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Archiv "Serie: Sexuelle Funktionsstörungen – Psychosomatische Aspekte bei Erektionsstörungen" (10.03.2000)

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Academic year: 2022

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(1)

rektionsstörungen sind auf- grund der hohen Anzahl be- troffener Männer und der weit- reichenden negativen Auswirkungen dieser Störungen ein bedeutsames Gesundheitsproblem. Das intensive öffentliche Interesse, das von der Markteinführung des oral wirksamen Phosphodiesterase-Hemmers Silden- afil (Viagra) ausgelöst wurde, hat Lai- en- wie Fachpublikum die Dimension der Problematik verdeutlicht und das Gesundheitssystem erstmals offen mit den Kosten sexueller Störungen kon- frontiert. Im Zuge der eindrucksvol- len Fortschritte der Grundlagenfor- schung, die in den vergangenen 15 Jahren das Verständnis der Physiolo- gie und Pathophysiologie des Erek- tionsprozesses grundlegend verbes- sert und zur Entwicklung einer Reihe neuer diagnostischer und therapeuti- scher Optionen geführt haben, wurde psychologischen Aspekten von Erek-

tionsstörungen allenfalls noch am Rande Beachtung geschenkt. Nach ei- ner Phase, die eher von einem Gegen- einander als von einem Miteinander von somatischer und psychologischer Medizin in diesem Feld gekennzeich- net war, hat sich in letzter Zeit zuneh- mend die Erkenntnis durchgesetzt, dass bei Erektionsstörungen psychi- sche beziehungsweise partnerschaftli- che und organische Faktoren fast im- mer eng ineinandergreifen und nur ein psychosomatischer Ansatz dem Patienten gerecht werden kann (5, 8).

Darüber hinaus wurde der hohe Stellenwert psychosozialer Faktoren in neueren empirischen Studien an unselektionierten Stichproben klar bestätigt (4, 6, 15). Schließlich hat sich heute weitgehend die Erkennt-

nis durchgesetzt, dass die Komple- xität und Multidimensionalität der Problematik „einfache“ Lösungsan- sätze nicht zulässt und sich psychoso- ziale Faktoren in den meisten Fällen nicht ausblenden oder umgehen las- sen, sondern die Effektivität aller Be- handlungsansätze beeinflussen und limitieren.

Die aktuellen Zahlen zur Präva- lenz lassen erkennen, dass zirka zehn Prozent der Männer unter klinisch relevanten Erektionsstörungen lei- den (3, 9), was einer Zahl von drei bis vier Millionen Männern in Deutsch- land entspricht. Die Inzidenz ist mit dem Lebensalter und einer Reihe körperlicher (Diabetes, koronare Herzkrankheiten, Bluthochdruck) und psychosozialer (Depression, Stress, Ärger) Risikofaktoren korre- liert. Die Umstände, dass nur ein kleiner Teil der befragten Männer (weniger als 20 Prozent) professio-

Serie: Sexuelle Funktionsstörungen

Psychosomatische Aspekte bei

Erektionsstörungen

Uwe Hartmann

Psychologische Faktoren spielen bei Erektionsstörungen eine große Rolle. Sie nehmen Einfluss auf die Genese, auf Lebens- qualität und Partnerschaft, die diagnostische Evaluation und die Effektivität der Therapie. Die Kausalfaktoren lassen sich unterteilen in unmittelbar wirkende Komponenten (Versa- gensängste, Ablenkung), Faktoren aus der jüngeren Vergan- genheit und entwicklungsbedingte Vulnerabilitäten. Das dia- gnostische Vorgehen sollte in drei Stufen die Symptomatik be- stimmen, eine diagnostische Einordnung der Störung und ei- ne ätiologische Spezifizierung vornehmen. Für die Behand-

lung steht mit der Sexualtherapie ein ef- fektives Verfahren zur Verfügung, das

in integrativen Ansätzen mit somatischen Behandlungsoptio- nen kombiniert werden sollte. Die durch die Verfügbarkeit wirksamer oraler Medikamente absehbare Verlagerung in den primärärztlichen Bereich wird eine stärkere sexualmedi- zinische Kompetenz notwendig machen, für deren Erwerb qualifizierte Weiterbildungsangebote bestehen.

Schlüsselwörter: Erektionsstörung, Impotenz, sexuelle Dysfunktion, Sexualtherapie

ZUSAMMENFASSUNG

Psychological Aspects of Erectile Disorders

Psychological aspects are major determinants in erectile dis- orders and influence the etiology, the effects on quality of life and partnership, the diagnostic evaluation as well as the effectiveness of all therapeutic options. The main causes of psychogenic erectile disorders can be divided into: immedi- ate factors (performance anxiety), antecedent life events from recent history, developmental vulnerabilities from child- hood and adolescence. The diagnostic evaluation should en- compass three steps: an assessment of symptoms, a diagno-

stic classification, and an etiological specifica- tion. In treating psychogenic erectile dysfunctions

sex therapy offers an efficient treatment option that should be combined with somatic treatments. The availability of oral erectogenic agents will lead to a shift towards the pri- mary care setting. A better proficiency in sexual medicine will be required for which qualified educational programs have recently been developed.

Key words: Erectile disorder/dysfunction, impotence, sexual dysfunction, sex therapy

SUMMARY

E

Abteilung Klinische Psychiatrie und Psycho- therapie (Leiter: Prof. Dr. med. H. M. Emrich) der Medizinischen Hochschule Hannover

(2)

nelle Hilfe für ihre Erektionsstörun- gen suchen und die Mehrzahl der Ärzte ihre Patienten nicht aktiv auf sexuelle Störungen anspricht, zeigen, dass es sich bei Erektionsstörungen und sexuellen Dysfunktionen insge- samt um bislang unzureichend dia- gnostizierte und therapierte Krank- heitsbilder handelt.

Auswirkungen der Erektionsstörungen

Erektionsstörungen sind mehr als die meisten anderen psychischen oder körperlichen Beschwerden in der Lage, das Selbstwertgefühl des Mannes zu untergraben und das Wohlbefinden zu beeinträchtigen. Für den Patienten selbst bestehen die Auswirkungen in der Regel in einer Verminderung der Selbstachtung und des männlichen Identitätsgefühls, in Rückzugs- und Vermeidungstenden- zen, es kann zu sozialen und berufli- chen Schwierigkeiten kommen, zu psychischen oder psychosomatischen Störungen. Der bedeutsamste Faktor, der mit Erektionsstörungen in einer engen Wechselwirkung assoziiert ist, ist die Depression. In der Massachu- setts Male Aging Study (3) war eine klinisch relevante Depression ein stärkerer statistischer Prädiktor für das Vorliegen einer Erektionsstörung als alle körperlichen Faktoren (inklu- sive Diabetes) und im eigenen Patien- tenkollektiv berichteten 26 Prozent der erektionsgestörten Männer über depressive Symptome (6).

Neben den individuellen Folgen von Erektionsstörungen sind die Aus- wirkungen auf die Partnerbeziehung besonders nachhaltig. Unabhängig von den Störungsursachen kommt es fast immer zu einer erheblichen Be- einträchtigung der partnerschaftli- chen Sexualität, zu Kommunikations- störungen, einer Bindung von Energie und Kraft, die sexuelle wie nichtsexu- elle Bereiche der Beziehung negativ tönt.

Darüber hinaus konnten Studien zur Lebensqualität von erektionsge- störten Männern erhebliche und weit- reichende Beeinträchtigungen fest- stellen (11), die sich bei adäquater Be- handlung wieder deutlich verbessern ließen.

Psychosoziale Faktoren in der Entstehung

Die klinische Erfahrung zeigt, dass psychosoziale Faktoren bei Erektionsstörungen das Störungsge- schehen in verschiedenen Stadien und auf unterschiedliche Weise prä- gen. Sie beeinflussen die Genese der Erektionsstörung, die Auswirkung der Störung auf die Lebensqualität, das psychische Befinden und die Part- nerbeziehung, die diagnostische Eva- luation, die Entscheidung für eine Therapieoption und nicht zuletzt die Durchführung und Effektivität der Therapie.

Betrachtet man gezielt die Verur- sachung von Erektionsstörungen, kann man generell sagen, dass psycho- soziale Faktoren bei einem Teil der Störungen als Haupt- oder Nebenfak- toren unmittelbar ätiopathogenetisch wirken, darüber hinaus aber bei prak- tisch allen Patienten reaktiv eine sehr bedeutsame Rolle spielen.

Bei der Verursachung psychoge- ner Erektionsstörungen handelt es sich um ein komplexes Geschehen, in das innerpsychische, partnerbezo- gene und lebensgeschichtliche Fak- toren involviert sind. Psychogene Erektionsstörungen sollten nicht länger als Rest- oder Sammeldiagno- se betrachtet werden, sondern es muss, ähnlich wie bei den somati- schen Ursachenfaktoren, eine diffe- renziertere Klassifizierung vorge- nommen werden, die dann das thera- peutische Handeln bestimmt. In der ärztlichen Praxis dürfen psychogene Erektionsstörungen keinesfalls als eine Art „Light-Version“ der Erekti-

onsstörungen angesehen werden, da sie im Selbsterleben des Patienten oftmals subjektiv belastender sind und auch beim Partner auf weniger Verständnis stoßen und mehr Kon- flikte verursachen.

Allgemein kann man sagen, dass Erektionsstörungen bei jüngeren Männern in der Regel auf einer durch Ängste und Konflikte bedingten Hemmung sexueller Reaktionen be- ruhen, bei älteren Männern dagegen auf einem Nachlassen der zentralen und peripheren Erregbarkeit, die dann die Sexualität störungsanfälliger macht.

Die an der Entstehung psychoge- ner Erektionsstörungen beteiligten Kausalfaktoren lassen sich nach ei- nem Vorschlag Levines (10) in drei Bereiche unterteilen:

❃unmittelbar wirkende Faktoren (Versagensängste, Ablenkung, Part- nerkonflikte),

❃Faktoren aus der jüngeren Ver- gangenheit (Lebensereignisse, die der Störung vorausgegangen sind),

❃länger zurückliegende, biogra- fische Faktoren (entwicklungsbeding- te Vulnerabilitäten aus Kindheit und Adoleszenz).

Das Gewicht der drei Bereiche ist bei jedem Patienten individuell verschieden, im Zusammenspiel der Faktoren lassen sich gleichwohl be- stimmte Gesetzmäßigkeiten isolie- ren, die für primäre und sekundäre Erektionsstörungen unterschiedlich sind (Grafik). Danach beruhen se- kundäre Erektionsstörungen in er- ster Linie auf belastenden Lebenser- eignissen, deren emotionale Auswir- kungen auf die Sexualität sich der

M E D I Z I N ZUR FORTBILDUNG

Entwicklungsbedingte Vulnerabilitäten

Versagensangst

Erektionsstörung

Versagensangst

Erektionsstörung Vorausgegangene

Lebensereignisse

Entwicklungsbedingte Vulnerabilitäten Sekundäre erektile Dysfunktion Primäre erektile Dysfunktion Grafik

Verursachung sekundärer und primärer Erektionsstörungen

(3)

Mann meist nicht bewusst ist und die über den entscheidenden Pathome- chanismus der Versagensangst dann zum Erektionsversagen führen. Zwar kann es auch bei sekundären Erekti- onsstörungen bedeutsame entwick- lungsbedingte Vulnerabilitäten ge- ben, doch spielen diese bei den pri- mären Erektionsstörungen eine viel wichtigere Rolle.

Bei den primären Erektions- störungen führen diese früh angeleg- ten Konflikte und Traumatisierungen nie zur Herausbildung einer stabilen sexuellen Funktionsfähigkeit und manifestieren sich ebenfalls in Form sexueller Versagensängste, während die „mittlere“ Ebene der belasten- den Lebensereignisse für die Patho- genese von untergeordneter Bedeu- tung ist.

Auswirkung auf die Partnerbeziehung

Sexualität hat wichtige Funktio- nen für den seelischen Haushalt des einzelnen Menschen, ist andererseits aber untrennbar verwoben mit Part- nerschaft, Paardynamik und Paarbin- dung (1). Daraus folgt, dass auch eine sexuelle Störung wie die Erektions- störung nicht losgelöst von der Part- nerbeziehung betrachtet werden kann, die bei einem Teil der Patienten maßgeblich an der Entstehung der Störung beteiligt ist oder diese durch destruktive Interaktionsprozesse auf- rechterhält.

Paarbezogene Störungsursachen können beim Patienten selbst liegen, in Form von tiefverwurzelten Äng- sten vor Frauen beziehungsweise weiblicher Sexualität, sie können aber auch direkt aus der Partnerbe- ziehung stammen. Letztere lassen sich unterteilen in Konflikte um Sta- tus und Dominanz, Probleme mit In- timität und Vertrauen und Schwierig- keiten mit sexueller Attraktivität und sexuellem Verlangen. Viele erekti- onsgestörte Männer weisen in ihrem sexuellen Verhalten gegenüber Frau- en eine profunde Unsicherheit und Kompetenzangst auf und erleben sich in belastender Weise alleinverant- wortlich für die sexuelle Befriedigung der Partnerin, ohne recht zu wissen, worin diese eigentlich besteht. Zu- sammen mit den verbreiteten über-

höhten Vorstellungen bezüglich sexu- eller Leistungsfähigkeit und dem ge- stiegenen sexuellen Selbstbewusst- sein der Frauen, erleben sich viele Pa- tienten in der Sexualität gefordert, unter Druck und in einer defensiven Position, in der es in erster Linie dar- um geht, nichts „falsch“ zu machen und nicht zu versagen. Auf der ande- ren Seite darf nicht übersehen wer- den, dass eine tragfähige Partnerbe- ziehung und eine zugewandte Partne- rin eine wichtige Schutzfunktion ge- genüber sexuellen Störungen ausübt, da Probleme aufgefangen werden

können und sich passagere Probleme in der sexuellen Funktion kompensie- ren lassen. Viele Paare finden befrie- digende Arrangements auch mit ei- ner durch bestimmte Faktoren beein- trächtigten Sexualität und in ver- schiedenen Untersuchungen zeigte sich, dass Männer in einer längerfri- stigen Beziehung mit ihrer Sexualität zufriedener sind und weniger Erekti- onsstörungen beklagen. Die skizzier- ten Gesichtspunkte zeigen, dass es in jedem Fall wichtig ist, partnerschaftli- che Aspekte in der Diagnostik und Therapie von Erektionsstörungen zu berücksichtigen. Diagnostisch ist be- sonders auf die folgenden Kriterien zu achten:

❃Ist die Erektionsstörung in ei- ner langfristigen Partnerschaft oder bei einer neuen Partnerin aufgetre- ten?

❃War die erektile Potenz früher stabil oder seit jeher labil?

❃Ist das sexuelle Problem Aus- druck einer gestörten Paarbeziehung oder steht es im Kontrast zu einer gu- ten Partnerschaft?

❃Wie ist das sexuelle Interesse und die sexuelle Erlebnisfähigkeit der Partnerin?

Psychosomatische

Faktoren in der Diagnostik

Die psychosomatische Evaluati- on sollte bei Erektionsstörungen fol- gende Aufgaben erfüllen: Die psycho- logischen Faktoren identifizieren, die zur Auslösung beziehungsweise Auf- rechterhaltung des Symptoms bei- tragen; abklären, ob die Erektions- störung primär psychogen ist und wel- cher Verursachungsmodus im Vorder- grund steht; dem Patienten die (soma- tischen und organischen) Untersu- chungsbefunde auf empathische Art verständlich machen und die mögli- chen Therapieoptionen erörtern, um gemeinsam zu einem „passenden“

Behandlungsansatz zu kommen.

Die Erektionsstörung sollte nach verschiedenen formalen Beschrei- bungsmerkmalen klassifiziert werden, die gleichzeitig einen guten Leitfaden für die Sexualanamnese bilden. Zu unterscheiden ist nach

❃Beginn (initial, primär und se- kundär),

❃Schweregrad (generalisiert oder situativ) und nach

❃Verlauf (akut eintretend versus chronisch einschleichend).

Das klinisch-diagnostische Vor- gehen sollte drei Stufen umfassen, nämlich erstens die genaue Bestim- mung der Symptomatik, zweitens die diagnostische Einordnung (Art der Störung, formale Beschreibungs- merkmale) und drittens die ätiologi- sche Spezifizierung (psychogener Ty- pus, organogener Typus, gemischter Typus). Damit lässt sich nicht nur das individuelle Störungsbild des Patien- ten genau bestimmen, sondern in den meisten Fällen auch ein passender Be- handlungsplan erstellen.

Die enge Interaktion somatischer und psychosozialer Faktoren macht bei den meisten männlichen Funk- tionsstörungen ein interdisziplinäres Inhalte der Sexualanamnese

❃ Kriterien der Erektionsstörung (Beginn, Dauer, Progression, Schweregrad; sexuelle und nichtsexuelle erektile Kapazität)

❃ Komorbidität mit Appetenz- und/oder Orgasmusproblemen

❃ Veränderungen genitaler Empfindungen, Schmerzen

❃ Sexualität des Paares, Sexualität der Partnerin

❃ Psychosoziale Aspekte (psychische Befindlichkeit, Partnerschaftsanamnese, Coping-Fähigkeit, berufliche und allgemeine Lebens- situation)

(4)

Vorgehen in der Diagnostik notwen- dig. Wichtigstes Instrument zur Eva- luation der psychischen Determinan- ten ist die Sexualanamnese (Textka- sten), die sich primär auf die konkre- ten Entstehungsbedingungen und den sexuellen Status sowie partnerbezo- gene Faktoren konzentrieren sollte, bevor die sexuelle Entwicklung und Aspekte der Biografie fokussiert wer- den. Eine Einbeziehung der Partnerin in den diagnostischen Prozess ist in den meisten Fällen günstig und kann die Einschätzung maßgeblich kom- plettieren oder korrigieren.

Sexualtherapie

Für die Therapie psychisch be- dingter Erektionsstörungen verfügen wir seit der Pionierarbeit von Masters und Johnson (12) und Kaplan (7) über ein etabliertes und effektives Verfah- ren, für das sich der Begriff Sexualthe- rapie eingebürgert hat. Der Ansatz der Sexualtherapie ist erfahrungsori- entiert, zielgerichtet und zeitbegrenzt und besteht in der Kombination von strukturierten und systematisch aufge- bauten sexuellen Erfahrungen („Haus- aufgaben“) mit der psychotherapeuti- schen Bearbeitung der wesentlichen Verursachungsdimensionen der Erek- tionsstörung. Nach gründlicher Dia- gnostik werden zunächst die unmittel- bar wirkenden Faktoren bearbeitet, also Versagensängste, Leistungsdruck, negative Erwartungen, ablenkende Gedanken, ungünstige Partnerinter- aktionen, mangelnde Stimulation et cetera. In vielen Fällen führt dies be- reits zu einer weitgehenden Verbesse- rung der Erektionsstörung, in anderen Fällen ist es notwendig, tiefer liegende Faktoren zu bearbeiten, die der Sym- ptomauflösung im Wege stehen. Das prognostisch günstigste Setting ist die Paartherapie, wir verfügen heute al- lerdings auch über erfolgreiche thera- peutische Strategien für den einzelnen Patienten.

Das Basisvorgehen der Sexual- therapie in ihrer Kombination von verhaltensorientierten und aufdecken- den, konfliktbearbeitenden Elemen- ten läßt sich schematisch so darstel- len: Der Vorgabe einer für die indivi- duelle Problematik angemessenen Verhaltensanleitung und deren prak-

tischen Umsetzung folgt die Analyse der Erfahrungen des Paares bezie- hungsweise des Patienten, in der die Hindernisse und unmittelbaren Ursa- chen der Störung fokussiert werden sollten. Der entscheidende (psycho)- therapeutische Schritt besteht dann in der Hilfestellung bei der Modifizie- rung beziehungsweise Reduzierung dieser Hindernisse, bevor die nächste Verhaltensanleitung gegeben werden kann.

Von diesem Hauptweg zweigen zahlreiche Seitenwege ab, die unter Umständen spezifische Interventio- nen notwendig machen. In der Praxis umfasst die Sexualtherapie eine Rei- he von Wirkfaktoren, darunter ver- haltensmodifizierende Komponenten, ein gezieltes Einwirken auf Kommu- nikationsstrukturen, kognitive, edu- kative („aufklären“ und Informatio- nen geben), paartherapeutische und psychodynamische Elemente. Sexual- therapie lege artis ist jedoch alles an- dere als ein „Technikmix“, sondern verwendet diese Komponenten ge- zielt und überlegt im Rahmen einer therapeutischen Gesamtstrategie.

Nicht jeder Patient mit einer primär psychogen bedingten Erekti- onsstörung benötigt eine Sexualthera- pie, da sich weniger schwerwiegende Probleme häufig durch einige Bera- tungsgespräche deutlich verbessern lassen. Umgekehrt kann jeder erekti- onsgestörte Patient – unabhängig von der Verursachung seiner Problematik – von einer kompetenten Sexualbera- tung profitieren, die die Prognose je- der Therapie verbessern kann.

Schlussfolgerungen und Ausblick

Psychosozialen Faktoren kom- men in der klinischen Praxis bei Erektionsstörungen eine herausgeho- bene Bedeutung zu. Praxiserfahrun- gen und empirische Untersuchungen belegen den hohen Stellenwert psy- chosozialer Faktoren in der Verursa- chung der Störungen, für die Lebens- qualität des erektionsgestörten Man- nes und für die individuellen Auswir- kungen von Erektionsstörungen. Dar- über hinaus wird die Akzeptanz je- der Therapie im Wesentlichen durch psychosoziale Faktoren bestimmt be-

ziehungsweise begrenzt, wodurch die- se Einflüsse zu entscheidenden Ele- menten in der Therapiewahl werden.

Die Zukunft wird effektiven, langfristig wirksamen, vom Patienten und seiner Partnerin akzeptierten Therapieoptionen gehören, die nicht nur die Erektionsfähigkeit, sondern die sexuelle Zufriedenheit bezie- hungsweise die „sexuelle Gesundheit“

verbessern können. Dazu ist es not- wendig, die vorhandenen, positiven sexuellen Möglichkeiten zu stärken und die Selbstheilungskräfte zu för- dern. In einem prognose- und ziel- orientierten Untersuchungs- und Be- handlungskonzept, wie es in jüngster Zeit auch von einem amerikanischen Expertengremium vorgeschlagen wur- de (13), sind in einem rational begrün- deten, zeit- und kostensparenden, pa- tienten- und paarorientierten Vorge- hen dem Patienten diagnostische und therapeutische Optionen zu eröffnen.

Diese sind je nach individuellem Sym- ptombild, ätiopathogenetischen Fak- toren und den Wünschen und Zielvor- stellungen des Patienten(-paars) zu bestimmen.

Durch oral wirksame Medika- mente wie Sildenafil werden sich die Grenzen zwischen somatomedizini- schen und sexualmedizinischen be- ziehungsweise sexualtherapeutischen Behandlungen zunehmend verwi- schen, da diese Substanzen – anders als die intrakavernösen Injektionen – nicht quasi automatisch Erektionen induzieren, sondern eher als Kataly- sator wirken und den Zyklus sexuel- ler Erregung unterstützen und beför- dern.

Der Bedarf nach kompetenter Beratung und Sexualtherapie wird an- steigen, da nur bei einem kombinier- ten Vorgehen die Möglichkeiten eines solchen physiologischeren Ansatzes effektiv umzusetzen sind. Die Verfüg- barkeit oral wirksamer Medikamente wird zu einer erhöhten Inanspruch- nahme medizinischer Leistungen und zu einer stärkeren Verlagerung der Behandlung von Erektionsstörungen in den primär-ärztlichen Bereich füh- ren. Gleichzeitig wird für den Arzt durch die größere Vielfalt therapeuti- scher Optionen die Orientierung nicht einfacher und die Anforderun- gen an die sexualmedizinische Kom- petenz werden steigen. Sowohl die

M E D I Z I N ZUR FORTBILDUNG

(5)

Akademie für Sexualmedizin (14) als auch die Deutsche Gesellschaft für Sexualforschung (2) haben dem in- zwischen durch die Etablierung curri- cular fundierter Weiterbildungsange- bote Rechnung getragen.

Zukünftig werden somatische wie psychologische Medizin in der Pflicht stehen, zum Wohle der Patien- ten die Kräfte zu bündeln und ge- meinsam innovative Ansätze zu ent- wickeln und zu erproben.

Zitierweise dieses Beitrags:

Dt Ärztebl 2000; 97: A-615–619 [Heft 10]

Literatur

1. Beier KM, Bosinski H, Hartmann H, Loe- wit K: Lehrbuch der Sexualmedizin. Mün- chen: Urban & Fischer (im Druck).

2. Deutsche Gesellschaft für Sexualfor- schung: Weiterbildung: Sexuelle Störun- gen und ihre Behandlung. Z Sexualforsch 1997; 10: 52–58.

3. Feldman HA, Goldstein I, Hatzichristou DG, Krane RJ, McKinlay JB: Impotence and its medical and psychosocial corre- lates: results of the Massachusetts Male Aging Study. J Urol 1994; 151: 54–61.

4. Hartmann U: Diagnostik und Therapie der erektilen Dysfunktion. Theoretische Grundlagen und Praxisempfehlungen aus einer multidisziplinären Spezialsprech- stunde. Frankfurt/M.: Lang, 1994.

5. Hartmann U: Die kombinierte psycho-so- matische Behandlung erektiler Dysfunk- tionen. Psycho 1995; 21: 651–657.

6. Hartmann U: Psychische Belastungsfakto- ren bei erektilen Dysfunktionen. Verursa- chungsmodelle und empirische Ergebnis- se. Urologe [A] 1998; 37: 487–494.

7. Kaplan HS: The new sex therapy, New York: Brunner/Mazel, 1974.

8. Langer D, Hartmann U: Psychosomatik der Impotenz, Stuttgart: Enke, 1992.

9. Laumann O, Paik A, Rosen RC: Sexual dysfunction in men and women: a popula- tion-based survey of U. S. adults. Int J Im- potence Res 1998; 10 Suppl. 3: 470.

10. Levine SB: Intrapsychic and interpersonal aspects of impotence: psychogenic erec- tile dysfunction. In: Rosen RC, Leiblum SR (eds): Erectile disorders. Assessment and Treatment. New York: Guilford, 1992.

11. Litwin MS, Nied RJ, Dhanani N: Health- related quality of life in men with erectile dysfunction. J Gen Int Med 1998; 13:

159–166.

12. Masters WH, Johnson VE: Human sexual inadequacy (Deutsch: Impotenz und An- orgasmie; Frankfurt: Goverts, Krüger, Stahlberg 1973), Boston: Little, Brown and Company, 1970.

13. Rosen RC, Goldstein I, Padma-Nathan H:

A process of care model. Evaluation and treatment of erectile dysfunction. The University of Medicine and Dentistry of New Jersey – Robert Wood Johnson Me- dical School, 1998.

14. Vogt HJ, Loewit K, Wille R, Beier KM, Bosinski HAG: Zusatzbezeichung „Se- xualmedizin“ – Bedarfsanalyse und Vor- schläge für einen Gegenstandskatalog. Se- xuologie 1995; 2: 65–89.

15. Wylie KR: Male erectile disorder: charac- teristics and treatment choice of a longitu- dinal cohort of men. Int J Impotence Res 1997; 9: 217.

Anschrift des Verfassers

Prof. Dr. rer. biol. hum. Uwe Hartmann Dipl.-Psych.

Arbeitsbereich Klinische Psychologie Abteilung Klinische Psychiatrie und Psychotherapie

Medizinische Hochschule Hannover Carl-Neuberg-Straße 1

30623 Hannover IInn ddeerr SSeerriiee „„SSeexxuueellllee FFuunnkkttiioonnssssttöörruunn--

g

geenn““ ssiinndd bbiisshheerr eerrsscchhiieenneenn::

((11))Editorial „Störungen der männli- chen Sexualfunktion“, Sökeland J, Tölle R: Dt Ärztebl 2000; 97:

A-309–310 [Heft 6]

((22))Schopohl J, Haen E, Ullrich T, Gärtner R: „Sildenafil (Viagra)“. Dt Ärztebl 2000; 97: A-311–315 [Heft 6]

((33))Stief C G, Truss, M C, Becker A J, Kuczyk M, Jonas U: „Pharmakolo- gische Therapiemöglichkeiten der Erektionsstörung“. Dt Ärztebl 2000; 97: A-457–460 [Heft 8]

Eine drei bis vier Wochen dau- ernde Kneipp-Kur zeigt möglicher- weise auch ein Jahr nach ihrem Ab- schluss positive Effekte im Hinblick auf Lebensqualität, Schmerz sowie auf einen reduzierten Medikamenten- verbrauch. Darauf weisen Erkennt- nisse aus einer Studie hin, die vier Ba- dearztpraxen in Bad Wörishofen zu- sammen mit mehreren Universitäts- kliniken, unter anderem der Univer- sität Jena, durchgeführt haben. Be- handelt wurden 363 Patienten, von denen die Mehrzahl an Erkrankungen des Bewegungs- und des Herz-Kreis- lauf-Systems litten. Ungefähr die Hälfte der Patienten war zwischen 40 und 60 Jahre alt, die andere Hälfte war älter. Ambulant oder sta- tionär erhielten die Patienten eine in- dividuell angepasste Hydro-, Bewe-

gungs- und Ernährungstherapie, die durchschnittlich zwischen 23,3 und 27,4 Tage dauerte. Die Änderungen des Be- findens wurden sechsmal während der Kur sowie drei, sechs und zwölf Mo- nate nach dem Aufenthalt mittels Fra- gebögen zur Selbsteinschätzung und halbstandardisierten Interviews er- fasst. Hierbei zeigte sich, dass sowohl die Intensität als auch die Häufig- keit des Schmerzes und der Medika- mentenverbrauch signifikant abnah- men. Nach Abschluss der Kur konn- ten 20 Prozent der in die Studie ein- geschlossenen Patienten ohne Medi- kamente nach Hause entlassen wer- den. Bei weiteren 20 Prozent konnte der Arzneimittelverbrauch reduziert werden. Auch nach zwölf Monaten war dieser Effekt noch nachweisbar, wobei häufiger Akutmedikamente als

Dauermedikamente eingespart wur- den. Zudem beschrieben die Betroffe- nen diverse Befindlichkeitsstörungen als deutlich gebessert. Um die Effekte dieser Komplextherapie aus dem klassischen Spektrum der Naturheil- verfahren jedoch reproduzierbar nachweisen zu können, müssten wis- senschaftliche Messinstrumente an die Praxis der Kurkliniken angepasst werden, so die Jenaer Autorengrup- pe. Eine Schwierigkeit besteht darin, dass physikalische Therapiemaßnah- men, die aufgrund der Art ihrer An- wendung die Mitarbeit der Patienten erfordern, nicht in Doppelblindstudi- en untersucht werden könnten. silk Leuchtgens H, Albus T et al.: Auswir- kungen der Kneipp-Kur, einer standardi- sierten Komplextherapie, auf Schmerz, Lebensqualität und Medikamentenver- brauch: Kohortenstudie mit 1-Jahres- Follow-up, Forsch Komplementärmed 1999; 6: 206–211.

Priv.-Doz. Dr. med. Christine Uhlemann, Beutenberger Straße 12, 07745 Jena.

Positive Langzeitwirkungen

durch Kneipp-Kuren festgestellt

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