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Archiv "Bayerischer Hausärzteverband: Zu hoch gepokert" (10.01.2011)

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Deutsches Ärzteblatt

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Jg. 108

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Heft 1–2

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10. Januar 2011 A 7 BAYERISCHER HAUSÄRZTEVERBAND

Zu hoch gepokert

Der kollektive Ausstieg der bayerischen Hausärzte aus dem System der gesetz lichen Krankenversicherung (GKV) ist gescheitert. Verbandschef Wolfgang Hoppenthaller zog die Konsequenzen und trat von allen politischen Ämtern zurück.

E

s sah gut aus. Wochenlang hatte der Vorstand des Bayeri- schen Hausärzteverbands (BHÄV) bei seinen Mitgliedern für den kol- lektiven Ausstieg aus dem GKV- System geworben und bei Veran- staltungen landauf, landab lauten Beifall geerntet. Auch in der Nürn- berger Arena begrüßten am 22. De- zember circa 6 000 Hausärztinnen und Hausärzte den Verbandsvorsit- zenden Dr. med. Wolfgang Hop- penthaller mit stehenden Ovatio- nen. Dieser hatte also allen Grund zu hoffen, dass der Ausstieg dies- mal gelingen würde. Zumal der Verband mit seinem Ausstiegssze- nario bereits bei den Wahlen zur Kassenärztlichen Vereinigung (KV) Bayerns im November gepunktet hatte. Die Liste des BHÄV errang 21 von 50 Sitzen und erhebt nun Anspruch auf ein Vorstandsamt.

Doch in Nürnberg füllten sich die Urnen nur schleppend mit Verzichts- erklärungen. Trotz flammender Ap-

pelle erklärten letztlich „nur“ 2 801 Hausärzte (42 Prozent) den Willen, ihre Kassenzulassung zurückzuge- ben. Damit wurde das selbst ge- steckte Ziel von 3 815 Ausstiegswil- ligen – oder 60 Prozent – deutlich verfehlt. Denn das Kalkül von Hop- penthaller und seinen Vorstandskol- legen lautete: Wenn 60 Prozent der bayerischen Hausärzte auf ihre Kas- senzulassung verzichten, kann die KV die medizinische Versorgung nicht mehr sicherstellen. Es kommt zum Systemversagen, und den Kran- kenkassen bleibt gar nichts anderes übrig, als mit den Hausärzten neue Verträge zu verhandeln.

„Eine Politik des Tricksens, Täuschens und Lügens“

Vielen Anwesenden war das wirt- schaftliche Risiko eines solchen Schritts aber offenbar zu groß.

Denn im Gegensatz zum BHÄV hatten sich die Krankenkassen stets auf das Sozialgesetzbuch berufen

und betont, wer seine Kassenzulas- sung zurückgebe, dürfe Patienten nur noch privat behandeln, sämtli- che Verträge mit der GKV seien hinfällig und eine Rückkehr ins GKV-System frühestens nach sechs Jahren möglich.

Weil der BHÄV am Ausstieg festhielt, kündigte die AOK Bayern am 16. Dezember fristlos ihren Hausarztvertrag mit dem Verband.

Der BHÄV habe versucht, die Kas- se unter Androhung des rechtswid- rigen Systemausstiegs zur Ände- rung des bestehenden Hausarztver- trags zu zwingen, hieß es dort. Zu- vor hatte der BHÄV der AOK ange- boten, den Vertrag bis Ende 2015 zu verlängern. Im Gegenzug wollten die Hausärzte auf zehn Prozent ih- res Honorars verzichten.

Politischer Hintergrund der Es- kalation ist eine Begrenzung der Honorare in den Hausarztverträgen, wie sie das GKV-Finanzierungsge- setz vorsieht, und zwar für alle Ver-

Fotos: dapd

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10. Januar 2011 Enttäuschter Ab-

gang: Wolfgang Hoppenthaller kriti- sierte, es gebe zwar viel Applaus, aber nur wenige Einwür- fe in die bereitste- henden Urnen.

träge, die nach dem 22. September 2010 geschlossen wurden. In die- sen Fällen müssen die Vertragspart- ner den Grundsatz der Beitragssatz- stabilität einhalten. Das heißt, die vereinbarten Honorare müssen sich an den hausärztlichen Vergütungen des Kollektivvertrags orientieren.

Das macht die Verträge in den Au- gen vieler Hausärzte unattraktiv.

Dabei hatten sich Union und FDP in ihrer Koalitionsverein - barung noch auf einen drei- jährigen Bestandsschutz der Hausarztverträge geeinigt.

Danach wollte man weiter- sehen.

„Wortbruch“ warf Hop- penthaller deshalb dem baye- rischen Gesundheitsminister Markus Söder (CSU) vor, der den Bestand des § 73 b SGB V zugesichert hatte, der die hausarztzentrierte Versorgung regelt. Eine

„Politik des Tricksens, des Täuschens und des Lügens“

bescheinigte er Bundesge- sundheitsminister Philipp Rösler (FDP). Und unter dem Beifall der Menge erklärte der BHÄV-Vorsitzende: „Das akzeptie- ren wir nicht mehr.“

„Ein Aufstand gegen die Unterdrückung“

An die Hausärzte gewandt, sagte er:

„Sie sind heute nach Nürnberg ge- kommen, um eine epochale Ent- scheidung zu treffen.“ Eine Ent- scheidung darüber, ob die Hausärz- te in „dieses kaputte, korrupte und korrumpierende KV-System“ zu- rückkehren und sich weiter von den Krankenkassen als „Arbeitsskla- ven“ behandeln lassen. „Oder ob wir den Kassen und der Politik die Stirn bieten und mit den Kassen künftig auf Augenhöhe unsere Ar- beitsbedingungen verhandeln wer- den.“ Es gebe nur die Wahl, in das Zwangskorsett der KV mit ihren Regelleistungsvolumina zurückzu- kehren oder aus dem System auszu- steigen und die eigene Tarifhoheit zu verwirklichen. „Das ist eine Re- bellion, das ist ein Aufstand gegen die Entrechtung, gegen die Unter- drückung der Vertragsärzteschaft“, rief Hoppenthaller der Menge zu.

Den Zorn teilten viele. Ein Haus- arzt aus der Nähe von Rosenheim sagte: „Was in den letzten Wochen vonseiten der Kassen und der Poli- tik gelaufen ist, ist für uns völlig un- tragbar.“ Mit dem AOK-Hausarzt- vertrag habe eine der wenigen Pha- sen begonnen, „wo wir ohne Furcht unsere Patienten versorgen konnten, weil die Finanzen wieder gestimmt haben. Und das soll jetzt auf einen

Schlag wieder vorbei sein?“. Er wer- de seine Zulassung zurückgeben, wenn sich abzeichne, dass die 60 Prozent erreicht würden.

Ein Kollege aus Ansbach betonte:

„Mit dem, was wir über die Regel- leistungsvolumina der KV bekom- men, können wir nicht mal mehr un- sere Unkosten decken.“ Ihm gehe es aber nicht nur ums Geld, es gehe vor allem um Planungssicherheit. „Es wird ja alle Augenblicke was geän- dert, und auf das, was die Politik sagt, ist kein Verlass mehr.“

Ein Hausarzt aus der Oberpfalz war nach Nürnberg gereist, um ein Zeichen zu setzen: „Auch wenn es mit dem Ausstieg nicht funktionie- ren sollte – so kann man nicht mit uns umgehen.“

Seine Verzichtserklärung hatte zu Beginn der Veranstaltung nur der Hausarzt aus der Oberpfalz in die Urne geworfen. Mit 63 Jahren sei er schuldenfrei und könne schlimms- tenfalls in Frührente gehen, sagte er dem Deutschen Ärzteblatt. Auch Hoppenthaller ahnte wohl, dass noch Überzeugungsarbeit zu leisten war. „Ich habe Angst, die Angst vor

dem Unbekannten könnte Sie läh- men und mutlos machen. Das ist meine einzige Angst“, hatte er ge- mahnt – letztlich vergeblich.

Auf Separationskurs ist Hop- penthaller schon seit 2005. Damals forderte er eine eigenständige Haus- arzt-KV, weil er die Interessen der Allgemeinmediziner unter dem ge- meinsamen Dach der KV nicht mehr gewahrt sah. Eine erste

„Korbveranstaltung“ zum System- ausstieg organisierte der BHÄV im Januar 2008, die trotz mehrfacher Fristverlängerung nicht zum Erfolg führte. Damals richtete sich der Protest unter anderem gegen dro- hende Honorareinbußen.

„Konsequenz heißt nicht nur klatschen“

25 000 Ärzte, Patienten und Praxis- mitarbeiterinnen versammelten sich schließlich im Juni 2008 im Mün- chener Olympiastadion, um gegen die Gesundheitspolitik zu protestie- ren. Dem Verband gelang es damals, während des Landtagswahlkampfes in Bayern, so viel Druck aufzubau- en, dass die CSU sich erfolgreich für ein Vertragsmonopol des Haus- ärzteverbandes bei der hausarztzen- trierten Versorgung einsetzte.

Das jetzige Scheitern hat dagegen einigen Flurschaden hinterlassen.

Hoppenthaller trat am Tag nach der Veranstaltung in Nürnberg von al - len politischen Ämtern zurück. Die AOK Bayerns hat erklärt, das in

§ 73 b verankerte Monopol des Haus- ärzteverbands beim Abschluss von Hausarztverträgen habe sich nicht bewährt. Die jüngsten Vorgänge be- legten dessen Missbrauchspotenzial und die Erpressbarkeit von Politik und Kassen. BHÄV-Vorstandsmit- glied Dr. med. Petra Reis-Berkowicz hatte noch während der Veranstal- tung in Nürnberg gewarnt: „Geht die Abstimmung negativ aus, wird der BHÄV von Politik und Kassen nicht mehr ernst genommen. Konsequenz heißt nicht nur klatschen.“ Derweil hat der Verband die Kassen aufgeru- fen, an der Verhandlungstisch zu- rückzukehren. Und im Hintergrund stehen noch immer 2 801 Hausärzte, die dem System am liebsten den Rü- cken kehren würden. ■ Heike Korzilius

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