A 1406 Deutsches Ärzteblatt
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Jg. 111|
Heft 33–34|
18. August 2014 Zwei Studien im medizinisch-wissen-schaftlichen Teil dieser Ausgabe des Deutschen Ärzteblattes kommen zu dem Ergebnis, dass sich viele Kranken- häuser nicht an die Mindestmengen- vorgaben halten, dass sich im Versor- gungsgeschehen, dort wo es Mindest- mengen gibt, wenig verändert hat.
Regina Klakow-Franck: So pau- schal kann man das nach meiner Auffassung nicht sagen. In der Stu- die von Geraedts wird ja festgestellt, dass der Konzentrationsgrad je nach Leistung sehr unterschiedlich ist: Bei Nieren- und Lebertransplantationen, aber auch bei Knie-TEPs liegt ein hoher Grad erfüllter Mindestmengen und damit Zentralisierung vor. An- ders ist es bei komplexen Eingriffen am Ösophagus oder am Pankreas. In diese beiden Leistungsbereiche flie- ßen unterschiedliche Eingriffe an dem jeweiligen Organ mit ein, so dass man nicht ausschließen kann, dass kleinere Eingriffe, die streng - genommen nicht als komplexe Ein - griffe zu bezeichnen sind, mitgezählt werden und eben auch von Kranken- häusern erbracht werden, die die Mindestmengen nicht erreichen.
Es ist also alles gut nach Ihrer Ein- schätzung?
Klakow-Franck: Mindestmengen sollen dazu beitragen, bei komple- xen Leistungen die Risiken der Be- handlung zu minimieren. Insofern sind Mindestmengenfestlegungen grundsätzlich richtig. Die beiden vorliegenden Studien haben aus- schließlich untersucht, ob Mindest- mengen erreicht werden bezie- hungsweise ob die Mindestmen- gen-Regelungen dazu beigetragen haben, dass Leistungen nur in sol-
chen Krankenhäusern erbracht wer- den, die diese Mindestmengen er- reichen. Die im Einzelnen erreichte Qualität der Leistungen – gar im Vergleich zwischen Krankenhäu- sern unterhalb und oberhalb der je- weiligen Mindestmenge – wurde nicht untersucht. Auch wenn das Erreichen von Mindestmengen eine gute Qualität verspricht, darf man einen Konzentrationsprozess nicht automatisch mit einer Qualitätsver- besserung gleichsetzen.
Was halten Sie von Sanktionsmöglich- keiten bei Krankenhäusern, die Min- destmengenvorgaben ignorieren?
Klakow-Franck: Statt nachträglich zu sanktionieren, sollte man erst einmal alles daran setzen, dass hochkomplexe, risikobehaftete Ein- griffe – sofern sie elektiv sind – nur dort erbracht werden, wo die erfor- derlichen Strukturqualitätsanforde- rungen insbesondere an qualifizier- tes Personal erfüllt sind.
Sehr nachdrücklich scheint der G-BA aber nicht auf die Einhaltung der Min- destmengen zu drängen.
Klakow-Franck: Nein, das stimmt nicht. Es gibt einen Zusam- menhang zwischen Menge und Qualität. Es ist aber sehr schwie- rig, Schwellenwerte zu ermitteln, ab denen nachweislich ein Quali- tätssprung auftritt. Aus der exter- nen stationären Qualitätssicherung wissen wir, dass manche Kranken- häuser eine gute Ergebnisqualität durchaus auch ohne Erreichen der Mindestmenge erzielen, weil sie entsprechend in Struktur- und Pro- zessqualität investieren, und dass auf der anderen Seite die Qualität wieder abnehmen kann, wenn eine kritische Höchstmenge überschrit- ten wird. Die Qualität medizini- scher Versorgung hängt nun ein- mal von vielen Faktoren ab. Wenn sich der G-BA nach einem sorgfäl- tigen Abwägungsprozess für eine definierte Mindestmenge bei einer bestimmten Leistung entschlossen hat, dann sollte sie auch eingehal- ten werden.
Glauben Sie, dass die beiden Studien die Diskussionen noch einmal neu ent- fachen werden?
Klakow-Franck: Auch ohne die beiden Studien sieht der Koaliti- onsvertrag ja vor, dass Mindest- mengen rechtssicher gemacht und die Erfüllung von Struktur- und Prozessqualitätsanforderungen stär- ker überprüft werden sollen. Aller- dings sollten wir hierbei aufpas- sen, dass das Verständnis von Qua- litätssicherung insgesamt nicht in Richtung „Qualitätspolizei“ ver-
kümmert.
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Das Interview führten Thomas Gerst und Jens Flintrop
INTERVIEW
mit Dr. med. Regina Klakow-Franck, Unparteiisches Mitglied des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA)
„Qualität hängt von vielen Faktoren ab“
Es gebe einen Zusammenhang zwischen Menge und Qualität, sagt Regina Klakow-Franck. Es sei aber schwierig, Schwellenwerte zu ermitteln, ab denen nachweislich ein Qualitätssprung auftritt.
Leitet die Aus- schüsse Qualitäts- sicherung, Disease- Management-Pro- gramme und Ambu- lante spezialfach- ärztliche Versor- gung beim G-BA:
Regina Klakow- Franck
Foto: G-BA