumatische Fieber, die Lyme-Borreliose und "allergisch"' induzierte Arthritiden werden nicht den Spondarthritiden untergeordnet ( vgl. Tabelle 2)

deren Charakteristika in Tabelle 3 dargestellt sind. Wie bereits betont, werden die beiden Krankheitsgrup- pen heute von einigen Autoren wegen der zum Teil weitgehenden Über- schneidungen in Pathogenese und Klinik in eine Gruppe "seronegative Spondylarthropathien" zusammenge- faßt, doch muß betont werden, daß einzelne reaktive Arthriti,den wie bei- spielsweise das rheumatische Fieber die Wirbelsäule nicht befallen, keine Assoziation zu HLA-B27 (sondern ei- nem anderen genetischen Marker) aufweisen und sich klinisch auch meist völlig anders manifestieren. So wird das rheumatische Fieber auch manchmal den "Kollagenosen" zuge- rechnet, da es hierbei nicht nur zur Autoreaktivität ("Autoimmunphä- nomenen"), sondern auch zur Auto- aggressivität (rheumatische Karditis) kommen kann.

Auch bei den seronegativen Spondarthritiden spielen genetische Faktoren - wiederum meist erkenn- bar im Vorhandensein des HLA-B27 -eine wesentliche Rolle. So sind etwa 95 Prozent der Patienten mit einer Spondylarthritis ankylosans Träger dieses Merkmals. Daneben scheinen auch hier Infekte zum Teil als Trigger- Mechanismus für die Manifestation der Erkrankung bedeutsam, wie dies vor allem beim Reiter-Syndrom be- kannt ist, das vorwiegend durch uro- genitale und auch gastrointestinale Infekte ausgelöst wird.

Die anderen mit den seronegati- ven Spondarthritiden assoziierten Er- krankungen, insbesondere die Colitis ulcerosa, die Ileitis regionalis (Mor-

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postenteritische reaktive Arthritis

sexuell-aquirierte reaktive Arthritis

andere „reaktive"

Arthritidena Yersinia-Arthritis

Campylobacter jejuni- Arthritis

Salmonellen-Arthritis

Shigellen-Arthritis

Clostridium-differen- zierte Arthritis

chlamydieninduzierte Arthritis

ureaplasmainduzierte Arthritis

HIV-assoziierte Arthritis

gonorrhöinduzierte Arthritis

(meist aber septisch)

durch beta-hämoly- tische Streptokokken der Gruppe A induzierte Arthritis brucelleninduzierte Arthritis

durch Viren (wie Hepatitis, Parvo- viren) induzierte Arthritis durch andere exogene Antigene bedingte Arthritiden Tabelle 2: Systematik reaktiver Arthritiden

Kein Bezug zu HLA-B27, keine Mitreaktion des Achsenskeletts, keine Enthesiopathien

Leitsymptom

!■] häufiger als 20 % seltener als 20 % ankylosans Spondylitis

Psoriasis - Arthritis Morbus Reiter Colitis ulcerosa Morbus Crohn Morbus Whipple Morbus Behcet (juvenile Arthri-

tis)

Polyarthritis

Spondylitis (Sakrolitis) Uveitis (Konjunktivitis)

Harnwegsinfekt (Urethritis) Psoriasiforme Effloreszenzen

Schleimhautläsionen (Mund, Genitale) Enterocolitis

Erythema nodosum (Thrombophlebitis) MEDIZIN

Abbildung 2: Organmanifestationen bei den ver- schiedenen „seronegativen" Spondarthritiden

bus Crohn) und auch die Psoriasis scheinen den Boden für die Entwick- lung der entzündlichen Veränderun- gen an der Wirbelsäule darzustellen, wobei wahrscheinlich verschiedene genetische Faktoren die sehr unter- schiedliche Häufigkeit der Sakroiliitis und der Spondylitis bei den einzelnen Erkrankungen bestimmen. Bei tierex- perimentellen Untersuchungen an HLA-B27 tragenden „transgenen"

Ratten steht „klinisch" und morpho- logisch (Colitis) zunächst eine Darm- erkrankung und dann ein entzünd- lich-rheumatisches Syndrom, mit frappierenden Ähnlichkeiten zur Spondarthritis-Gruppe, im Vorder- grund. Deshalb wird vermutet, daß über die Entzündung des Darms (oder der Haut: bei der Psoriasis) eine

„Schrankenstörung" auftritt und Bakterien (-fragmente) in die Zirku- lation und konsekutiv ins Gelenk ge- langen.

Das Krankheitsbild der serone- gativen Spondylarthritiden ist geprägt durch die entzündlichen Veränderun- gen im Bereich der Sakroiliakalgelen- ke und der Wirbelsäule, die sich in den anamnestischen Angaben — meist

AKTUELL

nächtlich auftretende, auf Bewegung abnehmende Schmerzen tieflumbal und oft auch in die Beine ausstrahlend

— den klinischen Befunden mit den Entzündungszeichen der IS-Gelenke (Mennelsches Zeichen und andere) und der verminderten Wirbelsäulen- beweglichkeit sowie schließlich in dem oft charakteristischen Röntgen- befund äußern. Dieser zeigt je nach Alter und Verlauf des Prozesses un- terschiedliche Bilder. So beobachtet man im IS-Gelenk im Anfangsstadi- um oft Pseudoerweiterungen der Ge-

lenkspalten — bedingt durch eine ge- lenknahe Knochenentkalkung — spä- ter Usurierungen und partielle Anky- losen, während das Endstadium durch eine totale knöcherne Ankylo- se gekennzeichnet ist. An der Wirbel- säule beobachtet man die charakteri- stischen Syndesmophyten, bei der Spondylitis im Rahmen einer Psoria- sis oder eines Reiter-Syndroms nicht selten auch paraspinale Ossifikatio- nen, die auch als Parasyndesmophy- ten bezeichnet werden sowie entzünd- lich-ankylosierende Veränderungen an den kleinen Wirbelgelenken.

Auch die peripheren Gelenke werden bei den seronegativen Spon- dylarthritiden oft rezidivierend und chronisch destruierend betroffen, wo- bei die Häufigkeit des peripheren Ge- lenkbefalls bei den einzelnen Erkran- kungen wechselt. Oft beginnt die Er- krankung sogar mit einer diagnostisch unklaren Gonarthritis oder Oligoar- thritis, doch können auch initiale Po- lyarthritiden beobachtet werden. Sind im gesamten Krankheitsverlauf nur periphere Arthritiden vorhanden, wie dies zum Beispiel bei der Mehrzahl (etwa 75 Prozent) der Patienten mit Psoriasis-Arthritis der Fall ist, so kann man meines Erachtens nicht von einer „Spondylarthropathie" spre- chen.

Für die Differenzierung der ver- schiedenen Formen der seronegati- ven Spondarthritiden ist die Beobach- tung weiterer Organmanifestationen bedeutsam, wie sie in Abbildung 2 dargestellt sind.

A-948 (52) Deutsches Ärzteblatt 92, Heft 13, 31. März 1995

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Antigen

Antigen präsentierende Zellen mit MHC-II-Strukturen (Makrophagen/dentritische Zellen)

Aktivierung von Immun- und anderen Zellen, Freisetzung von Zytokinen,

Wachstumsfaktoren, Antikörpern, Enzymen, Entzündungsmediatoren

CD4+ T-Zellen aktiviert

Gelenk- entzündung

Gelenk- zerstörung

Organwahl verschiedener Kollagenkrankheiten - >50 % ---- 30 - 50 % 20 - 30 % Lupus erythematodis

dissens

Progressive Sklerodermie

Oesophagus und Gastroin- testinaltrakt

Muskel

mixed connective tissue disease

Ema

Poly- und Dermato- myositis MEDIZIN

Chronische Polyarthritis

Auch hier sind wahrscheinlich genetische Faktoren entscheidend, wie besonders Untersuchungen von Weyand et al. gezeigt haben. Diese Autoren konnten nachweisen, daß vor allem bestimmte Untergruppen des HLA-DR-B 1 mit dem klinischen Bild der chronischen Polyarthritis korrelieren. Ein auslösender Mecha- nismus ist dagegen nach wie vor noch nicht bekannt, doch werden bei dieser Erkrankung Virusinfektionen als Ur- sache vermutet, die einen immun- pathologischen Prozeß in Gang set- zen, wie er schematisch und sehr ver- einfacht in Abbildung 3 dargestellt ist. Hierbei spielen wahrscheinlich ne- ben den genetischen Faktoren noch Alter und Geschlecht eine Rolle, die möglicherweise die immunologische Homöostase beeinflussen.

Das klinische Bild der chroni- schen Polyarthritis ist so charakteri- stisch, daß es hier nicht näher geschil- dert werden muß. Typisch ist der sym- metrische Befall der Fingergrund- und -mittelgelenke, der eine Unter- scheidung beispielsweise von der klassischen Psoriasisarthritis ermög- licht, bei der auch die Fingerendge- lenke oder alle Gelenke eines Fingers beziehungsweise einer Zehe (Befall im Strahl) betroffen sind. Die Rheu- maknoten, die sich am häufigsten an der Ellbogenstreckseite entwickeln, aber auch an anderen Stellen des Be-

AKTUELL

Abbildung 3: Schematische Darstellung der Immun- pathogenese der chronischen Polyarthritis wegungsapparates und in den inneren Organen vorkommen können, sind der klassische Befund der ausgepräg- ten Polyarthritis. Röntgenologisch wird das Bild dieser Erkrankung im Anfangsstadium durch eine gelenk- nahe Osteoporose, später durch Usu- ren und Gelenkspaltverschmälerung (destruierende Arthritis!) gekenn- zeichnet, während bei der Psoriasis- Arthritis neben oft sehr ausgeprägten

Usurierungen Knochenproliferatio- nen beobachtet werden.

Beginn und Verlauf der chroni- schen Polyarthritis können sehr un- terschiedlich sein. Neben dem Beginn in den kleinen Gelenken beobachtet man nicht allzu selten auch initial ei- nen Befall großer Gelenke, zum Teil als Mono- und Oligoarthritis, so daß die Diagnose schwierig wird, wenn sie nicht durch den Nachweis der für die- se Erkrankung charakteristischen Rheumafaktoren untermauert wer- den kann, die in 75 Prozent der chro- nischen Polyarthritiden gefunden werden. Sie können allerdings in den atypisch verlaufenden Fällen oft feh- len (Sensitivität etwa 70 Prozent); die- se werden dann „seronegativ" ( = RF- negativ) genannt.

Weitere „atypische" Verlaufsfor- men sind die cP im Alter (sogenannte Alters-cP, late onset cP etc.), die juve- nile chronische Arthritis (Tabelle 4), das Felty-Syndrom sowie Varianten, die Überlappungssymptome zu den Kollagenosen (wie cP mit „sekun- därem" Sjögren-Syndrom) oder Vas- kulitiden (wie cP mit „sekundärer"

Vaskulitis: rheumatoide Vaskulitis) aufweisen.

Kollagenosen

Die Gruppe der von Klemperer unter diesem Begriff zusammenge- faßten Krankheitsbilder ist recht in- homogen (Tabelle 1), wobei die Ursa- chen der verschiedenen Erkrankun- gen meist völlig unklar sind. Pathoge- netisch treten hier autoimmunologi- sche Prozesse wesentlich offensichtli- cher als bei den bisher erwähnten Krankheitsbildern zutage, erkennt- lich an der polyklonalen Hypergam- maglobulinämie mit den verschiede- nen Autoantikörpern und den im Se- rum und zum Teil auch in den Orga- nen nachweisbaren Immunkomple- xen. Besonders die verschiedenen an- tinukleären Antikörper (ANA) sind für einige der Kollagenosen sehr cha- rakteristisch und damit diagnostisch wertvoll.

Unter den Kollagenosen ist der systemische Lupus erythematodes Abbildung 4: Organmanifestationen bei verschiede- nen Kollagenkrankheiten (nach Müller und Schilling)

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Tabelle 3: ESSGo-Klassifikation der Spondylarthropathie

1. Entzündliche Rückenschmerzen oder

Synovitis

- asymmetrisch oder

- hauptsächlich in den unteren Extremitäten

2. Eins oder mehrere der folgen- den Merkmale:

- Positive FamiIiengeschichte - Psoriasis

- Entzündliche Darmerkrankun- gen

- Urethritis,Zervizitis oder akute Diarrhoe innerhalb des letzten Monats vor Beginn der Arthritis - Tiefsitzender Schmerz zwischen dem rechten und linken Gluteus- Bereich alternierend

- Enthesiopathie - Sakroiliitis

n Europäische Spondylarthropathie Studien-Gruppe; Dougados el al.

Arthr Rheum 1991; 34: 1218-1227

(SLE) am bekanntesten. Pathogene- tisch handelt es sich um eine Immun- komplex-Krankheit, wie die Ablage- rungen von Immunkomplexen in ver- schiedenen Organen erkennen lassen.

Klinisch ist der SLE in typischen Fäl- len durch das schmetterlingsförmige Exanthem im Gesicht, Arthritiden und Temperaturerhöhungen gekenn- zeichnet, darüber hinaus können Symptome verschiedenster Organe in Erscheinung treten (Abbildung 4), unter denen die Immunkomplex- nephritis am bekanntesten ist.

Die Diagnose des SLE ist bei vollausgeprägtem Krankheitsbild ein- fach, kann jedoch bei Patienten mit uncharakteristischen Krankheitssym- ptomen klinisch schwierig sein. Be- sonders in diesen Fällen ist die Labor- diagnostik mit dem Nachweis der re- lativ spezifischen Antikörper gegen native Desoxyribonukleinsäure, eventuell auch dem antinukleären Antikörper Sm von entscheidender Bedeutung.

Eine weitere Kollagenose stellt die Poly-Dermatomyositis dar, ein Krankheitsbild, dessen Pathogenese noch weitgehend unklar ist. Klinisch ist es durch entzündliche Muskelver- änderungen, fakultativ auch Hautver-

AKTUELL

Tabelle 4: Juvenile chronische Arthritis - fünf abgrenzbare Krankheitsbilder

~ Chronische Arthritis mit syste- mischem Beginn

(Fieber, Hepatosplenomegalie, Lymphadenopathie, Leukozy- tose, Exanthem, Polyserositis, Arthritis)

~ Polyartikuläre chronische Ar- thritis

- mit frühem Beginn (Rheumafaktor negativ) - mit spätem Beginn . (Rheumafaktor positiv)

"adulte Form"

~ Oligoartikuläre chronische Ar- thritis

- mit frühem Beginn

(antinukleäre Faktoren positiv) - mit spätem Beginn

(HLA-B27)

Pathogenese noch unklar, wenn auch der häufige Nachweis antinukleärer Faktoren (bei etwa 60 Prozent) (Scl- 70, Anti-Zentromer-AK) auf eine Im- munpathogenese hinweist. Klinisch können auch bei dieser Erkrankung unterschiedliche Organe befallen sein (Abbildung 4), doch steht der Haut- befund diagnostisch in der Regel im Vordergrund und läßt meist eine Blickdiagnose zu. Hier kann man den akrosklerotischen (peripheren) Typ, wie er bei etwa 95 Prozent der syste- mischen progressiven Sklerodermien vorkommt, von dem seltenen zentro- skierotischen diffusen Typ unter- scheiden.

Initial beobachtet man oft nur ein Raynaud-Phänomen, wie es auch bei anderen Kollagenkrankheiten vor- kommen kann.

Von der systemischen progressi- ven Sklerodermie sind andere ver- wandte Krankheitsbilder wie die eosi-

Tabelle 5: Einteilung primärer Vaskulitiden nach Gefößtyp

Geflißtyp Granulombildung Granulombildung nachweisbar nicht nachweisbar groß Riesenzellarteriiden"

M. Horton, M. Takayasu

mittel Churg-Strauss- klassische

Syndromb,c Panarteriitis (cPAN)bC

klein M. WegenerC mikroskopische

Panarteriitis (mPANY

a Seromarker-negativ (peripher); T-Zell-Infiltrat (in situ)

b Komplement-verbrauchend (peripher); Immunokomplexdepot (in situ)

C ANCA-assoziiert (peripher); pauci-immun (in situ) aus Gross, Internist 1993; 34: 599-614

änderungen, Arthralgien und selten Symptome der inneren Organe cha- rakterisiert (Abbildung 4). Typisch für diese Erkrankung ist die Muskel- schwäche bis zur Parese besonders der proximalen Extremitätenmusku- latur, oft verbunden mit Schmerzen.

Relativ selten kann hier der immuno- logische Befund mit Nachweis relativ typischer antinukle_ärer Antikörper (J0-1, PM-I) die Diagnose untermau- ern. Daneben finden sich bei den akti- ven Myositiden Zeichen des Muskel- zerfalls (Kreatinkinase) wie auch EM G-Veränderungen.

Wie bei der Polymyositis, ist auch bei der progressiven Sklerodermie die

nophile Fasziitis, das Skleroedema adultorum (Buschke), die Vinylchlo- ridkrankheit unter anderem durch ei- ne differenzierte klinische und Labor- diagnostik, bei der Vinylchlorid- krankheit auch durch die Berufs- anamnese abzugrenzen.

Nicht allzuselten beobachtet man sogenannte "Mischkollagenosenl

', die Symptome verschiedener Kollagen- krankheiten einschließlich der chro- nischen Polyarthritis umfassen kön- nen. Ihr klinisches Bild kann entspre- chend sehr vielfältig sein. Am be- kanntesten ist die von Sharp beschrie- bene mixed connective tissue disease (Sharp-Syndrom, "MCTD"), die im-

A-952 (56) Deutsches Ärzteblatt 92, Heft 13,31. März 1995

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munologisch insbesondere durch ho- he Titer-Werte gegen lösliches Ribo- nukleoprotein gekennzeichnet ist.

Vaskulitiden

Von den Kollagenasen wurden in der letzten Zeit die Vaskulitiden als eigene Krankheitsgruppe abgegrenzt (Tabelle 5 ). Sie können sich als primä- re Vaskulitiden ohne erkennbare Ur- sache oder als sekundäre Formen im Rahmen verschiedenster Erkrankun- gen manifestieren (Tabelle 6). Die primären Formen können nach befal- lenem Gefäßtyp und nach Immun- phänomenen (Tabelle 5) unterteilt werden. Auch in der Pathogenese der Vaskulitiden spielen Immunmecha- nismen sicher eine bedeutende Rolle wie der Nachweis zahlreicher Immun- phänomene, wie das Auftreten von Rheumafaktoren, Autoantikörpern, Kryoglobulinen, zirkulierenden und manchmal auch im Gewebe nach- weisbaren Immunkomplexen erken- nen läßt.

Das klinische Bild der Vaskuliti- den ist je nach Sitz der Gefäßläsion in den einzelnen Organen sehr vielsei- tig. Hierbei weisen bestimmte For- men eine unterschiedliche Sympto- matologie auf, die sorgfältig zu beach- ten ist, um eine exakte Diagnose zu stellen, wie dies bei der Panarteriitis nodosa, dem Churg-Strauss-Syndrom und dem Morbus Wegeuer der Fall ist. Die Frühformen sind oft uncha- rakteristisch. Dann kann eventuell der immunologische Befund mit Nachweis der antineutrophilen Zyto- plasma-Autoantikörper (ANCA), die auch pathogenetisch bedeutsam sind (Granulozytenaktivierung) einen weg- weisenden Hinweis auf eine Wege- nersche Granulomatose geben, wäh- rend sich bei der Panarteriitis nodosa häufig Immunkomplexe im Serum wie auch in der Gefäßwand finden.

Oft ergibt erst die histologische Un- tersuchung eine exakte Diagnose, wie beispielsweise bei der Riesenzellarte- riitis.

Die Riesenzellarteriitis, die be- sonders häufig im Bereich der Arteria temporalis beobachtet wird, geht in vielen Fällen mit einer Polymyalgia rheumatica einher, eine insbesondere durch massive Schmerzen in der

AKTUELL

Tabelle 6: Sekundöre Vaskulitiden ver- schiedener Ursachen

Entzündliche Erkrankungen unklarer Ätiologie

~ Autoimmunerkrankungen (SLE, Sjögren-Syndrom, etc.)

~ chronisch-entzündliche Erkrankungen (Colitis ulcerosa, M. Whippie und andere)

~ chronisch-granulomatöse Entzündungen

(M. Crohn, M. Boeck und andere)

Infektionskrankheiten

~ Viren (Herpes, HIV, Hepatitis-Viren und andere)

~ Bakterien (Spirochäten, Mykobakterien,

Streptokokken und andere)

~ Parasitasen (Ascaris und andere)

~ Pilze (Aspergillus und andere)

Neoplasien

~ Non-Hodgkin-Lymphome (Kryoglobulinämien)

~ solide Tumoren

~ Vorhofmyxome

Intoxikationen

~ "Rauschgifte" (Kokain, Mor- phin und andere)

Medikamente

~ Antirheumatika

(NSAR, "Basistherapeutika")

~ Thyreostatika

~ Antibiotika

~ und andere

Schulter-Nacken- und der Glutealre- gion sowie durch eine ausgeprägte hu- morale Entzündungsreaktion ge- kennzeichnete Erkrankung. Die Dia- gnose dieser Erkrankung ist von sehr großer Bedeutung, können doch die durch die Riesenzellarteriitis beding- ten, oft akut auftretenden Visus- störungen, ·die bis zum Visusverlust reichen, durch Kortikosteroide in genügender Dosierung verhindert werden.

Bei fast allen beschriebenen Gruppen von entzündlich-rheumati- schen Erkrankungen können lokali-

sierte weichteil-rheumatische Prozes- se wie Tenosynovitiden, Tendinitiden, Insertionstendinitiden und Bursitiden gelegentlich als erste Symptome auf- treten. Ihre Diagnose ist meist auf- grund des klinisches Bildes einfach, doch kann ihre Zuordnung zu be- stimmten Systemaffektionen große Schwierigkeiten bereiten und erfor- dert dann eine ausgedehnte~e Dia- gnostik.

Insgesamt stellen die entzünd- lich-rheumatischen Erkrankungen ei- ne Vielzahl unterschiedlicher Krank- heitsentitäteil dar, die oft nur durch eine gezielte Anamnese und eine dif- fizile klinische Untersuchung kombi- niert besonders mit immundiagnosti- schen Maßnahmen und dem Rönt- genbefund differenziert werden kön- nen.

Ihre Abgrenzung von Arthriti- den anderer Art (bakterielle Arthriti- den, paraneoplastische Arthritiden und andere) ist aus therapeutischen Gründen unbedingt anzustreben.

Wir müssen uns aber darüber im klaren sein, daß trotz aller diagnosti- schen Bemühungen ein Teil der Ar- thritiden- besonders Mono- und Oli- goarthritiden - unklar bleibt und erst durch Verlaufsbeobachtungen zu dif- ferenzieren ist.

Zitierweise dieses Beitrags:

Dt Ärztebl1995; 92: A-946-953 [Heft 13]

Die Zahlen in Klammern beziehen sich auf das Literaturverzeichnis im Sonderdruck, anzufordern über den Verfasser.

Anschrift des Verfassers:

Prof. Dr. med. Dr. h. c.

Wolfgang Müller Hochrhein-Institut für Rehabilitationsforschung Bergseestraße 61

79713 Bad Säekingen

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