A 1698 Deutsches Ärzteblatt
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Jg. 108|
Heft 31–32|
8. August 2011MEDIZINISCHE VERSORGUNGSZENTREN
Die Haftungsrisiken im Blick
Die haftungsrechtliche Situation eines MVZ entspricht am ehesten derjenigen eines Krankenhauses.
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ie Grundzüge des Arzthaf- tungsrechts sind im Wesent- lichen „Richterrecht“, welches im Laufe der Jahre von der Rechtspre- chung anhand von Einzelfallent- scheidungen entwickelt wurde. Da- her ist die Rechtslage unübersicht- lich, kann aber im Einzelfall neuen Entwicklungen angepasst werden.Insofern wird sich die Rechtspre- chung in der Zukunft auch mit Haf- tungskonstellationen innerhalb der MVZ auseinanderzusetzen haben.
Bei der Arzthaftung ist zwischen zivilrechtlicher und strafrechtlicher Haftung zu unterscheiden. Wäh- rend die Zielsetzung der zivil - rechtlichen Haftung der Ausgleich für entstandene Beeinträchtigungen wegen eines Behandlungsfehlers ist (Schmerzensgeld, Verdienstausfall), befasst sich die straf-
rechtliche Haftung mit der staatlichen Strafver- folgung bei der Verlet- zung von Vorschriften des Strafrechts (fahrläs - sige Körperverletzung, fahrlässige Tötung). Bei der zivil- rechtlichen Haftung wird zudem zwischen der vertraglichen Haftung des Arztes gemäß § 280 BGB und der deliktischen Haftung nach § 823 BGB differiert. Die vertragliche Haftung richtet sich letztlich da- nach, wer mit dem Patienten einen Behandlungsvertrag geschlossen hat. Der Arzt schuldet dabei keinen Erfolg der ärztlichen Behandlung, aber ein Tätigwerden entsprechend dem Facharztstandard.
Bei einem Behandlungsvertrag mit einem MVZ kommt das Be- handlungsverhältnis immer zwi- schen dem MVZ und dem Patienten zustande. Eine Ausnahme besteht nur dann, wenn ein niedergelasse- ner Arzt lediglich mit einem MVZ kooperiert. Dann ergibt sich ein ei- genständiger Behandlungsvertrag.
Ist ein Behandlungsvertrag zwi- schen dem Patienten und dem MVZ zustande gekommen und macht der Patient hieraus Haftpflichtansprü- che geltend, so muss er diese gegen das MVZ unmittelbar richten. In der Realität jedoch wird es dem Pa- tienten kaum bewusst sein, dass er einen Behandlungsvertrag mit ei- nem MVZ geschlossen hat. Er hält sich daher an den ihm persönlich bekannten, behandelnden Arzt. In diesem Fall sollte der betroffene Arzt den Vorgang intern zügig an die zuständige Stelle des MVZ wei- terleiten. Spätestens aber bei Klage- erhebung werden im Regelfall die Ansprüche sowohl gegen das MVZ als auch den tätig gewordenen Arzt erhoben, um seinen Zeugenstatus zu verhindern. Die prozessuale Si-
tuation ist hier vergleichbar mit der Anspruchsverfolgung gegenüber einem Krankenhausträger und dem dort angestellten Arzt.
Für den Haftpflichtversiche- rungsschutz ergeben sich daraus folgende Notwendigkeiten: Der Träger des MVZ sollte einen Haftpflichtversicherungsvertrag ab- schließen, der das Tätigwerden aller Inhaber, aller angestellten Ärzte des MVZ sowie des gesamten nicht- ärztlichen Personals einschließt.
Ein Arzt, der nicht Inhaber oder An- gestellter des MVZ ist, sollte in sei- nem Haftpflichtversicherungsver- trag das Tätigwerden in Koopera - tion mit dem MVZ mitversichern.
Wegen der oben angesprochenen strafrechtlichen Komponente der ärztlichen Haftung sollte aber auch ein umfassender beruflicher Straf-
rechtschutz für alle Beschäftigten abgeschlossen werden. Für weiter- gehende freiberufliche Tätigkeiten der Inhaber oder angestellten Ärzte des MVZ (Notarztdienste, Vertre- tungen in fremden Praxen, Konsile im Krankenhaus) muss sich der je- weilige Arzt hingegen selbst versi- chern. Hier bestehen keine Unter- schiede zur Absicherung der Be- rufshaftpflicht in der Einzelarztpra- xis oder einem Krankenhaus.
Unterschiede ergeben sich aller- dings im Vergleich zu der Haftung einer Gemeinschaftspraxis: Bei der Behandlung in einer Gemein- schaftspraxis hat der Patient die Wahl, ob er seine Ansprüche gegen- über der Gemeinschaftspraxis als solcher, den Partnern als Streitge- meinschaft oder aber nur dem be- handelnden Arzt gegenüber geltend macht. Unterschiede der Haftung sind nur innerhalb der Gemein- schaftspraxis erkennbar, die eine Gesellschaft des bürgerlichen Rechts darstellt. Ein Partner, der den Patienten nicht behandelt hat, kann im Regelfall eine Freistellung von den Ansprüchen gegenüber der Gemeinschaftspraxis verlangen, so-
fern nicht die Praxispart- ner im Innenverhältnis ei- ne anderslautende Haf- tungsverteilung, wie die Haftung zu gleichen Tei- len, ausdrücklich verein- bart haben. So würde auch im oben genannten Regelfall der jeweilige Schadensvorgang ver- sicherungstechnisch ausschließlich dem verantwortlichen Praxispartner zugeordnet. Für MVZ sind derarti- ge Zuordnungen nicht möglich.
Die haftungsrechtliche Situation eines MVZ entspricht damit am ehesten derjenigen eines Kranken- hauses. Es bleibt abzuwarten, ob und inwieweit die Gerichte bei der Beurteilung der Behandlungsvor- gänge innerhalb der MVZ besonde- re Maßstäbe anlegen werden. Das gegebene Haftungsrisiko sollte je- denfalls im konkreten Fall einge- hend analysiert und umfassend in den Versicherungsschutz einbezo-
gen werden. ■
Ute Ulsperger, Carsten Lutz HDI-Gerling Firmen und Privat Versicherung AG, Köln und Hannover