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Archiv "Unspezifische Entzündungen: Pharmakodynamische Therapie mit Glucocorticoiden" (10.01.1980)

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A_ktue e in

ÜBERSICHTSAUFSATZ

Physiologie und

Pharmakologie des Cortisols und seiner Derivate

Etwa 30 Steroidhormone werden in der Nebennierenrinde (NNR) gebil- det, Cortisol (Hydrocortison) und Aldosteron sind die zwei wichtig- sten. Während Aldosteron vorwie- gend den Elektrolythaushalt des Körpers und der Zellen reguliert, be- einflußt Cortisol insbesondere den Eiweiß- und Kohlenhydratstoffwech- sel und die Stabilität biologischer Membranen. Aldosteron ist der wichtigste physiologische Vertreter der sogenannten Mineralocorticoide und Cortisol derjenige der soge- nannten Glucocorticoide. Zu den letzteren gehören auch die zahlrei- chen synthetischen Derivate, die in diesem Beitrag behandelt werden.

Glucocorticoide sind lebenswichti- ge Hormone. Ein adrenalektomier- tes Tier kann auch bei Aldosteron- substitution nur unter optimalen La- borlebensbedingungen überleben.

Wird es dagegen einem Streß ausge- setzt, zum Beispiel Hunger, Kälte, Hitze, Flucht (intensive Muskeltätig- keit) oder Verletzung, so verendet es früher oder später unter dem Bild eines peripheren vaskulären Kollap- ses. Appliziert man einem solchen Tier jedoch zusätzlich Cortisol, je nach der Schwere des Stresses in Dosierungen bis zum zehnfachen des Normalbedarfs, so bleibt der

Kollaps aus. Erhöhte Cortisoldosen sind aber nur einem Streßtier nütz- lich, einem Normaltier würden sie dagegen schaden.

Dem peripheren vaskulären Kollaps des nicht cortisolgeschützten Tieres liegt eine erhöhte Permeabilität der kleinen Blutgefäße, insbesondere der Kapillaren, zugrunde. Diese Schädigung wird beim adrenalekto- mierten Tier im Streß vor allem durch Katecholamine verursacht;

durch eine gleichzeitige Gabe von Sympaticolytica kann sie ebenso vermindert werden wie durch Gluco- corticoide. Das heißt, daß das sym- pathische Nervensystem im Streß ei- ne nützliche Funktion nur gekoppelt an eine adäquate Ausschüttung von Glucocorticoiden ausüben kann.

Die Glucocorticoide schützen die In- tegrität der Kapillaren nicht nur bei einem intensiven Einstrom sympa- thischer Neurotransmitter, vielmehr ist diese Schutzfunktion unspezi- fisch und bezieht sich auch auf zahl- reiche andere endogene und exoge- ne vasoaktive Substanzen. Damit läßt sich ihre antiexsudative und an- titoxische Wirksamkeit bei Entzün- dungen und einer Reihe von Vergif- tungen begründen. Als molekular- biologischer Mechanismus dafür wird eine Stabilisierung biologi- scher Membranen, insbesondere der der Lysosomen, durch die Glu- cocorticoide diskutiert.

Der entzündungshemmenden Behandlung mit Glucocorti- coiden liegen zwei Hauptwir- kungen zugrunde: die anti- exsudative und die antiprolife- rative. Die antiexsudative Wir- kung führt bei einem toxi- schen Einstrom endogener oder exogener Gefäßstimula- toren zu einer Abdichtung und Stabilisierung der Kapillaren.

Mit der antiproliferativen Wir- kung kann ein überschießen- des Bindegewebewachstum gebremst werden. Beide Wir- kungen können mit der phy- siologischen Rolle des Corti- sols als Streßhormon in Zu- sammenhang gebracht wer- den, für beide gibt es typische Indikationen. Auch weitere Ef- fekte der Glucocorticoide können therapeutisch genutzt werden.

Neben der antiexsudativen Wirkung ist für die Therapie mit Glucocorti- coiden besonders deren antiprolife- rative Wirkung wichtig. Auch diese könnte mit der physiologischen Funktion des Cortisols als Streßhor- mon in Zusammenhang gesehen werden. Der wichtigste Streß in der Natur dürfte der Hunger sein.

In einer solchen Situation müssen bevorzugt lebenserhaltende Organe, nämlich das Gehirn und bei der in- tensiven Nahrungssuche oder Flucht auch die Skelettmuskulatur mit Glucose versorgt werden. Das bedeutet, daß eine ergotrope Um- schaltung des Organismus zugun- sten des Brenn- und zu Lasten des Baustoffwechsels erforderlich ist;

diese entspräche der eiweißkatabo- len und gluconeogenetischen Wir- kung des Cortisols.

Die Art dieser Umschaltung könnte teleologisch auch so interpretiert werden, daß dabei vorwiegend dieje- nigen Gewebe vermindert werden,

*) Ein zweiter Übersichtsaufsatz, der Verord- nungsweise und Nebenwirkungen von Glu- cocorticoiden behandelt, wird in einem der folgenden Hefte veröffentlicht.

UNSPEZIFISCHE ENTZÜNDUNGEN:

Pharmakodynamische Therapie mit Glucocorticoiden

Wirkungsweise und Indikationen")

Volker Schulz und Rudolf Gross

Medizinische Universitätsklinik Köln

(Direktor: Professor Dr. med. Rudolf Gross)

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Heft 2 vom 10. Januar

1980 61

(2)

Pharmakologische Wirkungsart

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Aktuelle Medizin

Glucocorticoide

die am ehesten entbehrlich sind, nämlich die Bindegewebe, während die Organparenchyme geschont werden. Eine solche Identität der metabolischen mit der mesenchym- hemmenden Wirkung würde es auch erklären, warum es bisher nie gelun- gen ist, antiproliferativ wirksame

Steroide ohne die therapeutisch un- erwünschten Stoffwechselneben- wirkungen zu entwickeln.

Andere therapeutisch nutzbare Wir- kungen der Glucocorticoide, wie die Lympholyse, könnten im Sinne einer Hemmung der zellulären lmmunant-

wort interpretiert werden. Weitere Wirkungen, zum Beispiel das Anstei- gen der Segmentkernigen und der Thrombozyten sowie das Absinken der Eosinophilen im Blut, sind nicht einfach erklärbar. Die Darstellung 1 zeigt, wie die typischen Glucocorti- coidwirkungen im Tierexperiment

Meßgröße im Tierversuch

12 0 7 450 180 350 1 9 80 63 200 38 50

19 1,1 900 320 500 3,8 0 40 320 50 0

K

E D5o E D1 00

Darstellung 1: Meßbare pharmakologische Wirkungen der Glucocorticoide an Ratten. Rückgang eines experimentell erzeugten Ohr- oder Pfotenödems (Antiexsudation), Hemmung der Fremdkörpergranulombildung (Antiproliferation), Abnahme des Thymus- oder Milzgewichts (Lympholyse), Hemmung des Wachstums junger Tiere (Katabolismus), Steige- rung des Leberglykogens und der Blutglukose bei adrenalektomierten Tieren (Gluconeogenese), Senkung der Eosinophi- lenzahl und Verringerung des Klebennierengewichts.

Die Absolutzahlen bedeuten Mittelwerte aus Kollektiven von jeweils 10 bis 100 Tieren. Untere Zahlen = unbehandlte Kontrolltiere (Dosis K), mittlere Zahlen = halbmaximale Wirkung (Dosis ED 50), obere Zahlen = maximale Wirkung (Dosis

00) •

So ließen sich zum Beispiel durch die Gabe von Glucocorticoiden die artifizielle Odembildung am Ohr von 19 auf 5 mg und an der Pfote von 1,1 auf 0,3 ml, die Fremdkörpergranulombildung sogar von 900 auf 0 mg reduzieren.

Prozent der maximalen Glucocorticoidwirkung 100

62 Heft 2 vom 10. Januar 1980

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

(3)

Glucocorticoide

Tabelle 1: Indikationen für Glucocorticoide, die sich vorwiegend mit deren antiexsudativer Wirkung begründen lassen

Indikations- gruppen

Indikationen Anfangs- Erhal- dosis tungs-

dosis

Anmerkungen zur Therapie

in mg Pred./Tag

Dexamethason wegen guter Liquor- gängigkeit bevorzugt: 8 mg initial, dann 4 mg sechsstündlich. 4 bis 8 Tage 50-100

Apoplexie; Hirn-Meta- stasen, -Verletzungen, -Operationen; Hitz- schlag

Hirnödem

Beginn mit 4 Teil-Tagesdosen, Erhal- tungsdosis über einige Wochen soll Lungenfibrose verhindern

15-30 Inhalation von Haloge-

nen, Halogenwasser- stoffen, Phosgen, Nitro- segasen, Zinkdämpfen;

Magensaftaspiration Toxisches

Lungenödem

100-300

Bei Anaphylaxie zuerst 0,5 mg Adrena- lin s.c.

100-1000 Reaktionen auf Blutde-

rivate, Kontrastmittel, Arzneimittel, Insekten- stiche;

Quincke-Ödem, Urtika- ria, Heufieber

Anaphylaxie und Allergie

Toxische Verläufe bei Tb und Di, Tb-Meningi- tis, Cholera nostras, schwere Meningo- kokken-Meningitis

100-1000 (5-15) Beginn mit 4 Teil-Tagesdosen, Abbau der Therapie in 8 bis 14 Tagen, bei Tb gegebenenfalls länger

Maligne Infektionen

Nekrotisierende Hepati- tis, Vergiftungen mit Phallotoxinen und Ha-

logenkohlenwasser- stoffen

500-1000 Therapieversuch mit Glucocorticoiden nicht länger als 1 Woche fortführen Akuter

Leberzerfall

Immun- enteritiden

Colitis ulcerosa, Enteri- tis regionalis, einheimi- sche Sprue

50-100 (5-15) Zuerst Salazopyrin (Azulfidine®) bezie- hungsweise glutenfreie Kost. Erhal- tungstherapie nur in Ausnahmefällen bei Crohn und Colitis ulcerosa

5-15 Asthma

bronchiale

Status asthmaticus Gefahr physischer und/

oder sozialer Verkrüp- pelung

100-300 25-50

4 Teil-Tagesdosen

Abbau bis zur Erhaltungsdosis in 1 bis 3 Wochen

15-30 Rheumatische Karditis,

bei schwerer Verlaufs- form auch ohne nach- gewiesene Herzbeteili- gung

Rheumatisches Fieber

50-100 (Kinder:

1,5 mg/kg)

Glucocorticoide über 6 bis 12 Wochen, am Ende überlappender Einsatz von nichtsteroidalen Entzündungshem- mern

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Heft 2 vom 10. Januar 1980 63

(4)

Glucocorticoide

reproduzierbar gemessen werden können. Es handelt sich dabei um Mittelwerte aus Tierkollektiven unter standardisierten Versuchsbedingun- gen. Besonders hingewiesen wer- den soll auch auf das zahlenmäßige Ausmaß der pharmakologischen Wirkungen bei den einzelnen Meß- parametern.

f) Indikationen für die

pharmakadynamische Therapie Ein erwachsener Mensch bildet un- ter Normalbedingungen täglich etwa 20 Milligramm Cortisol. Unter StreB- bedingungen ist wahrscheinlich ei- ne Stimulation auf das fünf- bis zehnfache dieser Norm möglich.

Fällt die adäquate Hormonbildung in der Nebennierenrinde aus (M. Addi- son), so muß die jeweils notwendige Cortisolmenge regelmäßig einge- nommen werden.

Diese sogenannte Substitutionsthe- rapie wird in diesem Beitrag nicht beschrieben.

Hier geht es ausschließlich um die pharmakadynamische Therapie, ins- besondere um die Anwendung der Glucocorticoide bei entzündlichen Erkrankungen.

Nicht mit berücksichtigt werden da- bei die lokalen Anwendungen in der Form von Salben, Lösungen, Aero- solen, Klysmen oder intraartikulär zu injizierenden Kristallsuspensionen.

2.1. Vorwiegend

antiexsudative Therapie

Eine strenge Unterteilung der Ent- zündungen in exsudative und proli- ferative Formen oder Phasen ist nicht möglich. Ebensowenig können die Indikationen für die Behandlung mit Glucocorticoiden ausschließlich auf deren antiexsudativen oder anti- proliferativen Effekt bezogen wer- den. Der Therapieerfolg läßt sich je- doch oft mit einer der beiden Wir- kungskomponenten begründen; in diesem Sinne ist die Gliederung in die Tabellen 1 und 2 zu verstehen.

Die Dosisangaben beziehen sich auf Prednison oder Prednisolon. Bei den Indikationsgruppen Hirnöderr und toxisches Lungenödem der Ta- belle 1 wird fast ausschließlich die

Tabelle 2: Indikationen für Glucocorticoide, die sich vorwiegend mit deren antiproliferativer Wirkung begründenlassen

Indikationen Anfangs- Erhaltungs- Anmerkungen zur Therapie dosis dosis

in mg Pred.'Tag

Kollagenosen: 50-100 1D-20 Je nach Schwere des Krankheitsbildes lang-

....

Lupus erythematodes same Reduktion bis zur Erhaltungsdosis in

...,. Panarteriitis nodosa Wochen bis Monaten. Therapie in der Regel

....

Wegenersehe lebenslänglich und gegebenenfalls in Kombi-

Gran u lo matose nation mit Azathioprin (lmurek®)

....

Polymyositis

Arteriitistemporalis SD-100 5-15 Führt unbehandelt in 20% zur Erblindung.

Erhaltungstherapie 1 bis 3 Jahre lang bis zur spontanen Heilung

Sarkoidose 40 30-5 Indiziert im Stadium II (eventuell noch 111), sowie bei Augen-, ZNS- und Drüsenbeteili- gung. Dosierungsschema: je 3 Monate 4D-3D-20 mg, dann je 6 Monate 15-1D-5 mg täglich

Chronisch aggressive 30-{)0 1D-20 Nur bei Hepatitis-B-negativen-Fällen mit star-

Hepatitis ker entzündlicher Aktivität

Leberzirrhose

-

1D-15 Bei nichtalkoholischer Zirrhose ohne Aszites

und nur bei Frauen Überlebenszeit um circa 50% gebessert. Bei Männern erfolglos Chronische Polyarthritis 10-20 (7,5) Nach Ausschöpfung der Basistherapeutika

und der nichtsteroidalen Entzündungshem- mer und in der Regel nur bei akuten Rheuma- schüben befristet anwenden

64 Heft 2 vom 10. Januar 1980

DEUTSCHES ARZTEBLATT

(5)

Mgailiäljahaffl

Glucocorticoide

Tabelle 3: Indikationen für Glucocorticoide, die sich nicht in erster Linie mit deren antiexsudativen oder antiproliferativen Wirkungen begründen lassen. Eine sichere Zuordnung zu pharmakologisch definierten Wirkungsweisen ist hier nicht immer möglich

Indikationen Wahrscheinliche Anfangs- Erhal- Anmerkungen zur Therapie Hauptwirkungen dosis tungs-

dosis in mg Pred., Tag Akute

Leukämien

Lympholyse 100-200

-

Therapiezyklen von 2 bis 4 Wochen als (Kinder: Bestandteil einer zytostatischen Poly- 60 mg/m 2 chemotherapie

KO)

Nur symptomatische Therapie, insbe- sondere bei hämolytischer Anämie und Thrombozytopenie

Maligne Lympholyse 50-200

-

Therapiezyklen von 2 Wochen als Be-

Lymphome standteil einer zytostatischen Polyche-

motherapie

Mamma Hemmung der Synthese 50-100 10-15 Bei Polychemotherapie Abbau bis zur

karzinom von NNR-Androgenen Erhaltungsdosis in 3 bis 4 Wochen

und -Östrogenen; gege- benenfalls Senkung des Serumkalziums

Palliativtherapie Psychische Stimulation; 15-30 10-15 Therapieversuch, bei Mißerfolg nach 2

bei Malignomen Hemmung perifokaler Wochen beenden

Ödeme; antitoxisch ge- gen Tumorzerfallspro- dukte

Hämolytische Hemmung des Erythro-, 100-200 10-15 Dosisreduktion erst nach Besserung Anämien Granulo- und Thrombo- der Befunde; bei Rezidiv, insbesondere

Immun- zytenabbaus? bei M. Werthof, Splenektomie und/oder

thrombopenien Azathioprin

Lipoidnephrose Verringerung der glo- 50-100 5-15 Bei Proteinurie von mehr als 3 g/Tag merulären Permeabilität (Kinder: hochdosiert 3 bis 4 Wochen; Erhal- für Plasmaproteine? 2 mg/kg) tungstherapie bei Erfolg

Nieren- Hemmung der Nephritis 100-1000 5-15 Dauerinfusion unmittelbar nach der transplantation im Gefolge der Immun- Transplantation und bei Abstoßungs-

reaktion; Lympholyse, krisen

Antipyrese Chronische

lymphatische Leukämie

Lympholyse 50-100

Hyperkalzämie- Senkung des Serumkal-

syndrom ziums

50-100

-

Gleichzeitig Infusion von 0,9%iger NaCI, Lasix® und KCI

Thyreotoxische Ausgleich eines relati- 100-200

-

sechsstündlich 25-50 mg i.v. bis zur

Krise ven Cortisoldefizites, klinischen Besserung

Antipyrese

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Heft 2 vom 10. Januar 1980 65

(6)

Glucocorticoide

antiexsudative Wirkung genutzt. Bei Apoplexie, Hirnmetastasen und Hirntraumatisierungen geht es vor- wiegend um die Hemmung perifoka- ler Ödeme.

Bei der Behandlung einer Anaphyla- xie oder eines malignen Infektions- syndroms ist auch eine ausreichen- de parenterale Volumensubstitution erforderlich, die allein aber nicht ge- nügt, um bei solchen, oft fulminant verlaufenden Krankheitsbildern den Kreislaufschockzu beheben. Beson- ders bei diesen Indikationsgruppen wird die Ähnlichkeit mit den ein- gangs geschilderten Beobachtun- gen am adrenalektomierten Tier im Streß deutlich. Offenbar liegt auch hier ein relatives Defizit an Gluco- corticoiden vor.

Bei Infektionskrankheiten sollten Glucocorticoide jedoch nur dann angewendet werden, wenn durch die Entzündung selbst eine vitale Gefährdung hervorgerufen wird. In der Regel ist eine solche Behand- lung kurzfristig. Eine Ausnahme bil- den bestimmte Formen der Lungen-, Perikard- und Urogenitaltuberkulo- se, bei denen eine längerfristige Ga- be von Glucocorticoiden die Bil- dung funktionell störender bindege- webiger Vernarbungen verhindern soll. Selbstverständlich muß bei je- der bakteriell bedingten Infektions- krankheit gleichzeitig eine geeigne- te antibakterielle Therapie durchge- führt werden.

Beim akuten Leberzerfallsind weder der Wirkungsmechanismus noch der Therapieerfolg durch die Gluco- corticoide als gesichert anzusehen.

Der Mangel an besseren therapeuti- schen Möglichkeiten rechtfertigt je- doch den kurzfristigen Versuch.

Die Immunenteritiden, das Asthma bronchiale und das Rheumatische Fieber leiten bereits teilweise zur an- tiproliferativen Therapie über.

Sehr verbreitet und zweifellos auch wirksam sind bei der Behandlung der Colitis ulcerosa Verweilklysmen, zum Beispiel mit Betamethason (Betnesol®). Wegen der enteralen Resorption ist diese Therapie jedoch

keineswegs frei von systemischen Nebenwirkungen. Da die Applikation nicht zyklusgerecht erfolgt, ist die NNR-Hemmung sogar größer als bei der zirkadianen oralen Therapie (sie- he Verordnungsweise und Neben- wirkungen der Glucocorticoide in einem der folgenden Hefte).

2.2. Vorwiegend

antiproliferative Therapie

In der Tabelle 2 sind die wichtigsten Erkrankungen zusammengestellt, die sich für eine vorwiegend antipro-

‚iterative Therapie eignen.

Die Kollagenosen stellen in dieser Gruppe die klassischen Indikationen für die Glucocorticoide dar. Insbe- sondere beim akuten Lupus erythe- matodes visceralis ist in der Regel eine kombinierte Behandlung mit Azathioprin (Imurek®) oder sogarzu- sammen mit einem alkylierenden Zytostatikum erforderlich.

Eine Besonderheit, die nicht ohne weiteres verständlich ist, gibt es bei der Therapie der Leberzirrhose. Auf- grund einer großen klinischen Stu- die ist bekannt, daß nur bei Frauen mit nichtalkoholischer Zirrhose oh- ne Aszites die Überlebenszeit signifi- kant verlängert werden kann. Bei Männern ist diese Behandlung da- gegen bezüglich der Überlebenssta- tistik ohne Erfolg.

Bei der chronischen Polyarthritis (rheumatoiden Arthritis neuer No- menklatur) sollte man mit der Gluco- corticoidbehandlung besonders zu- rückhaltend sein und nie mit hohen Dosen beginnen.

2.3. Weitere Indikationen

In der Tabelle 3 sind Indikationen für die Glucocorticoide zusammenge- faßt, die sich nicht vorwiegend mit den antiexsudativen oder antiproli- ferativen Wirkungen begründen las- sen.

Die eigentlichen Wirkungsmecha- nismen sind in dieser Gruppe nur teilweise aufgeklärt.

Bei den akuten Leukämien, der chronischen lymphatischen Leukä- mie und den malignen Lymphomen ist die sogenannte Lympholyse wahrscheinlich die Hauptwirkung.

Die therapeutischen Erfolge durch die Glucocorticoide sind bei den akuten lymphatischen Leukämien im Kindesalter und bei der Lympho- granulomatose, Stadium III und IV, am besten.

Bei den soliden Tumoren ist nur beim Mammakarzinomdie Wirksam- keit gesichert. Ein hormonaler Wir- kungsmechanismus durch eine Be- einflussung der Sexualhormonbil- dung der Nebennierenrinde wird da- für diskutiert. Außerdem neigen Pa- tienten mit Mammakarzinom, wenn sie Knochenmetastasen haben oder mit Östrogenen behandelt werden, zur Hyperkalzämie. Auch hierauf ist ein günstiger Einfluß durch die Glu- cocorticoide zu erwarten.

Unklar ist der Wirkungsmechanis- mus bei den Immunanämien und -thrombozytopenien. Ob Glucocorti- coide lmmunsuppressiva sind, ist fraglich. Der Titer der Immunglobuli- ne verändert sich unter der Therapie kaum.

Auch die eindrucksvolle Reduktion der lymphatischen Gewebe bei klei- nen Nagetieren (Darstellung 1) läßt sich nur mit Einschränkungen auf den Menschen übertragen. Wahr- scheinlich beeinflussen die Gluco- corticoide weniger die Immunreak- tion selbst, als vielmehr die Antwort der Zellen und Gewebe darauf. Von einem solchen unspezifischen Wir- kungsmechanismus wird man auch bei der Behandlung Nierentrans- plantierter mit Glucocorticoiden ausgehen müssen.

Der klinische Terminus Lipoidne- phrose ist etwa gleichbedeutend mit dem histologisch definierten Begriff Minimalläsion oder minimal change nephritis. Damit wird ein nephroti- sches Syndrom ohne lichtmikrosko- pisch nachweisbare Veränderungen der Nierengewebe bezeichnet. Eine Lipoidnephrose liegt bei Kindern in etwa 75 Prozent, bei Erwachsenen in

66 Heft 2 vom 10. Januar

1980 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

(7)

BEKANNTMACHUNG DER BUNDESÄRZTEKAMMER

teitiete ,

Risikofaktoren, Nahrungsfette und degenerative

Herz- und Gefäßerkrankungen

Ergänzende Stellungnahme des Wissenschaftlichen Beirates der Bundesärztekammer zu seinen Empfehlungen

im DEUTSCHEN ÄRZTEBLATT, Heft 39/1978, Seite 2193 ff.

MezeAreeeze: Vitlel»pg Die den qualitativen Fettverzehr (Verhältnis gesättigter zu mehr- fach ungesättigten Fettsäuren in der Nahrung) betreffenden Ab- schnitte der Empfehlungen ha- ben eine Diskussion in den Me- dien hervorgerufen (Medical Tri- bune 44/1978, Süddeutsche Zei- tung 263/1978, und andere). Die- se Diskussion hat den Wissen- schaftlichen Beirat veranlaßt, ei- ne aus Klinikern, Biochemikern und einem Statistiker zusammen- gesetzte Kommission mit der Bit- te um Stellungnahme zu den um- strittenen Abschnitten der Emp- fehlungen einzusetzen. Diese Kommission setzte sich wie folgt zusammen: Professor Dr. M. Ar- nold, Tübingen; Professor Dr. E.

Buddecke, Münster; Professor Dr. J. Michaelis, Mainz; Privatdo- zent Dr. H. B. Stähelin, Basel, und Professor Dr. W. Stauffacher, Ba- sel. Die Kommission, deren Ar- beit durch Terminschwierigkei- ten verzögert wurde, kam nach mehreren Sitzungen zu einem einstimmigen Votum.

Aufgrund der Kommissionsarbeit kam der Wissenschaftliche Beirat zu der Auffassung, daß zum ge- genwärtigen Zeitpunkt dezidier- te, an die Gesamtbevölkerung ge- richtete Empfehlungen zum qua- litativen Fettverzehr wissen- schaftlich nicht ausreichend be- gründet sind. Er stellt in Überein- stimmung mit der Kommission und dem Originator der Empfeh- lungen fest, daß diese — soweit sie sich auf den Ersatz gesättigter durch mehrfach ungesättigte

Fettsäuren beziehen — interpre- tations- und ergänzungsbedürf- tig sind. Alle übrigen Aussagen der Empfehlungen sind unstrit- tig. Das gilt insbesondere auch für die Abschnitte, die sich mit der wünschenswerten Kalorien- zufuhr und dem quantitativen

Fettverzehr befassen.

Der Wissenschaftliche Beirat be- hält sich vor, die Problematik er- neut aufzugreifen, sobald sich ei- ne Klärung der strittigen Fragen abzeichnet. Er hat daher eine ur- sprünglich geplante und bereits vorbereitete Umfrage bei einer großen Zahl von Fachleuten des In- und Auslandes vorerst zurück- gestellt.

Der Wissenschaftliche Beirat be- dauert, daß eine wissenschaftli- che Auseinandersetzung über die Bedeutung der Nahrungsfette bei der Entstehung und Verhütung degenerativer Herz- und Gefäß- krankheiten durch die Einfluß- nahme kommerzieller Interessen erschwert wird. Er bedauert be- sonders den gegen den Origina- tor der Empfehlungen zu Unrecht

— wie sich der Beirat überzeugen konnte — erhobenen Vorwurf, er habe bei der Abfassung des Tex- tes das Urheberrecht verletzt.

Professor Dr. med.

Hanns-Peter Wolff Vorsitzender

des Wissenschaftlichen Beirates der Bundesärztekammer Langenbeckstraße 1 6500 Mainz

Glucocorticoide

etwa

20

Prozent der Fälle mit ne- phrotischen Syndromen zugrunde.

Bei diesen Patienten läßt sich die Proteinurie in der Regel durch Glu- cocorticoide günstig beeinflussen.

Die Behandlung soll drei bis vier Wochen mit einer hohen Dosis erfol- gen. Vom Behandlungserfolg hängt es ab, ob danach eine Erhaltungs- therapie erfolgt.

Bei anderen Proteinurien, zum Bei- spiel durch Amyloidose, diabetische Nephropathie, Arzneimittel, Infek- tionskrankheiten oder Nierenvenen- thrombose, sind Glucocorticoide eher schädlich. Bei Glomerulone- phritiden sind sie nutzlos, allerdings wird beim Goodpasturesyndrom die Lungenblutung günstig beeinflußt.

Literatur

Brennan, M. J.: Corticosteroids in the Treat- ment of solid Tumors, Med. Clins N. Am. 57 (1973) 1225-1239 — Copenhagen Study Group for Liver Diseases: Sex, Aszites and Alcoholism in Survival of Patients with Cirrhosis, New Engl. J. Med. 293 (1974) 271-273 — Fenster, L.

F.: The Ulcerogenic Potential of Glucocor- ticoids and Possible Prophylactic Measures, Med. Clins N. Am. 57 (1973) 1289-1295 — Good- man, L. S.; Gilman, A.: The Pharmacological Basis of Therapeutics, Macmillan Publishing Co., Inc., New York (1975) 1472-1506 — Grabner, A. L.; Ney, R. L.; Nicholson. W. E.;

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Endocr. Metab. 25 (1965) 11-16 — Harter, J. G.;

Reddy, W. J.; Thorn, G. W.: Studies an an lntermittent Corticosteroid Dosage Regimen, New Engl. J. Med. 269 (1963) 591-596 — Kaiser, H.: Cortisonderivate in Klinik und Praxis, Georg Thieme Verlag Stuttgart (1977) — Levine, R.; Goldstein. M. S.: Glucocorticoid Action of Adrenocortical Hormones. Handbuch der ex- perimentellen Pharmakologie 14/2 (1964) 1-26

— Schäfer, E. L.; Buchholz, R.: Nebenwirkun- gen und Gefahren der Hormontherapie, Georg Thieme Verlag Stuttgart (1974) 32-128 —Zurier, R. B.; Weissmann, G.: Anti-Immunulogic and Anti-Inflammatory Effects of Steroid Therapy, Med. Clins N. Am. 57 (1973) 1295-1307

Anschrift der Verfasser:

Professor Dr. med. Rudolf Gross Dr. med. Volker Schulz

Medizinische Universitätsklinik Köln Joseph-Stelzmann-Straße 9

5000 Köln 41

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Heft 2 vom 10. Januar 1980 67

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