DEUTSCHES ÄRZTEBLATT
BRIEFE AN DIE REDAKTION
ABRECHNUNGEN
Zu dem Artikel von Dr. Harald Clade „Der Popanz des Herrn Vogelsänger", in Heft 7/1984:
Überproduktions- krise
... Der Skandal in Dort- mund ist symptomatisch für die allenthalben — im ambulanten wie im statio- nären Bereich — des Ge- sundheitswesens ausge- brochene Datensammel- wut . . . Leider gerät bei al- len diesen Wirtschaftlich- keitsprüfungen die Tatsa- che in Vergessenheit, daß die gesammelten Daten nur Bruchstücke der Rea- lität zeigen. Völlig verdeckt wird dabei die Erkenntnis, daß sich unser Gesund- heitswesen in einer für un- sere Wirtschaftslage typi- schen Überproduktionskri- se befindet, die nur durch einen Schrumpfungspro- zeß gelöst werden kann.
Wie dieser aber aussehen wird, wage ich mir nicht einmal in Alpträumen vor- zustellen.
Dr. med. Thomas Scheffel Adolf-Rohde-Straße 19 2210 Itzehoe
Kein Thema für Schlagzeilen
In letzter Zeit ist das The- ma der unkorrekten Ab- rechnungen ärztlicher Lei- stungen nicht mehr aus den Schlagzeilen heraus- gekommen. Es steht außer Frage, daß die überwie- gende Mehrheit aller Ärzte korrekt abrechnet, aber ei- ne geringe Minderheit tut es leider nicht. Durch sol- che „schwarzen Schafe"
sind alle Ärzte betroffen, und das Verhältnis Arzt — Patient wird dadurch in ei- ner unerträglichen, nicht mehr gutzumachenden Weise belastet ... Hier in Nördlingen hat ein Fach- arzt über etwa sechs Jah- re, Monat für Monat rund
3000 DM zu Unrecht und falsch abgerechnet, damit hat er bundesweit für Schlagzeilen gesorgt. Die Gerichte haben jetzt ei- nen Schlußstrich gezogen, aber ist damit alles wieder in Ordnung?
Das Abrechnungsverfah- ren muß aus den Schlag- zeilen heraus, es darf kein Thema mehr sein. Aber wie kann man das ma- chen? Wäre nicht folgen- des möglich; jeder Kran- kenschein hat eine Durch- schrift, die im Kranken- scheinheft verbleibt. Auf dieser Durchschrift muß — durch entsprechenden Vordruck — nach jedem Arztbesuch die Leistung mit der GOÄ-Nummer ein- getragen werden und durch einen kleinen Stem- pel signiert werden. Das könnte ohne große Mehr- belastung durch die Sprechstundenhilfe ge- macht werden.
Das Krankenscheinheft geht am Ende des Jahres an die Kasse zurück. Aus den Eintragungen auf den Krankenscheinduplikaten kann die Kasse so leicht al- le Leistungen kontrollieren und in einem Computer speichern. Die Abrech- nung wäre damit leicht zu kontrollieren, und der Kas- senpatient hat, genau wie der Privatpatient, eine ge- wisse Leistungskontrolle.
Auch wenn diese Hefte dann nur teilweise kon- trolliert werden, wäre ein Mißbrauch doch weitge- hend ausgeschlossen.
Dr. med. Hans Schwabe Karl-Brater-Straße 28 8860 Nördlingen
Wenn nur einer
... Wenn nur ein Arzt im KV-Bereich Westfalen/Lip- pe auch in nur einem Falle falsch abgerechnet hätte (und selbst wenn er das aus Unwissenheit getan hätte), so wäre es vor-
nehmste Aufgabe der KV gewesen, dies zusammen mit dem betroffenen Arzt und der betroffenen Kran- kenkasse zu klären.
Statt dessen wird versucht
— nach dem Motto: „Wer am lautesten schreit hat recht" — einen Popanz ge- gen den Popanz aufzubau-
KARL MARX
Zu der neuropsychiatrischen Studie von Dr. med. Günter Hess „Karl Marx: ,Meine Krankheit kommt immer aus dem Kopf"' (Heft 46/1983):
Ha ß volle Herabsetzung
Selbst ohne Ambition, die Person des Karl Marx in ein sonstwie geartetes psychiatrisches Licht zu rücken, stört mich die Infa- mie in der Schrift des Neu- ropsychiaters Günter Hes- se ungemein. Mag es auch jedermann unbenommen sein, seinen ganz persön- lichen Standpunkt zu Mar- xens Werk zu äußern, so ist die geradezu lust- und haß- volle Herabsetzung seeli- scher und körperlicher Störungen in einer als wis- senschaftlich angelegten Studie eines Fachkollegen unwürdig. Hier wird ver- sucht, die Qualitäten eines geistigen Werkes mit den menschlichen Unzuläng- lichkeiten seines Schöp- fers zu schmähen. Die Me- thode, mit Hilfe von aus dem Zusammenhang ge- rissenen Teilzitaten und Verkürzungen zu verun- glimpfen, zu psychiatrisie- ren, bedarf keines Kom- mentars. Und dann Hesses Sprache: massenhafter Gebrauch von Fremdwör- tern zeichnet nach allge- meiner Ansicht nicht den Gebildeten aus, der sich um Verständlichkeit und nicht um deren Gegenteil bemüht. Warum schreibt er „per exemplum" statt des schlichten „z. B.", war- um benutzt er den heute
en. Haben die angeschul- digten Ärzte wissentlich falsch abgerechnet, ist es beschämend. Beschä- mend wäre es aber auch, wenn sie es aus Dummheit getan hätten.
Dr. med. Werner Becker Bahnhofstraße 2 6277 Bad Camberg
unüblichen Begriff der
„endogenen Dyskolie", Wörter wie „prosperie- ren", „depressive Aliena- tion", „Diamatisten"? Zie- hen wir aus den Neolalien in dieser Schreibe keine Schlüsse auf die mensch- lichen Unzulänglichkeiten ihres Schöpfers! Sind we- nigstens Rückschlüsse auf sein psychiatrisches Welt- bild zulässig?
Dr. med. Klaus Reichert Kornblumenweg 8 7518 Stutensee 1
Dreifachblindstudie
Herrn Hesses neuropsych- iatrischer Kritikansatz an der Marx'schen Philoso- phie stellt ohne Zweifel ei- nen bahnbrechenden Bei- trag dar, der geeignet er- scheint, das fortdauernde
Bemühen weiter Teile der Ärzteschaft um die Katego-
rien des wissenschaft- lichen Sozialismus zu för- dern. Dem Niveau Ihrer Zeitschrift entsprechend sollten vielleicht noch fol- gende Studien, eventuell als Doppel- oder Dreifach- blindstudie, erscheinen:
Ludwig van Beethoven:
Kritik seiner Synphonien und Klavierkonzerte aus der Sicht seines Otologen.
Ferdinand Sauerbruch:
Operationstaktik und Ce- rebralsklerose. Ronald Reagan: Kosmetische Chirurgie und Aggres- sionsverhalten — ein Zu- sammenhang?
Dr. med. Thomas Albring Weißenburgstraße 55 5000 Köln 1
1134 (6) Heft 15 vom 13. April 1984 81. Jahrgang Ausgabe A