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Archiv "Mori Ogai (1862–1922): Wegbereiter des interdisziplinären Austauschs" (28.10.2011)

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Deutsches Ärzteblatt

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Jg. 108

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Heft 43

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28. Oktober 2011 A 2293 MORI OGAI (1862–1922)

Wegbereiter des interdisziplinären

Austauschs

Er kam als Arzt und Schriftsteller von Japan nach Deutschland und verband wie kaum ein anderer Kultur und Wissenschaft beider Nationen.

F

olgt man in Berlin der Luisen- straße von der Charité in Richtung Bundestag, kommt man an der Ecke Marienstraße zu einem cremefarbenen Haus. Im ersten Stock auf der Südseite sind hier ja- panische Schriftzeichen (Kanji) in brauner Farbe angemalt. Es handelt sich um die Mori-Ogai-Gedenkstät- te der Humboldt-Universität. Wer war dieser Mori Ogai?

Vor 150 Jahren begann mit dem Ende der Isolationspolitik Japans und nach Abschluss des preußisch-japani- schen Handelsvertrags ein bis heute anhaltender interdisziplinärer Aus- tausch zwischen Japan und Deutsch- land. Ein Mann, der wie kaum ein an- derer Kultur und Wissenschaft beider Nationen miteinander verband, war der Arzt und Schriftsteller Mori Ogai (1862–1922). In Deutschland bis heute weitgehend unbekannt, wird er in Japan als brillanter Übersetzer deutscher Klassiker von Goethe über Schiller bis Kleist und Begründer der modernen japanischen Literatur ge- feiert. Seine Novellen „Das Ballett- mädchen“ und „Wellenschaum“ sind heute noch Pflichtlektüre an japani- schen Schulen.

In Deutschland studierte Ogai bei Robert Koch und Max von Pettenko- fer. Während dieser Zeit lernte er auch das kulturelle Leben des moder- nen Europa in Berlin, München und Leipzig kennen. Sein „Doitsu Nikki“

(Deutschlandtagebuch) liest sich noch heute als lebendiges Zeitzeug- nis dieses Abenteurers. „Mit der va- gen Erwartung (. . .) stand ich plötz- lich in der Mitte dieser neuen Metro- pole Europas. Welcher Glanz traf meine Augen (. . .)! (. . .) Unter den Linden (. . .) die Herren und Damen, die in Gruppen auf den beidseitigen, steingepflasterten Bürgersteigen die- ser schnurgeraden Straße gehen! Die Offiziere mit strammer Haltung, (. . .) die entzückenden, nach Pariser Art aufgeputzten Mädchen, (. . .) die vielen verschiedenen geräuschlos über den Asphalt der Straße fahren- den Pferdedroschken (. . .) und in der Ferne, jenseits des Brandenburger Tores, schwebt aus den dichten Laubbäumen das Standbild der Göt- tin auf der Siegessäule in den Him- mel“, beschreibt Ogai in „Maihime“

(Das Ballettmädchen) die Ankunft seines Protagonisten in Berlin.

Mit der Öffnung Japans für euro- päische Einflüsse gab es auch die Bestrebungen, sich auf dem Gebiet der Medizin zu modernisieren. Die Ärzte Leopold Müller und Theodor

Hoffmann waren auf Anfrage der japanischen Regierung 1871 nach Japan gekommen, um die medizini- sche Ausbildung nach deutschem Vorbild zu reformieren. Japaner, die Karriere in der Medizin machen wollten, gingen nach dem Studium nach Deutschland, um von den füh- renden Köpfen dort zu lernen. Mori Ogai, ältester Sohn einer traditions- reichen Ärztefamilie, kam so im Al- ter von 22 Jahren zu einem Studien- aufenthalt nach Deutschland (1884–

1888). Gesandt vom japanischen Militär, sollte er hier Sanitätswesen und Hygiene studieren. Ogai hatte das Privileg, sowohl bei Koch als auch bei Pettenkofer zu lernen, die jedoch wissenschaftlich Konkur- renten waren. In seinem Notizbuch stellt Ogai die Lehrer einander ge- genüber: Stichpunktartig beschreibt er den 70-jährigen Pettenkofer als zerknirschten, grämlichen Greis, aber auch als allumfassenden Philo- sophen. Demgegenüber sieht er den damals 45-jährigen Koch als einen stolzen Emporkömmling, beschei- den und unerschütterlich. „Ogai Mori Ogai hielt

sich nach Ab- schluss des Medi- zinstudiums in Tokio

von 1884 bis 1888 als Staatsstipendiat in Deutschland auf, um unter anderem bei Robert Koch sei-

ne Kenntnisse der Hygiene und des Heeressanitätswe-

sens zu vervoll- kommnen. Neben bakteriologischen Studien beschäftig- te er sich in dieser Zeit intensiv mit eu- ropäischer Literatur, Musik, Kunst und Philosophie.

Foto: Wikipedia

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28. Oktober 2011 kam allerdings nie so nah an Koch

heran wie sein Landsmann Shibas- aburo Kitasato, der schon lange in Kochs Labor an Untersuchungen zum Wundstarrkrampf arbeitete“, berichtet Beate Wonde, Japanologin und stellvertretende Leiterin der Mori-Ogai-Gedenkstätte. „Zur Ent- wicklung der Medizin in Japan wünschen wir, dass wir möglichst viel Koch haben – Pettenkofer halte ich nicht für unentbehrlich“, been- det Ogai die Passage in seinem No- tizbuch.

Ogai beschäftigte sich nicht nur mit militärhygienischen und ge- sundheitspräventiven Themen. In der Monografie „Japan und seine Gesundheitspflege“ findet man Ar- beiten über die Ernährung und die Wohnsituation in Japan, die Bakte- rienbelastung im Kanalwasser und Erkrankungen wie Beriberi und Cholera. Man stolpert aber auch über die Studie „Zur diuretischen Wirkung des Bieres“. Offenbar in- spiriert von Beobachtungen in Münchener Biergärten, führt Ogai Trinkversuche zur Physiologie der Bierausscheidung an japanischen Freunden und „Controllversuche an den Bayern“ durch. Als Nebener- gebnis der Studie überrascht nicht:

Japaner und Bayern verstoffwech- seln Bier gleichermaßen.

Die Beschäftigung mit Beriberi war einem japanischen Phänomen dieser Zeit geschuldet; denn die Vi- taminmangelkrankheit war ende- misch unter japanischen Soldaten verbreitet. Der Grund der Erkran- kung war jedoch rätselhaft. Es exis-

tierten zwei diametral verschiedene Erklärungshypothesen: die Infekti- onshypothese mit der Vorstellung eines Beriberi-Bakteriums und die Ernährungshypothese. „Der weiße, geschälte Reis war das Essen der gehobenen Schicht“, erklärt Beate Wonde. „Viele Japaner traten dem Militär bei, weil ihnen die wertvolle Kost dort täglich angeboten wur- de.“ So kam es, dass den Soldaten meist über Wochen nur geschälter Reis dargeboten wurde.

Hoffnung auf ein Ende der „Be- riberiplage“ gab es erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts, nachdem Mo- ri Ogai 1909 zum Obmann des Un-

tersuchungsausschusses zur Prä- vention von Beriberi ernannt wor- den war. Durch Experimente war die Ernährungshypothese unter- mauert worden, jedoch waren Ent- scheidungsträger in Politik und Mi- litär immer noch von der Theorie eines Beriberi-Bakteriums über- zeugt. Auf seiner Japanreise 1908 bekräftigte auch Robert Koch noch einmal seine Überzeugung von der Existenz der Beriberi-Infektion.

Beate Wonde: „Offenbar unter dem Druck der Hierarchie und geprägt von Koch, folgte Ogai daraufhin der Infektionshypothese.“ Diese Entscheidung war fatal und kostete noch einmal vielen japanischen Soldaten das Leben. Zu einer Bes-

serung kam es erst 1925 mit der Einführung einer Reis-Gersten- Mischmahlzeit und der Abkehr vom alleinigen Verzehr von weißem Reis.

Die Grundlage vieler Erzählun- gen Ogais bildeten private Erlebnis- se in Deutschland. In „Maihime“

verarbeitet Ogai die tragische Liai- son zu einer Berliner Tänzerin, ge- nannt „Elis“. Elis folgte Ogai nach Japan, stieß dort aber bei seiner Fa- milie und seinen Vorgesetzten auf Widerwillen und musste allein nach Berlin zurück. Wer diese Frau wirk- lich war, und welchen Einfluss sie auf Ogai hatte, ist bis heute unklar.

„Maihime“ bildete auch die Vorlage für den 1988 gedrehten DEFA-Film

„Die Tänzerin“ mit Rolf Hoppe in einer Nebenrolle. Für die Novelle

„Utakata no ki“ (Wellenschaum) wurde Ogai vom mysteriösen Er- trinkungstod Ludwigs II inspiriert.

Dieser ertrank im Starnberger See während Ogais Münchner Zeit. Das Buch soll heute noch viele japani- sche Touristen an den Ort des Ge- schehens ziehen.

Mori Ogai verließ 1916 nach 35 Dienstjahren die Armee und wurde zum Direktor der kaiserlichen Sammlungen und der Palastbiblio- thek ernannt. 1922 wurde bei ihm eine Nierenschrumpfung bei fortge- schrittener Tuberkulose diagnosti- ziert. Am 6. Juli 1922, drei Tage vor seinem Tod, diktierte Ogai sein Tes- tament; hierin bestimmte er, dass man ihn unter seinem Familienna- men Mori Rintaro begraben möge – seinem eigentlichen Familienna- men. Ogai war sein Künstlername.

Die Mori-Ogai-Gedenkstätte er- innert an einen Mann, der großes für die deutsch-japanische Bezie- hung bewirkt hat, aber auch an eine Zeit, in der die japanische und die deutsche Medizin so eng wie nie zuvor und selten danach zusam-

menhingen.

Dr. med. Rasmus Leistner Arzt und freier Journalist in Berlin.

rasmusleistner@googlemail.com

Ich danke Frau Beate Wonde von der Mori-Ogai- Gedenkstätte für die sehr freundliche Zusammen- arbeit und die Bereitstellung der Materialien.

Die Gedenkstätte in der Luisenstraße 39 in Berlin- Mitte (www2.hu-berlin.de/Japanologie/mog) ist geöffnet von Montag bis Freitag, 10–14 Uhr.

Foto: Hisako Yamane / Mori-Ogai-Gedenkstte

Gruppenbild:

japanische Studen- ten in Berlin. Ogai in der zweiten Reihe, erster von links, Ki- tasato in der zwei- ten Reihe, zweiter von rechts

Zur Entwicklung der Medizin in Japan wünschen wir, dass wir möglichst viel Koch haben.

Mori Ogai

K U L T U R

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