Deutsches Ärzteblatt
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6. Mai 2011 A 1023 HEPATITIS-C-THERAPIEProteaseinhibitor Boceprevir verbessert Ansprechraten
European Association for the Study of the Liver: Die Behandlung von HCV-Infizierten des häufigen Genotyps 1 wird deutlich verbessert, allerdings auch komplexer.
W
eltweit sind der Weltgesund- heitsorganisation zufolge drei Prozent aller Menschen, also ge- schätzte 180 Millionen, mit dem Hepatitis-C-Virus (HCV) infiziert.Die Prävalenz liegt in Deutschland bei circa einem Prozent aller Er- wachsenen. Aber: Fast 75 Prozent der HCV-Infizierten wissen nichts von ihrer Erkrankung und sind da- her unbehandelt. Es ist deshalb zu erwarten, dass in den nächsten Jah- ren als Folgeerscheinung die Anzahl an Leberzirrhosen und hepatozellu- lären Karzinomen zunehmen wird, erklärte Prof. Dr. med. Michael P.
Manns (Medizinische Hochschule Hannover). Vor allem die Behand- lung von HCV-Infizierten des Ge- notyps 1 (sie machen den Haupt - anteil von sechs bekannten Genoty- pen aus) mit dem Standardregime Peginterferon plus Ribavirin über 48 Wochen erwies sich als unbe - friedigend.
Als Therapieziel wird die Virus eradikation an- gestrebt, so dass der Zu- stand der „Sustained Vi- rologic Response“ (SVR) eintritt, der die Möglich- keit der Heilung eröffnet.
Hierbei ist die HCV- RNA 24 Wochen nach Therapieende nicht mehr im Plasma nachweisbar.
Dann kommt es erfah- rungsgemäß nur noch selten zum Rezidiv. Bei Genotyp-1-Trägern ge- lingt dies jedoch nur in circa 30 Prozent der Fäl- le. Einen Paradigmen- wechsel für diese Patien- ten wird laut Manns
„in naher Zukunft“ eine Dreierkombination ein- leiten, die über ein „Boosting“ des Immunsystems direkt auf das Virus einwirkt. Vermittelt wird dieser Ef- fekt durch neu entwickelte Protease - inhibitoren, die die Therapiedauer von 48 Wochen auf 24 bis 36 Wo- chen vermindern und eine SVR von 70 bis 80 Prozent erzielen werden.
Drei Studiengruppen
In Berlin wurden die Ergebnisse von zwei placebokontrollierten ran- domisierten Phase-III-Studien des Proteasehemmers Boceprevir vor- gelegt (HCV-SPRINT-21 und HCV- RRESPOND-22), die im „New Eng- land Journal of Medicine“ (2011;
364: 1195–206 und 1207–17) veröf- fentlicht wurden. Wie Dr. Ra fael Esteban von der Universität Barce-
lona berichtete, nahmen an HCV- SPRINT-2 1 097 bislang unbehan- delte (naive) Patienten mit chro - nischer HCV-Genotyp-1-Infektion teil. Alle Patienten erhielten zu- nächst Peginterferon in Kombinati- on mit Ribavirin. Danach erfolgte die je nach Therapiearm variierende Behandlung. Es gab drei Studien- gruppen:
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Gruppe 1 erhielt die Stan- dardmedikation über 44 Wochen.●
Gruppe 2 erhielt über 24 Wo- chen die Tripletherapie mit Pe g - interferon plus Ribavirin plus Bo- ceprevir. Diese Therapie wurde nach 24 Wochen beendet, wenn die Patienten ab der 8. bis 24. Woche keine HCV-RNA mehr zeigten; ge- lang dies nicht, wurde die Therapie ohne Boceprevir bis zur Woche 44 weitergeführt.●
Gruppe 3 wurde ab Woche 8 bis 44 durchgehend mit dem Drei- fachregime behandelt.Eine SVR wurde erreicht bei 38 Prozent der Patienten von Grup- pe 1, 63 Prozent von Gruppe 2 und 66 Prozent von Gruppe 3. Damit ließ sich zeigen, dass die Bocepre- vir-Kombination hochwirksam ist und eine deutliche Erhöhung der Ansprechrate gegenüber der Stan- dardtherapie erzielt. „In vielen Fäl- len reichte bis zur SVR eine Thera- piedauer von 24 Wochen aus, wo- bei die Viruslast bereits zu Beginn stark abnahm.
Vorteilhaft ist die Therapie mit dem Proteaseinhibitor auch für vor- behandelte Patienten mit Genotyp 1, wie die RESPOND-2-Studie mit 403 Teilnehmern zeigt. Sie schloss allerdings Patienten aus, bei denen es unter der früheren Standardthera- pie mit Peginterferon plus Ribavirin nach 12 Wochen nur zu einem gerin-
1HCV-SPRINT-2 = HCV Serine Protease Inhibitor Therapy 2
2HCV-RESPOND-2 = HCV Retreatment with HCV Serine Protease Inhibitor Boceprevir and PegIn- tron/Rebetol 2
Das Hepatitis- C-Virus wurde
erstmals 1988 identifiziert. Man unterscheidet sechs Genotypen und 30 Subtypen.
Abbildung: Your Photo Today
P H A R M A
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6. Mai 2011 gen Rückgang der Viruslast gekom-men war. Unter diesen eingeschränk- ten Bedingungen wurden jedoch ähnlich gute Ergebnisse erzielt wie in der SPRINT-2-Studie: Während in der Kontrollgruppe nur sieben Prozent eine SVR erreichten, betrug der Anteil unter der responsegesteu- erten Tripletherapie 40 Prozent.
Dr. Steven Flamm (Northwest - ern University Chicago) betonte in Berlin, dass die Therapie der Zu- kunft mit Proteaseinhibitoren we- sentlich komplexer und damit kei- neswegs einfacher, wohl aber erheb- lich erfolgreicher in der SVR-Rate werde. Es sei durchaus zu vertre- ten, den demnächst zu erwartenden Einsatz von Proteaseinhibitoren als Beginn einer neuen Ära zu werten.
Immerhin seien 64 Prozent der Pa- tienten mit Boceprevir plus Stan- dardmedikation heilbar, ein Rezidiv sei in zwölf Prozent zu erwarten.
An unerwünschten Wirkungen zeigten sich Flamm zufolge in SPRINT-2 Fatigue (Gruppe 1–3: 53, 57 und 60 Prozent), Kopfschmerzen (46, 46 und 42 Prozent), Übelkeit (48, 43 und 42 Prozent), Anämie (49, 49 und 29 Prozent) sowie Ge- schmacksstörungen (37, 43 und 18 Prozent). Patienten mit Anämie er- hielten Erythropoietin zu 43 Pro- zent in den Boceprevir-Gruppen und zu 21 Prozent unter Standardthera- pie. Es ereigneten sich sechs Todes- fälle (vier in der Kontrollgruppe, zwei in den Boceprevir-Armen).
Zwei Suizide wurden in Zusam- menhang mit der Peginterferon- Einnahme gebracht.
Nadine Piorkowsky als Präsi - dentin der European Liver Patients Association wies in ihrem Referat ausdrücklich auf den häufig un - terschätzten Wirtschaftsfaktor bei chronischer HCV-Infektion hin und auf die irgendwann enormen Be- handlungskosten bis hin zur Leber- transplantation, wenn sich Fibrose, Zirrhose oder Leberkrebs einstell- ten. Sie erhofft sich durch Pro - tease inhibitoren eine wesentliche Verbesserung der Therapiechancen für Millionen Betroffene. ■
Dr. phil. Barbara Nickolaus
Quelle: Presseworkshop des Unternehmens MDS beim 46. Jahrestreffen der European Association for the Study of the Liver in Berlin
Rote-Hand-Brief zum Auftreten von Thromboembolien im Zusammen- hang mit Thalidomide Celgene – Thalidomid ist in Kombination mit Melphalan und Prednison zugelassen für die Erstlinienbehandlung von Pa- tienten mit unbehandeltem multiplem Myelom ab einem Alter von 65 Jahren beziehungsweise von Patienten, für die eine hochdosierte Chemotherapie nicht infrage kommt. Das Unternehmen Cel- gene informiert in einem Rote-Hand- Brief über ein erhöhtes Risiko für das Auftreten von arteriellen thromboem- bolischen Ereignissen (einschließlich Myokardinfarkten und zerebrovaskulä- re Ereignissen) zusätzlich zu dem be- kannten Risiko für venöse thromboem- bolische Ereignisse bei Patienten, die mit Thalidomid behandelt werden.
Bei den meisten Patienten mit ve- nösen oder arteriellen thromboemboli- schen Ereignissen im Zusammenhang mit einer Thalidomid-Behandlung la- gen erkennbare Risikofaktoren für Thromboembolien vor. Es sollten da- her nach Empfehlung des Herstellers Maßnahmen ergriffen werden, um alle beeinflussbaren Risikofaktoren (zum Beispiel Rauchen, Hypertonie und Hy- perlipidämie) zu mindern. Ärzten wird geraten, vor einer Therapie mit Thali- domid die Notwendigkeit einer Throm- boseprophylaxe zu erwägen.
Einstellung der Produktion von Anemet® wegen potenzieller Arrhythmien – Dolasetron ist ein se- lektiver Serotonin(5-HT3)-Rezeptor - antagonist. Bislang war die Darrei- chungsform 200 mg Tabletten zuge- lassen zur Vorbeugung und Behand- lung von Übelkeit und Erbrechen bei zytostatischer Chemotherapie ein- schließlich hochdosierten Cisplatins.
Bereits im Februar hatte Sanofi-Aven- tis auf die Zulassung der intravenösen Formulierung von Dolasetronmesilat wegen des Risikos von Arrhythmien verzichtet. Da weitergehende pharma- kokinetische Auswertungen den Ver- dacht nahelegen, dass auch nach ora- ler Gabe von 200 mg höhergradige Verlängerungen des QT-Intervalls nicht auszuschließen sind. Der Hersteller hat daher entschieden, die Produktion al-
ler Wirkstärken und Darreichungsfor- men von Dolasetron einzustellen.
Lymphome bei Frauen mit Brustim- plantaten sind selten – Das Bundes- institut für Arzneimittel und Medizin- produkte und die Food and Drug Admi- nistration der USA haben kürzlich auf einen möglichen Zusammenhang zwi- schen Brustimplantaten und einer Form von Lymphknotenkrebs hinge- wiesen. Weltweit wurden bislang 34 Fälle publiziert, in denen es bei einem Brustimplantat zu einem anaplasti- schen großzelligen Lymphom (ALCL) kam. Die Patientinnen waren durch- schnittlich 51 Jahre alt, und die Im- plantierung lag im Median acht Jahre zurück. Aus Deutschland wurde bisher ein Fall veröffentlicht. Die Deutsche Ge- sellschaft für Hämatologie und Onkolo- gie geht derzeit nicht von einer hohen Gefahr für Patientinnen aus. „Wichtig ist es, auftretende Fälle zu identifizieren und Patientinnen entsprechend aufzu- klären“, betont Prof. Dr. med. Gerhard Ehninger, Geschäftsführender Vorsit- zender der Fachgesellschaft.
Nutzen von Memantine nun doch bestätigt – Nachdem der Hersteller des Alzheimer-Medikaments Meman- tin (Firma Merz) eine ergänzende Aus- wertung von Studiendaten vorgelegt hat, sieht das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswe- sen (IQWiG) zumindest für eine Thera- piedauer von sechs Monaten Belege für einen Nutzen des Wirkstoffs bei der Kognition und einen Hinweis auf nutz- bringende Anwendung bei alltagsprak- tischen Fähigkeiten. Damit ändern sich die Schlussfolgerungen der ersten IQWiG-Nutzenbewertung aus dem Jahr 2009. Eine erneute, der Fragestellung angemessene Auswertung von Stu - diendaten hatte das IQWiG bei der Firma Merz eingefordert. Memantine bildet als mittelaffiner NMDA(N-Me- thyl-D-Aspartat)-Antagonist mit gluta- matergen Wirkprinzip eine eigenstän- dige Klasse unter den Antidementiva.
Der Wirkstoff ist als Axura (Merz) und Ebixa (Lundbeck) zur Behandlung von mittelschwerer bis schwerer Alzhei- mer-Demenz zugelassen. EB