A
ls Folge des aus dem GSG ab- zuleitenden Sparzwangs ist für den Arzt neben der Erfüllung der ihm gegenüber seinen Pati- enten obliegenden bürgerlich-rechtli- chen Sorgfaltspflicht, also der Beach- tung der „im Verkehr erforderlichen Sorgfalt“ (§ 276 BGB), die Beachtung sozialrechtlicher Versorgungsmaßga- ben als zusätzlicher Faktor mit wach- sender Relevanz getreten. Während das aus sozialrechtlicher Sicht im kon- kreten Fall Angemessene und medizi- nisch Notwendige bislang als dem Stand der ärztlichen Kunst entspre- chend und zugleich mit den bürger- lich-rechtlichen Maßstäben überein- stimmend angesehen werden konnte, eröffnet sich durch das GSG ein Span- nungsfeld, das die Einheit der Rechts- ordnung in diesem Bereich zu spren- gen droht.An der Verpflichtung des Arztes gegenüber dem Patienten, wenigstens die Mindeststandards zu gewährlei- sten, konnte – jedenfalls vom Grund- satz her – auch das Gesundheitsstruk- turgesetz nichts ändern.*) Das Prinzip der Globalsteuerung der Arzneimittel- budgets führt indes bei Überschrei- tung der Vorgaben zu einer Aus- gleichspflicht des Kassenarztes. Alle Rationalisierungspotentiale auszu- schöpfen und jede unwirtschaftliche Maßnahme zu vermeiden und dadurch
von der Ausgleichs- beziehungsweise Rückgewährpflicht frei zu bleiben ist ein schwieriges Unterfangen. Interes- senkonflikte und Grenzprobleme, die sich aus diesem nunmehr zusätzlich das Haftungsproblem verschärfenden Aspekt ergeben, können im Ergebnis nur auf der Grundlage des weiterhin geltenden Prinzips gelöst werden, daß sowohl bei der ärztlichen Behandlung als auch bei der Verordnung von Arz- neimitteln das medizinisch Notwendi- ge stets Vorrang haben muß.
Behandlungsfälle sind nicht normierbar
Was im einzelnen Behandlungs- fall, also im Rahmen der Individual- beziehung zwischen Arzt und Patient, als medizinisch notwendig zu erach- ten ist, kann sich nur nach allgemei- nen und daher abstrakt vorgegebenen medizinischen Standards bemessen, keinesfalls in der konkreten Arzt-Pa- tient-Beziehung mit Verbindlichkeit gerade für diesen Behandlungsfall be- stimmt werden. In diese allgemeinen Standards fließen sowohl die ihnen zugrundeliegenden ethischen Prinzi- pien als auch die Grenzen ein, die durch die finanziellen, aber auch die personellen und technischen Res- sourcen vorgegeben sind und im Ein- zelfall akzeptiert werden müssen.
Verbindliche Maßstäbe in dieser Hin-
sicht müssen also auf einer abstrakten Entscheidungsebene gesetzt werden und können nicht im Einzelfall vor Ort mit Wirkung nur für den konkret betroffenen Patienten festgelegt wer- den. Nur in diesem Rahmen muß auch der medizinische Fortschritt, der tendenziell dazu geeignet sein mag, die Ausgabenspirale anzukurbeln, sich dem Zwang zur Abstimmung mit den Grenzen der Ressourcen stellen und solche Begrenzungen im Rahmen des Versorgungsauftrages auf der Ba- sis eines angemessenen, von Über- treibungen freien Ressourcenver- zehrs umsetzen. Nur innerhalb dieser Grenzen kann ein nachvollziehbarer Maßstab für das medizinisch Notwen- dige gefunden werden. Jeder andere Weg könnte zur Überschätzung der Leistungsfähigkeit der Medizin und damit auch zu überzogenen Maßstä- ben für die ärztliche Haftung führen, was auch die Prämien für die ärztliche Haftpflichtversicherung in die Höhe treiben würde.
Gleichermaßen würde eine Überbetonung des Wirtschaftlich- keitsgebots vermeidbare Kosten aus- lösen: Würden nämlich mit vertretba- rem Aufwand realisierbare Behand- lungen unterbleiben, würden Krank- heitsschicksale, die durch leistbare Behandlung vermieden werden könn- ten, in die Bilanz der allgemeinen So- ziallasten der Gesellschaft kosten- trächtig eingehen.
Das Wirtschaftlichkeitsgebot kann somit die medizinischen Qua- litätsstandards nicht außer Kraft set- zen. Andererseits richtet sich der zi- vilrechtliche Sorgfaltsmaßstab nicht durchweg nach dem medizinisch Machbaren, er bleibt vielmehr einge- bunden in Möglichkeiten und Gren- zen des Behandlungsalltags. Es geht daher darum, echte Alternativen im Sinne der Sparsamkeit zu nutzen und
„relative“ Indikationen gewissenhaft abzuwägen. In diesem Rahmen kann der Nutzen-Kosten-Vergleich des Wirtschaftlichkeitsgebots auf den Nutzen-Risiko-Vergleich der medizi- nischen Indikation nur dort Einfluß haben, wo er die Erfüllung des Heil- auftrags nicht in Frage stellt und Le- ben und Gesundheit des Patienten nicht einer Qualitätsbewertung unter- wirft (vgl. Steffen, Medizinrecht 1995, S. 190 f.). Damit ist auch gesagt, daß A-2304 (38) Deutsches Ärzteblatt 93,Heft 37, 13. September 1996
T H E M E N D E R Z E I T AUFSÄTZE
Budgetierung im Gesundheitswesen
Ärzte zwischen Haftung und Sparzwang
Die ärztliche Haftung für Behandlungsfehler, zu denen auch die Unterlassung me- dizinisch indizierter Behandlungsmaßnahmen gehört, hat angesichts einer rasan- ten Entwicklung neuer medizinischer und technischer Verfahren zu immer höheren medizinischen Standards und entsprechend erhöhter ärztlicher Verantwortung ge- führt. Darüber hinaus wirft nun das Gesundheitsstrukturgesetz (GSG) die Frage auf, ob und inwieweit eine Behandlungsmaßnahme unter dem Einfluß von Budge- tierung und Wirtschaftlichkeitsgebot dann als „unwirtschaftlich“ unterbleiben darf, wenn der Arzt sich mit der Unterlassung gegenüber dem Patienten einem erhöh- ten zivilrechtlichen (oder auch strafrechtlichen) Haftungsrisiko aussetzen würde.
*) vgl. hierzu Scholz: Arzthaftpflicht, Forum Verlag Godesberg, Bonn 1995
medizinisch gebotene Maßnahmen nicht als „unwirtschaftlich“ unterblei- ben dürfen, wenn die Unterlassung im konkreten Fall zu einer Erhöhung des ärztlichen Haftungsrisikos führen würde. Bei Auseinandersetzungen über die Beurteilung von Behand- lungsmaßnahmen unter dem Ge- sichtspunkt der Unwirtschaftlichkeit kann es somit nicht ohne Einfluß sein, welche Folgen sich aus der Unterlas- sung einer Maßnahme und deren möglichen Auswirkungen für die Ge- sundheit des Patienten im Bereich der ärztlichen Haftung ergeben hät- ten. Hieraus leiten sich im einzelnen folgende Konsequenzen ab:
¿ Zur Erfüllung des Heilauf- trags indizierte Behandlungsmaßnah- men dürfen nicht unter Kostenge- sichtspunkten als „unwirtschaftlich“
abgelehnt werden, solange es zu der indizierten Maßnahme keine gleich- wertige Behandlungsalternative gibt.
À Soweit echte, aber unter- schiedlich teure Behandlungsalterna- tiven zur Verfügung stehen, sind Wirtschaftlichkeitserwägungen im Rahmen ärztlicher Entscheidungen auch aus der Sicht der ärztlichen Haf- tung zu akzeptieren.
ÁUnter der Geltung des GSG müssen als Folge medizinisch indi- zierter Behandlungsmaßnahmen – gerade auch wenn diese der Abwen- dung eines sonst entstehenden Haf- tungsrisikos dienen sollen – mögliche Minderungen der Punktwerte durch- aus in Kauf genommen werden. Eine Honorarkürzung wegen Verstoßes gegen das Wirtschaftlichkeitsgebot scheidet in solchen Fällen aus.
 Das Wirtschaftlichkeitsgebot darf nicht Anlaß geben, zur Vermei- dung von Haftungsrisiken neue Pati- enten abzulehnen oder einmal über- nommene Behandlungen mit dem Hinweis auf bestehenden Sparzwang einzuschränken, abzubrechen oder Kassenpatienten auf die Möglichkeit der Selbstzahlung zu verweisen.
Anschrift des Verfassers:
Dr. jur. Rainer Scholz Eltviller Straße 11 53175 Bonn
A-2305 Deutsches Ärzteblatt 93,Heft 37, 13. September 1996 (39)
T H E M E N D E R Z E I T AUFSÄTZE/BERICHTE
Zitierweise dieses Beitrags:
Dt Ärztebl 1996; 93: A-2304–2305 [Heft 37]
B
ei den ärztlichen Gutachter- kommissionen und Schlich- tungsstellen haben sich im letzten Jahr 8 189 Patienten über eine fehlerhafte ärztliche Be- handlung beschwert. Zählt man die aus den Vorjahren noch nicht ent- schiedenen Beschwerden hinzu, lagen den neun Gutachterkommissionen und Schlichtungsstellen in Deutsch- land 14 693 Anträge vor. Von den 7 804 bearbeiteten Klagen haben die Betroffenen in 12 Prozent der Fälle ihre Vorwürfe wieder zurückgezogen oder den Fall nicht weiter verfolgt.Dies sind die neuesten Daten der von den Landesärztekammern getra- genen Einrichtungen, die auf der Sit- zung der Ständigen Konferenz der Gutachterkommissionen und Schlich- tungsstellen im Juni dieses Jahres in Berlin vorgelegt wurden.
Im Jahr 1995 wurden letztlich 5 154 Beschwerden angenommen, bei denen eine Entscheidung in der Sache selbst anstand. Davon gingen allein 1 800 Anträge bei der Schlichtungs- stelle für Arzthaftpflichtfragen der norddeutschen Ärztekammern ein.
Sie ist für betroffene Ärzte aus Berlin, Brandenburg, Hamburg, Mecklen- burg-Vorpommern, Niedersachsen, Sachsen-Anhalt, Schleswig-Holstein und Thüringen zuständig. In 559 Fäl- len (31 Prozent) wurde ein Behand- lungsfehler anerkannt und die Kausa- lität für den Schadenseintritt bejaht.
Demgegenüber wies die Schlichtungs- stelle in 1 123 Fällen (62 Prozent) die Patientenvorwürfe zurück.
Ähnliche Quoten meldete die Gutachterkommission für ärztliche Behandlungsfehler bei der Ärztekam- mer Nordrhein. Von 773 Anträgen
wurden bei 30 Prozent ärztliche Be- handlungsfehler anerkannt, 453 Be- schwerden (59 Prozent) erkannte die Kommission nicht an. Deutlich gerin- ger fiel die Anerkennungsquote bei der Schlichtungsstelle der Bayeri- schen Landesärztekammer aus. Sie lag dort bei 14 Prozent. In 193 von ins- gesamt 224 Fällen machte die Schlich- tungsstelle Ärzte nicht für gesund- heitliche Schäden von Patienten haft- bar. Die Patienten können jedoch ihre Ansprüche gerichtlich verfolgen.
Eifrige
Krankenkassen
Die Mitglieder der Ständigen Konferenz befaßten sich zudem mit der Frage, ob den Krankenkassen ein eigenes Antragsrecht vor den Schlich- tungsstellen eingeräumt werden soll- te. Ein Konsens konnte jedoch nicht gefunden werden. Anlaß für diese schon vor einigen Jahren geführte Diskussion ist offenbar, daß Kranken- kassen in zunehmendem Maße Pati- enten in Schadensfällen unterstützen.
Die Kassen glauben sich dabei auf ei- ne entsprechende Regelung im § 66 SGB V beziehen zu können: „Die Krankenkassen können die Versi- cherten bei der Verfolgung von Scha- densersatzansprüchen, die bei der In- anspruchnahme von Versicherungs- leistungen aus Behandlungsfehlern entstanden sind . . ., unterstützen.“
Die Handlungsweise der Kassen dürfte auch auf den zunehmenden Wettbewerb unter den Krankenkas- sen zurückzuführen sein. So können Versicherte von 1997 an unter den ge- setzlichen Krankenkassen wählen. SG