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«Immuntherapien sollten weitergeführt werden»

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INTERVIEW

ARS MEDICI 10 | 2021

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Ars Medici: Welche neurologischen Auswirkungen kann COVID-19 haben?

Prof. Hans Jung: COVID-19 hat sehr viele neurologische Aus- wirkungen. Deshalb ist es wichtig, dass die niedergelassenen Neurologen diese kennen und erkennen. Das kann verschie- dene Ebenen betreffen. Im peripheren Nervensystem kann es Auswirkungen auf die Muskulatur haben, zu einem Guil- lain-Barré-Syndrom oder zu einer Myositis führen. Im zentra- len Nervensystem kann es häufig Geruchs- und Geschmacks- sinnstörungen, Kopfschmerzen, Schwindel und Enzephalo- pathien auslösen, deutlich seltener direkte Auswirkungen haben, wie beispielsweise Enzephalitiden oder Meningoenze- phalitiden. Eine der wichtigsten Auswirkungen von COVID- 19 ist aber jene auf das zerebrovaskuläre System.

Was passiert bei einem schweren COVID-19-Verlauf?

Jung: Bei schweren COVID-19-Verläufen kommt es zu einer erhöhten Blutgerinnungsneigung, die zu thromboemboli- schen Komplikationen wie zum Beispiel Hirnschlag oder Sinusvenenthrombosen führen kann. SARS-CoV-2 schädigt auch das Endothel der kleineren Hirngefässe, was zu einer Gefässinnenwandentzündung oder -erkrankung und zu chro- nischen Durchblutungsstörungen führen kann.

Welches sind die häufigsten neurologischen Manifestationen in diesem Zusammenhang?

Jung: Das weiss man noch nicht so genau. Es gibt aber Stu- dien, die zeigen, dass auch bei neurologisch asymptomati- schen COVID-19-Patienten mikrovaskuläre Veränderungen infolge Endothelschäden zu beobachten sind. Das könnte mit ein Grund dafür sein, dass Patienten über längere Zeit über neurologische Beschwerden klagen, gerade im kognitiven Be- reich.

Sind die neurologischen Folgeerscheinungen behandelbar?

Wenn ja, wie?

Jung: Die Therapie dieser neurologischen Manifestationen erfolgt nicht zielgerichtet auf SARS-CoV-2, sondern ist ab- gestimmt auf die Ausprägung der neurologischen Symptome.

Ob und wie die Dexamethasonbehandlung bei schweren COVID-19-Verläufen einen Einfluss auf die Kleingefässstö- rung hat, kann nur vermutet werden und ist nicht abschlies- send geklärt.

Lässt sich präventiv etwas tun?

Jung: Eine Impfung wäre die beste Vorbeugung. Ich hoffe, dass mit der Impfung der Bevölkerung die Fallzahlen und in der Folge auch die neurologischen Komplikationen zurück- gehen werden. Evidenz für vorbeugende Massnahmen gegen neurologische Schädigungen bei positiv Getesteten gibt es leider nicht. Die Steroidgabe bei schweren COVID-19-Ver- läufen könnte zu weniger schweren neurologischen Proble- men führen, das weiss man aber noch nicht mit Sicherheit.

Gibt es neurologische Erkrankungen, die sich mit COVID-19 verschlechtern?

Jung: Bei Patienten mit neurologischen Erkrankungen, die sich mit SARS-CoV-2 infizieren, kann es auch zu einer Ver- schlechterung ihrer neurologischen Erkrankung kommen, gerade bei älteren Patienten mit neurodegenerativen Erkran-

«Immuntherapien sollten weitergeführt werden»

Neurologisches Management bei COVID-19

Vor rund einem Jahr hat die Coronapandemie die Schweiz erreicht. Seither wurden Tausende Fälle behan- delt, und es zeigte sich, dass COVID-19 auch neurologische Folgeerscheinungen hat. Der Präsident der Schweizerischen Neurologischen Gesellschaft, Prof. Hans Jung, Klinik für Neurologie, Universitätsspital Zürich, erläutert im Interview, welche Folgen seither bei den Patienten aufgetreten sind, welche Patienten besonders gefährdet sind und wie mit bestehenden Therapien verfahren werden soll.

Zur Person

Prof. Hans Jung ist Präsident der Schweizerischen Neurologischen Gesellschaft und Leitender Arzt der Neurologischen Klinik am Universitätsspital Zürich

Foto: z.V.g.

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INTERVIEW

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kungen. Im Rahmen einer Allgemeinerkrankung kann sich eine vorbestehende neurologische Erkrankung schon ver- schlechtern, es kann beispielsweise auch ein delirantes Zu- standsbild entstehen.

Sollen Immuntherapien bei einer Erkrankung mit SARS-CoV-2 fortgeführt werden?

Jung: Ein Aussetzen einer bestehenden Immuntherapie birgt natürlich das Risiko, dass sich die neurologische Grunder- krankung verschlechtert und es beispielsweise bei Multipler Sklerose (MS) zu einem Schub kommen kann. Wie erste Stu- dien zeigen, ist das Risiko für einen schwereren COVID-19- Verlauf bei MS-Patienten unter immunmodulierenden Thera- pien nicht erhöht, sondern wird massgeblich durch das Alter, den neurologischen Behinderungsgrad und vaskuläre Risiko- faktoren bestimmt. Die Daten sprechen dafür, die Immun- therapien in den meisten Fällen fortzuführen. Deshalb gibt es auch die Empfehlung, immunsupprimierende oder immun- modulierende Therapien bei neurologischen Erkrankungen während einer Erkrankung mit SARS-CoV-2 aufrechtzuer- halten. Im Einzelfall kann es natürlich zu einer anderen Ent- scheidung kommen. Empfehlungen dazu sind von verschie- denen Fachgruppen im Mitgliederbreich der Schweizerischen Neurologischen Gesellschaft zu finden. Es gibt auch Hinweise

darauf, dass immunmodulierende Substanzen den Verlauf von COVID-19 abschwächen könnten, weil sie ein Über- schiessen der Immunreaktion bis zu einem gewissen Grad unterdrücken können.

Wie stehen Sie zur COVID-19-Impfung aus neurologischer Sicht? Sollen neurologische Patienten geimpft werden?

Jung: Ja, unbedingt! Es sollten sich möglichst viele Personen impfen lassen, auch solche mit neurologischen Erkrankungen.

Natürlich wird es im Einzelfall Ausnahmen geben. Doch ist der Nutzen deutlich grösser als das Risiko für eine Erkran- kung mit SARS-CoV-2, auch im Hinblick auf die Nebenwir- kungen, die bei jetzigem Stand des Wissens nicht stärker sind als bei anderen Impfungen. Bei Patienten unter immunmodu- lierenden Therapien könnte es sein, dass die Wirksamkeit der Impfung etwas geringer ist, so wie bei der jährlichen Grippe- impfung, deren Erfolg durch bestimmte Immuntherapien ebenfalls zum Teil geschmälert werden kann.

Welche neurologischen Erkrankungen machen den Patienten zu einem COVID-19-Hochrisikopatienten?

Jung: Patienten mit schweren Atemstörungen oder schweren bulbären Funktionsstörungen durch ihre Grunderkrankung sind besonders gefährdet. Das sind beispielsweise Patienten mit Status nach Hirnschlag sowie Patienten mit Morbus Par- kinson und anderen extrapyramidalen Erkrankungen, aber auch Patienten mit spinaler Muskelathrophie, mit Muskel- dystrophien, Guillan-Barré-Syndrom, bulbären Myasthenien oder amyotropher Lateralsklerose. Natürlich ist auch ein Alter über 75 Jahre ein genereller Risikofaktor, und es sollte nicht vergessen werden, dass Demenzpatienten aufgrund der kognitiven Unfähigkeit, Masken zu tragen und den Abstand zuverlässig einzuhalten, ebenfalls gefährdet sein können.

Wie lautet Ihre Botschaft an niedergelassene Kollegen?

Jung: Gern möchte ich meine neurologischen Kolleginnen und Kollegen auffordern, all ihre Patienten zur Impfung zu er- mutigen und über Risikofaktoren wie Alter, neurologisch be- dingte Atem- und Schluckfunktionsstörungen und/oder kog- nitive Störungen aufzuklären.

Interview: Valérie Herzog

Nützliche Links

Schweizerische Neurologische Gesellschaft:

Empfehlungen zu COVID-19

https://www.rosenfluh.ch/qr/sng-covid-19

Multiple Sklerose Gesellschaft:

Covid-19/Impfung: Empfehlungen des Wissen- schaftlichen Beirats der MS-Gesellschaft https://www.rosenfluh.ch/qr/ms-covid-19

Referenzen

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