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Archiv "Kongenitale benigne Myopathien mit speziellen Strukturanomalien: Gibt es Fortschritte in der Therapie?" (24.11.1988)

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Academic year: 2022

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DEUTSCHES

ÄRZTEBLATT

ZUR FORTBILDUNG

Felix Jerusalem, Alain Pirard und Joachim Klar

Kongenitale

benigne Myopathien mit speziellen Strukturanomalien

Gibt es Fortschritte in der Therapie?

Die kongenitalen Myopathien müssen frühzeitig diagno- stiziert werden, da sie eine bessere Prognose haben als zum Beispiel die spinale Muskelatrophie vom Typ Werd- nig-Hoffmann. Aufgrund des klinischen Bildes und des Verlaufes kann eine kongenitale Myopathie vermutet werden; die exakte Diagnose ist nur mit Hilfe einer Mus- kelbiopsie möglich. Durch Krafttraining und diätetische Maßnahmen ist eine Besserung der Muskelkraft und der Ausdauerleistung zu erzielen.

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ppenheim hat um die Jahrhundertwende den Begriff „Myato- nia congenita" ge- prägt und damit Krankheitsbilder bezeichnet, die be- reits bei der Geburt vorhanden wa- ren oder sich in den ersten sechs bis zwölf Lebensmonaten manifestier- ten. Nach seiner Beschreibung war die Myatonia congenita charakteri- siert durch eine symmetrische mus- kuläre Atonie, Muskelschwäche mit Beteiligung der Atemmuskulatur, eventuell auch der Gesichts- und Schluckmuskulatur, Kontrakturen, abgeschwächte oder fehlende Eigen- reflexe, eine Gefährdung der Be- troffenen durch interkurrente re- spiratorische Infektionen und eine Tendenz zur Rückbildung der Mus=

kelsymptome im weiteren Krank- heitsverlauf. Oppenheim nahm an, daß die Myatonia congenita durch eine Entwicklungsstörung der Mus- kulatur oder einen Krankheitspro- zeß der Vorderhornzellen verur- sacht sei; eine primäre Myopathie schloß er aus.

Die klinische Beschreibung der Myatonia congenita durch Oppen- heim trifft weitgehend auf die Krankheitsbilder zu, die wir heute als „kongenitale Myopathien" be- zeichnen. Allerdings gewann diese Krankheitsgruppe durch die Erken- nung spezieller Strukturanomalien

der Muskelfasern schärfere Kontu- ren, so daß heute mit Hilfe der Mus- kelbiopsie spezielle Krankheitsbil- der der Gruppe der „kongenitalen Myopathien" exakt zugeordnet wer- den können (Tabelle). So ist die

„Central-Core-Myopathie" durch ein Fehlen der Aktivität der NADH- Dehydrogenase im Zentrum der Muskelfasern und die „Multi-Core- Myopathie" durch einen multifoka- len Aktivitätsverlust dieses oxidati- ven Enzyms charakterisiert (Abbil- dungen 1 bis 4).

Die „myotubuläre" oder „zen- tronukleäre Myopathie" ist durch die zentrale Position der Kerne, die normalerweise in der Peripherie der Muskelfasern lagern, leicht zu er- kennen (Abbildung 3). Bei der „Ne- mahne" oder „Rod-Myopathie"

finden sich kleine wurmförmige oder stäbchenförmige Einschlüsse in den Muskelfasern (Abbildung 2). Die

„kongenitale Fasertyp-Dispropor- tion" zeigt kleinkalibrige Typ-I-Fa- sern (rote Muskelfasern) und nor- malkalibrige oder hypertrophische Typ-Il-Fasern (weiße Muskelfasern) (Abbildung 4). Bei der seltenen

„sarkotubulären Myopathie" sind die Muskelfasern durch Vakuolen, Neurologische Universitätsklinik

(Direktor: Professor Dr. med. Felix Jerusalem), Rheinische Friedrich- Wilhelms-Universität Bonn

die vom sarkoplasmatischen Retiku- lum ausgehen, stark verändert.

Auch heute ist noch nicht ge- klärt, ob es sich bei diesen kongeni- talen Myopathien um eine Entwick- lungsanomalie der Muskulatur, ei- nen primär neurogenen Prozeß oder wirklich um eine Myopathie han- delt. Es kommen sowohl sporadi- sche als auch dominante und autoso- mal rezessive sowie X-chromosomal rezessiv erbliche Fälle vor. In der Mehrzahl sind die nicht oder nur langsam progredienten Erkrankun- gen kongenital oder sie beginnen im frühen Kindesalter; einzelne werden jedoch klinisch erst in der Adoles- zenz oder im Erwachsenenalter ma- nifest. Ferner trifft die Bezeichnung

„benigne" nicht auf alle Fälle zu, da fatale Verläufe beobachtet wurden.

Bemerkenswert ist, daß mehrere der speziellen Strukturanomalien bei ein und demselben Kranken oder bei verschiedenen Mitgliedern einer Sippe vorkommen können; so wurde von uns und anderen die Kombina- tion von Central Cores, Mini Cores und Rods beobachtet.

Klinisch bestehen bei den Neu- geborenen und Kleinkindern sowie den betroffenen Erwachsenen eine symmetrische muskuläre Hypotonie (floppy-baby-Syndrom) und Schwä- che sowie Hypo- oder Areflexie.

Gelegentlich sind auch die Augen- und Gesichtsmuskeln betroffen. Oft A-3356 (70) Dt. Ärztebl. 85, Heft 47, 24. November 1988

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Abbildung 4: Kongenitale Fasertyp- Dysproportion. Die Typ-I-Fasern (hellbraun bzw. dunkelblau) sind atrophisch, die Typ-Il-Fasern (dun- kelbraun bzw. hellblau) sind normal kalibrig bzw. leicht hypertrophisch (myofibrilläre ATPase-Reaktion bei pH 9,4; NADH-Dehydrogenase-Reak- tion)

Tabelle: Übersicht über kongenitale Myopathien - Myatonia congenita - mit speziellen Strukturanomalien

Central-Core-Krankheit Shy et al. 1956

Nemaline-Krankheit Shy et al. 1963

Myotubuläre Myopathie Spiro et al. 1966 kongenitale Fasertyp-Disproportion Brooke et al. 1973 Multi-Core-Krankheit Engel et al. 1971 Myopathie mit Auflösung von

Myofibrillen in Typ-1-Fasern Fingerprint-Myopathie

Cancilla et al. 1971

Engel et al. 1972 Reducing-Body-Myopathie Brooke et al. 1972 sarkotubuläre Myopathie Jerusalem et al. 1973 Zebra-Body-Myopathie Lake et al. 1975 neuromuskuläre Krankheit mit

trilaminären Fasern Spheroid-Body-Myopathie

Ringel. et al. 1978

Goebel et al. 1978

Abbildung 2: Muskelbioptischer Befund bei Nemaline-Myopathie. In den quer- geschnittenen Muskelfasern sieht man mul- tiple kleine Einschlüsse sogenannter Nema- line- oder Rod-Körper (Gomori-Trichrom)

Abbildung 3: Zentro-nukleäre oder myotu- buläre Myopathie. Charakteristisch ist die Verlagerung der Zellkerne ins Zentrum der hier quergeschnittenen Muskelfasern (Hämatoxylin-Eosin)

Abbildung 1: Central Core-Krankheit. Dar- gestellt ist der zentrale Verlust der oxidati- ven Enzymreaktion in den quergeschnitte- nen Muskelfasern (NADH-Reaktionen) sind Skelettanomalien wie Skoliose, Hüftgelenksluxation, Trichterbrust, Fußdeformität, hoher Gaumen, längsovales Gesicht und anderes festzustellen.

Wichtig und hilfreich für die Diagnose und die Verlaufsbeurtei- lung ist, daß die Mehrzahl der be- troffenen Kinder zwar eine deutlich verzögerte motorische Entwicklung durchläuft, das heißt daß sie unter Umständen zum Beispiel erst mit zweieinhalb bis drei Jahren gehen lernen, daß dann aber das motori- sche Defizit zum Teil aufgeholt wird. Es ist deshalb ganz besonders wichtig, die Kinder über die ersten

Krankheitsjahre hinwegzubringen, insbesondere auch stark gefährden- de respiratorische Infekte frühzeitig und energisch zu behandeln, da die Prognose der Myopathie auf lange Sicht Besserungschancen bietet. Die muskulären Serumenzyme sind nicht oder nur leicht erhöht. Das EMG (Elektromyogramm) zeigt normale Befunde oder teils myopathisch, teils neurogen zu interpretierende Veränderungen. Entscheidend für die Diagnose ist die Muskelbiopsie

(Abbildungen 1 bis 4).

Obwohl es bis heute noch keine kausale Therapie dieser vorwiegend benignen und korigenitalen Myopa- thien gibt, ist die differentialdiagno- stische Abgrenzung von Muskeldys- trophien und spinalen Muskelatro- phien und anderen Erkrankungen für die genetische Beratung und pro- gnostische Beurteilung von ganz

großer Bedeutung, da die progressi-

ve

Muskeldystrophie vom Typ Du- chenne und die spinale Muskelatro- phie vom Typ Werdnig-Hoffmann Ärztebl. 85, Heft 47, 24. November 1988 (73) A-3357 Dt.

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eine sehr schlechte Prognose haben, während die „kongenitalen Myopa- thien mit speziellen Strukturanoma- lien" (Tabelle) oft einen benignen Verlauf nehmen.

Darüber hinaus konnten wir bei einer erwachsenen Frau mit einer Central-Core-Krankheit durch ein systematisches leistungsadaptiertes Krafttraining und spezielle diäteti- sche Eiweißzulagen im Verlauf von jetzt zwei Jahren einen ganz erheb- lichen Zuwachs an Kraft, Ausdauer- leistung und Muskelvolumen erzie- len, so daß eine deutliche Steigerung der beruflichen Leistungen resul- tiert. Wir haben daraufhin dieses Therapieprogramm bei neun weite- ren adoleszenten und erwachsenen Patienten mit verschiedenen konge- nitalen Myopathien angewandt und finden bei acht von diesen bereits nach sechsmonatiger Therapie eine subjektive und objektive Besse- rungstendenz, die sich durch tensio- metrische Muskelkraftmessungen quantitativ belegen läßt.

Unsere Erfahrungen erscheinen so günstig, daß wir das Therapiepro- gramm an einer größeren Patienten- zahl überprüfen müssen. Wir möch- ten deshalb die Ärzteschaft bitten, entsprechende Patienten zu infor- mieren und sie gegebenenfalls uns zur quantitativen Befunddokumen- tation und Einführung in den Be- handlungsplan zuzuführen. Die The- rapie erfolgt unter haus- beziehungs- weise kinderärztlicher Kontrolle am- bulant.

Literatur

1. Banker, B. Q.: Congenital myopathies. In:

Myology. Hsg. A. G. Engel, B. Q. Ban- ker. Band II. McGraw-Hill Book Company New York 1986, S. 1527-1584

2. Dubowitz V.: Muscle disorders in child- hood. W. B. Saunders Company London 1978

3. Jerusalem, F.: Muskelerkrankungen. Thie- me-Verlag Stuttgart 1979

4. Mortier, W.: Kongenitale Myopathien und Muskelhypotonie. In: Neurologie in Praxis und Klinik, Band II, Hsg. H. Ch. Hopf, K.

Poeck, H. Schliack. Georg Thieme Verlag Stuttgart 1981, S. 1.3-1.33

5. Schröder, J. M.: Pathologie der Muskula- tur. Springer, Berlin—Heidelberg 1982 Anschrift für die Verfasser:

Prof. Dr. med. Felix Jerusalem Neurologische Universitätsklinik Sigmund-Freud-Straße 25 5300 Bonn 1

D

urch die Entwicklung neuer Labormetho- den und die Einfüh- rung von Geräten wie des Computertomo- graphen vollzog sich auf dem Sektor der Myopathien eine rasante Ent- wicklung. Die Grobeinteilung der Myopathien (Tabelle 1) blieb zwar bestehen, es ließen sich aber insbe- sondere auf dem Gebiet der Stoff- wechselstörungen, der Myotonien und der kongenitalen Myopathien durch bessere Diagnosemethoden neue Erkenntnisse gewinnen. Von seiten der Therapie machte man ins- besondere bei den myotonen, ent- zündlichen und immunologischen Muskelerkrankungen große Fort- schritte.

Im folgenden Artikel wollen wir auf einige neue Methoden der Dia- gnostik eingehen. Einen allgemei- nen Überblick über die diagnosti- schen Maßnahmen vermittelt Tabel- le 2. Noch nicht invasive Metho- den betreffen die Neurophysiologie und neue bildgebende Verfahren.

Manchmal gestattet aber erst die Entnahme einer Muskelbiopsie eine endgültige Diagnose. Die Muskel- biopsie dient zur histologisch-histo- chemischen und biochemischen Dia- gnostik. Ferner erlaubt die Entnah- me von Muskelproben immunologi- sche Analysen.

Die Elektromyographie soll die Frage beantworten, ob eine „myo- gene" oder eine „neurogene" Schä- digung vorliegt. Die myogene Schä- digung ist durch ein volles aber nied- riges Interferenzmuster bei geringer Kraftentwicklung trotz starker Will- kürinnervation sowie durch niedrige kurze, zum Teil polyphasische Po- tentiale gekennzeichnet. Neurogene Schädigungen führen zum Unter- gang einzelner motorischer Einhei- ten, wodurch ein gelichtetes Interfe- renzmuster entsteht. Durch die Ten- denz der terminalen Sprossung der Axone und Reinnervation bisher de- nervierter Muskelfasern vergrößern sich manche motorische Einheiten, und man mißt im Nadel-EMG hohe verbreiterte polyphasische Potentia- le. Ferner kommt es zu Spontanakti- vität, die auf einer erhöhten Acetyl- cholinempfindlichkeit im denervier- ten Muskel beruht. Es muß aber be- tont werden, daß die Beurteilung im Einzelfall sehr schwierig sein kann.

Hier helfen die neuen EMG-Geräte, die das Speichern und computerge- steuerte Auswerten von Einzelpo- tentialen erlauben.

Neurologische Klinik und Poliklinik (Ditektor: Prof. Dr. med. H. G. Mertens) und Abteilung für Röntgendiagnostik (Chirurgie) der Bayerischen Julius- Maximilians-Universität Würzburg

Die Diagnostik von Myopathien hat durch Fortschritte der Neurophysiologie, der bildgebenden Verfahren wie CT und NMR, durch Ultraschalluntersuchungen des Mus- kels sowie durch immunologische, morphologische und biochemische Labormethoden eine erfreuliche Weiter- entwicklung genommen.

Moderne Diagnostik von Myopathien

Heinz Reichmann und Hans Georg Mertens unter Mitarbeit von

Gerhard Schindler und Berthold C. G. Schalke

A-3358 (74) Dt. Ärztebl. 85, Heft 47, 24. November 1988

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