Deutsches Ärzteblatt
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Jg. 111|
Heft 23–24|
9. Juni 2014 A 1043 PRÄVENTIONEin integraler Bestandteil ärztlicher Tätigkeit
Der Ärztetag betont die zentrale Position des Arztes bei der Prävention.
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rävention ist keine eigene me- dizinische Disziplin, sondern ein integraler Bestandteil ärztlicher Tätigkeit.“ Nachdrücklich wird in dem vom 117. Deutschen Ärztetag mit großer Mehrheit angenomme- nen Leitantrag zum Thema Präven- tion darauf verwiesen, dass Ärzte in der Gesundheitsförderung und Prä- vention eine zentrale Position ein- nehmen. Neben der Diagnostik und der Therapie müsse künftig der Prä- vention ein noch höherer Stellen- wert eingeräumt werden. Rudolf Henke, der Präsident der Ärztekam- mer Nordrhein, wertete den Be- schluss als eine klare Absage des Ärztetages an diejenigen, die mein- ten, Ärzte hätten in der Prävention nichts zu suchen. Eine trennscharfe Unterscheidung zwischen krank und gesund sei nicht möglich, zwi- schen gesundheitsfördernden Maß- nahmen und kurativer Tätigkeit las- se sich kein Gegensatz konstruie- ren, es gebe vielmehr ein gesund- heitliches Kontinuum.Wirksamkeit präventiver Maßnahmen vielfach belegt
Der Weg dorthin werde allerdings noch durch Hindernisse verstellt, heißt es weiter in dem Leitantrag:●
So fehle derzeit noch ein ge- setzlicher Auftrag zur Durchfüh- rung einer primärpräventiven Beur- teilung und Beratung.●
Bisher seien Früherkennungs- untersuchungen vor allem auf die frühe Erkennung von Krankheiten, nicht aber von gesundheitlichen Ri- siken, Belastungen und Ressourcen ausgerichtet.●
Im Einheitlichen Bewertungs- maßstab gebe es keine eigene Ab- rechnungsziffer für eine eingehen- de präventive Beratung.●
Vermisst wird eine Vernetzung mit anderen Einrichtungen auch au-ßerhalb des Gesundheitswesens, um Prävention ebenfalls im Alltag der vertragsärztlichen Praxis leichter zu ermöglichen.
„Die Investition in Prävention lohnt sich“, betonte Henke. Hier biete sich den Ärzten ein breites Aufgabenspektrum. Es gebe viele Belege für die Wirksamkeit präven- tiver Maßnahmen. Dennoch sei es unabdingbar, alle diese Maßnah- men immer wieder aufs Neue einer begleitenden Evaluation zu unter- ziehen. „An dieser Regelmäßigkeit hat es an der ein oder anderen Stel- le in der Vergangenheit gefehlt“, sagte Henke. Auf der Basis klarer Wirksamkeitsnachweise habe man zudem eine gute Ausgangslage, wenn es um die Honorierung von Prävention gehe.
Henke verwies auf einige Präven- tionsmaßnahmen, zu denen dieser Nachweis bereits erfolgt sei: Neuge- borenen-Hör-Screening, Hautkrebs-, Darmkrebs-Screening, Maßnahmen zu Rauchstopp und Reduktion von Alkoholkonsum oder Bewegungs- beratung. Ärzte könnten mit Enga- gement in der Prävention viel dazu beitragen, die Lebenszeit ihrer Pa- tienten krankheitsfrei zu verlängern.
Immer noch unzureichend in den Praxisalltag eingebunden
Eine stärkere Gewichtung der Prä- vention dürfe aber nicht dazu füh- ren, dass die zur Verfügung ste - henden Geldmittel einfach umge- schichtet werden, das heißt, aus der Ku ration in die Prävention abfließen, warnte Henke. Er wies zudem auf die Gefahr hin, dass künftig die Nichtin- anspruchnahme präventiver Maßnah- men als schuldhaftes Verhalten ange- sehen werden könnte mit der Folge, dass Krankheitskosten nicht mehr von der gesetzlichen Krankenversi- cherung übernommen würden.Rudolf Henke: „Alle Präventionsmaßnahmen müssen stets aufs Neue einer begleitenden Evaluation unterzogen werden.“
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9. Juni 2014 Auch der Vizepräsident der Bun-desärztekammer, Dr. med. Max Ka- plan, betonte, dass kein Druck aus- geübt werden dürfe, sich in einer bestimmten Weise präventiv zu ver- halten. Es dürfe zu „keiner Stigma- tisierung infolge von Präventions- maßnahmen“ kommen. Kaplan be- dauerte, dass Primärprävention in Form von gesundheitlicher Le- bensberatung immer noch unzu- reichend in den ärztlichen Praxis- alltag eingebunden sei. Hier sei auch der Gesetzgeber aufgefor- dert, die Legitimation für eine un- ter der Gesamtregie der Ärzte durchzuführende Primärprävention zu schaffen.
Ärztliche Praxis als idealer Präventionsort
Kaplan verwies auf die Vorteile der Durchführung von Präventionsmaß- nahmen in der ärztlichen Praxis. Be- fragungen zeigten, dass der Arzt als Gesundheitsberater vom Patienten erwünscht sei. Die Praxis sei der ideale Ort zur Thematisierung von Gesundheitsfragen; hier würden zu- dem alle sozialen Schichten er- reicht. Gerade in den Hausarztpra- xen würden Patienten oft über Jahr- zehnte begleitet. Kaplan: „Hier gibt es eine eingehende Kenntnis des fa- miliären und sozialen Kontextes, Möglichkeiten der frühzeitigen In- tervention und der Nutzung von ,teachable moments‘.“
Hindernisse für eine wirksamere Umsetzung von Prävention in der Praxis sieht Kaplan darin, dass nach SGB V der gesetzliche Auftrag an den Arzt zur primärpräventiven Beurteilung und Beratung sehr be- grenzt ist. Mit Ausnahme der Schutzimpfungen und der betriebli- chen Gesundheitsförderung liege die Verantwortung für die Primär- prävention nach § 20 SGB V über- wiegend bei den Krankenkassen.
„Die Integration von eingehen- der präventiver Beratung im Pra - xisalltag setzt aber ein effizientes Prozessmanagement voraus“, be- tonte Kaplan. Gelinge dies, komme dem Arzt die zentrale Position in der Gesundheitsförderung und Prä- vention zu. Er kenne das indi vi - duelle Risiko der Patienten und könne Präventionsempfehlungen in
einem geschützten Raum geben.
Eine Delegation von präventiven Aufgaben an geschultes medizini- sches Fachpersonal sei hierbei vor- stellbar.
In dem geplanten Präventions - gesetz solle deshalb die ärztliche Prävention hervorgehoben werden, heißt es in einer weiteren Entschlie- ßung des 117. Deutschen Ärzteta- ges. Neben einer stärkeren gesetzli- chen Verankerung der Prävention in
der niedergelassenen Praxis solle die Rolle des Betriebsarztes im Rahmen der betrieblichen Gesund- heitsförderung, der Primärpräventi- on und der Prävention arbeitsbe- dingter Gesundheitsgefahren ge- stärkt werden. Weiter sollen die Po- tenziale des öffentlichen Gesund- heitsdienstes genutzt und verstärkt ausgebaut werden.
Zudem betont der 117. Deutsche Ärztetag die Bedeutung von Präven- tion als einer gesamtgesellschaftli- chen Aufgabe. Diese dürfe nicht auf GKV und PKV begrenzt werden.
Vielmehr müssten die staatlichen Akteure auf allen Ebenen in die Ver- antwortung genommen werden. „Es
muss verhindert werden, dass sich die öffentlichen Haushalte auf kom- munaler, Landes- und Bundesebene zulasten der Sozialversicherungsträ- ger aus der Finanzierung der Prä- vention zurückziehen.“
In einer weiteren Entschließung zum Thema Prävention, der die Mehrheit der Delegierten zustimm- te, wird auf die Gesundheit als eine soziale Ressource verwiesen. „Ge- sundheit beeinflusst die Möglich-
keiten eines Menschen zur gesell- schaftlichen Teilhabe“, heißt es dort. Maßnahmen der Prävention sollten in den Lebenswelten der Zielgruppe verankert sein. Als Le- benswelten, in denen solche Maß- nahmen be sonders wichtig seien, werden in der Entschließung ge- nannt: Familien, Kindertagesstät- ten, Bildungseinrichtungen, Betrie- be, Vereine, Senioreneinrichtungen sowie Stadtteile. Besonderes Au- genmerk sei auf die sozial Benach- teiligten zu richten, da mit dieser Benachteiligung häufig eine stär- kere gesundheitliche Beeinträchti- gung verbunden sei.
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Thomas Gerst
TOP II: Prävention FAZIT
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Der Nutzen von präventiven Maßnahmen ist erwiesen, begleitende Evaluation ist erforderlich.●
Primärprävention ist noch unzureichend in den ärztlichen Praxisalltag eingebunden.●
Das neue Präventionsgesetz soll die Rolle des niedergelassenen Arztes in der Prävention stärken.Max Kaplan:
„Der Gesetzgeber ist aufgefordert, die Legitimation für eine Primärpräven-
tion unter der Ge- samtregie der Ärzte zu schaffen.“