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Archiv "Menschenrechtsverletzungen (I): Lektionen aus den Erfahrungen von amnesty international" (15.09.1995)

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THEMEN DER ZEIT AUFSÄTZE

Menschenrechtsverletzungen (1)

Lektionen aus den Erfahrungen

David Kausman von amnesty international

Oftmals gehören Ärzte selbst zu den Opfern von Menschen- rechtsverletzungen. Gerade aufgrund ihrer Tätigkeit im Ge- sundheitswesen scheinen sie besonders gefährdet durch Un- terdrückungsmaßnahmen seitens vieler Regierungen und bewaffneter Oppositionsgruppen zu sein. Der medizinische

Koordinator des weltweiten Health Professionals Network von amnesty international, David Kausman, beschreibt den Aufbau und die Vorgehensweise dieses Aktionsnetzes, das sich für gefährdete und bedrohte Angehörige der Heilberufe und andere Opfer von Menschenrechtsverletzungen einsetzt.

D

as Aktionsnetz der Heilberufe (Health Professionals Net- work) von amnesty internatio- nal (ai), das durch rund 10 000 Mitglieder in 30 Ländern und allen Weltteilen gebildet wird, setzt sich in vielfältiger, mit der Gesundheitsver- sorgung in Zusammenhang stehender Weise für die Menschenrechte ein. Ei- nes der Ziele ist es dabei, in individu- ellen Fällen Gerechtigkeit zu erwir- ken.

Zwischen Januar 1993 und Okto- ber 1994 wurde das Aktionsnetz 76mal aktiv. Dies betraf unter ande- rem über 50 Angehörige der Heilbe- rufe, die zu Opfern von Menschen- rechtsverletzungen geworden waren.

Vierzehn von ihnen waren in die Schußlinie geraten, weil sie bekannte Mitglieder der Menschenrechtsbewe- gung, Oppositionspolitiker oder de- ren Angehörige waren. Dagegen wurden weitere 20 „Health Professio- nals" aus verschiedenen Gründen be-

droht, die direkt mit ihrer Berufs- ausübung in Zusammenhang stehen.

Sie hatten beispielsweise an der Ge- sundheitsversorgung der Landbevöl- kerung mitgearbeitet, sich zu Verge- hen gegen die Menschenrechte ihrer Patienten geäußert oder oppositio- nelle Verwundete behandelt. Andere hatten sich schlicht geweigert, gegen ihre Berufsethik zu verstoßen. Dies sind nur einige der Situationen, die im Gesundheitswesen Arbeitende — besonders in Bürgerkriegssituatio- nen — mit Unterdrückungssystemen in Kontakt bringen können. Sie zei- gen, daß Menschenrechtsvergehen gegen Heilberufler nicht isoliert vor- kommen, sondern als Teil eines brei- teren Repressionssystems zu sehen sind und daß der Hintergrund solcher Übergriffe oft der ist, eine Auf- deckung zu verhindern, um das Sy- stem instandzuhalten. Sie zeigen aber auch, daß im Gesundheitsbereich Tätige eine Sonderstellung inneha-

ben, die es ihnen ermöglicht, syste- matische Menschenrechtsverletzun- gen zu sehen und aufzudecken. Als Konsequenz aus den Erfahrungen von ai mit individuellen Verfolgungs- schicksalen ist es eines der wichtig- sten Ziele des Aktionsnetzes, Wege zur Unterstützung der Berufskolle- gen zu finden, die Kenntnis von Men- schenrechtsvergehen haben und dazu bereit sind, ihre Pflicht zu erfüllen und diese aufzudecken.

Aufbau des Health Professionals Network

Das Aktionsnetz der Heilberufe von amnesty international ist eines von mehreren Aktionsnetzen, inner- halb derer sich ai-Mitglieder in Grup- pen und nationalen Arbeitskreisen weltweit organisiert und zusammen- geschlossen haben, um für amnesty als Expertlnnen in bestimmten Fra- gen zu agieren. Die Mitgliedschaft umfaßt im Gesundheitsbereich Ärz- tinnen und Ärzte, Schwestern und Pfleger, Psychologen, Zahnärzte, Me- dizinstudenten, Krankenpflegeschü- ler und andere im Gesundheitswesen Beschäftigte. Was all diese Personen eint und zu amnesty international ge- bracht hat, ist ihre Sorge um die Men- schenrechte und der Wunsch, ihr Fachwissen einzubringen, um in die- sein Bereich ewas zu bewegen.

Allerdings stellt das Eintreten für einzelne Betroffene nicht den wich- tigsten Aspekt der Arbeit von An- gehörigen der Gesundheitsberufe dar, die sich ai angeschlossen haben. Die meisten Gruppen bemühen sich auch

Menschenrechtsverletzungen — Ärzte als Opfer und Täter

Gravierende Verletzungen der Menschenrechte ereignen sich — es ist bedrückend, das festzustellen — tagtäglich in aller Welt. Auch Ärzte sind darin involviert. Das Deutsche Ärzteblatt wird in den nächsten Wochen in einer losen Folge das Thema „Menschenrechtsverletzungen — Ärzte als Opfer und Täter" behandeln. Kernstück sind drei Beiträge, die auf eine Veranstaltung des Berlin-Brandenburger Arbeitskreises Medizin- Psychologie von amnesty international, des Behandlungszentrums für Folteropfer in Berlin und der Berliner Ärztekammer zurückgehen (dazu auch Heft 49/1994). Wir beginnen in diesem Heft mit einem Beitrag von David Kausman, dem medizinischen Koordinator im Internationalen Sekretariat von amnesty international in London. Der Text wurde von Angela Drösser, Astrid Geese und Torsten Lucas aus dem Englischen übersetzt und bearbeitet und durch die DÄ-Redaktion leicht gekürzt.

A-2388 (30) Deutsches Ärzteblatt 92, Heft 37, 15. September 1995

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Vignette: Tinos Otto THEMEN DER ZEIT

darum, das Bewußtsein für Men- schenrechtsfragen innerhalb ihres ei- genen Berufsfeldes durch eine stärke- re Aufklärung über die Menschen- rechte zu schärfen. Das Treffen vom 23. November 1994 unter dem Motto

„Menschenrechtsverletzungen — Ärz- te und Ärztinnen als Täter und Op- fer", das vom ai-Arbeitskreis Medi- zin-Psychologie Berlin/Brandenburg organisiert wurde, ist ein Beispiel für derartige Aktivitäten. ai-Gruppen von Ärzten und Angehörigen anderer Gesundheitsberufe haben in anderen Ländern viele ähnliche Veranstaltun- gen organisiert. In vielen Ländern stellen die amnesty-Gruppen von An- gehörigen der Gesundheitsberufe ihr Expertenwissen auch für die Ar- beit mit Asylsuchenden und Op- fern von Menschenrechtsverlet- zungen zur Verfügung.

Die ai-Fallarbeit der Ge- sundheitsberufe erfolgt auf in- ternationaler Ebene allerdings in koordinierter Form, das heißt alle dem Aktionsnetz ange- schlossenen Personen und Grup- pen beteiligen sich an den Ap- pellen. Der internationale Cha- rakter des Netzes und die Viel- zahl der Länder, die durch die Mitgliedschaft vertreten wer- den, verleihen amnesty eine be- achtliche Stärke, wenn es darum geht, sich an Regierungen und Ärztekammern zu wenden. Aber auch auf der internationalen Ebene beschränken wir uns nicht auf die Ar- beit mit Einzelfällen. Vielmehr orga- nisieren wir Kampagnen zu einzelnen Themen und zu den ethischen Grundsätzen im Bereich von Gesund- heit und Menschenrechten. Auch zur Beteiligung von Ärzten an Hinrich- tungen, an Folterungen, der Verwen- dung von Organtransplantaten hinge- richteter Gefangener und ähnlichen Themen nehmen wir Stellung. Unsere Initiativen tragen dazu bei, daß auf in- ternationaler Ebene ein Bewußtsein für diese Problematik geschaffen wird und daß ein breites Bündnis mit natio- nalen und internationalen Ärztever- bänden entsteht, das versucht, in die- sem Sinne Veränderungen auf politi- scher und gesetzlicher Ebene zu errei- chen. Unsere Arbeit zu Grundsatzfra- gen ergänzt und unterstützt damit die Arbeit, die wir im Einzelfall leisten.

AUFSÄTZE

Vorgehensweise des Aktionsnetzes

Die Informationen, die die Basis unserer Fallberichte bilden, erhalten wir aus unseren Untersuchungspro- grammen. Beim Internationalen Se- kretariat von ai in London gibt es Un- tersuchungsteams, die die Menschen- rechtsverletzungen in allen Ländern überwachen. Die Untersuchungspro- gramme von amnesty stellen eine wertvolle Quelle für uns dar. Der Ruf, den amnesty international im Laufe der Jahre aufbauen konnte, geht auf die Qualität der hier recherchierten Informationen zurück. In bezug auf das Aktionsnetz der Heilberufe ge-

währleistet das Fachwissen der ai-Un- tersuchungsteams, daß wir, wenn wir uns mit einem bestimmten Fall befas- sen, sicher sein können, daß die Infor- mationen überprüft wurden und zu- verlässig sind.

Wenn die Untersuchungsteams auf einen Fall stoßen, der eine Initiati- ve des Aktionsnetzes erforderlich macht, wird er an das Medical Office weitergeleitet. Dieses organisiert dann eine weltweite Aktion. In den meisten Fällen besteht diese Aktion aus dem Schreiben von Telefaxen oder Briefen an Regierungen, Behör- den und Beamte, die möglicherweise einen Einfluß auf diesen Fall nehmen können. Es werden einzelne Punkte angesprochen und Empfehlungen ge- macht, wie verfahren werden sollte.

Die angesprochenen Behörden kön- nen Regierungsbeamte, Botschafter, Ärzteverbände, Polizeipräsidenten, Gesundheitsminister oder andere

sein. Sie werden jeweils sorgfältig nach Rücksprache mit dem Untersu- chungsteam für das jeweilige Land ausgewählt.

In einigen Fällen sind dringend ein Appell und Öffentlichkeitsarbeit geboten. Hier werden die sog. Eilak- tionen („urgent actions") gestartet. In den meisten Fällen haben wir einige Tage Zeit, um Maßnahmen zu ergrei- fen. Die Appelle erfolgen dann in Form von routinemäßigen sog. „medi- zinischen Briefaktionen". Sie müssen meist über einen längeren Zeitraum hinweg erfolgen. Gegebenenfalls bemühen wir uns auch auf anderen Wegen um Öffentlichkeit. Oft nutzen die Gruppen von Gesundheitsbe-

ruflern auch Pressekontakte, um die Fälle in der medizinischen Fachpresse und in der allgemei- nen Presse bekannt zu machen.

Was bewirken solche Appelle?

Natürlich stellt sich die Frage:

Wie oft reagieren Regierungen und andere offizielle Stellen auf diese Appelle? Dies ist im Ein- zelfall nicht vorhersehbar. Die Antworten, die wir in der Regel auf unsere Appelle bekommen, sind eher vage, bestätigen, daß bereits Untersuchungen vorge- nommen werden oder eine Behand- lung erfolgt, so als habe man bereits al- les im Griff und als hätte es nie Anlaß zur Besorgnis gegeben. Genau das ist auch der Eindruck, den die Regierun- gen uns vermitteln wollen. Nur selten geben sie zu, daß sie im Unrecht sind oder sich für ein Vergehen zu verant- worten haben.

Wir können natürlich nicht sagen, was geschehen wäre, wenn in diesen Fällen keine Appelle geschickt wor- den wären. Die einzige Möglichkeit, das herauszufinden, wäre eine kon- trollierte Studie; aber die Menschen- rechte sind wohl kaum der richtige Rahmen für derartige Experimente.

Wir können auch nicht mit Sicherheit sagen, welche Konsequenzen die Ap- pelle haben, auf die wir keine Antwor- ten bekommen. Die Erfahrungen, die amnesty international gemacht hat, zeigen deutlich, daß die Regierungen häufig auf Druck durch die öffentliche Deutsches Ärzteblatt 92, Heft 37, 15. September 1995 (31) A-2389

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THEMEN DER ZEIT

Meinung reagieren, selbst wenn sie dies nie öffentlich zugeben würden.

Manchmal ist es frustrierend, Briefe zu schreiben und keine Antworten zu bekommen. Das bedeutet aber noch nicht, daß die Briefe vergebens ver- sandt wurden.

Fallbeispiele

Betrachten wir nun etwas genau- er die Fälle, mit denen sich das Health Professionals Network befaßt. Dies sind Fälle, die für das Aktionsnetz von besonderem Interesse sind oder in de- nen der Protest der Mitglieder des Ak- tionsnetzes besonderes Gewicht hat.

Man kann diese Fälle in vier Kategori- en unterteilen. 1. Kollegen im Ge- sundheitswesen, deren Menschen- rechte verletzt wurden; 2. Kollegen im Gesundheitswesen, die an Menschen- rechtsverletzungen beteiligt waren oder die im Wissen um Menschen- rechtsverletzungen geschwiegen ha- ben; 3. Andere Menschen, die insbe- sondere in bezug auf ihre Gesundheit unter Menschenrechtsverletzungen gelitten haben, zum Beispiel unter Mißhandlungen oder Verweigerung einer medizinischen Versorgung im Gefängnis oder in der Psychiatrie; 4.

Technische Fälle

Von Anfang 1993 bis zum Ende des vergangenen Monats verschickte das Health Professionals Network in 76 Fällen Appelle, wobei es sich bei den Fällen z. T. um Einzelfälle, zum Teil um Gruppen handelt. Erlauben Sie mir, mich auf die 26 Appelle zu konzentrieren, die wir gestartet ha- ben, als Angehörige der Gesundheits- berufe zu Opfern von Menschen- rechtsverletzungen wurden. Zählt man die einzelnen Betroffenen, sind es mehr als 26 Personen, da sich einige Appelle auf mehrere Personen bezie- hen. Diese Zahlen stellen keine voll- ständige Liste von Menschenrechts- verletzungen gegen die Angehörigen der Gesundheitsberufe weltweit dar.

Es handelt sich hierbei nur um die schwersten Fälle und auch nur um die, die unsere Untersuchungsteams veri- fizieren konnten.

Wir kennen nicht immer die Gründe, warum es zu Menschen- rechtsverletzungen gegen eine Person kommt, aber in den meisten Fällen

AUFSÄTZE

verfügen wir über genug Informatio- nen, um wahrscheinliche Vermutun- gen anstellen zu können.

Die größte Gruppe (11 Personen) ist zum Opfer von Menschenrechts- verletzungen geworden, weil die be- troffenen Personen selbst Menschen- rechtsaktivisten oder Oppositionspo- litiker waren. Möglicherweise ist die Tatsache, daß sie Angehörige der Ge- sundheitsberufe waren, ein Zufall. Al- lerdings kann es auch sein, daß ihre Erfahrungen als Ärzte oder Schwe- stern, die Folgen von Vergehen gegen die Menschenrechte, mit denen sie in beruflicher Eigenschaft konfrontiert waren, dazu beigetragen haben, daß sie überhaupt begonnen haben, sich für die Menschenrechte einzusetzen.

In jedem Fall wären sie, unabhängig von ihrer beruflichen Tätigkeit, zur Zielscheibe von Menschenrechtsver- letzungen geworden Ähnlich liegt der Fall bei drei weiteren Personen, die unter Menschenrechtsverletzungen zu leiden hatten, weil sie auf die eine oder andere Weise mit Menschenrechtsak- tivisten in Verbindung gebracht wur- den. Zwei von ihnen wurden getötet.

Vermutlich war die Tatsache, daß sie Angehörige der Heilberufe waren, für die von ihnen erlittene Behandlung nicht ausschlaggebend.

Drei Kollegen, die sich öffentlich über Menschenrechtsverletzungen geäußert haben, sind gestorben oder

„verschwunden". Niemand von ihnen war Aktivist; es handelte sich um zwei Ärzte und einen Zahnarzt, die, naiver- weise, den Fehler begingen zu glau- ben, sie wären durch ihren Status als Mediziner geschützt. Sie sprachen über ungesetzliche Handlungen, von denen sie durch ihre berufliche Tätig- keit erfahren hatten.

Neun Ärzte aus dem Irak wurden eingesperrt, weil sie sich geweigert hatten, Amputationen und Brandmar- kungen vorzunehmen, die kürzlich als Strafe für verschiedene Delikte, unter anderem Kriegsdienstverweigerung, eingeführt wurden. Es gibt mit ziemli- cher Sicherheit eine Vielzahl weiterer Ärzte im Irak, die im Gefängnis sind, weil sie ihre Teilnahme an diesen Sanktionen verweigert haben. Mögli- cherweise ist es auch bereits zu Hin- richtungen gekommen. amnesty konnte bisher aber nur die genannten neun Fälle verifizieren.

Sechs Ärztinnen und Ärzte gerie- ten in Konflikt mit den Behörden, weil sie Verwundete behandelten, die nach Ansicht der Regierung bewaffnete Oppositionelle waren. Die meisten der aufgeführten sechs Ärzte kamen ins Gefängnis; einer von ihnen wurde ohne Gerichtsverfahren hingerichtet.

Zwei weitere Personen wurden eingeschüchtert, eine wurde in Haft genommen, offenbar nur, weil sie als Gemeindeschwester oder -pfleger in ländlichen Gemeinden tätig waren.

Die verhaftete Ärztin wird in Peru im Rahmen der Terrorismusbekämpfung festgehalten, obwohl es keinerlei Be- weise dafür gibt, daß sie mit der be- waffneten Opposition zusammenge- arbeitet hat. Nach der amnesty-Klassi- fizierung gilt sie als sogenannte ge- waltlose politische Gefangene (Priso- ner of Conscience).

Es darf nicht vergessen werden, daß alle Heilberufler in den vier letzt- genannten Beispielen nur deshalb ver- folgt wurden, weil sie den ethischen Prinzipien ihres Berufes entsprechend handelten. In einigen Fällen — Versor- gung Verwundeter, Aufdecken von Folter — taten sie auch das, was die Ge- setze ihres Landes ihnen vorschrei- ben. Und doch wurden sie zur Ziel- scheibe von Übergriffen, und einige von ihnen wurden getötet.

Wir sollten gerade diesen vier Ka- tegorien besondere Aufmerksamkeit widmen, weil sie zeigen, wie Regie- rungen und auch Oppositionskräfte gezielte Menschenrechtsverletzungen gegen Angehörige von Gesundheits- berufen verüben, um zu gewährlei- sten, daß ein breiteres Muster von Re- pression und Übergriffen beibehalten werden kann. Das bringt uns zurück zum bereits genannten Zusammen- hang mit der Aufstandsbekämpfung.

Viele Regierungen setzen im Kampf gegen eine bewaffnete Opposition Terror und Repression als Waffen ein.

Wenn eine Regierung ein System des Tenors und der Unterdrückung auf- rechterhalten will, sind manchmal Menschenrechtsverletzungen gegen die Angehörigen der Heilberufe er- forderlich.

Deshalb wurden im Irak, wo die Regierung mit einer allgemeinen Op- position und größeren Separatisten- konflikten konfrontiert ist, Strafen eingeführt, die im internationalen A-2390 (32) Deutsches Ärzteblatt 92, Heft 37, 15. September 1995

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THEMEN DER ZEIT

Recht als grausam, unmenschlich und erniedrigend betrachtet werden. Da- mit diese ungesetzlichen Sanktionen vorgenommen werden können, ist die Kooperation des Gesundheitswesens notwendig. Die Menschenrechte der Angehörigen der Heilberufe müssen also verletzt werden, um sie gefügig zu machen.

In Indien und im Sudan, d. h. in Ländern, in denen zahlreiche und sy- stematische Menschenrechtsverlet- zungen durch die Polizei und das Mi- litär verübt werden, gab es drei Fälle, in denen Ärzte, die Menschenrechts- verletzungen beobachteten, diese pu- blik gemacht haben, wie es die inter- nationalen Normen ärztlicher Ethik vorschreiben. Wenn die im Gesund- heitswesen Tätigen alle Fälle von Fol- ter, die sie sehen, anzeigen würden, würden die repressiven Systeme in diesen Ländern sichtbar werden. Dar- um wurden diese Ärzte getötet.

In anderen Ländern, in denen es bewaffnete Aufstände gibt, werden Ärzte eingesperrt, weil sie verletzte Oppositionelle versorgen, obwohl ih- nen dies durch Ethik und Gesetze vor- geschrieben ist. Die Regierung weiß, daß bewaffnete Aufstandsbewegun- gen überleben können, weil sie Unter- stützung in der Zivilbevölkerung ha- ben. Wenn Verletzte keine medizini- sche Hilfe mehr bekommen, können sie in dem entsprechenden Gebiet nicht länger operieren. Die gleichen Motive finden wir im Zusammenhang mit der Verletzung von Menschen- rechten bei Heilberuflern, die in länd- lichen Gegenden arbeiten. Auch sie versorgen, wie die Zivilbevölkerung, verwundete Kämpfer der Opposition.

Manche Regierungen möchten die Zi- vilbevölkerung deshalb ganz aus den Konfliktzonen entfernen. So wird der Opposition die materielle Unterstüt- zung entzogen und für die Militärs be- steht die Möglichkeit, „Feuer frei!" zu geben und ungehindert vorzugehen.

Entzieht man der Zivilbevölkerung die Gesundheitsversorgung, treibt man sie leichter aus der Konfliktzone heraus. Diese Maßnahme geht häufig mit der Zerstörung von Dörfern und der Zwangsumsiedlung der Bevölke- rung einher. Damit sind die Gemein- deschwestern und -pfleger die Ziel- scheibe von Agriffen in einem Kon- fliktgebiet nach dem anderen.

AUFSÄTZE

Um ein vollständiges Bild zu zeichnen, muß erwähnt werden, daß bei bewaffneten inneren Konflikten nicht nur die Regierungen für Men- schenrechtsverletzungen verantwort- lich sind. Die Einschüchterung, Folter und Ermordung von Angehörigen der Heilberufe erfolgt auch durch Opposi- tionsgruppen.

Zukünftige Aufgaben

Wenn wir uns also das Muster der vom ai-Aktionsnetz der Heilberufe bearbeiteten Fälle ansehen, können wir feststellen, daß Menschenrechts- verletzungen gegen Angehörige der Heilberufe, oder zumindest einige Ka- tegorien dieser Verletzungen, nicht zu- fällig erfolgen. Sie haben logische Gründe und Ziele, und wir sollten sie als Teil eines umfassenderen Musters politischer Repression sehen. Heilbe- rufler werden angegriffen, weil sie durch ihre berufliche Tätigkeit mit Be- weisen für Menschenrechtsverletzun- gen in Kontakt kommen. Das bedeu- tet, daß sie der Repression und dem to- talen Bürgerkrieg im Weg stehen, wenn sie nicht diszipliniert und zum Schweigen gebracht werden. Diese of- fensichtliche Gefährdung im Gesund- heitswesen Tätiger zeigt uns aber zu-, gleich das Potential auf, das hier für ein Bollwerk gegen Menschenrechts- verletzungen besteht. Sie sehen, was geschieht, und können es deshalb öf- fentlich machen. Wie wichtig diese Rolle ist, wird immer dann deutlich, wenn Angehörige der Gesundheitsbe- rufe sich entschließen, das, was sie se- hen und erfahren, publik zu machen.

In den achtziger Jahren ging der Chile- nische Ärzteverband, nach einer lan- gen Zeit, in der Folter durch die Re- gierung gefördert wurde, und zahlrei- chen Fällen von „Verschwindenlas- sen" sowie außergerichtlichen Hin- richtungen, an die Öffentlichkeit und wies auf die Folter in Chile und die Zensur der an der Folter beteiligten Ärzte hin. Einige Vertreter des Ver- bandes wurden sofort eingesperrt.

Dennoch war die Kampagne der Ärzte in Chile gegen die politische Folter ein entscheidender Faktor dafür, daß die- ser Praxis im Land ein Ende gemacht werden konnte. Die Angehörigen der Heilberufe bei amnesty international

ziehen aber noch einen anderen Schluß aus diesem Beispiel: Die größte Wirksamkeit erzielen Angehörige der Gesundheitsberufe, wenn sie in ihrem eigenen Wirkungskreis, ihrer eigenen Gesellschaft Stellung beziehen:

Heute gibt es viele Länder, in de- nen sich die Angehörigen von Ge- sundheitsberufen in der gleichen Lage sehen wie ihre Kollegen in Chile vor zehn oder fünfzehn Jahren. Sie könn- ten etwas ändern, aber sie schweigen.

Die Menschenrechtsverletzungen, mit denen wir uns befaßt haben, sind nur die Spitze des Eisbergs. Und sie sind es, die unsere Berufskollegen weiter schweigen lassen. Für die bei amnesty international zusammengeschlosse- nen „health professionals" ist es ein Hauptziel, Möglichkeiten zu finden, um die Kollegen in diesen Ländern zu unterstützen, damit sie ihr Schweigen brechen können. Ein wichtiger Schritt in diesem Zusammenhang ist es, aus den Fällen, an denen wir arbeiten, zu lernen und das Bewußtsein dafür zu schärfen, daß die Verletzung von Menschenrechten im Gesundheitswe- sen nicht in einem Vakuum passiert, sondern immer eine Facette eines um- fassenderen repressiven Systems ist.

Es gibt ein dialektisches Verhältnis zwischen diesen Menschenrechtsver- letzungen und dem System als Ganzem. Wenn ein Repressionssy- stem überwunden wird, hören die Menschenrechtsverletzungen gegen die Heilberufe auf. Aber auch wenn man es schafft, die Menschenrechts- verletzungen gegen Mitarbeiter im Gesundheitswesen zu stoppen, trägt man dazu bei, ein ganzes Repressions- system zu überwinden.

Zitierweise dieses Beitrags:

Dt Ärzteb11995; 92: A-2388-2391 [Heft 37]

Anschrift des Verfassers:

Dr. David Kausman, amnesty international, 1 Easton Street London WC1 X 8DJ

Anmerkung: Der Arbeitskreis Medizin-Psy- chologie der deutschen Sektion von amnesty international ist unter der folgenden An- schrift zu erreichen: Karl-Knöller-Straße 5/1, 75417 Mühlacker, Sprecher: Dr. Johannes Ba- stian. Spendenkonto: Postgiroamt Köln, Kon- tonummer: 80 90 100, BLZ: 370 100 50

Deutsches Ärzteblatt 92, Heft 37, 15. September 1995 (35) A-2391

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