Deutsches Ärzteblatt
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14. Februar 2014 A 243D
ie Schlagzeilen am Tag nach der Vorstellung des AOK- Krankenhaus-Reports 2014 hatten es in sich: „Vorsicht bei der Klinik- wahl“ („Süddeutsche Zeitung“),„Behandlungsfehler führen zu mehr Opfern als im Straßenverkehr“
(„Die Welt“) oder „AOK sieht viele Tausend Klinikfehler“ („Kölner Stadt-Anzeiger“). Fehler kämen in Krankenhäusern mit einer Häufig- keit von etwa einem Prozent aller Krankenhausfälle vor, tödliche Feh- ler mit einer Häufigkeit von circa einem Promille, hatte Prof. Dr.
med. Max Geraedts, Mitherausge- ber des Reports, am 21. Januar in Berlin vorgerechnet: „Ein Fall von 1 000 bedeutet auf dem heutigen Versorgungsniveau rund 19 000 To- desfälle in deutschen Krankenhäu- sern pro Jahr auf der Basis von Feh- lern – das sind fünfmal so viele To- desfälle wie im Straßenverkehr.“
Heftige Vorwürfe, die die Deut- sche Krankenhausgesellschaft (DKG) so nicht stehen lassen konnte. Die von der AOK angegebene Höhe der Todesfälle infolge von Behand- lungsfehlern in den Kliniken sei ab- solut unseriös, kritisierte DKG-Prä- sident Alfred Dänzer und forderte eine Entschuldigung: „In unverant- wortlicher Weise wird das Ziel ver- folgt, die Leistungen der Kranken- häuser und ihrer über eine Million engagierten Mitarbeiter zu verun- glimpfen und die Patienten zu ver- unsichern.“ Schätzungen aus den Jahren 1996 bis 2006 seien einfach
„fortgeschätzt“ worden.
Ein politisches Manöver Der Präsident der Bundesärztekam- mer (BÄK), Prof. Dr. med. Frank Ulrich Montgomery, bezweifelt, dass es dem Kassenverband wirk- lich um die Sache geht: „Vielmehr handelt es sich wohl um das durch- sichtige politische Manöver, der Debatte über Pay for Performance im Kliniksektor eine kassenseitige Wendung zu geben.“ Statt sich in Schätzungen auf der Basis uralter und kritisch hinterfragter Statisti- ken zu ergehen, hätte die AOK bes- ser die Zahlen des Medizinischen Dienstes des GKV-Spitzenverban- des sowie der Gutachterkommissio- nen und Schlichtungsstellen der
der Vorstand des AOK-Bundesver- bandes. Zahlreiche wissenschaftli- che Studien zeigten deutlich, dass zwischen den Krankenhäusern die Qualität schwanke. Ursächlich sei- en die Rahmenbedingungen. Deh:
„Wir stellen also nicht Ärzte an den Pranger, aber wir kritisieren scharf Strukturen und Fehlanreize.“
Offenbar sehen die Krankenkas- sen aktuell die Chance, mit gesund- heitspolitischer Unterstützung die qualitätsorientierte Vergütung von Krankenhausleistungen durchzuset- zen. Steht doch im Koalitionsvertrag die Qualitätssicherung bei der Kran- kenhausversorgung weit oben auf der politischen Agenda. Dies sei, meint Dr. med. Günther Jonitz, Prä- sident der Ärztekammer Berlin und Vorsitzender der BÄK-Qualitätssi- cherungsgremien, zunächst einmal erfreulich. Qualität und Sicherheit seien wichtiger als Kostendämpfung und sollten die primären Ziele eines jeden Gesundheitssystems und aller Gesundheitsberufe sein.
Die guten ins Töpfchen, . . . Jonitz sieht im Koalitionsvertrag ein Signal, die Gesundheitsversor- gung nicht mehr in erster Linie über regulierende Vorgaben steuern zu wollen, sondern sich stärker an den Ergebnissen zu orientieren. „Dies wäre“, betont der Berliner Kam- merpräsident gegenüber dem DÄ,
„ein Paradigmenwechsel in der Ge- sundheitspolitik – aber gleichzeitig auch das Eingeständnis einer ge- scheiterten Gesundheitspolitik in den vergangenen 20 Jahren.“
Über den richtigen Weg zu einer qualitätsgesicherten Behandlung im Krankenhaus gehen die Meinungen freilich auseinander: Die Gesund- heitspolitiker von Union und SPD setzen im Koalitionsvertrag erstmals auf Pay for Performance (P4P) in den Krankenhäusern. Für besonders gu- te Qualität sollen künftig Zuschläge möglich sein, umgekehrt soll es bei unterdurchschnittlicher Qualität Ab- schläge geben. Auch sollen die Kas- sen modellhaft Selektivverträge mit einzelnen Krankenhäusern abschlie- ßen dürfen. In einem Positionspapier, das den Mitgliedern des Bundestags- Gesundheitsausschusses zugeleitet wurde, plädiert die BÄK hingegen Ärztekammern zugrunde legen
müssen, sagt er dem Deutschen Ärzteblatt (DÄ). Im Verhältnis zu den jährlich 18 Millionen Kranken- hausbehandlungsfällen bewege sich die Zahl der Fehler aber im Pro - millebereich. Montgomery: „Jeder Fehler ist einer zu viel, und deshalb ist die Ärzteschaft das Problem frühzeitig und offensiv angegan- gen. Tartarenmeldungen à la AOK behindern aber Qualitätsmanage- ment und Fehlerkultur.“
Die Schlagzeilen hätten überla- gert, worum es der AOK gehe, be- dauert Uwe Deh, Geschäftsführen-
KRANKENHÄUSER
Qualität im Fokus
19 000 Todesfälle aufgrund von Fehlern im Krankenhaus – der öffentliche Schlagabtausch darüber lenkt ab von der Frage, wie künftig Qualitätsorientierung
ausgestaltet werden soll.
Foto: Fotolia/Invinity
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14. Februar 2014 vor allem für eine strukturierte,qualitätsorientierte Krankenhaus- planung durch die Länder.
Über die Umsetzbarkeit von P4P wird schon seit längerem diskutiert.
Seit 2012 liegt dem Bundesgesund- heitsministerium ein Gutachten der Bundesgeschäftsstelle Qualitätssi- cherung (BQS) über die Machbar- keit qualitätsorientierter Vergütung vor. Die Wirksamkeit von qualitäts- orientierter Vergütung im Gesund- heitswesen habe bisher in Studien noch nicht zweifelsfrei nachgewie- sen werden können, heißt es darin.
Trotz dieser mangelnden Evidenz sehen die Gutachter Anwendungs- möglichkeiten von P4P in der „För- derung exzellenter Qualität und neuer Versorgungsstrukturen sowie im Sanktionieren anhaltend defizi- tärer Versorgungsqualität“. Aller- dings weisen sie nachdrücklich auf das Problem der Qualitätsmessung hin: „Bisher mangelt es noch in vie- len Bereichen der medizinischen Versorgung an operationalisierten Qualitätsindikatoren.“ Die künftige Bedeutung von P4P bei der quali- tätsorientierten Steuerung des Ge- sundheitswesens hänge ganz ent- scheidend von einer breiten Akzep- tanz der Beteiligten ab.
Davon ist derzeit allerdings we- nig zu spüren. BÄK und DKG be- urteilen die Ausführungen im Ko- alitionsvertrag zur qualitätsorien- tierten Vergütung in den Kliniken kritisch. „Bei Pay for Performance
wird derjenige, der die angewende- ten Kriterien nicht erfüllt, schlech- ter vergütet – aber dadurch wird ja die Qualität nicht verbessert“, sagt Rudolf Henke, Präsident der Ärzte- kammer Nordrhein und Vorsitzen- der der BÄK-Krankenhausgre- mien. „Im Gegenteil – dann wird doch nur der Spardruck erhöht: we- niger Sachmittel, weniger Perso- nal, weniger Quersubventionen aus der Leistungsvergütung für Investi- tionen.“ BÄK und DKG werten die Abschnitte zur qualitätsorientierten Vergütung im Koalitionsvertrag als einen Vorstoß im Sinne der Kassen,
die aus Kostengründen an einer Be- reinigung der Krankenhausland- schaft interessiert seien. „Das ganze Streben der Krankenkassen geht doch dahin, Selektivverträge ab- schließen zu können und damit praktisch die staatliche Kranken- hausplanung zu unterlaufen oder obsolet werden zu lassen“, sagt Henke im Gespräch mit dem DÄ.
In diesem Verdacht kann er sich durch die Passage im Koalitions- vertrag bestätigt sehen, nach der es den Krankenkassen künftig bei vier planbaren Leistungen möglich sein soll, Selektivverträge mit einzelnen Krankenhäusern abzuschließen.
Die BÄK spricht sich in einem ak- tuellen Positionspapier zur Kran- kenhausfinanzierung nachdrücklich gegen die Einführung von Selektiv- verträgen als Steuerungsinstrument aus: „Für das gesundheitspolitisch übergreifend gemeinsam getragene Ziel einer Sicherung der flächende-
ckenden medizinischen Versorgung der Bevölkerung würden Selektiv- verträge durch Interessenkonflikte bei der Leistungssteuerung ein er- hebliches Risiko darstellen.“
Henke verweist auf das Beispiel der Rehakliniken, wo es bereits se- lektivvertragliche Regelungen gibt:
„Das Ergebnis ist ein Dumping- Wettbewerb.“ Die Rehakliniken müssten im Prinzip jeden Preis ak- zeptieren, der ihnen angeboten wird – „wer nicht pariert, kippt ange- sichts des Überangebots an Klini- ken aus der Versorgung“. Gespart werde deshalb am größten Kosten-
block: dem für Personal. Zu einem solchen Dumping-Wettbewerb dür- fe es bei den Krankenhäusern nicht kommen, warnt Henke, der für die CDU im Bundestag sitzt.
Auch beim Thema Mindestmen- gen sind die Meinungsverschieden- heiten groß. Während die Bundes- regierung die Befugnis des Ge- meinsamen Bundesausschusses zur Festlegung von Mindestmengen rechtssicher gestalten will, bestrei- tet die BÄK deren Eignung als al- leinigem Qualitätsparameter. Der Berliner Kammerpräsident Jonitz verweist auf die Fehlanreize, die mit der Vorgabe von Mindestmen- gen verbunden sind: „Mindestmen- gen sind bei dem gleichzeitigen Be- streben der Krankenkassen, Kran- kenhäuser zu dezimieren, ein fun- damentaler Anreiz, diese zu erbrin- gen.“ Es gebe kleine Kliniken mit guten Behandlungsergebnissen und große, die trotz höherer Eingriffs- zahlen schlechter behandeln. Ent- scheidend sei es, die sogenannten Gelegenheitsbehandlungen zu un- terbinden. Mit Kontrolle allein schaffe man noch keine Qualität, kritisiert Jonitz. „Dies ist eine be- triebswirtschaftliche Grunderkennt- nis, die sich an manchen Stellen der Politik noch herumsprechen muss.“
Anstelle von P4P und Selektiv- verträgen setzt die BÄK auf das heutige Modell mit der Kranken- hausplanungskompetenz bei den Ländern, wobei diese verstärkt auch Qualitätskriterien vorgeben sollen. In ihrem Positionspapier hat sie festgeschrieben, wie sie sich ei- ne solche qualitätsorientierte Kran- kenhausplanung vorstellt.
„ Qualitätsziele müssen primär regional von den Akteuren vor Ort definiert werden. “
Günther Jonitz, Ärztekammer BerlinP O L I T I K
Foto: aekb
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14. Februar 2014 A 245 Insbesondere durch die Umstel-lung des Finanzierungssystems müssten sich die Krankenhäuser nunmehr in einem sehr viel stärker wettbewerblich geprägten Umfeld bewegen, schreibt die BÄK. Da- durch könnten zwar innovations- und leistungsfördernde Potenziale freigesetzt werden, allerdings er- gäben sich auch Fehlanreize zu-
lasten der Versorgungsqualität.
Um zu verhindern, dass mit stei- gendem ökonomischem Druck und einem ausufernden Wettbe- werb die hohe Qualität der statio- nären Versorgung gefährdet wer- de, bedürfe es einer krankenhaus- planerischen Flankierung: „Die Krankenhausplanung muss hier gegensteuern und Qualitätsstan- dards einfordern.“
Zur Sicherung einer qualitativ hochwertigen Versorgung sieht die BÄK also die Bundesländer in der Pflicht, im Rahmen der Kranken- hausplanung verstärkt qualitative
Mindestanforderungen zur Struk- turqualität vorzugeben. Vorrangig seien diese vier Kriterien:
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Kompetenz. Ein Versor- gungsauftrag könne nur ausgefüllt werden, wenn die erforderliche fachärztliche Expertise da sei. Die Facharztkompetenz sei ein Kernkri- terium in der Strukturqualität.●
Verfügbarkeit. Neben der ärzt- lichen Fachkompetenz an sich sei de- ren Verfügbarkeit wichtig. Nur mit ihr könne Kontinuität im Behandlungs- prozess gewährleistet werden. Zudem müsse möglich sein, dass das Kran- kenhaus die vereinbarte Versorgung auch außerhalb der regulären Dienst- zeit sicherstellt, ohne dass der Fach- arztstandard vernachlässigt werde.●
Komplementarität und Ko- operation. Angesichts der zuneh-menden Multimorbidität und Kom- plexität müsse eine strukturierende, qualitätsorientierte Krankenhaus- planung auch Aussagen zum Zu- sammenwirken einzelner Diszipli- nen und ergänzender Bereiche (In- tensivmedizin) sowie zur Koopera- tion – insbesondere mit anderen Krankenhäusern und niedergelasse- nen Ärzten – enthalten.
●
Ausstattung. In bestimmten Disziplinen könnten Aussagen zur weiteren personellen und/oder tech- nischen Ausstattung sowie zu Pro- zessabläufen notwendig sein, um zu gewährleisten, dass eine Versor-gung nach den anerkannten Regeln der ärztlichen Kunst erfolgen kann.
Besteht dabei nicht die Gefahr, dass durch die steigenden Kosten für die geforderte Facharztmindestaus- stattung je Abteilung gerade jene Krankenhäuser in ihrer Existenz ge- fährdet würden, die man aus Versor- gungsgesichtspunkten dringend be- nötigt? „Wenn der Bedarf staatlich festgehalten und beschrieben ist, dann ist auch der Auftrag da, diesen Bedarf zu decken. Klappt das nicht, muss man sich über neue Vergü- tungselemente unterhalten“, antwor- tet der nordrheinische Kammerprä- sident Henke. Eine Möglichkeit da- für seien Sicherstellungszuschläge.
Dass die Krankenhausplanungs- kompetenz der Länder derzeit von interessierter Seite infrage gestellt wird, hängt unmittelbar mit der rückläufigen Investitionsmittelbe- reitstellung der Länder zusammen.
Hier plädiert die Bundesärztekam- mer für eine zeitlich befristete ge- meinsame Strategie von Bund und Ländern, was die Investitionsfinan- zierung angeht. Ein gutes Beispiel dafür sei das Förderprogramm für die Krankenhäuser in den neuen Ländern, das dieses Jahr nach zehn Jahren auslaufe, meint Henke:
„Man könnte des Verfahren mit we- nig Aufwand adaptieren und als na- tionalen Kraftakt zur Verbesserung der Infrastruktur in den Kranken- häusern bundesweit anwenden.“
Der Marburger-Bund-Vorsitzen- de fordert darüber hinaus eine grundsätzliche Überarbeitung des DRG-Systems: „Hier müssen wir weg von der 100-Prozent-Fiktion.
Heute wird ja jedes Angebot, das man für bedarfsnotwendig hält, ausschließlich über Leistungen fi- nanziert.“ Vorhaltung müsse geson- dert finanziert werden: „Die Feuer- wehr gibt es auch in dünn besiedel- ten Regionen, in denen es selten brennt. Da kommt keiner auf die Idee über eine Löschgebühr, die nur anfällt, wenn es brennt, die Infra- struktur der Feuerwehren aufrecht-
zuerhalten.“
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Jens Flintrop, Thomas Gerst
„ Geldentzug ist keine Strategie, um die Qualität zu verbessern.
“
Rudolf Henke, Ärztekammer Nordrhein
P O L I T I K
Foto: aekno Foto: iStockphoto
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Positionspapiere der BÄK zur Kranken- hausplanung und -finanzierung:www.aerzteblatt.de/1424