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Archiv "Landarzt in Rumänien Fürchterliche Wahrheit" (17.01.1991)

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Landarzt in Rumänien

Fürchterliche Wahrheit

Der Verfasser des nachfolgenden Berichts gehört zu den Ärzten, die sich bei dem Regime des rumänischen Diktators Nicolae Ceau§escu unbeliebt gemacht hatten. Er verlor nach drei Jahren seine Stelle an der Universitätsklinik Craiova im Süden des Landes und mußte in der Praxis einer kleinen Landgemeinde arbeiten.

Acht Jahre Tätigkeit nebenbei für eine Studentenzeitschrift, Schrift- stellerei (1986 erschien ein Band Gedichte) und die Gründung ei- ner satirischen Gruppe, die auch indirekt den Ceauescu-Clan aufs Korn nahm, waren vorausgegangen. Von einer Reise in die Bundesrepublik im Dezember 1988 schließlich kehrte er nicht mehr in sein Land zurück. Der Versuch der Ehefrau, nach der Re- volution (Dezember 1989) die Wiederherstellung seiner dortigen Rechte zu erreichen, scheiterte. Die zuständigen Behörden ant- worteten nicht einmal. Jetzt wartet er - kürzlich sind Frau und Sohn ihm nachgereist - in Deutschland. Noch hat er keinen positiven Be- scheid von den Asylbehörden, keine Arbeitserlaubnis. DÄ

BLICK INS AUSLAND

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

D

er Alpdruck begann am 1.

November 1987. Als junger Arzt für Allgemeinmedizin bekam ich eine Praxis-Stelle in der Gemeinde Galicea-Mare (Bezirk Dolj). Mit etwa 6000 Einwohnern ei- ne ziemlich reiche Gemeinde, so sag- te man mir, wenigstens verglichen mit vielen anderen im Bezirk oder vielleicht im größten Teil des Landes sogar. Was aber unter diesem relati- ven „Reichtum" wirklich zu verste- hen war, das sollte ich, aus Erfahrun- gen allerdings schon skeptisch ge- nug, sehr rasch spüren - in der soge- nannten Praxis, wo ich mit zwei an- deren Ärzten zusammenarbeitete.

Ein paar Zimmer standen zwar dafür zur Verfügung, keines davon ent- sprach jedoch den einfachsten Pra- xis-Anforderungen.

Das Wartezimmer: eigentlich ein Flur mit einer Bank und zwei, drei Stühlen. Unrasierte Männer, müde Frauen, Kinder mit traurigen Augen warteten auf den Arzt. Die tägliche Arbeit dieser Menschen auf dem Land ist schwer, und die Ceau-

§escus - damals noch an der Macht - haben immer weitere Leistungsstei- gerungen verlangt. Der Landarzt war hier eben fast ein kleiner Gott; er ge-

hörte zu den wenigen, die etwas Trost geben konnten, und von ihm hing es ab - so dachten wenigstens die meisten -, ob die Frauen oder Männer einmal ein paar Tage Ruhe bekommen würden. Niemand wußte, daß es uns verboten war, die Leute krank zu schreiben, abgesehen von den schweren Fällen, die ins Kran- kenhaus mußten. Ab und zu wagten wir aus Mitleid trotzdem eine Krank- schreibung, weil jeder von uns sehen konnte, wie schwach und elend Frau- en oder Männer waren, die unter so unmenschlichen Verhältnissen ar- beiteten. Aber für die Krankheitszeit bekamen sie keinen Pfennig.

Die Partei interessierte sich nur für die

„Arbeitsfähigen"

Rumänien interessierte sich eben nur für die "Arbeitsfähigen";

nicht mehr arbeitsfähige Menschen galten für sie eher als überflüssig. So die Rentner. Wer das Alter von 60 Jahren wirklich erreichte, der bekam meist nur eine winzige Rente (unter 200 Lei, was offiziell etwa 20 DM, in Wirklichkeit aber nur knapp 5 DM

entspricht). Damit allein konnte na- türlich niemand überleben. Wer ei- nen kleinen Garten hatte, versuchte sich daraus zu ernähren, viele ältere Menschen halfen ihren Kindern, er- zogen die Enkelkinder und arbeite- ten für ein Zubrot im Haushalt.

Wurden aber Frauen oder Männer über 60 Jahre schwer krank, dann durften die Ärzte sie nicht ins Kran- kenhaus einweisen: „Zu Hause be- handeln! Im Krankenhaus ist kein Platz mehr!" - so etwas war oft zu hö- ren. Womit aber behandeln? Wie oft hatten wir keine Diuretika, keine Gly- coside, Glukokorticoide, Antitussiva und anderes! Wie oft mußte ich diese älteren Leute machtlos anstarren!

. . . zu arm, um so viele Kinder zu ernähren

Tatsächlich - in „unserer" Praxis gab es einen Raum für die Untersu- chung von Kindern und einen weite- ren für die von Erwachsenen. Aber wegen des Energiemangels im Lande konnten wir drei Ärzte nur ein Zim- mer für die Untersuchungen und die Behandlung der Patienten benutzen:

Männer, Frauen, Kinder, alte Leute, die verschiedensten Krankheiten - alles im selben Zimmer Besonders schlecht war das im Winter. Der alte, mit Holz und Kohle beheizte Kamin funktionierte nicht mehr richtig - es war kalt im Raum. - Allein 70 bis 100 Säuglinge bis zu einem Jahr wurden in unserer Praxis und von dort aus betreut. „Mehr Kinder", hatte Dikta- tor Ceauescu gefordert, jede Fami- lie müsse mindestens fünf Kinder ha- ben. Er nahm einfach nicht zur Kenntnis, daß die Menchen bei der schlechten Entlohnung ihrer Arbeit längst zu arm geworden waren, um so viele Kinder zu ernähren.

Etwa dreimal in der Woche be- suchten wir die uns anvertrauten Säuglinge. In unseren täglichen Be- richten mußten wir ihren Gesund- heitszustand melden - tatsächlich aber davon nur das, was dieser teufli- schen Politik im Lande noch genehm war. Mindestens 30 Prozent der Ba- bys litten an Rachitis - wir durften nur ein paar notieren. Dazu kamen Blutarmut, Erkrankungen im Ver- dauungstrakt, Scabies - aber wir mußten schweigen.

Dt. Ärztebl. 88, Heft 3, 17. Januar 1991 (35) A-101

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Viel Schlimmes wäre hierzu noch zu berichten. Ich will nur ein Beispiel schildern. Bei einem meiner Hausbesuche fand ich ein Kleinkind etwas seltsam schlafend vor. Es hatte eine ungesunde Gesichtsfarbe, war recht mager, und ich wollte es wie- gen. „Bitte, wecken Sie den Kleinen doch auf", sagte ich zu der Mutter.

Aber die Frau schüttelte den Kopf:

„Herr Doktor, lassen Sie ihn bitte schlafen! Wenn er schläft, ißt er nicht. Wenn er aufwacht, will er es- sen, und ich habe keine Milch mehr.

Milchpulver gibt es schon seit Wo- chen nicht zu kaufen, und von den Kühen bekommt man ja kaum et- was . . ." — Um Gottes willen, dachte ich, wie kann ein Kind hungrig ein- schlafen? Ich bekam nach und nach ein unheimliches Gefühl und roch schließlich an dem Kind . . . viel Al- kohol — es war betrunken, und das mit sechs Monaten! Ich starrte die Mutter an — sie war damals noch kei- ne 25 Jahre, sah aber aus wie minde- stens vierzig —, und sie antwortete weinend: „Wir müssen doch arbei- ten, und ich habe keinen Mann mehr, meine Eltern sind schon lange tot. Ich kann meinen Jungen nicht immer weinen hören. So ist er ru- hig . . ."

Wenn Sie soviel Courage haben, schreiben

Sie ans Ministerium...

Erkrankungen von Säuglingen und Kleinkindern — in Rumänien ei- ne Katastrophe! Ein großer Teil von ihnen hat eine schwache Resistenz.

Dazu kam der ewige Medikamenten- mangel. Mittel gegen Durchfall: am häufigsten „Diät". Für Entzündun- gen im HNO-Bereich gab es kaum Antibiotika, und in der letzten Zeit war injizierbares Penicillin ein Lu- xus. Antibiotika als Saft für die Klei- nen? Ich weiß nicht, ob Rumänien überhaupt so etwas produziert. Si- cherlich, in vielen Fällen wäre es uns Ärzten möglich gewesen, kranke Kinder in die Klinik zu schicken und so zugleich die Verantwortung fort- zuschieben. Aber die Eltern selbst waren immer dagegen, weil die Be- dingungen in den Krankenhäusern ohnehin nicht besser erschienen: im

Winter oft nur 10 Grad Celsius in den Räumen und auch keine Medi- kamente — ein Wahnsinn!

In meinen täglichen Bericht schrieb ich einmal, daß zwei Babys unterernährt seien. Wenig später wurde ich zu meinem vorgesetzten Arzt gerufen. „Herr Doktor, was ha- ben Sie hier aufgeschrieben?" fragte er. Meine Antwort: „Das ist nur ein Teil der fürchterlichen Wahrheit. Da sind noch mehr, die an Unterernäh- rung leiden!" — „Mein lieber Kolle- ge", sagte er väterlich, „wir alle wis- sen das. Aber wenn die Parteifüh- rung so etwas erfährt, verlieren wir beide unseren Kopf! In Rumänien gibt es kein unterernährtes Kind, ver-

stehen Sie nicht?!" — „Herr Doktor", wehrte ich mich, „so machen wir uns mitschuldig. Das ist eine sehr schwe- re Sünde für einen Arzt, der ge- schworen hat, Leben zu erhalten!"

Und ich fügte empört hinzu: „Was soll ich denn schreiben??" — „Daß die Mütter der Babys eben nicht wis- sen, wie man Kinder richtig er- nährt!" — „Und für dieses Wissen müßten wir Ärzte sorgen. Das würde dann wohl bedeuten, wir sind schuld, daß die Kleinen nicht genug zu essen haben . .!" Nach und nach verlor mein Vorgesetzter die Geduld und brachte schließlich, beinahe schrei- end, heraus: „Wenn Sie soviel Cou- rage haben, dann schreiben Sie doch ans Gesundheitsministerium! !"

Aber zurück zum Arbeitsalltag in unserer Praxis. Da es täglich meh- rere Stunden keinen elektrischen Strom gab, mußten wir die Injekti- onsgeräte oft über dem offenen Feu- er „sterilisieren" — wie wirkungsvoll, das kann man sich denken: eine Spritze für zehn bis zwanzig Injektio- nen, und nur die Nadel wechseln (erst später, hier in Deutschland, ha- be ich erfahren, wie viele AIDS- Kranke es in Rumänien gibt und wie viele Kinder darunter sind)! Vor be- sondere Probleme stellte uns der gy- näkologische Bereich unserer Tätig- keit. Ein einziger Handschuh mußte für 30 bis 40 Untersuchungen rei- chen. (Andernorts war dieser Hand- schuhmangel noch schlimmer Eine Bekannte, Frauenärztin in einer Uni- versitätsklinik, berichtete mir bei ei- nem Besuch, dort würden bis zu fünfzig Frauen mit demselben Hand-

schuh untersucht — in einer Uni-Kli- nik!)

Unter dem Regime des Nicolae Ceauescu sollte — ich schrieb schon davon — jede Frau unter 45 Jahren fünf Kinder zur Welt bringen.

Schwangerschaftsabbrüche waren streng verboten, Ausnahmen nur in Fällen schwerer Erkrankungen (bei- spielsweise bei ernsten Herzleiden) gestattet, so daß die illegale Vornah- me von Abtreibungen im Lande flo- rierte. Viele junge Frauen starben an den Folgen von Komplikationen.

Den Ärzten war auferlegt, das Vor- liegen von Schwangerschaften unbe- dingt zu entdecken und darauf zu achten, daß die betreffenden Frauen nicht heimlich abtreiben ließen. Je- der vorgesehene legale Abbruch je- doch mußte zuerst bei der Polizei an- gemeldet werden.

„Bei uns ist es noch viel, viel schlechter"

Ärztliche Untersuchungen auf dem Lande in Rumänien! Fast nur mit Stethoskop, Blutdruckmesser, Händen, Augen, Ohren, Nase . . .!

Labor, EKG-Gerät — ein Superluxus!

Da gäbe es noch viel zu sagen. Über unser Behandlungzimmer zum Bei- spiel: ein Bett, ein Tisch, ein fast lee- rer Schrank für Medikamente, einige Injektionsspritzen, ein paar Instru- mente für die Kleine Chirurgie —

„sterilisiert", wie schon beschrieben.

Oder über unser Nachtdienstzim- mer immer kalt und mit Ratten.

Für ein besseres Verstehen:

Kurz bevor ich Rumänien verließ, besuchte uns ein anderer Arzt in

„unserer" Praxis. Er kam aus Mol- dau im Norden des Landes. Mir stockte fast der Atem, als ich von dem Kollegen hörte: „Aber das hier ist doch der Himmel auf Erden im Vergleich zu den Verhältnissen bei uns! Bei uns ist es noch viel, viel schlechter!"

Das war im Winter, Dezember 1988, ein Jahr vor dem Sturz Ceau- sescus.

Anschrift des Verfassers:

Dr. Constantin Urucu Kirchstraße 4

W-7905 Dietenheim 1 A-102 (36) Dt. Ärztebl. 88, Heft 3, 17. Januar 1991

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