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Archiv "Interview mit Dr. jur. Rainer Hess, unparteiischer Vorsitzender des Gemeinsamen Bundesausschusses „Ich bleibe Optimist: Die Selbstverwaltung kann noch mehr erreichen“" (11.05.2012)

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A 960 Deutsches Ärzteblatt

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Heft 19

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11. Mai 2012

„Ich bleibe Optimist: Die Selbstverwaltung kann noch mehr erreichen“

Ende Juni scheidet der unparteiische Vorsitzende des Gemeinsamen Bundesausschusses aus seinem Amt.

Im Gespräch mit dem Deutschen Ärzteblatt umreißt Rainer Hess die aktuellen Themen und zieht eine Art Bilanz.

Herr Dr. Hess, unter Ihrer Leitung ist der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) zu dem Entscheidungsgremium im Gesundheitswesen geworden. Was haben Sie in den vergangenen Jahren erreicht?

handlungsqualität zu sichern. Diese patientenbezogenen Daten müssen zunächst einmal auf Bundesebene zusammengeführt werden. Dazu musste ein neues Datensystem auf- gebaut werden. Wir sind jetzt mit dem AQUA-Institut dabei, die ers- ten Probeläufe – beispielsweise mit Konisation und Kataraktoperatio- nen – durchzuführen.

Was ist noch auf den Weg gebracht worden?

Hess: Erfolgreich haben wir neue Aufgaben – teilweise allerdings mit Verzögerungen – umgesetzt: die ambulante spezialisierte Palliativ- versorgung mit einer Richtlinie, die inzwischen funktioniert, die Schutzimpfungsrichtlinie, die dem G-BA übertragen wurde, die häusli- che Krankenpflege, die erheblich ausgebaut wurde, die Heilmittel- und Hilfsmittelrichtlinien oder auch die DMP, für die wir jetzt die Richt- linienkompetenz bekommen haben.

Beim Thema Übertragung ärztlicher Leistungen auf die Pflege hat es ein wenig gehakt.

Hess: Es gab immerhin eine ein- stimmig beschlossene Richtlinie – unter Beteiligung der Bundesärzte- kammer und der Pflegeberufe. Die Selbstverwaltung schafft es, die ihr übertragenen Aufgaben zu erfüllen, wenn man ihr die Freiräume lässt

INTERVIEW

mit Dr. jur. Rainer Hess, unparteiischer Vorsitzender des Gemeinsamen Bundesausschusses

Hess: Der G-BA hat immer mehr Aufgaben zugewiesen bekommen.

Das zeigt, dass man seine bisherige Arbeit schätzt. Was haben wir er- reicht? Wir haben ein funktionie- rendes System der Methodenbewer- tung aufgebaut. Wir sind in der La- ge, mit Hilfe des Instituts für Quali- tät und Wirtschaftlichkeit im Ge- sundheitswesen (IQWiG) den Nut- zen und den Zusatznutzen von Be- handlungsmethoden und von Arz- neimitteln festzustellen und danach zu entscheiden, welcher Stellenwert dieser Leistung im Solidarsystem zukommt.

Ein zweiter großer Bereich ist die Qualitätssicherung. Hier sind wir noch nicht ganz so weit, weil wir auf halbem Weg zwischen dem Jahr 2004 und heute die gesetzliche Wende hin zu einer sektoren- und einrichtungsübergreifenden Quali- tätssicherung bekommen haben.

Dies war notwendig, ist in der Um- setzung aber sehr schwierig: Kran- kenhaus- oder Behandlungsfallda- ten reichen nicht aus, sondern pseu- donymisierte Patientendaten sind erforderlich, um den Behandlungs- pfad einzubeziehen und die Be- Die Selbstverwaltung von Ärzten und Krankenkassen

kennt Dr. Rainer Hess so gut wie kaum jemand sonst, ihre Leistungen, aber auch ihre Grenzen. Als Justiziar der gemeinsamen Rechtsabteilung von Bundesärzte- kammer und Kassenärztlicher Bundesvereinigung (KBV), als KBV-Hauptgeschäftsführer (von 1988 bis 2003) und seit 2004 als unparteiischer Vorsitzender des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) hat er viele Schlachten geschlagen, nicht nur siegreiche.

Aber von Frustration ist im Rückblick auf 40 Jahre aktive Gestaltung bei ihm nichts zu spüren. Mit kraft- voller Stimme analysiert er, klar wie eh und je legt der 71-jährige Jurist seine Positionen dar. Nach dem Ende seiner Amtszeit beim G-BA Ende Juni wird Hess, so viel ist sicher, aktiv bleiben. Seine Kommen- tare zum Sozialrecht wird er weiter schreiben.

Ein Buch über die Selbstverwaltung ist in Planung.

Und über manches andere Angebot hat er noch nicht entschieden.

Fotos: Georg J. Lopata

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11. Mai 2012 A 961 und gute gesetzliche Rahmenbedin-

gungen schafft. Dann ist sie in der Lage, die Qualität der Versorgung aus sich heraus zu verbessern.

Schwerer tut sie sich bei der Umset- zung, wenn schon der Gesetzesauf- trag als Kompromiss formuliert ist und ein strittiger politischer Sach- verhalt in eine streitende Selbstver- waltung hineingetragen wird.

Ein Beispiel?

Hess: Nehmen Sie das Thema Sub- stitution und Delegation ärztlicher Leistungen. Da war der Gesetzes- auftrag so unklar, dass man sich zu- nächst einmal ein Jahr darüber un- terhalten hat, was der Gesetzgeber eigentlich wollte. Jeder konnte aus diesem Auftrag heraus für sich die eigene Meinung herleiten.

Wie fällt Ihre Zwischenbilanz zum AMNOG aus? Ist die frühe Nutzen - bewertung neuer Arzneimittel auf einem guten Weg?

Hess: Zunächst einmal ist es wich- tig, dass wir solch eine Bewertung in Deutschland überhaupt bekom- men haben. Alle anderen europä - ischen Länder haben es uns ja vor- gemacht. Noch ist kein einziges Verfahren zur Preisfeststellung zu Ende geführt worden. Aber die Industrie fürchtet ökonomische Nachteile, wenn als Vergleichs- wert ein Generikum herangezogen wird. Aber das ist nicht unser Pro- blem, das können wir nicht lösen.

Wir müssen das als Vergleichsthe- rapie nehmen, was die Standard- therapie ist. Die Nutzenbewertung haben wir bewusst dem IQWiG übertragen; der GKV-Spitzenver- band nimmt an diesem Bewer- tungsprozess nicht teil. Er ist ge- nauso Empfänger der Botschaft wie wir.

Wie sieht es mit der spezialfachärzt - lichen ambulanten Versorgung aus?

Kann der G-BA überhaupt alles das leisten, was ihm da im Gesetz über mehr als drei Seiten vorgegeben wird?

Hess: Ich habe einmal einen Beam- ten im Ministerium darauf ange- sprochen. Der fand das eher schlank formuliert; das sei doch ein eigenständiger und neuer Versor- gungsbereich. Man muss natürlich

anerkennen, aber auch kritisch an- merken: Unser System ist inzwi- schen so kompliziert geworden, dass man bei Hinzufügung eines solchen Versorgungsbereichs mehr als drei Seiten im Sozialgesetzbuch benötigt.

Das gilt auch für die Bedarfspla- nung, die wir jetzt neu regeln müs- sen, oder nehmen Sie die neue Er- probungsregelung: Das ist alles von Anfang an schon konfliktiv ange- legt – ambulant oder stationär, hier Erlaubnisvorbehalt, dort Verbots- vorbehalt –, das haben andere Län- der in dieser Form nicht.

Bezüglich der spezialfachärztlichen Versorgung hört man bei Ihnen einen etwas skeptischen Unterton heraus.

Hess: Hier wird ja genau der Be- reich in die Freiheit entlassen, bei dem wir die größte Mengenent- wicklung haben. In der Onkologie oder der Kardiologie ist nicht alles so strukturiert, dass man es ohne weiteres dem Wettbewerb über- lassen könnte. Ich habe meine Bedenken, ob das wirklich der Wettbewerb regeln kann.

Nehmen Sie nur das Bei- spiel ambulantes Operieren:

Da haben wir ein solches System: Jeder darf, der kann – er muss nur die Vorausset- zungen erfüllen. Wir benöti- gen in beiden Bereichen dringend eine funktionie- rende Qualitätssicherung, die wir aber nicht haben.

Wann kommt die Richtlinie zur neuen Bedarfsplanung?

Hess: Bis Mitte des Jahres, wie ursprünglich einmal vorgese- hen, wird das nicht mehr zu schaf- fen sein. Die KBV hat hier Druck gemacht und ein sehr gutes Kon- zept eingebracht, aber man kann nicht davon ausgehen, dass es ein- fach abgenickt wird.

Sind die Vorstellungen da sehr weit auseinander?

Hess: Nein, es ruckelt sich zusam- men. Wir werden wahrscheinlich für die hausärztliche Versorgung bereits in der nächsten Sitzung ei- nen weitgehenden Konsens errei- chen, was die Planungsebene und

die Verhältniszahlen anbelangt. Das läuft in eine gute Richtung.

Es gibt Ärzte, die sehen im G-BA das staatliche Rationierungsinstrument an sich. Was sagen Sie diesen Kritikern?

Hess: Der G-BA hat in vier Rechtsstreiten gegen das Bundes- gesundheitsministerium die Positi- on erkämpft, dass das Ministerium dem G-BA gegenüber nur eine Rechts- und keine Fachaufsicht hat. Diejenigen, die diesen Aus- schuss tragen, sind Selbstverwal- tung – Krankenkassen, Vertrags- ärzte, Zahnärzte, Krankenhäuser.

Warum sollte dann dieses Gremi-

um, das diese Selbstverwaltungen bündelt, das nicht mehr sein?

Sollte die Bundesärztekammer wieder mit Stimmrecht im G-BA vertreten sein?

Hess: Das Stimmrecht halte ich für gar nicht so entscheidend. Ich bin der Meinung, dass in der Tat die Ärztekammern enger mit dem G-BA zusammenarbeiten sollten und ihre Argumente, ohne dass sie Stimmrecht haben, stärkere Be- rücksichtigung finden sollten.

Wenn das gute Argumente sind, finden die auch ihre Mehrheit.

Unabhängig davon, wo der Vorsitzende herkommt – entscheidend ist, dass er sich mit dem Ausschuss identifiziert.

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11. Mai 2012 Deswegen würde es ausreichen,

wenn man über die Beteiligung ein Mitspracherecht bekommt. Wenn sich die Bundesärztekammer ein- bringen will, sollte sie die beste- henden Möglichkeiten ausschöp- fen. Dass sie mehr einfordert, kann ich nachvollziehen. Ich persönlich bevorzuge den Diskurs im Vorfeld von Entscheidungen und denke, dass sich der G-BA die Arbeit

leichter macht, wenn er den Sach- verstand auch von Kritikern früh- zeitig einbezieht und nicht wartet, bis die Kritik nach der Beschluss- fassung kommt.

Glauben Sie, dass es künftig auch hier in Deutschland so etwas wie die Qalys in England, also Obergrenzen bei der Finanzierung von Gesundheitsleistungen, geben wird?

Hess: Ich sehe zurzeit keine Rechtfertigung für solche Betrach- tungen, weil wir hierzulande doch erhebliche Überkapazitäten in ei- nigen Bereichen haben, die man zunächst abbauen müsste. Qalys heißt ja, dass ich eine notwendige Leistung aus dem System heraus- nehme, weil sie zu teuer ist. Statt- dessen müsste aber zunächst dort eingespart werden, wo erkennbar zu viel gemacht wird.

Können Sie dafür Beispiele nennen?

Hess: Arthroskopien, Endoskopien, Angiographien – da sind wir Welt- meister. Im internationalen Ver- gleich haben wir da ein Leistungs- volumen, das zumindest einmal be- gründet werden müsste.

Hess: Ich habe die Diskussion über die Einschränkung bei den Blutzu- ckermessstreifen vor dem Haus mit einer Gruppe wütender Patienten selbst geführt und diese Entschei- dung dort auch vertreten. Das ist Sache des unparteiischen Vorsitzen-

den, auch solche unangenehmen Entscheidungen zu vertreten. Sie werden keine einzige Entscheidung des G-BA finden, von der ich mich – egal wie ich abgestimmt habe – jemals distanziert hätte.

Was treibt Sie an, dass Sie das auf sich nehmen?

Hess: Die Übernahme dieser Positi- on war damals eine sehr positive Herausforderung für mich. Ich sehe dieses Amt nicht als eine Riesenbe- lastung, sondern ich sehe es als eine Riesenherausforderung am Ende ei- ner beruflichen Laufbahn. Dies ist eine Position, in der man nieman- den direkt als Vorgesetzten hat, in der man Überzeugungsarbeit leis- ten kann, in der man positiv einen Beitrag leisten kann zur Weiterent- wicklung des Gesundheitswesens.

Josef Hecken, der zum 1. Juli Ihre Nach- folge antritt, kann in den bestehenden Strukturen gut weiterarbeiten?

Hess: Insgesamt ist der G-BA so aufgestellt, dass er absolut zu- kunftsfest ist. Die Geschäftsstelle macht ja nicht alleine die Arbeit, sie arbeitet mit den Bänken zusammen.

Es stellt sich natürlich die Frage, wie stark eine Geschäftsstelle ge- genüber den Bänken aufgestellt sein muss, damit sie die notwendige Unabhängigkeit als Geschäftsstelle gemeinsam mit den Unparteiischen einbringen kann. Ich persönlich trete für eine leistungsfähige, hoch- qualifizierte Geschäftsstelle ein.

Wie bewerten Sie die gesetzliche Bestimmung, dass Ihr Nachfolger als unparteiischer Vorsitzender nicht direkt aus den Reihen der Selbst - verwaltung kommen darf?

Hess: Das sehe ich nicht als drama- tisch an. Unabhängig davon, wo der Vorsitzende herkommt – entschei- dend ist, dass er sich mit dem Aus- schuss identifiziert. Anders kann man eine solche Funktion nicht glaubhaft wahrnehmen. Auch wenn der Vorsitzende in der Abstimmung unterlegen ist, muss er diese Ent- scheidung nach außen zu seiner ei- genen machen. Ob er aus der Poli- tik kommt oder wie ich aus der Selbstverwaltung, sehe ich nicht als entscheidend an.

Was können Sie uns noch als eine Art Resümee Ihrer Tätigkeit als G-BA- Vorsitzender mit auf den Weg geben?

Hess: Wir sollten vorangehen auf dem Weg der Selbstverwaltung. Ich bleibe Optimist: Die Selbstverwal- tung kann noch mehr erreichen, und ich bin immer noch der festen Über- zeugung, dass Selbstverwaltung bes- ser ist als eine staatliche Reglemen- tierung oder eine reine Marktlösung.

Es gibt aber auch Schwachstellen in der Selbstverwaltung. Auf die darf die Politik nicht zu spät reagieren.

Ich sehe das Problem Hausarzt/

Facharzt auch als ein Problem der Politik an. Dort hat man viel zu spät erkannt, dass dieses Verteilungspro- blem innerärztlich nicht zu lösen war. Man hat es laufen lassen, bis man den Scherbenhaufen hatte.

Manchmal hätte ich mir ein früheres Eingreifen des Gesetzgebers ge- wünscht. Aber wenn man sich ein Eingreifen des Gesetzgebers wünscht, dann kommt er nicht. Und er greift da ein, wo man es sich unter Umständen gar nicht wünscht.

Stets mit Engage- ment bei der Sache:

Rainer Hess im Gespräch mit Redakteuren des Deutschen Ärzte- blattes

Inwieweit hat Sie das getroffen, wenn sie als G-BA-Vorsitzender von Betroffenen persönlich verantwortlich gemacht wurden für Leistungsausschlüsse?

Das Gespräch führten Thomas Gerst und Heinz Stüwe.

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