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Archiv "Ausbildungsziel: „Arzt“: Erwartungen der Ärzte — Erwartungen der Gesellschaft" (18.01.1979)

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Spektrum der Woche Aufsätze ·Notizen

FORUM

Ausbildungsziel: "Arzt"

Fortsetzung von Heft 2/1979*) und Schluß

Erwartungen der Ärzte- Erwartungen der Gesellschaft

Christian von Ferber

Dem Bedürfnis, ein Ausbildungsziel für das Medizinstudium zu definie- ren, liegen planerische Überlegun- gen zugrunde. So fordert die cu rri- culare Planung Ausbildungsziele, aus denen Entscheidungskriterien für Gegenstandskataloge und für Stundenanteile am Semesterpro- gramm hergeleitet werden können.

Oder die Planung der medizinischen Versorgung macht eine Normierung des berufsbefähigenden Abschlus- ses nötig, um Versorgungsstan- dards von der Qualifikation der Me- diziner her abdecken zu können.

Manifeste und latente Steuerungseffekte

Wer diesem verständlichen und aus praktischen Gründen unabweisba- ren Bedürfnis nachkommt, sollte sich aber der Grenzen solcher defi- nitorischer Zielsetzungen bewußt bleiben. Dabei kann noch die Frage durchaus offenbleiben, ob curricu- lare Planungen sowie die damit ver- bundenen Vereinheitlichungen und Normierungen, zu mal wenn siezen- tral erfolgen, eine auch der Sache nach bessere Qualität der Ausbil- dung garantieren. Die Grenzen lie- gen in dem Zwang, operationalisier- bare Kriterien zu gewinnen, mittels derer verallgemeinerungs- und durchsetzungsfähige Entscheidun- gen getroffen werden können. Da jedoch nicht alle Ziele, denen eine Berufsausbildung verpflichtet sein sollte, sich in gleicher Weise für eine Operationalisierung eignen, besteht die Versuchung, sich auf die Ziele zu

beschränken, aus denen sich Ent- scheidungskriterien herleiten las- sen. Und ferner stellt sich wie bei allen Planungen auch hier die Frage, wer nimmt mit der Planungskompe- tenz auch die Funktion der Normie- rung wahr? Und auf welche Weise- wenn überhaupt- unterliegt die Pla- nung einer Erfolgskontrolle? Ge- nügt es, wie es sich für die curricula- re Verfassung des Hochschulstu- diums einzubürgern scheint, daß

"Experten" von einem Ministerium

berufen werden, um über Ausbil- dungsziele und -inhalte zu entschei- den, oder sollten solche Entschei- dungen sich auf einen breiteren Konsens (z. B. der Fachgesellschaf- ten oder der Fakultäten und Fachbe- reiche) und auf erfahrungswissen- schaftliche Kontrollen (Curriculum- forschung) stützen?

Kritik der Definition des Wissenschaftsrates

Betrachtet man unter diesem Aspekt die "Empfehlungen zu Aufgaben, Organisation und Ausbau der medi- zinischen Forschungs- und Ausbil- dungsstätten" des Wissenschaftsra- tes (verabschiedet am 9. Juli 1976), die auf Seite 21 f. Ausführungen auch zum Ausbildungsziel des Arz- tes formulieren, dann zeigen sich diese Grenzen sehr deutlich. Die Empfehlungen schlagen "eine für alle beteiligten Teildisziplinen ...

verbindliche ... Definition" vor. Die Definition dient einer einheitlichen Normierung. Sie sollte den folgen- den Kriterien genügen:

..,.. "die Aufgabe des medizinischen Studiums gegenüber der einer späteren Ausbildungsphase vorbe- haltenen Facharztweiterbildung zu bestimmen", die Definition hebt auf den "Basisarzt" ab, um eine "gene- relle Strukturierung des Ausbil- dungsstoffes und eine angemessene Gewichtung des Anteils der einzel-

170 Heft 3 vom 18. Januar 1979 DEtiTSCHES ARZTEBLATT

nen Stoffgebiete und Problemberei- che'' zu ermöglichen.

Der Wissenschaftsrat erwartet von der Definition des Ausbildungszieles eine Selektion der Lehr- und Prü- fungsgegenstände und eine organi- sierende Wirkung auf das Curricu- lum der medizinischen Ausbildung.

Der Wissenschaftsrat schlägt eine operationalisierbare Definition des Ausbildungszieles vor, aus der zu- mindest für "eine generelle Struk- turierung des Ausbildungsstoffes"

verbindliche Entscheidungskriterien abgeleitet werden können, um Stoff- gebiete in das Curriculum aufzuneh- men oder nicht bzw. ihren Ante.il im Curriculum festzulegen. Ferner liegt der Schwerpunkt bei der Normie- rung der Wissensbestände. Demge- genüber könnte zu Recht der An- spruch erhoben werden, daß das Ausbildungsziel auch Normen be- nennt, die sich nicht oder nur unter großen Einschränkungen für eine curriculare Gestaltung operationali- sieren lassen. Solche Normen wären etwa ethische Normen oder Verhal- tensstandards. Auch ließe sich ge- genüber dem Vorschlag des Wissen- schaftsrates die Forderung vertre- ten, daß das Ausbildungsziel nicht vorzugsweise nur die wünschbaren Wissensstandards normiert, son- dern auch andere Dimensionen mit einbezieht, wie sie im angloamerika- nischen Bereich als "medical edu- cation" oder als berufliche Soziali- sation angesprochen werden und z. B. in dem klassischen Werk zur Medizinerausbildung von R. K. Mer- ton u. a., The student-physician, 1957, formuliert wurden: "The tech- nical term socialization designates the processes by which people se- lectively acquire the values and atti- tudes, the interests, skills, and knowledge - in short, the culture, current in the groups of which they

are, or seek to become a member. lt

refers to the learning of social roles"

(ebda. Appendix A: Socialization: a terminological note).

Ferner äußert sich der Vorschlag des Wissenschaftsrates nicht zur

·) in Heft 2/1979 erschienen Sachverständi- genbeiträge zu diesem Thema von Jörg-D.

Hoppe, Jürgen Peiffer, Waller Weissauer.

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Frage: Auf welche Weise sollen die Normen für das Ausbildungsziel ge- wonnen werden? Genügt es hierfür, ggf. unter Hinzuziehung von Exper- ten, einen Konsens unter den Expo- nenten von Gruppen (Ärzteverbän- de, Medizinischer Fakultätentag, Mi- nisterialbürokratie) herbeizuführen oder sollten Ergebnisse empirischer Untersuchungen über " Verwen- dungssituationen und über Berufs- felder herangezogen werden? Mit anderen Worten: welchen Kontrol- len unterliegt die subjektive Erfah- rung derjenigen, die an der Defi- nition des Ausbildungszieles betei- ligt sind, jenseits der intersubjekti- ven Abstimmung im Prozeß der Kon- sensfindung? Sollen hierfür über- prüfbare Außenkriterien benannt werden, die ggf. auch eine Fort- schreibung des Ausbildungszieles ermöglichen, weil sich die Verwen- dungssituationen verändert haben?

ln diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, daß Curriculumfor- schung und -theorie eine Bindung der Ausbildungsziele an die Ergeb- nisse von Berufsfeldforschungen für erforderlich halten.

Solange es überwiegend um die Or- ganisation des Studiums geht, also um die didaktische Auswahl der Lehr- und Prüfungsgegenstände so- wie um deren methodische Zuord- nung in Lehr- und Studienplänen, läßt sich die eingangs gestellte Fra- ge vernachlässigen, welche Instan- zen an der Formulierung des Ausbil- dungszieles beteiligt werden sollten. Für die curriculare Organisation des Studiums genügt es dann, den Wis- senschaftsrat und Studienreform- kommissionen zu beauftragen. So- bald wir jedoch die Wirkungen des Studienabschlusses nach. außen einbeziehen, also das Studienziel als ein berufsbefähigendes Examen set- zen, müssen weitere Instanzen au- ßerhalb des Wissenschaftsbetriebes für die Dimensionierung des Ausbil- dungszieles berücksichtigt werden.

Dimensionen

des Ausbildungszieles "Arzt"

Die Forderungen, die in den vergan- genen zwei Jahrzehnten zur Reform

der medizinischen Ausbildung erho- ben worden sind, gehen überwie- gend davon aus, daß das Ziel ein berufsbefähigender Abschluß sein soll. Vor allem der Forderung nach praxisnaher Ausbildung, wie sie von der Ärzteschaft seit jeher vorgetra- gen wurde, liegt die Erwartung zu- grunde, daß mit dem Examen ein Standard der Befähigung zur Be- rufsausübung dokumentiert sein soll. Wird diese Forderung als eine vorgegebene Entscheidung akzep- tiert, daß nämlich die Befähigung zur Berufsausübung beim Ausbil- dungsabschluß erreicht und nicht erst in einer nach dem Examen ein- setzenden Phase (früher Medizinal- assistentenzeit) schwerpunktmäßig erworben werden soll, dann werden die Erwartungen, die sich an den Beruf des Arztes richten, bestim- mend für die Definition des Ausbil- dungszieles.

Wir können diese Erwartungen nach sechs Richtungen hin klassifizieren, indem wir von den verschiedenen Bezugsgruppen des Arztes ausge- hen, auf die hin er handelt und von denen seine Tätigkeit bewertet wird. Als "Bezugsgruppe" bezeichnen wir mit R. K. Merton soziale Instanzen, die einen Orientierungsrahmen für individuelles Verhalten setzen kön- nen. Die von Bezugsgruppen ge- setzten Normen oder Maßstäbe er- möglichen die Selbsteinschätzung (self-evaluation) und die Formierung situationsunabhängiger Verhaltens- orientierungen (attitude-formation).

Den Bezugsgruppen fällt für die Orientierung in sozialen Situationen also eine wichtige Rolle zu. Für die Definition des Ausbildungszieles im Sinne eines berufsbefähigenden Ex- amens wird der normsetzende Typ der Bezugsgruppen bedeutsam. Da- bei handelt es sich um Bezugsgrup- pen, denen eine Kompetenz zuer- kannt wird, für die Tätigkeit des Arz- tes Standards zu setzen, ggf. auch durchzusetzen, wenn die Bezugs- gruppe auch Sanktionen verhängen kann. Zu den normsetzenden Be- zugsgruppen des Arztes werden in der Regel gerechnet:

..,. die wissenschaftliche Korpora- tion der Medizin,

Spekt(rum der Woche Aufsätze ·Notizen

Ausbildungsziel: , ,Arzt''

..,. die Patienten,

..,. die Kollegen und Mitarbeiter, ..,. die Einrichtungen, die das Ge- sundheitswesen finanzieren und sei- ne Organisation planen, und ..,. die Berufsgruppe der Ärzte als gesellschaftlicher Verband, dem in unserer Gesellschaft öffentliche Aufgaben wie z. B. die "Sicherstel- Jung der kassenärztlichen Versor- gung" übertragen worden sind.

Erwartungen der Wissenschaft Aus der wissenschaftlichen Korpo- ration der Medizin richten sich drei Erwartungen an den Arzt: Er soll über ein Berufswissen verfügen, praktische Fertigkeiten besitzen so- wie als Angehöriger eines wissen- schaftlichen Berufes sich der Vor- läufigkeit, der Grenzen und der lrr- tumswahrscheinlichkeit wissen- schaftlicher Erkenntnis bewußt sein. Der Wissenschaftsrat hat m. E. diese Erwartungen in einer Formulierung eingefangen, die Entscheidungskri- terien für eine curriculare Organisa- tion des Studiums liefert:

.,Die Ausbildung muß die zur Dia- gnose und Therapie der bedeu- tungsvollen Krankheiten erforderli- chen grundlegenden wissenschaftli- chen Kenntnisse und Fertigkeiten vermitteln. Bedeutungsvoll sind die- jenigen Krankheiten, die besonders häufig oder für das Verständnis der wesentlichen pathogenetischen Zu- sammenhänge beispielhaft sind oder bei denen ein unverzügliches ärztliches Handeln notwendig ist.

Zum Zeitpunkt der Approbation muß der Arzt das Maß an Wissen, Ver- ständnis und Selbstkritik gewonnen haben, das es ihm erlaubt, die den Umständen entsprechenden ärztli- chen Maßnahmen selbständig vor- zunehmen bzw. verantwortlich zu entscheiden, wann und in welcher Form er sich im Interesse der Kran- ken der Hilfe erfahrener bzw. fach- lich speziell weitergebildeter Ärzte bedienen muß." C>

DEUTSCHES ARZTEBLATT

Heft 3 vom 18. Januar 1979 171

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Spektrum der Woche Aufsätze • Notizen Ausbildungsziel: „Arzt"

Die Abgrenzung der „bedeutungs- vollen Krankheiten" wird gewiß viel Stoff für die Diskussion der Gewich- tung der Lehr- und Prüfungsgegen- stände geben, dennoch scheint mir der Weg, auf dem eine unumgängli- che didaktische Auswahl auch fä- cherübergreifend begründet werden könnte, damit aufgewiesen zu sein.

... des Patienten

Von seiten der Patienten wird vom Arzt nicht allein wissenschaftlich- technische Kompetenz, sondern Verständnis, Zuwendung und thera- peutische Führung erwartet, auch unabhängig davon, ob spezifische klinisch-psychologische oder psy- chotherapeutische Fähigkeiten ge- fordert sind.

Die allgemeine Kritik an dem gegen- wärtigen Zustand der Arzt-Patien- ten-Beziehungen kann zu Recht auf Defizite der Kommunikation, oft Blindheit gegenüber elementaren Bedürfnissen der Patienten hinwei- sen. Solche Defizite lassen sich we- der bagatellisieren noch vorschnell auf einen Nenner bringen. Sie gehen teils aus einem mangelnden Kom- munikationstraining der Ärzte her- vor (aus diesem Grunde wird an den amerikanischen Medical Schools derzeit das Fach „Health Communi- cation" eingeführt), teils leiten sich die Verständigungsprobleme aus der fehlenden Kenntnis der Ärzte über die Lebenswirklichkeit der Pa- tienten und über deren Kommunika- tionsbedürfnisse ab. Auch über- schätzen viele Ärzte die Richtigkeit der medizinisch-ärztlichen Perspek- tive, während umgekehrt nicht weni- ge Patienten den Arzt mit einer „un- begrenzten Heilserwartung" (Delius) aufsuchen.

Die Führung chronisch kranker Pa- tienten und die Beratung von Prä- Patienten in der Gesundheitsvorsor- ge fordern dem Arzt organisatori- sche und sozialpädagogische Fä- higkeiten ab, auf die er in seiner Ausbildung bisher jedenfalls so gut wie gar nicht vorbereitet wird. Wenn in Zukunft angesichts eines wach- senden Zugangs an approbierten

Ärzten und schrumpfender Arbeits- möglichkeiten in den Krankenhäu- sern (Krankenhausbedarfsplanung!) damit zu rechnen sein wird, daß vie- le junge Ärzte gleich nach der Been- digung ihres Studiums in der pri- märärztlichen Versorgung tätig wer- den, dann dürfte eine mangelnde Vorbereitung auf die Verständigung zwischen Arzt und Patient sehr ne- gative Konsequenzen nach sich zie- hen. Zwar wird derzeit mehr in den Krankenhäusern über Verständi- gungsschwierigkeiten geklagt. An- dererseits aber kann kein Zweifel darüber bestehen, daß in der ambu- lanten Versorgung für eine wirksa- me Gesundheitsvorsorge und für die Führung chronisch Kranker der Schlüssel bei der Arzt-Patienten- Kommunikation liegt.

... der Kollegen und ihrer Mitarbeiter

Von seiten der ärztlichen Kollegen und der Mitarbeiter aus dem Kreis der Medizinalfachberufe wird die Fähigkeit und die Bereitschaft zur arbeitsteiligen Kooperation im Inter- esse des Patienten erwartet. Die Ar- beitsteilung bildet geradezu ein Charakteristikum der medizinischen Versorgung sowohl in den Organi- sationseinheiten wie Krankenhäu- sern oder fachübergreifenden Ge- meinschaftspraxen wie aber auch in der Gliederung der medizinischen Entscheidungsprozesse selbst. Der Weg des Patienten führt — jedenfalls im normativen Modell — von der pri- märärztlichen Beratung bis zu dem geeigneten und optimalen Behand- lungspunkt in der sekundärärztli- chen oder stationären Versorgung.

Die Effektivität dieses Versorgungs- modells hängt nicht allein am

„grundlegenden Wissen" des Arztes über die „Diagnose und Therapie der bedeutungsvollen Krankheiten", sondern auch an einigen Eigen- schaften seines Verhaltens. Zu die- sen Eigenschaften gehört die Ein- sicht in die Grenzen der eigenen Kompetenz, der Respekt vor der fachlichen Kompetenz anderer, die Bereitschaft, Verantwortung zu tra- gen, verbindliche Entscheidungen zu treffen, präzise Anweisungen zu

geben, sich der Kritik zu stellen, psy- chodynamischen Prozessen inner- halb von Arbeitsgruppen gewachsen zu sein.

... der sozialen Einrichtungen Von seiten der Einrichtungen der

„mittelbaren Krankenversorgung"

(Sozialleistungsträger, Gesund- heitsfachverwaltungen usw.) wer- den an den Arzt die folgenden Er- wartungen gerichtet: Kenntnis des sozialen Leistungsrechts, um den Patienten auch in dieser Hinsicht beraten zu können, Kenntnis und Berücksichtigung der wirtschaftli- chen Konsequenzen ärztlicher Tä- tigkeit, Fähigkeit zur Mitarbeit an so- zialmedizinischen Aufgaben (Krank- heitsfrüherkennung, Rehabilitation).

In der mangelnden Vorbereitung auf sozialmedizinische Aufgaben liegt gegenwärtig eine ganz entscheiden- de Schwäche für die Organisation des Gesundheitswesens. Denn die

„stillen Reserven" für eine Verbes- serung der Effektivität und der Effi- zienz der Medizin stecken in der Or- ganisation betriebsübergreifender Gemeinschaftsaufgaben, sei es der Gesundheitsvorsorge, sei es der Rehabilitation, sei es aber auch der wirtschaftlicheren Nutzung vorhan- dener Einrichtungen (etwa Über- gang von maximaler zu optimaler Auslastung diagnostischer und the- rapeutischer Einrichtungen [Rei- cherte.

Ein arbeitsteilig spezialisiertes Dienstleistungssystem, das die Pa- tienten nicht allein punktuell aus akuten Anlässen und Krisen heraus versorgt, sondern eine Kontinuität über mehrere Behandlungsstellen — mit Händen zu greifen in der Rehabi- litation — herstellen muß, kann be- triebsübergreifende Formen der Zu- sammenarbeit nicht entbehren. Sol- che Kooperationsformen können über Krankheitsregister, über Schwerpunktaufgaben der ambu- lanten Versorgung, über Rehabilita- tionspläne oder über Programme der Krankheitsfrüherkennung her- gestellt werden. Die Einsicht in die Wichtigkeit, ja, Notwendigkeit einer

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Spektrum der Woche Aufsätze Notizen Ausbildungsziel: „Arzt"

solchen Zusammenarbeit stellt sich in einem auf immer weitere Speziali- sierung gerichteten Studium nicht von selbst her und wird gegenwärtig infolge der herkömmlichen Ver- nachlässigung epidemiologischer und sozialmedizinischer Unter- richtsgegenstände auch nicht gelei- stet. Hinzu kommt eine verbreitete Unkenntnis, ja, ein zum Teil vorur- teilsvolles Unverständnis gegenüber sozialpolitischen Einrichtungen.

Die sozialpolitische Dimension fehlt auch in dem Vorschlag des Wissen- schaftsrates völlig und ist in dem des Arbeitskreises „Ärztliche Ausbil- dung" der Bundesärztekammer – wenn ich recht sehe – ausgespart.

Dort beschränkt sich die Forderung nämlich auf „medizinische und wis- senschaftlich-methodische Ken nt- nisse in Prävention und Rehabilita- tion", d. h. die sozialrechtliche, so- zialpolitische und die praktisch so- zialmedizinische Perspektive wird durch die Definition ausgeschlossen (Hervorhebung im Zitat von mir C. v.

F.).

... des Berufsstandes

Die Berufsgruppe als organisierte Standes- und Interessenvertretung erwartet vom Arzt die Bereitschaft zur Mitarbeit sowie die Kenntnis der ordnungspolitischen Grundlagen der Berufsorganisation. Auf den er- sten Blick mag es geboten erschei- nen, Erwartungen der Berufsgruppe unter die Dimensionen des Ausbil- dungszieles – jedenfalls in einer for- mell verbindlichen Form – nicht auf- zunehmen, sondern deren Einlö- sung der kollegialen Einführung in den Beruf (etwa Vorbereitung auf die kassenärztliche Tätigkeit) an- heim zu stellen. Dem würde aller- dings nicht allein die „Ärztliche Rechts- und Standeskunde" im We- ge stehen, die seit jeher ihren festen Platz in der medizinischen Ausbil- dung beansprucht, sondern – was hier entscheidender ist – die für un- ser Gesundheitswesen kennzeich- nende Form der Wahrnehmung öf- fentlicher Aufgaben.

Die staatliche Sozialpolitik und in besonderem Maße die Gesundheits-

politik ist in dem Gesellschafts- und Rechtssystem der Bundesrepublik durch die Wahrnehmung staatlicher Aufgaben durch die Beauftragung

.vorstaatlicher gesellschaftlicher Kräfte gekennzeichnet. In diesem Sinne nehmen die Kassenärztlichen Vereinigungen die öffentliche Auf- gabe – d. h. eine Aufgabe, für die der Staat letztlich die Verantwortung trägt – der Sicherstellung der Kas- senärztlichen Versorgung wahr.

Oder den Krankenhausträgern ob- liegt die stationäre Versorgung, die in den Krankenhausgesetzen als

„öffentliche Aufgabe" begründet wird.

Die Verschränkung von staatlicher Verantwortung und gesellschaftli- cher Durchführung durch Träger- verbände – in der Regel in der Rechtsform der Körperschaft des öf- fentlichen Rechts – ist ein kenn- zeichnendes Merkmal unserer Ge- sellschaftsordnung, juristisch in der Begriffsbestimmung „öffentlicher"

Aufgabe geklärt und anerkannt.

Für die Dimensionierung des Ausbil- dungszieles „Arzt" folgt daraus, daß die Wahrnehmung „öffentliche Auf- gaben" durch die ärztlichen Vereini- gungen hinsichtlich der theoreti- schen Grundlagen und der prakti- schen Durchführung zur Berufsaus- bildung gehört.

Vom „Arzt" – als Ziel einer berufsbe- fähigenden Ausbildung gesehen

–muß erwartet werden, daß er die er- forderlichen Kenntnisse besitzt und bereit ist, die mit seinem Beruf ver- bundenen „öffentlichen" Pflichten zu übernehmen.

Die Medizinsoziologie hat in der Weiterführung der These von Freid- son (The profession of medicine, 1970) sehr überzeugend herausge- arbeitet, daß die gesellschaftliche Position des Arztes nicht nur auf sei- nem Expertenwissen (Freidson, Die Dominanz der Experten, 1975) be- ruht, sondern sich in starkem und zunehmendem Maße auf die Wahr- nehmung öffentlicher Aufgaben gründet – mit Händen zu greifen in den arbeits- und sozialrechtlichen Konsequenzen ärztlichen Handelns

(vgl. Deborah Stone, Controlling the medical profession: doctors and pa- tients in West Germany, 1976). Nur eine unvoreingenommene Berück- sichtigung auch dieser Ausbil- dungsdimension kann dazu beitra- gen, das im Selbstverständnis der- zeit gebrochene Verhältnis zwi- schen der Berufsarbeit des Arztes und seinem öffentlichen Auftrag von vermeidbaren Mißverständnissen zu entlasten. Bemerkenswerterweise gehen die erwähnten Vorschläge zum Ausbildungsziel „Arzt" auf die- sen Gesichtspunkt nicht ein.

Anschrift des Verfassers:

Prof. Dr. phil.

Christian von Ferber Am Rehwinkel 8 4800 Bielefeld

ZITAT

Planung

„Die neue Poliklinik und die anderen Erweiterungen, die Zug um Zug folgen sollen, erfordern natürlich auch den Zuwachs an qualifizierten Mitarbeitern. Die Besetzung der neuen Arbeitsplätze wur- de und wird langfristig und zielstrebig vorbereitet. Da- durch sollen bisherige Dis- proportionen beseitigt wer- den. So gibt es zum Beispiel seit Jahren in der Bezirkspo- liklinik keinen Allgemeinme- diziner, die Patienten müs- sen an eine nahe gelegene staatliche Arztpraxis weiter- geleitet werden. Erst die neue Einrichtung soll diesen für eine Poliklinik wirklich unhaltbaren Zustand über- winden."

Aus einem Bericht der Ost- berliner Zeitung „humani- tas" über einen „Einsatz"

des Volkskammerausschus- ses für Gesundheitswesen in Cottbus

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Heft 3 vom 18. Januar 1979

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