T H E M E N D E R Z E I T
Deutsches ÄrzteblattJg. 101Heft 3313. August 2004 AA2241
meiner Sicht darf und kann die Beratung durch einen Arzt nicht zu einer Pflicht erhoben werden, obgleich sie uns auch sehr wünschenswert erscheint. Ärztliche Aufklärung wird zwar durch das Arzt- recht und das Arzthaftrecht vor jeder ärztlichen Maßnahme vorgeschrieben, es gibt aber auch das Recht, sich einer Auf- klärung zu verweigern oder sogar das Recht, gar nicht erst zum Arzt zu gehen.
Auch dann fehlt bei der Verweigerung von Maßnahmen die Aufklärung.
❃Wiederholt wird in den Briefen kritisiert, dass einzelne Formulierungen der Grundsätze nicht eindeutig genug seien. Das kann ich prinzipiell gut nach- vollziehen. Im Einzelfall sind allgemein formulierte Regelungen ja eben immer wieder nicht deckungsgleich anwend- bar. Auch mit noch so exakt formulier- ten Leitlinien oder Regeln können Ärzte nicht davon befreit werden, im Individualfall selbst eigenverantwort- lich zu entscheiden. Hier denke ich bei- spielsweise an den Einwurf, dass im Text der Eindruck entstehe, die Er- klärung eines gesetzlichen Vertreters sei bindender als eine Patientenverfü- gung. Zum anderen sehe ich aber das Problem, dass es für bestimmte Fragen keine eindeutigen Formulierungen ge- ben kann, die unmittelbar handlungsori- entiert vom jeweiligen Arzt oder der je- weiligen Ärztin umzusetzen sind. So muss z. B. die Frage der Gültigkeit einer Patientenverfügung immer sehr gut ab- gewogen werden – schließlich geht es ja um Leben und Tod, auch wenn wir grundsätzlich anerkennen, dass solchen Erklärungen Bindungskraft zukommt.
Insofern ist die Erwartungshaltung, die Grundsätze könnten ärztliches Handeln erleichtern, nur begrenzt zutreffend, eher sogar falsch. Die Grundsätze neh- men uns Ärztinnen und Ärzten die Ent- scheidungen am Lebensende nicht ab.
Sie können lediglich Wegweiser und Hilfe dabei sein, sie geben weiterhin An- lass für Diskussionen und helfen, die Gedanken zu ordnen. Über dies hinaus wird der Bevölkerung dargelegt, wie die verfasste Ärzteschaft in Deutschland zu dem Thema Sterbebegleitung steht.
Prof. Dr. med. Eggert Beleites,Präsident der Landesärztekammer Thüringen, Vorsitzender des Ausschusses für medizinisch-ethische und juristische Grundsatzfragen, Im Semmicht 33, 07751 Jena-Maua
KOMMENTAR
D
ie Rehabilitationskliniken in pri- vater Trägerschaft stehen zurzeit verstärkt unter doppeltem Druck:Einerseits bekommen sie die Aus- und Rückwirkungen des inzwischen flä- chendeckend eingesetzten diagnosebe- zogenen Fallpauschalsystems (Diagno- sis Related Groups; DRGs) im Akut- krankenhaussektor und den Wettbe- werbsdruck infolge vermehrter inte- grierter Versorgungsverträge zu spü- ren, andererseits leiden sie zunehmend unter der selektiven Vertragspolitik der Hauptbeleger, namentlich der Rentenversicherungsträger. Die Bun- desanstalt für Angestellte (BfA), mit rund 2,4 Milliarden Euro Jahresausga- ben für die medizinische Rehabilitati- on ein Hauptkostenträger der Leistun-
gen im „dritten Bereich“, praktiziert seit Jahren eine preisgeleitete Bele- gungs- und Vertragspolitik, indem sie vorrangig ihre Eigeneinrichtungen mit Rehabilitationspatienten belegen. Dies gilt nicht erst, seit in der medizinischen Rehabilitation konjunkturbedingt und infolge der Einschnitte durch den Ge- setzgeber ab 1996/1997 die Umsätze um rund 30 Prozent abbrachen.
Diese Gemengelage bringt die Ein- richtungen der medizinischen Rehabi- litation und vor allem die erwerbswirt- schaftlichen (privaten) Betreiber in existenzielle Schwierigkeiten. Dabei haben diese rund 1 200 Einrichtungen längst den Beweis erbracht, dass sie ein breites Spektrum an Leistungen vor- halten, ihre Effizienz und Wirtschaft- lichkeit verbessert und durch Investi- tionen privaten Kapitals die Einrich- tungen ständig modernisiert und er- weitert haben.
Erst kürzlich unterstrich der Bun- desverband Deutscher Privatkranken- anstalten e.V., in welchem 450 der 1 300 Rehabilitationskliniken organi- siert sind, dass Rehabilitationsklini- ken unter gleichen Wettbewerbsbedin- gungen eine Entwicklungschance ha- ben sollten – neben anderen Reha- Spezialisten.
Die BfA beruft sich darauf, dass der Bundesrechnungshof bereits vor Jah-
ren darauf gedrungen habe, Eigenein- richtungen für die medizinische Reha- bilitation, die von den Rentenversiche- rungsträgern unterhalten werden, aus Wirtschaftlichkeits- und Kostengrün- den in erster Linie auszulasten, ehe Verträge mit freien Anbietern zum Zu- ge kommen. Eine solche Devise ist nicht akzeptabel. Sie widerspricht auch dem von der Politik verfochtenen Grundsatz einer zunehmenden Dere- gulierung und Entbürokratisierung des Gesundheitswesens. Der Grundsatz der Subsidiarität erfordert, dass sich die Rentenversicherungsträger, die mit Zwangsbeiträgen finanziert werden, auf ihre ureigensten Aufgaben be- schränken und den freien Betreibern von Rehabilitationseinrichtungen, so-
fern sie konkurrenzfähig sind, den Vor- tritt lassen. Damit würde auch eine ordnungspolitisch sinnvolle Trennung zwischen den Kostenträgern und den Leistungserbringern vollzogen.
Eine selektive Vertragspolitik und eine Bevorzugung von Eigeneinrich- tungen würden auch zur Fehlallokation und zur Mittelvergeudung volkswirt- schaftlich knapper Ressourcen führen.
Beispiel Baden-Württemberg: In Bad Krozingen baut die BfA mit einem In- vestitionsvolumen in Höhe von 54 Mil- lionen Euro eine neue Eigenrehabilita- tionseinrichtung – deklariert als Um- und Erneuerungsmaßnahme. Im Ein- zugskreis dieser Einrichtung gibt es be- reits mehrere private Rehabilitations- kliniken, die bei den Patienten gut an- genommen sind und funktionieren.
Durch ein solches marktpenetrieren- des Angebots- und Belegungsverhal- ten der Rentenversicherungsträger wer- den funktionsfähige Einrichtungen zer- schlagen, oder diese müssten aus wirt- schaftlichen Gründen aufgegeben wer- den, obwohl sie bedarfsgerecht arbei- ten. Aus purem Egoismus und aus Kon- kurrenzgründen können doch nicht be- stehende Infrastrukturen aufgegeben werden, um nach einigen Jahren mit er- heblichen öffentlichen Investitionsmit- teln das wieder aufzubauen, was zer- schlagen wurde. Dr. rer. pol. Harald Clade