• Keine Ergebnisse gefunden

Archiv "Als Hausarzt im Bergischen Land: Landarzt – Leben mit den Patienten" (23.04.2010)

N/A
N/A
Protected

Academic year: 2022

Aktie "Archiv "Als Hausarzt im Bergischen Land: Landarzt – Leben mit den Patienten" (23.04.2010)"

Copied!
2
0
0

Wird geladen.... (Jetzt Volltext ansehen)

Volltext

(1)

A 754 Deutsches Ärzteblatt

|

Jg. 107

|

Heft 16

|

23. April 2010

D

ienstagmorgen. Gemeinsa- mes Frühstück mit der Part- nerin. Die Zeitung berichtet über die Katastrophe in Haiti. „Wenn ich jetzt könnte, würde ich sofort dort- hin fliegen und versuchen zu hel- fen!“ – kaum ausgesprochen, er- reicht mich ein Notfall aus meiner Landpraxis. Aufgeregt bittet Herr Schmidt um einen sofortigen Haus- besuch: „Meine Frau hat eine Gal- lenkolik. Bitte kommen Sie doch bald und machen ihr eine Spritze.“

Vorbei die Gedanken über einen Einsatz in Haiti. Der Praxisalltag holt mich ein. Neuschnee liegt auf den bewaldeten Hügeln im Bergi- schen Land. Zehn Minuten später bin ich unterwegs auf der noch nicht geräumten Straße zu dem ein- sam gelegenen Bauernhof, freue mich, meinen Allradkombi heraus- fordern zu dürfen.

Nach der Behandlung mit der krampflösenden Spritze wechsle ich noch einige Worte mit dem Ehe- mann, der sich zu meiner Überra- schung nicht bedankt, sondern dar - über beschwert, dass ich nicht schon um sechs Uhr erreichbar ge-

wesen sei. Ich versuche ihm zu er- klären, dass auch ein Landarzt ein Recht auf Nachtschlaf hat, dass ein gut organisierter Notdienst einge- richtet ist, den er in einem solchen Fall in Anspruch nehmen kann.

Verbesserte Lebensqualität Auf der Rückfahrt denke ich an die Anfangsjahre meiner Landarzttätig- keit zurück. Wie oft musste ich nachts oder am späten Abend, samstags oder sonntags Besuche absolvieren. Nächtliche Herzanfäl- le, Koliken, Asthmaanfälle, sogar Unfälle gehörten seinerzeit zu den Pflichten landärztlicher Arbeit.

Heute sind dringende Hausbesuche zu „Unzeiten“ selten geworden.

Seit einigen Jahren genieße ich die deutliche Verbesserung der land- ärztlichen Lebensqualität: den An- schluss an die Notfallpraxis in der Kreisstadt mit der angenehmen Fol- ge von nur noch drei bis vier Wo- chenenddiensten im Jahr und selte- nen Diensten in der Woche.

Natürlich bin ich für meine schwer kranken Patienten erreich- bar. Sterbende und deren Angehöri-

ge haben meine Handynummer.

Meine Patienten wissen, wo ich wohne und suchen mich im Einzel- fall auf. Aber ich habe die Freiheit gewonnen, meine Abende, mein Wochenende frei zu gestalten.

Wenn ich die „Geschichte“ mei- ner Landpraxis beschreibe, so be- schreibe ich auch die Evolution hausärztlicher Tätigkeit in den ver- gangenen 50 Jahren. Die Moderni- sierung der väterlichen Praxis nach der Übernahme in den Siebzigerjah- ren, die Anpassung an die Ansprüche der modernen Medizin auch auf dem Land: ein tragbares EKG-Gerät mit drei Ableitungen, ein Flammenpho- tometer, dann einige Jahre später der UV-Ansatz für das Lange-Photome- ter, scherzhaft „Ofenrohr“ genannt.

Es brauchte eine gewisse „Umer- ziehungszeit“, die Patienten davon zu überzeugen, dass sie in der Pra- xis besser und gründlicher unter- sucht werden können als bei einem Hausbesuch. Denn die ärztliche Ar- beit des Vaters war charakterisiert durch eine umfangreiche Hausbe- suchstätigkeit. Für ihn war es selbstverständlich, Tag und Nacht ALS HAUSARZT IM BERGISCHEN LAND

Landarzt – Leben mit den Patienten

Plädoyer für einen gefährdeten Beruf

(2)

Deutsches Ärzteblatt

|

Jg. 107

|

Heft 16

|

23. April 2010 A 755 für die Patienten erreichbar zu sein.

Das gehörte zum Credo dieser Hausarztgeneration. Ich kann es erst heute schätzen, wie mein Vater mit einfachen Mitteln auch schwie- rige Diagnosen zu stellen wusste, wie er als Geburtshelfer zusammen mit der Hebamme zahllosen Kin- dern auf die Welt half, die heute als Erwachsene meine Patienten sind.

Die hausärztliche Arbeit hat sich aber – deswegen der romantisch ver- klärte Blick zurück – innerhalb von einer Generation grundlegend verän- dert. Denn das sogenannte Wirt- schaftswunder ließ auch mehr Geld in die Kassen der Krankenversiche- rung fließen – und damit in die Arzt- praxen. Man konnte investieren. So mutierte bald der Dreifach- in einen Sechsfachschreiber, ein Ergometrie- messplatz wurde eingerichtet. Ende der Siebzigerjahre wurden die ersten Ultraschallgeräte für die Hausarzt- praxen erschwinglich. Inzwischen kann ich mit der neuesten Genera - tion meines Gerätes sogar die Hals- schlagader vermessen und Throm- bosen an den Beinen diagnostizie- ren. Welch ein Fortschritt für die Pa- tienten auf dem Land! Lange Wege zum Facharzt in der Stadt werden ih- nen in vielen Fällen erspart. Online erhalte ich innerhalb von Stunden wichtige Laborergebnisse, bin dank Internet in der Lage, schnellstmög- lich Recherchen über unbekannte Symptome durchzuführen. Zur Behandlung von Schwerstkranken, Pflegebedürftigen und Sterbenden steht mir zuverlässiges und gut aus- gebildetes Pflegepersonal entspre- chender Einrichtungen Tag und Nacht zur Verfügung. Die Kranken- kassen haben noch niemals die Be- reitstellung von Geräten für Final - patienten wie Sauerststoff oder Ab- sauger abgelehnt.

Mein apparatives Angebot ge- paart mit meinem medizinischen Wissen unter Einbeziehung der Le- bens- und Arbeitsbedingungen mei- ner Patienten erlaubt es mir, eine in- tegrierte psychosomatische Medizin zu praktizieren. Das gemeinsame gesellschaftliche Umfeld mit den Patienten ermöglicht es dem Arzt, Maßnahmen der Gesundheitserhal- tung zu beeinflussen beispielsweise durch die Mitarbeit in Gesundheits-

gruppen (Koronarsport, Ernährungs- kurse, Vorträge, Selbsthilfegrup - pen, gesundheitspolitische Gremien).

Mittlerweile existieren auch auf dem Land Ärztenetze, die in Qualitätszir- keln den Erfahrungsaustausch pfle- gen. Ebenso ermöglichen die Arbeit mit Weiterbildungsassistenten und, in vielen Fällen, die Zusammenar- beit in Gemeinschaftspraxen den ärztlichen Gedankenaustausch.

Viele haben Angst vor Nähe Einzelkämpfer sind auch auf dem Land inzwischen eine Rarität. Ich bin stolz darauf, 80 bis 90 Prozent aller gesundheitlichen Probleme vor Ort abklären zu können, ohne an meine Kompetenzgrenze zu stoßen.

Ich bin davon überzeugt, dass die immer noch vorhandene hohe Wert- schätzung der Ärzte in der Bevölke- rung weit weniger bedingt ist durch die mehr oder weniger spektakulä- ren Erkenntnisse hochkarätiger Me- dizinspezialisten, sondern durch die positiven Erfahrungen der Patien-

ten mit ihren Haus- und Familien- ärzten. Landarzt zu sein, ist eine der befriedigendsten ärztlichen Tätig- keiten – das ist auch nach Jahrzehn- ten noch meine Überzeugung.

Warum ist die Arbeit auf dem Land bei den jungen Ärzten heute so wenig gefragt, verwaisen immer mehr Landpraxen? Landarzt zu sein, ist eine Herausforderung. Es stellt hohe Ansprüche an das ärztliche Wissen und Können. Vor allem ist es eine Arbeit, die inzwischen auch ausreichend bezahlt wird. Die Not- dienstfrequenz ist in der Regel nicht höher als in der Stadt. Fast benei- denswert ist das Leben und Arbeiten in gesunder Luft und inmitten der Patienten, an deren Festen, Nöten und Krankheiten man teilnimmt und deren Anerkennung man sicher sein

kann. Ist es nicht ein Privileg, den Arbeitsplatz zu Hause zu haben, Staus nur aus dem Radio zu kennen?

Das „flache Land“ ist doch, wenn man das strapaziöse Leben in der Stadt erlebt hat, fast ein Paradies.

Nach Gesprächen mit potenziel- len Praxisnachfolger, aber auch mit Studenten in meiner Lehrpraxis und als ehemaliger Lehrbeauftragter, glaube ich: Es geht den jungen Ärz- ten nicht in erster Linie ums Geld.

Das ist auch in Zukunft gesichert.

Denn man kann erwarten, dass künftig finanzielle Anreize gesetzt werden, damit Ärzte aufs Land ge- hen. Nein, neben dem Trend zur fachärztlichen Tätigkeit und dem Desinteresse an der hausärztlichen Arbeit suche ich Gründe an anderer Stelle: Das Leben in der Stadt ist

„in“, verspricht scheinbar einen hö- heren Erlebniswert. „Die Lebens- weise auf dem Land kann meinen Ansprüchen nicht genügen“, sagte mir ein Kollege unter Zustimmung von Frau und Tochter.

Darüber hinaus schrecken junge Ärzte nicht selten vor einem zu engen Kontakt mit den Patienten zurück.

Man schätzt die Objektivität der Ap- paratemedizin und scheut – weiterge- bildet nach den Regeln der evidenz- basierten Medizin – die Unsicherheit der menschlichen Beziehung, die sich im Laufe von Jahren zwischen Hausarzt und Patient einstellt. „Die Nähe, die Sie zu dem Patienten ha- ben, würde mich stören, ja mir sogar Angst machen“, formulierte es eine Famulantin. Erziehen unsere Univer- sitäten die jungen Mediziner zu Me- dizintechnikern statt zu Ärzten, die auch am Leben der Menschen inter - essiert sind und nicht nur an ihrem pathologischen Befund? ■

Dr. med. Wolf-Rüdiger Weisbach E-Mail: Dr.Weisbach@gmx.de

Zeichnungen: Elke R. Steiner

T H E M E N D E R Z E I T

Referenzen

ÄHNLICHE DOKUMENTE

Der Schornstein- feger habe sich bei seiner Frau be- klagt, dass man für Neukirchen kei- nen Arzt finde, erzählt Scharfe.. „Fragen Sie doch mal meinen Mann“, lautete

Die Berechnung zeigt aber, dass die eigene Praxis für junge Mediziner längst nicht mehr so lukrativ ist, wie sie es früher einmal war?. Der Landarzt kommt bald

Anknüpfend an diese Problemstel- lung waren die Notare sehr dankbar, dass Herr Erik Bodendieck als Präsi- dent der Sächsischen Landesärzte- kammer und praktizierender Haus- arzt zu

Helmut Knoblauch gebührt Dank für sein geschlossenes Werk der Zeitge- schichte, für seine Offenheit und Genauigkeit, mit der er all das be - nennt und anspricht, was

„Der Arzt Paul Lüth, der Eigen- willige, mitunter Unbequeme, dennoch — so habe ich ihn we- nigstens erlebt — stets Toleran- te, aber Zupackende, eigene Wege immer suchend, schreitet

Wurden aber Frauen oder Männer über 60 Jahre schwer krank, dann durften die Ärzte sie nicht ins Kran- kenhaus einweisen: „Zu Hause be- handeln.. Im Krankenhaus ist kein

Ernst Kappesser war zunächst Landarzt hier in Gimbsheim, wo er das Haus Kirchstraße 28 (mein Elternhaus) baute. 1913 übernahm er die Praxis seines verstorbenen Onkels in

das Elektroenzephalogramm (EEG), durch das aufgrund der Hirnströme Rückschlüsse auf einen Tumor gezogen werden können, sowie bildgebende Verfahren wie eine Computer-