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Die Kassenärzteschaft lehnt das

"Kostenverlagerungsgesetz'' aus vielen guten Gründen ab

Bericht zur Lage,

erstattet von Dr. med. Rolf Schlögell,

Hauptgeschäftsführer der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, vor der Vertreterversammlung der KBV

am 9. Mai 1977 in Saarbrücken

Der Beschluß des Vorstandes der Kassenärztlichen Bundesvereini- gung, mir den Bericht über den der- zeitigen Stand der parlamentari- schen und außerparlamentarischen Erörterungen über die Kostenent- wicklung in der sozialen Kranken- versicherung und über beabsichtig- te bzw. drohende Eingriffe in das Kassenarztrecht zu erstatten, hat mich ganz besonders gefreut. Erhal- te ich doch damit die Gelegenheit, der Vertreterversammlung in der letzten Sitzung, an der ich als Haupt- geschäftsführer nach einer bis auf knapp drei Monate 30jährigen Be- rufstätigkeit für die Kassenärztliche Bundesvereinigung und ihre Vor- gänger-Organisation teilnehme, Ausführungen zu Entwicklungen und zu Tendenzen in der Gesell- schafts- und in der Sozialpolitik zu machen, die in diesem Zeitraum weitgehend die Art meiner Arbeit be- stimmten. Ich empfinde es als hohe Ehre, heute vor Ihnen den Bericht erstatten zu dürfen, und hoffe nur, daß er Sie nicht allzu sehr enttäu- schen möge.

..,.. Zentralpunkt des Berichtes muß naturgemäß der Stand der Bera- tungen über den Entwurf eines

Krankenversicherungs-Kösten- dämpfungsgesetzes sein, dessen 2.

und 3. Lesung im Deutschen Bun- destag in drei Tagen erfolgen wird und dessen zweite Behandlung im Plenum des Bundesrates für den 3.

Juni vorgesehen ist.

Schon die Kurzbezeichnung dieses Gesetzentwurfes muß berechtigte

Zweifel wecken, ob sie Sinn, Zweck und Ziel richtig wiedergibt; ich meine, daß der Gesetzentwurf im Zusammenhang mit dem Renten- Anpassungsgesetzentwurf gesehen besser die Bezeichnung "Sozialver-

sicheru ngs-Kosten-Verlageru ngs- gesetz" tragen würde. Kostenverla- gerungen erfolgen nämlich in einem bisher nicht bekannten Ausmaß; ein Drittel der Kosten der Durchführung des Krankenversicherungsschutzes der Rentner wird von den Trägern der Renten- auf die der Krankenver- sicherung überwälzt; die Kosten der beruflichen Rehabilitation und die Zahlung eines Rentenversiche- rungsbeitrages für Arbeitslose wer- den auf die Bundesanstalt für Arbeit übertragen und die Kosten der Kran- kenhausbehandlung bei Arbeitsun- fällen ab dem ersten Tag von der Krankenversicherung auf die Unfall- versicherung verlagert; wobei diese Aufführung keinen Anspruch auf Vollständigkeit erhebt.

Die wichtigsten Einzelteile des In- halts der beiden sachlich miteinan- der eng zusammenhängenden Ge- setzentwürfe können noch einmal folgendermaßen rekapituliert wer- den:

C> Eine Wahlkampfversprechen al-

ler Parteien des Bundestages einlö- sende Erhöhung der laufenden Ren- ten zum 1. Juli 1977;

C> Verschiebung der nächsten Ren-

tenanpassung auf den 1. Januar 1979, das heißt sechs Monate später,

als es dem seitherigen Turnus ent- spricht.

C> Ein temporär mögliches Verlas-

sen der Bruttolohnbezögenheit bei der Neufestsetzung und Anpassung von Renten, mindestens jedoch Net- tolohnbezogenheit;

C> keine Erhöhung des Rentenver-

sicherungsbeitrages, kein geson- derter Krankenversicherungsbeitrag für Rentner;

C> und schließlich Ersatz de.r seither

gesetzlich vorgeschriebenen Ab- schnittsdeckung in Höhe von drei Monatsausgaben bei den Renten- versicherungsträgern durch eine solche von einer Monatsausgabe und damit Abschmelzen eines Ver- mögens im Wert von rund 25 Milliar- den DM bei den Rentenversiche- rungsträgern, in erster Linie bei der BfA.

C> Ferner sollen eine Reihe neuer

beitragserhöhender oder leistungs- beschränkender Bestimmungen be- sonders für freiwillige Mitglieder der Rentenversicherung eingeführt wer- den. Diesen Fragenkomplex will ich jedoch im einzelnen nicht behan- deln; er wird nur zur Darstellung des Hintergrundes angeführt, vor dem sich die Entwicklung des Entwurfs des sogenannten· Krankenversiche-

rungs-Kostendämpfungsgesetzes vollzog und vollzieht.

Die Intensität der Diskussion über die Kostendämpfung in der Kran- kenversicherung hat einen für den angestrebten und bereits politisch vorausgesagten Erfolg der von der Bundesregierung vorgeschlagenen Sanierungsmaßnahmen wichtigen Vorgang aus der jüngsten Vergan- genheit erstaunlicherweise fast voll- kommen in den Hintergrund treten lassen, nämlich die neuerliche Be- wertung der allgemeinen wirtschaft- lichen Entwicklung im Jahre 1977 durch eine Reihe von renommierten Wirtschaftsforschungsinstituten.

Die vor wenigen Tagen veröffent- lichten Ergebnisse bedeuten eine deutliche Rücknahme von im Herbst 1976 ausgesprochenen Erwartun-

DEUTSCHES ARZTEBLATT Heft 20 vom 19. Mai 1977 1327

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Schlögell: Bericht zur Lage

gen: Das Wirtschaftswachstum, das entscheidende Auswirkungen auf die gesamtwirtschaftliche Lage hat, wird um 1-2 Prozent, das heißt von der Basis aus gerechnet knapp 20- 40 Prozent geringer eingeschätzt als vor einem halben Jahr. Die durch- schnittliche Zahl der Arbeitslosen im Jahre 1977 wird um 100 000 bis 200 000 höher angenommen; und nur der Preisanstieg wird um 0,5 Prozent geringer erwartet. Die Tarif- abschlüsse liegen für große Wirt- schaftsbereiche nicht unerheblich unter 7,5 Prozent, die man für das Stabi I isieru ngsprogram m zugrunde legte. Aus allen Angaben kann man vorläufig nur den Schluß ziehen, daß die rechnerischen Grundlagen der Bundesregierung für die Stabilisie- rung der Finanzlage der Rentenver- sicherungsträger zweifelhaft, zu- mindest aber nicht unbedingt "si- cher" sind.

Dies klarzustellen schien mir deswe- gen wichtig, weil aus einer nicht den Grundannahmen entsprechenden realen Entwicklung im gesamten Wirtschaftsleben unter Umständen ein permanenter Zwang zu immer neuen gesetzgabarischen Eingriffen ausgehen kann. Angesichts der Be- deutung einer stabilen Finanzlage der Rentenversicherungsträger und der unübersehbaren Gefahren, die angesichts der Bundesgarantie für finanzielle Deckungslücken in einer immer stärker werdenden Abhän- gigkeit dieses Zweiges der Sozial- versicherung vom Staatshaushalt liegen würden, kommt nach meiner Überzeugung der Beobachtung sol- cher Entwicklungen wesentlich grö- ßere Bedeutung zu als der weitge- hend künstlich hochgepeitschten und hochgehaltenen Diskussion um die weitere Kostenentwicklung in der Krankenversicherung.

Wer sich die äußerst erregte Reak- tion der Öffentlichkeit nach der Of- fenlegung der wirklichen Finanzlage in der Rentenversicherung im un- mittelbaren Anschluß an die letzten Bundestagswahlen vom 3. Oktober 1976 noch einmal vergegenwärtigt und sie mit dem jetzigen Stand der öffentlichen Diskussionen ver- gleicht, der muß es neidlos als eine

erstklassige publizistische Meister- leistung des neuen Arbeitsministers und seiner Mitarbeiter sowie der Parteien der Regierungskoalition bezeichnen, daß es in erstaunlich kurzer Zeit gelungen ist, die finanzi- ell bedrohliche Lage und die zu ihrer kurzfristigen Behebung für notwen- dig erachteten Maßnahmen in der Rentenversicherung aus der öffent- lichen politischen Auseinanderset- zung einschließlich der Behandlung in den Massenmedien fast völlig her- auszunehmen. Kaum jemand spricht noch davon; statt dessen läuft seit Monaten die Diskussion über die Kostendämpfung in der Krankenver- sicherung, ihre dringende Notwen- digkeit, die schwere Verantwortung, die alle diejenigen tragen müssen, die gegen diesen Gesetzentwurf sind, usw. überall auf höchsten Touren.

Dies mußte zur Folge haben, daß der nicht eingeweihte Normalbürger in unserem Lande zunehmend den Eindruck gewann und wohl auch ge- winnen sollte, daß das eigentliche Problem in der Krankenversiche- rung liege und daß dort bisher kei- nerlei Bemühungen um eine Kosten- dämpfung unternommen worden seien.

..,.. Dabei sprechen die Realitäten doch eine deutliche, ganz andere Sprache: Nach den Unterlagen der Kassenärztlichen Vereinigungen sind die Ausgaben für ambulante kassenärztliche Versorgung je Mit- glied in den ersten drei Quartalen des Jahres 1976 im Durchschnitt al- ler RVO-Kassen nur um 6,72 Prozent und die Ausgaben für vertragsärzt- liche Behandlung bei den Ersatzkas- sen um 4,85 Prozent gegenüber den Vergleichsquartalen des Vorjahres gestiegen. Das ergibt im Durch- schnitt eine Gesamtsteigerung um 6,11 Prozent.

..,.. Ähnlich günstige Entwicklungen sind nach Angaben aus Krankenkas- senkreisen für die konservierende Zahnbehandlung, aber auch für die Kosten der Arznei-, Verband-, Heil- und Hilfsmittel und der stationären Krankenhausbehandlung festzu- stellen.

1328 Heft 20 vom 19. Mai 1977 DEUTSCHES ARZTEBLATT

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Jeder, der angesichts dieser Ent- wicklung den Erfolg der seitherigen Kostendämpfungsbemühungen ne- giert oder zu schmälern sucht, muß sich mangelnde Bereitschaft zur An- erkennung der Realitäten vorhalten lassen oder aber den Willen, wider besseren Wissens so zu tun, als gebe es diese Erfolge des Bemü- hans der an der Durchführung der Krankenversicherung Beteiligten um eine freiwillige Kostendämpfung nicht. Die bisher vorliegenden Ab- rechnungsergebnisse des vierten Quartals 1976 lassen erkennen, daß durch sie höchstens noch eine wei- tere Verringerung der von mir ge- nannten Zuwachsraten eintreten kann; das gleiche kann man auf un- serem Sektor schon heute für die Entwicklung der Abrechnung des 1.

Quartals 1977 sagen.

..,.. Nicht unbekannt dürfte den sachkundigen Politikern auch sein, daß nach den Angaben der Arbeits- gemeinschaft Deutscher Apotheker in den ersten Monaten des Jahres 1977, verglichen mit den gleichen Monaten des Vorjahres, erstmalig eine Senkung sowohl der Zahl der Rezepte um etwa 8 Prozent als auch ein Rückgang des Durchschnitts- wertes der Verschreibungen je Re- zept festzustellen war. Man sprach von einem "Einbruch" in die Kosten der Verschreibung von Arznei-, Ver- band-, Heil- und Hilfsmitteln.

Da man solche Tatsachen

a

Ia lon-

gue nicht einfach negieren konnte, haben einige Sozialpolitiker bedau- erlicherweise zu untauglichen Hilfs- argumenten gegriffen. Man erklärte kurzerhand, der Ablauf der inner- ärztlichen Diskussion um die soge- nannte Empfehlungsvereinbarung beweise, daß die kassenärztliche Selbstverwaltung aus sich selbst heraus ja gar nicht in der Lage sein werde, eine kostendämpfende Ent- wicklung über eine längere Periode durchzuhalten, und die Tatsache, daß in drei KV-Bereichen Verträge unter Berücksichtigung der Emp- fehlungsvereinbarung noch nicht zustande gekommen seien, beweise ferner schlüssig den mangelnden Willen von Teilen der kassenärztli- chen Selbstverwaltung zur Durch-

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Händedruck Muschalliks für seinen im Sommer aus dem Amt des Hauptgeschäfts- führers der Kassenärztlichen Bundesvereinigung scheidenden Freund Schlögell:

Ein „Dankeschön!" nach dessen gründlicher und kritischer Analyse des „Kosten- verlagerungsgesetzes", die auf diesen Seiten im Wortlaut wiedergegeben ist führung der Empfehlungsvereinba-

rung.

Diese Argumente müssen merkwür- dig berühren; daß eine Maßnahme wie die Empfehlungsvereinbarung zwischen den Bundesverbänden der RVO-Kassen und der KBV in einer demokratischen Selbstverwaltung debattiert und damit auch kritisiert wird, sollte eigentlich als eine Selbstverständlichkeit gelten, ja als ein Beweis für die Qualität demokra- tischer Willensbildung und nicht etwa als ein Beweis des Gegenteils.

Was den noch fehlenden Abschluß der Verträge in drei KV-Bereichen anbetrifft, so liegt dem, wie man durch Rückfrage leicht hätte fest- stellen können, nicht etwa mangeln- de Bereitschaft zur Durchführung der Empfehlungsvereinbarung zu- grunde, sondern die noch nicht er- folgte Einigung über Detailregelun- gen im Rahmen der Empfehlungs- vereinbarung:

Diese gebrauchten Hilfsargumente sind also falsch; ihre Verwendung beruht entweder auf einer bedauerli- chen Informationslücke, was in An- betracht unserer intensiven Aufklä- rungsarbeit eigentlich kaum vor- stellbar ist, oder sie erfolgte mit poli- tischer Zweckbestimmung zur Ver- teidigung der Ziele des Regierungs- entwurfs, koste es, was es wolle.

Im Zusammenhang mit unserer deutlichen Ablehnung der grund- sätzlichen Tendenzen des Referen- ten- und des Regierungsentwurfs ei- nes Krankenversicherungs-Kosten- dämpfungsgesetzes sind uns weite- re politische Argumente entgegen- gehalten worden, die ich einmal scherzhaft als die Palmström-Argu- mente bezeichnen möchte: „. . weil nicht sein kann, was nicht sein darf."

Da hieß es zum Beispiel: Es treffe keinesfalls zu, ja sei eine böswillige Verleumdung, wenn behauptet werde, daß der Gesetzentwurf eine Einheitskrankenversicherung förde- re; das Gegenteil sei der Fall: Die Gliederung in der sozialen Kranken- versicherung werde ausdrücklich gestützt. Ebenso stimme es nicht,

daß etwa die Vertragsfreiheit in der sozialen Krankenversicherung ein- geschränkt werde. Im Gegenteil, sie werde erweitert, und dasselbe gelte auch für den Handlungsspielraum und damit die Bedeutung ..der Selbstverwaltungen und der ge- meinsamen Selbstverwaltung.

• Demgegenüber sind wir unverän- dert der Auffassung, daß der Gesetz- entwurf in seiner jetzigen Fassung den größten gesellschafts- und so- zialpolitischen Eingriff in gewachse- ne und bewährte Strukturen, in die Gliederung unseres gesamten So- zialversicherungssystems seit Be- stehen der Bundesrepublik darstellt.

Wer den Aufbau, die Formulierung und die Auswirkungen der Bestim- mungen des Kostendämpfungsge- setzes kritisch wertet, dem kann der Gedanke nicht von vornherein als absurd erscheinen, daß der eine oder andere Systemveränderer viel- leicht plötzlich doch gesehen hat, welche große, ja einmalige Chance die Misere in der Entwicklung der

Finanzlage der deutschen Renten- versicherung bot, auch tiefe Eingrif- fe in die bisherige Struktur der Kran- kenversicherung vorzunehmen.

Angesichts der Priorität, diefür nahe- zu jeden Bürger unseres Landes die möglichst vollkommene Sicherung der Rentenzahlung für den Fall des Alters oder der Invalidität zum Bei- spiel im Vergleich zur Funktion der Krankenversicherung besaß und be- sitzt, konnte man jeden Widerspruch oder gar Widerstand von Kranken- häusern, Apothekern, pharmazeuti- scher Industrie, Zahnärzten und Ärz- ten als egoistischen, ja als egozen- trischen Kampf um die Erhaltung unberechtigter Privilegien brand- marken, ja als den Versuch diskrimi- nieren, etwas im Interesse des Versi- cherten und seiner Familien- angehörigen Notwendiges und Zweckmäßiges aus purem Eigen- nutz, aus konservativ-repressiver Denkweise, aus Fortschrittsfeind- lichkeit, aus dem Mangel an Bereit- schaft zur Durchführung zwingend

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Heft 20 vom 19. Mai 1977 1329

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Schlögell: Bericht zur Lage

notwendiger Reformen abzulehnen.

Ich möchte hiermit keinem der Ver- fasser des Entwurfs unterstellen, daß seine Gedankengänge solcher Art gewesen wären; wer auf die Dis- kussion seit November 1976 zurück- blickt, der wird aber zugeben müs- sen, daß eine Reihe von Äußerungen gefallen sind, die ohne weiteres mit solchen Gedankengängen in Über- einstimmung gebracht werden können.

In diesen Rahmen gehört auch die sogenannte Einkommensdiskus- sion, die einen vorläufigen Höhe- punkt anläßlich der Fragestunde des Deutschen Bundestages am 2. März 1977 in Äußerungen des Parlamen- tarischen Staatssekretärs im Bun- desarbeitsministerium, Buschfort, erreichte, die anschließend vom Bundesarbeitsminister selbst in eine sogenannte Dokumentation zum Konsolidierungsprogramm der Bun- desregierung mit dem Datum vom 17. März 1977 übernommen wurde.

Darin wird das durchschnittliche Einkommen des Kassenarztes vor Steuern bei Anwendung eines Pra- xiskostensatzes von etwas über 35 Prozent mit jährlich 180 000 bis 190 000 DM angegeben.

• Diese „Feststellung" war und ist im umfassenden Sinne des Wortes einsame Spitze! Wenn man der Ein- fachheit halber von 33 1/3 Prozent Praxisunkosten ausgeht, so muß man nach den Gesetzen der Pro- zentrechnung den von Herrn Busch- fort genannten Zahlen 50 Prozent zuschlagen, um zum Umsatz vor Ab- zug der Kosten zu gelangen. Das aber ergibt einen Betrag zwischen 270 000 und 285 000 DM Bruttoum- satz je Kassenarzt, und daß dieser Betrag falsch ist, dürfte selbst dem letzten der Übelwollenden klar sein.

Ohne Zahlenunterlagen, durch reine Anwendung der Prinzipien des Rechnens, hätte man also leicht ver- meiden können, daß vor den Abge- ordneten des Deutschen Bundesta- ges und in einer sogenannten Doku- mentation Zahlen verbreitet werden, die von den Realitäten weit, weit ent- fernt sind.

Fragestunden im Deutschen Bun- destag dienen nun nicht ausschließ-

lich der Erforschung der reinen Wahrheit; sie sollen in manchen Si- tuationen den Aufhänger dazu lie- fern, daß bestimmte politische Er- klärungen abgegeben werden kön- nen. Mit der Verbreitung einer Doku- mentation ist es aber etwas anderes.

Es verbleibt der — wie ich meine — unschöne Eindruck, daß der Bun- desminister für Arbeit und Sozial- ordnung entweder ihm an die Hand gegebene Zahlen auf ihre Richtig- keit oder nur die Möglichkeit des Zutreffens gar nicht überdacht hat oder aber daß er sie trotz besserer Einsicht in seine Antwort und in die Dokumentation übernahm, eben weil sie ihm in seine politische Ziel- setzung paßten. Dies würde in das Bild hineinpassen, daß die einmal entwickelten politischen Grundvor- stellungen auf Gedeih und Verderb und völlig unberührt von jeder sach- lich noch so berechtigten Gegenar- gumentation auf Biegen und Bre- chen durchgezogen werden sollen.

Dieser Eindruck zumindest muß sich dem mit der Materie vertrauten Be- trachter der Entwicklung seit Anfang Dezember vorigen Jahres auf- drängen.

Breite Front der Ablehnung von Grundtendenzen

und von Detailregelungen Es steht nicht genügend Zeit zur Verfügung, um im Rahmen dieses Berichtes die Einzelheiten der ge- samten Entwicklung nachzuvollzie- hen; darzustellen, welche Änderun- gen den Regierungsentwurf vom Referentenentwurf unterscheiden.

Sie mit den Vorgängen bei der An- hörung der Verbände zum Referen- tenentwurf im Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung vor den Bundestagsausschüssen sowie der hierbei klar zutage getretenen breiten Front der Ablehnung von Grundtendenzen und Detailregelun- gen im Gesetzentwurf bekanntzu- machen und Ihnen die vielfältigen Bemühungen vor Augen zu führen, Aktivitäten in der Ablehnung der vorliegenden Gesetzentwürfe zu koordinieren, wobei diese Ableh- nung von den Organisationen der Zahnärzte und Ärzte über die der

Apotheker, die Verbände der Kran- kenhäuser, die pharmazeutische In- dustrie bis hin zur medizinischen Apparateindustrie zum Städte- und Gemeindetag, um nur beispielhaft einige zu nennen, reichte und immer noch reicht. Angesichts dieser Sachlage muß es als fast unver- ständlich erscheinen, wenn zum Beispiel die Vertreter der FDP und der Bundesvereinigung der Deut- schen Arbeitgeberverbände wesent- liche Teile der Gesetzentwürfe un- terstützen.

Die Vertreter der FDP fühlen sich dabei offensichtlich als Gebundene, vielleicht als „Gefangene" der im Zuge der Neubildung der Bundesre- gierung getroffenen Koalitionsab- sprachen und des von ihrem Partei- tag in Frankfurt aufgestellten ge- sundheitspolitischen Programms.

Für die Organisation der Arbeitge- ber steht offenbar im Mittelpunkt des Gesamtproblems die Vermei- dung einer Mehrbelastung der Be- triebe durch eine Erhöhung des Bei- trages zur Rentenversicherung ab 1.

Juli 1977. Weiter spekuliert sie an- scheinend auf ihre Sperrposition in der Selbstverwaltung der Kranken- kassen für solche Beschlüsse, die über die beabsichtigte Anhebung der Beitragsbemessungsgrenze hin- aus eine Erhöhung des Beitragssat- zes bei den Krankenkassen anstre- ben und damit auf die Möglichkeit des Hinauszögerns oder gar der Blockierung notwendiger Beitrags- erhöhungen als Folge der gesetzli- chen Verlagerung zusätzlicher La- sten auf die Krankenversicherung.

Das kürzlich veröffentlichte 20- Punkte-Programm der Bundesverei- nigung der Deutschen Arbeitgeber- verbände spricht das mehr oder minder deutlich aus, indem die Ent- scheidung, keine Rentenversiche- rungsbeitragserhöhung durchzu- führen, begrüßt und gleichzeitig ge- fordert wird, auch in der Kranken- versicherung als Arbeitgeber keine Beitragserhöhung zu genehmigen.

Auf die Frage, wie denn die Kran- kenversicherungsträger mit der Mehrbelastung von auf das Jahr be- rechnet über 6 Milliarden DM, das

1330 Heft 20 vom 19. Mai 1977 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

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Abstimmen,

wählen und zählen ...

Die Tagesordnung dieser Sitzung der Vertreterversammlung der Kassenärzt- lichen Bundesvereinigung zu Beginn der Ärztetagswoche in Saarbrücken (oben einige Reihen der Delegierten und der Zuhörer) sah schließlich mehre- re Wahlen vor. So waren die Vertreter der außerordentlichen Mitglieder im Länderausschuß der KBV, die Vertreter der Ärzte und deren Stellvertreter im Bundesausschuß der Ärzte und Kran- kenkassen sowie im Bundesschieds- amt für die neue Wahlperiode zu wäh- len. Szenen der Stimmabgaben und der Stimmzettel-Auszählung sind auf dem Foto links und auf den beiden Bildern unten festgehalten Fotos: Neusch

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Heft 20 vom 19. Mai 1977 1331

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Schlögell: Bericht zur Lage

heißt rund 10 Prozent der bisherigen Leistungs-Ausgaben je Jahr, ohne Beitragserhöhung fertig werden sol- len, ist eine schlüssige Antwort bis- her nicht erteilt worden. Der Vor- schlag der Arbeitgeber, Selbstbetei- ligungen des Versicherten einzufüh-

ren, ist jedenfalls bisher weder in der

sozialpolitischen Diskussion des Bundesrates noch im Deutschen Bundestag ernsthaft in Erwägung gezogen worden.

Bei diesem Sachstand müssen wir von der Politik und von der allgemei- nen Öffentlichkeit Verständnis dafür erwarten, daß wir als der genossen- schaftliche Zusammenschluß der frei praktizierenden Kassenärzte de- ren derzeitige Rechtsstellung und die seiner Selbstverwaltungsorgani- sationen mit allen Kräften und mit allen zulässigen Mitteln verteidigen und verteidigen werden.

..,.. Wir sind zutiefst davon über- zeugt, daß es bei dieser Auseinan- dersetzung letztlich zugleich auch um die Erhaltung der Grundsätze jedweder freiberuflichen Tätigkeit in unserem Lande geht. Jede Ein- schränkung der Grundsätze der frei- beruflichen Tätigkeit des Arztes, Zahnarztes und Apothekers muß über kurz oder lang nach unserer Überzeugung gesellschaftspoliti- sche Bewegungen und Strukturver- änderungen auslösen, die vielleicht am besten mit der sogenannten Do- minosteine-Theorie des verstorbe- nen amerikanischen Außenministers John Foster Dulles für die Entwick- lung in Südostasien verglichen wer- den können.

Es stehen zur Zeit für den Entwurf des Krankenversicherungs-Kasten- dämpfungsgesetzes zwei Grundpo- sitionen einander gegenüber, nämlich:

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Die Konzeption der Mehrheit des Bundesrates, das heißt der CDU-, CSU- und CDU/FDP-regierten Län- der sowie der CDU/CSU-Fraktion des Deutschen Bundestages;

f) der Regierungsentwurf des Kran- kenversicherungs-Kostendämp- fungsgesetzes in der Fassung der beschlossenen Anträge des feder-

führenden Bundestagsausschusses für Arbeit und Sozialordnung, die am 12. Mai zur 2. und 3. Lesung im Bundestag anstehen.

Diese beiden Grundpositionen sind gesellschafts-und sozialpolitisch so weit voneinander entfernt, daß das Gesetzgebungsverfahren wohl kaum ohne Einschaltung des Ver- mittlungsausschusses zwischen Bundesrat und Bundestag beendet werden wird.

Die Grundsätze der Position der Mehrheit des Bundesrates und der Fraktion der CDU/CSU im Deut- schen Bundestag können unter Ver- zicht auf Details folgendermaßen charakterisiert werden:

a) Kostendämpfung durch die ge- setzliche Einführung einer "Konzer- tierten Aktion" aller Beteiligten in der Krankenversicherung; Freiwil- ligkeit des Handeins in Selbstverant- wortung und Selbstverwaltung an- stelle gesetzgeberischer Eingriffe in die Strukturen und die Funktionen der Krankenversicherung; aber auch mittelbarer Zwang zum Erfolg durch die ständige Drohung mit dem Gesetz;

b) Änderung des § 368 f Abs. 2 und 3 wie im Regierungsentwurf, das heißt mit Festlegung der Berück- sichtigung gesamtwirtschaftlicher Kriterien usw. für die Entwicklung der Gesamtvergütung, aber ohne zentrale Empfehlung für ihre Verän- derung;

c) Erhaltung der Ersatzkrankenkas- sen in der aus ihrer Entwicklung re- sultierenden besonderen Stellung gegenüber den Vertragspartnern;

d) Ablehnung eines weitgehenden vertikalen und horizontalen Finanz- ausgleichs zwischen den Kranken- kassen, der einen Trend zur Ein- heitskrankenversicherung auslösen würde;

e) Reduzierung des Krankenversi- cherungsbeitrages der Rentenversi- cherung auf die Höhe des jeweiligen durchschnittlichen Beitragssatzes in der Krankenversicherung;

f) die Einführung eines anfangs 2,6prozentigen, später 4prozentigen

1332 Heft 20 vom 19. Mai 1977 DEUTSCHES ARZTEBLATT

individuellen Beitrags der Rentner zur Krankenversicherung unter Zu- grundelegung aller Lohnersatzzah- lungen bei Überschreiten eines ge- wissen sozialen Grenzbetrages.

..,.. Es beleuchtet die Schädlichkeit der Eile bei der Behandlung dieses Gesetzentwurfs, daß sowohl im Bun- desrat wie in der CDU/CSU-Fraktion offenbar verabsäumt wurde, Anträge auf Streichung derjenigen Vor- schriften des Entwurfs zu stellen, durch die in nicht verfassungskon- former Weise die freie Heilfürsorge und Untersuchungen zum Zwecke der Durchführung der Wehrpflicht in die kassenärztliche Versorgung auch gegen den Willen einer oder gar beider Vertragsparteien einbe- zogen werden sollen.

ln dem Gesetzentwurf ist die "Zukunftsregelung"

bereits vorprogrammiert

Dem aufmerksamen Beobachter der politischen Szene und der sich auf ihr vollziehenden Vorgänge konnte und durfte nicht entgehen, daß im unmittelbaren zeitlichen Zusam- menhang mit der Beratung der Ge- setzentwürfe im A+S-Ausschuß des Bundestages die Arbeitsgemein- schaft für Gesundheitswesen der SPD ihre Jahreskonferenz in Bre- men abhielt. Die Überschrift des Be- richtes über die Konferenz in den

"Bremer Nachrichten" spricht Bände: Kostendämpfungsgesetz nur Notbremse! Als ob sich die Kosten quasi steuer- und führungslos und ohne jeden Dämpfungseffekt ent- wickelt hätten! Auf der Konferenz selbst, die unter Vorsitz des bayeri- schen Arztes Dr. Cremer stand, stellte man fest, daß im Grunde das Programm der Regierung zur Ko- stendämpfung völlig ungenügend sei! Rückkehr zu pauschalen For- men der Honorierung der kassen- ärztlichen Tätigkeit und die Forde- rung, die Einkommenszuwächse für Ärzte geringer zu halten als die all- gemeinen Zuwächse für Arbeiter und Angestellte, seien hier nur als Beispiel für Forderungen genannt.

Quasi als roter Faden zog sich nach den Berichten durch die gesamte

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Tagung der Ruf nach mehr und

"wirklich durchgreifenden Re-

formen".

~ Was unter solchen durchgreifen- den Reformen von einem nicht un- wesentlichen Teil derer, die in der SPD Schlüsselstellungen auf dem Gebiete des Gesundheitswesens be- kleiden, verstanden wird, das konnte man jüngst aus der Feder des SPD- Landesvorsitzenden*) im Saarland, Vorsitzenden der Gesundheitskom- misssion der SPD und Mitautor des die Gesundheitspolitik und die zu- künftige Krankenversicherung be- treffenden Teils des Entwurfes des Orientierungsrahmens '85 der SPD, Herrn Läpple, lesen. Er erläutert in seinem gerade erschienenen Buch

"Gesundheit ohne Ausbeutung" -

Verlag: Neue Gesellschaft - die alt- bekannten Vorstellungen von einem zentral gesteuerten, bis in die letzte Kleinigkeit geplanten Gesundheits- wesens. Manche Passagen lesen sich so, als seien sie aus schwedi- schen Organisationspapieren im Gesundheitswesen Anfang der 60er Jahre abgeschrieben worden. Nichts ist neu; alte Thesen werden wieder- holt und trotzaller gegenteiligen Er- fahrungen und aller Sachverständi- genhinweise als Wundermittel für die Bundesrepublik gepriesen. Na- türlich MTZ, natürlich Verbesserung der Zusammenarbeit zwischen am- bulantem und stationärem Sektor durch institutionelle Tätigkeit der Krankenhäuser auf ambulantem Ge- biet, natürlich medizinische Infor- mationszentren usw. usw.

~ Das alles wäre im Grunde ge- nommen ein alltäglicher Vorgang, wenn wir nicht aus vielfachen Erfah- rungen wüßten, daß in diesen Perso- nenkreisen der Zeitpunkt, zu dem Äußerungen gemacht werden, fast nie zufällig ist, sondern nach lang- zeitstrategischen Gesichtspunkten sorgfältig gewählt wird. So hatte es bestimmt seinen Sinn, wenn einer- seits Herr Wehner bei der Konferenz der ASÄ-Nachfolgeorganisation im- mer wieder darauf aufmerksam machte, daß es im Augenblick gelte,

·) Der Vortragende sprach an dieser Stelle

vom "früheren·· Vorsitzenden, ein Verse-

hen, das der Autor bedauert.

die gesetzgabarischen Vorhaben der Regierung durchzubekommen, und andererseits durch die Veröf- fentlichung des Buches des Herrn Läpple gleichzeitig klargestellt wird, daß sich an der Zielrichtung nichts geändert hat.

e

Wer darüber hinaus bei seinen Überlegungen berücksichtigt, daß eine Reihe von Vorschriften des Ent- wurfes, würden sie so Gesetz, bei der Durchführung zwangsläufig zu so erheblichen Schwierigkeiten An- laß geben müßten, worüber nach be- kanntgewordenen persönlichen Äu- ßerungen sich Abgeordnete der Koalition auch völlig im klaren sind, der muß erkennen, daß in diesem Gesetzentwurf bereits die Planung für eine weitere Neuregelung in ab- sehbarer Zeit vorprogrammiert wer- den sollte und vorprogrammiert worden ist. Wohin die Reise dann gehen soll, das deutet sich in sol- chen Zeichen an, wie sie in der Dis- kussion bei der Bremer Konferenz zum Ausdruck gekommen oder wie sie in dem Buch des Herrn Läpple niedergelegt sind.

Oppositionsparteien verfügen noch nicht über ein

wirkliches Reformkonzept Die Vielzahl von wohlbegründeten Anträgen, die die CDLI/CSU-Frak- tion des Deutschen Bundestages für die Beratungen des A

+

S-Ausschus- ses eingebracht hat, und die den An- trägen zugrunde liegende Stellung- nahme des Bundesrates mit dem Kernstück der "Konzertierten Ak- tion" anstelle gesetzgabarischer Eingriffe können kaum darüber hin- wegtäuschen, daß man bei den gro- ßen Oppositionsparteien zur Zeit noch über kein verbindliches wirkli- ches Reformkonzept als umfassen- de Alternative zu den zentralisti- schen, nivellierenden, planwirt- schaftlichen, die freie Berufsaus- übung in wesentlichen Grundzügen gefährdenden Vorstellungen inner- halb der Parteiorganisation und der Fraktion der SPD verfügt.

Aber auch wir selbst- das soll offen zugegeben werden- tun uns mit der

Entwicklung entsprechender ärzt- lich allseits anerkannter Vorstellun- gen schwer. Vieles deutet darauf hin, daß die allgemeine volkswirt- schaftliche Entwicklung in der Zu- kunft so verlaufen wird, daß der Zwang zu grundsätzlichen Neurege- lungen, das heißt zu einer Reform im besten Sinne des Wortes- auch auf dem Gebiete der Krankenversiche- rung -, fast unausweichlich auf uns zukommt.

~ Das Kostendämpfungsgesetz, ob nun in der derzeitigen Form des Ent- wurfes oder in einer variierten kom- mend, kann jedenfalls nicht bean- spruchen, ein sich an den sachli- chen Notwendigkeiten orientieren- des wirkliches Neuregelungsgesetz genannt zu werden. Abgesehen von einigen wenigen für den Versicher- ten merkbaren Eingriffen auf dem Leistungssektor, wie zum Beispiel Arznei-, Verband- und Heilmittelbe- teiligung, die Beteiligung an den Ko- sten des Zahnersatzes und der Zahnregulierung sowie der Heraus- nahme von gewissen Arzneimitteln, die gemeinhin nur bei leichten Ge- sundheitsstörungen Verwendung finden, aus der Leistungspflicht der Krankenkassen, findet sich kein ernsthafter Ansatz dazu, das Lei- stungsgefüge in der sozialen Kran- kenversicherung den allgemeinen und sozialen Gegebenheiten sowie den Leistungsmöglichkeiten der Volkswirtschaft anzupassen. Wirt- schaftlichkeit, Rationalisierung, Ausnutzung der Möglichkeiten der Technik, Bindung an Entwicklungs- faktoren usw. sind ausschließlich für diejenigen vorgesehen, die an der Durchführung der Aufgaben der Krankenversicherung mitwirken, das heißt die Sachleistungen erbrin- gen. Demzufolge bleibt auch der An- spruch des Versicherten und zum Beispiel die Belastung der Kranken- versicherung mit "Fremdleistun- gen" unberührt.

• Das Krankenversicherungs-Ko- stendämpfungsgesetz ist- so gese- hen - "Flickwerk"; man versucht, ein Leck, dessen Existenz man lange zu vertuschen versuchte, das aber jetzt nicht mehr vertuscht werden

• Fortsetzung auf Seite 1335

DEUTSCHES ARZTEBLATT Heft 20 vom 19. Mai 1977 1333

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80. DEUTSCHER ÄRZTETAG

Die Träger

der Paracelsus- Medaille

der deutschen Ärzteschaft 1977

Aus Anlaß des 80. Deutschen Ärz- tetages 1977 in Saarbrücken wur- den mit der Paracelsus-Medaille der deutschen Ärzteschaft ausge- zeichnet:

Frau Dr. med.

Elisabeth Alletag-Held

Prof. Dr. med. Dr. med. h. c.

Reinhard Aschenbrenner Dr. med. Günther Haenisch

Die beim 55. Deutschen Ärztetag 1952 in Berlin gestiftete Paracel- sus-Medaille der deutschen Ärzte- schaft wird seither jährlich vom Präsidium des Deutschen Ärzteta- ges an Ärzte verliehen, die sich durch ihre vorbildliche ärztliche Haltung, durch besondere Verdien- ste um Stellung und Geltung des ärztlichen Standes oder durch au- ßerordentliche wissenschaftliche Leistung hervorgetan haben.

Die Verleihung am 10. Mai 1977, die während der Eröffnungsveranstal- tung des 80. Deutschen Ärztetages erfolgte, nahm der Präsident der Bundesärztekammer und des Deut- schen Ärztetages, Professor Dr.

Hans Joachim Sewering, vor.

Elisabeth Alletag-Held Foto: Wörsching

Dr. med.

Elisabeth Alletag-Held

„Die deutsche Ärzteschaft ehrt in Elisabeth Alletag-Held eine Ärztin, die sich in ihrer 40jährigen Tätigkeit als Praktische Ärztin, als Schul- ärztin, als Gefängnisärztin und Lei- tende Ärztin eines Kriegsblindensa- natoriums das Vertrauen und den Dank ihrer Patienten und die Hoch- achtung ihrer Kollegen erworben hat. Mehr als drei Jahrzehnte lang stellte sie darüber hinaus ihre Ar- beitskraft in den Dienst der demo- kratischen Institutionen unseres Staates und der ärztlichen Selbst- verwaltung.

Nach dem Kriege wurde Frau Alle- tag-Held schon 1946 in den Kreistag des Landkreises Starnberg berufen und gehörte ihm lange Jahre an. Sie sah ihre besondere Aufgabe in der Eingliederung der heimatvertriebe- nen Ärzte, die sie in vorbildlicher Weise beim Aufbau ihrer Existenz unterstützte. Ebenso maßgeblich war sie auch am Aufbau der ärztli- chen Selbstverwaltung beteiligt. Sie wurde nach Inkrafttreten des Bayeri- schen Ärztegesetzes Erste Vorsit- zende des Ärztlichen Bezirksvereins Starnberg und in diesem Amt bis heute immer wieder bestätigt. Frau Alletag-Held ist auch seit langen Jahren Vorsitzende des Bayerischen Ärztinnenbundes.

Durch ihren unermüdlichen Einsatz als Allgemeinärztin und in öffentli- chen Ämtern des Staates und der ärztlichen Selbstverwaltung sowie ihr soziales Engagement hat sich Frau Alletag-Held um das Gesund- heitswesen unseres Landes und ih- ren Berufsstand besonders verdient gemacht".

Anschrift: Theresienstraße 8 8130 Starnberg

Reinhard Aschenbrenner Foto: Bäuerle

Prof. Dr. med.

Dr. med. h. c.

Reinhard Aschenbrenner

„Die deutschen Ärzte ehren in Rein- hard Aschenbrenner einen Arzt und Wissenschaftler, der sich neben sei-

ner jahrzehntelangen Tätigkeit als Chefarzt und ärztlicher Direktor be- sondere Verdienste auf dem Gebiet der Kardiologie und der Arzneithera- pie erworben hat. Seine wissen- schaftlichen Arbeiten auf dem Ge- biete der Herz- und Kreislaufkrank- heiten, der Infektionskrankheiten, der Arzneitherapie und Arzneimittel- sicherheit waren wertvolle Beiträge zur Fortentwicklung der medizini- schen Wissenschaft und haben der Ärzteschaft zahlreiche neue Er- kenntnisse vermittelt. Dabei hat sich

1334 Heft 20 vom 19. Mai 1977 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

(9)

Schlägell: Bericht zur Lage

Reinhard Aschenbrenner besonders darum bemüht, seine Arbeit in den Dienst der ärztlichen Praxis zu stel- len. Als langjähriger Vorsitzender der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft bewährte er sich als ein hervorragender Berater der praktizierenden Ärzteschaft, vor allem auch bei der Anwendung neuer Arzneimittel. Die von ihm ver- mittelten Erkenntnisse über Arznei- mittelnebenwirkungen haben das allgemeine Vertrauen in die Arznei- mitteltherapie erheblich gestärkt.

Reinhard Aschenbrenner hat sich durch sein Wirken als Krankenhaus- arzt, als Wissenschaftler und als Vorsitzender der Arzneimittelkom- mission der deutschen Ärzteschaft um das Gesundheitswesen unseres Landes und um seinen Berufsstand besondere Verdienste erworben."

Anschrift: Max-Brauer-Allee 186 2000 Hamburg 50

Günther Haenisch Foto: Neusch

Dr. med.

Günther Haenisch

„Die deutschen Ärzte ehren in Gün- ther Haenisch einen Arzt, der sich in einer über 40jährigen Tätigkeit als Chirurg die Dankbarkeit und das Vertrauen seiner Patienten und sei- ner Kollegen erworben und darüber

hinaus mehr als zwei Jahrzehnte vorbildlich in der ärztlichen Berufs- vertretung mitgewirkt hat.

Nach langjährigem Kriegseinsatz als Chirurg und nach Kriegsgefangen- schaft wandte sich Günther Hae- nisch den besonderen Problemen der Ärztegeneration der Nachkriegs- zeit zu. Er wurde zu einem ihrer en- gagiertesten und entschiedensten Sprecher, der in dieser schwierigen Zeit entscheidend dazu beigetragen hat, den jungen Ärzten Arbeitsmög- lichkeit und Existenz im Kranken- haus zu sichern und damit die Ver- sorgung der Patienten zu verbes- sern.

Seine ärztlichen Kollegen dankten ihm das unbeirrbare Eintreten für Reformen im Krankenhaus durch wiederholte Vertrauensbeweise. So wurde er bereits 1953 zum Ersten Vorsitzenden des Landesverbandes Hamburg im Marburger Bund ge- wählt, dessen Ehrenvorsitzender er nunmehr ist. 1957 wurde er zum Zweiten Vorsitzenden im Bundes- verband des Marburger Bundes und dann auch zu dessen Ehrenmitglied gewählt.

Seit langem ist Günther Haenisch Erster Vorsitzender des Verbandes der leitenden Krankenhausärzte in Hamburg und jetzt auch Vizepräsi- dent des Verbandes der leitenden Krankenhausärzte. Mit seinen Fach- kenntnissen hat er die Arbeit zahlrei- cher Fachausschüsse der Bundes- ärztekammer gefördert. Besondere Verdienste erwarb er sich als lang- jähriger Vorsitzender des Ausschus- ses ,Arzt im Krankenhaus' der Bun- desärztekammer. Die vom Deut- schen Ärztetag 1972 verabschiede- ten Grundsätze über eine Struktur- reform im Krankenhaus werden mit seinem Namen immer verbunden sein.

Günther Haenisch hat sich durch sein ärztliches Wirken, seine Ein- satzbereitschaft und seinen Sach- verstand um seinen Berufsstand und das Gesundheitswesen unseres Landes besonders verdient ge- macht."

Anschrift: Schwarzbuchenweg 15 2000 Hamburg 65

• Fortsetzung von Seite 1333 kann, zu stopfen, reißt damit jedoch ein neues Leck auf, dessen Vorhan- densein man erst wieder zu negieren versucht, um in ziemlich kurzer Frist erneut vor der Situation zu stehen, daß man auch dieses Leck abdich- ten muß, wobei dann nur die Frage ist, woher man auf Zeit und Dauer das notwend;ge Dichtungsmaterial nehmen soll.

Nach diesen meines Erachtens not- wendigen gesellschafts- und sozial- politischen allgemeinen Betrach- tungen nun zum derzeitigen Inhalt des Krankenversicherungs-Kosten- däm pfu ngsgesetz-Entwu rfes:

Kein „Mehr" an Vertrags- freiheit und kein „Mehr"

an Selbstverwaltung!

Es ist eine schmerzliche Tatsache, daß das Kassenarztrecht, das in jahrzehntelangen Auseinanderset- zungen gewachsen ist, in wesentli- chen Teilen politisch-parlamenta- risch zur Disposition steht. Wenn es eines Beweises dafür bedurft hätte, daß die Rechtsposition des freiprak- tizierenden Arztes in der sozia- len Krankenversicherung und das gleichberechtigte Zusammenwirken seines genossenschaftlichen Zu- sammenschlusses mit den Kranken- kassen keineswegs ein garantierter Besitzstand sind, so liegt er späte- stens seit dem Ende der nur knapp zweitägigen Einzelberatungen des Bundestagsausschusses für Arbeit und Sozialordnung auf dem Tisch.

Bei den Vorschriften über die „Be- rechnung der Gesamtvergütung", die Aufstellung des Bemessungs- maßstabes und den Abschluß der Gesamtverträge ist es im wesentli- chen bei den Vorschriften des Re- gierungsentwurfes geblieben. Bei der Errechnung der Gesamtvergü- tung wird also neben den seither möglichen Modalitäten auch die Be- rechnung nach einem „Festbetrag"

vorgeschlagen; es wäre sicher nicht uninteressant zu hören, ob sich hierin bereits Vorstellungen für zu- künftige gesetzliche Regelungen wi- derspiegeln.

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Heft 20 vom 19. Mai 1977 1335

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Schlögell: Bericht zur Lage

Nach wie vor und allen mit größter Intensität unternommenen Versu- chen zum Trotz ist einer der bisher für die Höhe der Gesamtvergütung auch bei pauschaler Errechnung entscheidenden Faktoren, nämlich die Vermehrung oder Verminderung des Bedarfes an ärztlichen Leistun- gen im Gesetzentwurf nur in sehr verklausulierter Form zu finden. Die Veränderung der Gesamtvergütung soll sich zukünftig an einer neu zu schaffenden Position .. Volksein- kommen je Einwohner" im jeweili- gen Jahreswirtschaftsbericht der Bundesregierung, an der zu erwar- tenden Entwicklung der Praxisko- sten und der für die kassenärztliche Tätigkeit aufzuwendenden Arbeits- zeit orientieren.

Die angeblich auf Initiative von Bun- deswirtschaftsminister Friderichs als Faktor für die Veränderung der kassenärztlichen Gesamtvergütung bei den Beratungen im Bundeskabi- nett gestrichene Grundlohnsumme taucht in der Begründung zu den Beschlüssen des A+S-Ausschusses jetzt wieder auf dergestalt, daß bei der Berücksichtigung regionaler Be- sonderheiten bei der Veränderung der Gesamtvergütung .. auffällige Abweichungen" in ihrer Entwick- lung berücksichtigt werden sollen.

Das kann von uns nicht als eine be- friedigende Lösung angesehen wer- den; es ist im Gegenteil zu befürch- ten, daß uns nur die auffälligen Ab- weichungen im negativen Sinne prä- sentiert werden.

..,.. Es soll auch bei der jährlich ab- zugebenden zentralen Empfehlung für die Entwicklung der Gesamtver- gütungen durch Bundesverbände der Krankenkassen und die Kassen- ärztliche Bundesvereinigung ver- bleiben, obwohl doch bereits die Da- ten des Jahreswirtschaftsberichts bundeseinheitlich sind. Der gesunde Föderalismus in unserer sozialen Krankenversicherung und die Be- rücksichtigung von Besonderheiten, die in Besonderheiten der einzelnen Versicherungsgemeinschaften be- gründet sind, sollen ganz offensicht- lich beseitigt werden.

..,.. Wer dazu die Bestimmung nimmt, daß der bisherige Gesamt-

vertrag der einzelnen Krankenkasse ersetzt werden soll durch Verträge zwischen den Kassenärztlichen Ver- einigungen und den Landesverbän- den der Krankenkassen. zu denen die Krankenkassen nur noch .,ge- hört" werden sollen, dem wird die Zentralisierungs- und die Verein- heitlichungstendenz des Gesetzent- wurfs noch deutlicher.

e

Wie man diese Tendenz bestrei- ten kann, muß hier ebenso unerfind- lich bleiben wie die Behauptung, daß der Entwurf ein .,Mehr" an Ver- tragsfreiheit bringe.

..,.. Die Geltungsdauer der zur Zeit abgeschlossenen Verträge wird durch Gesetz um ein halbes Jahr verlängert. Was dazu andere Tarif- partner, die es bisher gewohnt wa-

ren, über die Laufzeit ihrer Verträge

frei zu bestimmen, wohl sagen wür- den, wenn sie selbst die Betroffenen wären?

• Für denjenigen, der ideologische Ziele verfolgt, ist es offenbar fast un- möglich, bei gesetzlichen Eingriffen im Vergleich gleiche Maßstäbe an- zulegen und anzuerkennen. Die ge- setzliche Verlängerung abgeschlos- sener Verträge ist wohl im übrigen ein ganz besonderes Beispiel für .. mehr Vertragsfreiheit" und .. mehr Selbstverwaltung''.

Die Tendenz zur Einheits- krankenversicherung ist einfach nicht zu leugnen Der in Punkten auszudrückende ein- heitliche Bemessungsmaßstab für ärztliche Leistungen soll nach den Übergangsvorschriften die derzeiti- ge Ersatzkassen-Adgo zur Grundla- ge haben. Er soll in bestimmten Zeit- abständen darauf überprüft werden, ob er denn der medizinisch-techni- schen Entwicklung und dem Erfor- dernis der Rationalisierung und der Wirtschaftlichkeit noch entspricht.

An andere Überprüfungsmerkmale hat man bisher offensichtlich nicht gedacht.

Diesen Maßstab soll ein Bewer- tungsausschuß aufstellen, der aus je

1336 Heft 20 vom 19. Mai 1977 DEUTSCHES ARZTEBLATT

sieben Vertretern der Ärzte und der Krankenkassen besteht, darunter zwei Vertretern der Ersatzkassen. Kommt es nicht zur Einigung, wird der Ausschuß um einen unpartei- ischen Vorsitzenden und um vier weitere unparteiische Mitglieder er- weitert, von denen zwei von der KBV, einer von den Bundesverbän- den der RVO-Kassen und einer von den Ersatzkassen benannt werden.

..,.. ln dieser Besetzung - das heißt mit 19 Mann - soll dann der Aus- schuß mit einfacher Mehrheit ent- scheiden können, das heißt mit min- destens zehn Ja-Stimmen. Das be- deutet aber mit anderen Worten, daß ganze Gruppen von Vertrags- partnern, die bisher ein selbständi- ges Entscheidungsrecht über ihre vertraglichen Beziehungen zu uns Kassenärzten hatten, einfach über- stimmt werden können.

e

Auch hier muß man wohl fragen dürfen, worin die Aufrechterhaltung der Gliederung in unserer sozialen Krankenversicherung denn besteht, wo das Mehr an Vertragsfreiheit und wo das Mehr an Selbstverwaltung, und wenn schon dieses nicht, so zu- mindest die Aufrechterhaltung des seitherigen Maßes an Vertragsfrei- heit und an Handlungsraum der Selbstverwaltung nicht nur zu su-

chen, sondern auch zu finden ist.

..,.. Die Behauptung, daß Vereinheit- lichungstendenzen im Gesetzent- wurf ebensowenig enthalten seien wie ein Verlust an Selbstverwal- tungsrechten und an Vertragsfrei- heit, muß blasphemisch klingen an- gesichts der Tatsache, daß die Er- satzkrankenkassen, die durch viele Jahrzehnte lang ihr Vertragsverhält-

nis zu den Ärzten und anderen Ver- tragspartnern in eigener Regie und nach eigenen Vorstellungen gestal- tet haben, kurzerhand und gegen ih- ren mit Nachdruck erklärten Willen in dieses Einheitssystem einbezo- gen, in das Einheitsgerüst mit ge- zwängt werden sollen.

Noch an einem weiteren Beispiel wird diese Tendenz zur Einheits- krankenversicherung deutlich:

Rentner sollen in Zukunft die Mög- lichkeit haben, einer Ersatzkasse

(11)

auch dann beizutreten, wenn sie zwar nie Mitglied waren, ihrer Be- rufstätigkeit nach aber hätten Mit- glied sein können. Warum ist man eigentlich nicht konsequent und be- stimmt Gleiches zum Beispiel auch für die Betriebs- und lnnungskran- kenkassen?

• Diese Entwicklungen lehnen wir in Übereinstimmung mit den Selbst- verwaltungsorganen der Ersatzkas- sen ab und wiederholen die Feststel- lung, daß an diesen Bestimmungen der Trend des Gesetzentwurfs zur Einheitskrankenversicherung be- sonders deutlich wird.

Abgesehen von der Bestimmung, daß der Bewertungsausschuß den Bewertungsmaßstab regelmäßig darauf überprüfen soll, ob er noch der medizinisch-technischen Ent- wicklung und dem Erfordernis der Rationalisierung und Wirtschaftlich- keit entspricht, sollen die Kassen- ärztlichen Vereinigungen nach einer weiteren Vorschrift darauf hinwir- ken, daß medizinisch-technische Leistungen, die der Arzt zur Unter- stützung seiner Maßnahmen benö- tigt, wirtschaftlich erbracht werden; sie, die KVen, sollen Möglichkeiten schaffen, daß diese Leistungen von Gemeinschaftseinrichtungen der niedergelassenen Ärzte "zu bezie-

hen" sind, wenn es medizinischen

Erfordernissen genügt.

e

Diese Formulierung legt doch den Verdacht nahe, daß die Verfas- ser medizinisch-technische Leistun- gen offenbar nur noch als mittelbar dem eigentlichen ärztlichen Tätig- keitsbereich zugeordnet betrachten.

Die kassenärztli~he Selbstverwal- tung soll ständig gezwungen sein, auf die wirtschaftliche Erbringung, das heißt die Zentralisierung solcher Leistungen, hinzuwirken, und über- dies hat der Bewertungsausschuß dann die Pflicht, entsprechend nied- rige Gebührenpunkte festzulegen. Wenn das nicht das kosmetisch et- was aufpolierte MTZ ist?!

Neben diesen besonderen Wirt- schaftlichkeitsgeboten für den Be- messungsmaßstab und die Erbrin- gung medizinisch-technischer Lei-

stungen bleibt natürlich das allge- meine Wirtschaftlichkeitsgebot des

§ 182 RVO ebenso bestehen wie die entsprechende Parallelvorschritt des § 368 e RVO. Ist es so unver- ständlich, daß die besonderen Wirt- schaftlichkeitsgebote des Entwurfs uns den Verdacht nicht ungerecht- fertigt erscheinen lassen, daß man allen andersartigen Beteuerungen zum Trotz den Kassenarzt doch zu einer zusätzlichen besonderen Form der Wirtschaftlichkeit zu zwingen beabsichtigt, und das angesichts des gerade erst im Kassenarztrecht- Weiterentwicklungsgesetz definier- ten Ziels der kassenärztlichen Ver- sorgung, sich am jeweiligen Stand der medizinischen Wissenschaft und Praxis zu orientieren?

..,. Ist es denn so unverständlich, daß wirangesichtsdieser Fakten .ei- ner ganzen Reihe mit dem Brustton tiefer Überzeugung vorgetragener Erklärungen eben nicht den erwar- teten Glauben zu schenken ver- mögen?

Weiterhin: Ein neuer§ 368 n Absatz 5 RVO soll zukünftig bestimmen, daß völlig unabhängig vom Errech- nungsmodus für die Gesamtvergü- tung die von den KVen zu errichten- den Prüfungsinstanzen aus Vertre- tern der Ärzte und der Krankenkas- sen in gleicher Zahl bestehen. Der Vorsitzende, der im jährlichen Wechsel von der Ärzte- und der Krankenkassenseite gestellt werden soll, entscheidet bei Stimmengleich- heit. Nach der Begründung ver- spricht sich die Mehrheit des Bun- destagsausschusses für Arbeit und Sozialordnung hiervon eine "Ver- besserung der Wirksamkeit des Prüfwesens' '.

Nach geltendem Recht hatten die Partner der Verträge die Freiheit, die Zusammensetzung der Prüfungsin- stanzen nach eigenem Wunsch zu regeln, was bekanntlich auch ge- schehen ist.

e

Es muß also erneut die Frage auf- geworfen werden, wo denn auch hier das größere Maß an Vertrags- freiheit und an Spielraum für die Selbstverwaltung im Vergleich zum

jetzigen Recht im Entwurf zu finden ist. Das Gegenteil trifft doch zu; die Vorschritt bewirkt eine Einheitsre- gelung, starr, unflexibel, nicht an- passungsfähig und im Fall der Ver- einbarung pauschaler Faktoren oder gar eines Festbetrages als Determi- nante für die Höhe der Gesamtver- gütung überdies völlig unberechtigt und in keiner Weise sachlich zu be- gründen.

ln Wahrheit: Stärkung

allein der Position der Kassen gegenüber den "Anbietern"

Aber wie hatten Bundesarbeitsmini- ster Dr. Ehrenberg und sein Parla- mentarischer Staatssekretär in ei- nem früheren Stadium der Erör- terungen über den Entwurf ei- nes Krankenversicherungs-Kasten- dämpfungsgesetzes dem Sinne nach doch ausgeführt: Wesentliche Kostendämpfungen verspreche man sich von einer Stärkung der Position der Selbstverwaltung der Kranken- kassen gegenüber den sogenannten

"Anbietern" auf dem Gesundheits- markt - ein erschreckend unhuma- ner Ausdruck, der bezeichrtender- weise vor einigen Jahren von einer Kammer für Sozialfragen der Evan- gelischen Kirche in Deutschland ge- prägt wurde und daher den Politi- kern nicht angelastet werden kann.

e

Daß wir die Vorschrift über die gesetzliche Fixierung paritätischer Prüfungsinstanzen mit allem Nach- druck ablehnen, ist wohl selbstver- ständlich, und ihre Wiederholung hieße Eulen nach Athen tragen. Die Bestimmungen über die Versor- gung mit Arznei-, Verband-, Heil- und Hilfsmitteln sind durch die Be- schlüsse des A+S-Ausschusses ge- genüber geltendem Recht und Re- gierungsentwurf wesentlich geän- dert worden. Der Versicherte soll in Zukunft für Arznei-, Verband- und Heilmittel sowie Brillen einen An- spruch an seine Krankenkasse ha- ben, der sich nach deren Satzung richtet; diese Satzung wiederum soll sich an Richtlinien des Bundesaus- schusses der Ärzte und Krankenkas- sen halten. ln diesen Richtlinien soll

DEUTSCHES ARZTEBLATT Heft 20 vom 19. Mai 1977 1337

(12)

Schlögell: Bericht zur Lage

der Bundesausschuß festlegen, wel- che nach überwiegender Ansicht zum tagtäglichen Gebrauch gehö- renden und ihrer allgemeinen An- wendung nach nicht notwendigen medizinischen Heilmittel nicht unter

die Leistungspflicht der Krankenver-

sicherung fallen. Das gleiche soll für Verband- und Heilmittel sowie für Brillen gelten. Ferner sollen die zu- künftigen Richtlinien des Bundes- ausschusses Arznei- und Heilmittel so zusammenstellen, daß dem Arzt ein Preisvergleich und die Auswahl therapiegerechter Verord- nungsmengen möglich ist.

Eine ebenfalls neue Übergangsrege- lung gibt dem Bundesausschuß - sage und schreibe zwölf Monate nach lnkrafttreten des Gesetzes - Zeit für den Beschluß über diese für die Erhaltung der Therapiefreiheit des Arztes und für den Anspruch des Versicherten an seine Krankenkasse entscheidend wichtigen Bestim- mungen.

..,. Ist es denn wirklich so unberech- tigt, wenn sich einem der Verdacht aufdrängt, daß es den Verfassern im wesentlichen eben doch nur auf den Preisvergleich bei den auf dem Markt befindlichen Arzneimitteln und weniger zum Beispiel auf den Wirksamkeitsnachweis, den Nach- weis der Standardisierung der Wir- kungsdosis, den Nachweis der bio- logischen Verfügbarkeit - also um die wirkliche Transparenz geht?

An den Kosten der Verordnungen soll der Patient in Zukunft mit einer DM je verordnetem Arznei-, Ver- band- und Heilmittel beteiligt wer- den; die Krankenkasse soll die Mög- lichkeit haben, in Härtefällen, vor al- lem dann, wenn sie laufend benötigt werden, die Versicherten von der Zahlung zu befreien. Man will, so die Begründung zu dieser Vorschrift, die mit den Stimmen der CDU/CSU- Ausschußmitglieder verabschiedet wurde, einen Anreiz dazu schaffen, daß weniger Arzneimittel verschrie- ben werden.

Wohl unter dem Eindruck der von fast allen Seiten erhobenen schwe- ren Bedenken gegen den sogenann-

ten Arzneimittelhöchstbetrag als Teil der Gesamtvergütung, die quasi die Kollektivhaftungssumme für Höchstbetragsü bersch reitu ngen werden sollte, hat sich der Ausschuß zu einer kosmetischen Operation entschlossen. Als Bestandteil der Gesamtvergütung sollen die Ver- tragsparteien auch weiterhin einen Arzneimittelhöchstbetrag verei n ba- ren. Bei einer Überschreitung sollen sie gemeinsam prüfen, welche Ursa- chen hierfür maßgebend waren. So-

weit nicht eine unvorhergesehene

und allgemeine erhebliche Zunahme der Morbidität vorliegt, müssen die Vertragsparteien regeln, daß zusätz- liche und gezielte Prüfungen der Verordnungsweise der Ärzte durch- geführt werden mit dem Ziel des Ausgleichs im Wege des Einzelre- gresses. Dies natürlich zusätzlich zu der bisherigen allgemeinen Prüfung der Wirtschaftlichkeit der Verord- nung von Arzneimitteln!

Die Arzneiverordnungen 1977 sollen Grundlage künftiger Durchschnittsberechnung sein Auch bei der einheitlichen Empfeh- lung für die Entwicklung des Arznei- mittelhöchstbetrages soll es blei- ben, obwohl Sachverständige immer wieder darauf aufmerksam gemacht haben, daß diesangesichtsder sehr großen Unterschiede in den Kosten der Verordnung von Arznei-, Heil- und Verbandmitteln bei den einzel- nen Krankenkassen und zwischen den einzelnen Krankenkassenarten auf längere Sicht einfach undurch- führbar ist. Zwangsläufig muß eine einheitliche Empfehlung für das Wachsen des Höchstbetrages zu ei- ner ständig zunehmenden Benach- teiligung solcher Versichertenge- meinschaften führen, die eine relativ geringe Ausgabe je Mitglied und Jahr bisher haben.

Alle Argumente haben den Aus- schuß nicht nur nicht von seinem Beschluß abbringen können; er hat noch ein übriges getan und festge- legt, daß die Verträge über den Höchstbetrag mit Wirkung ab 1. Juli 1978 auf der Grundlage des Durch- schnitts der Aufwendungen der be-

1338 Heft 20 vom 19. Mai 1977 DEUTSCHES ARZTEBLATT

teiligten Krankenkassen für Arznei- mittel im Jahre 1977 zu schließen sind, während der Regierungsent- wurf die Jahre 1976 und 1977 be- rücksichtigen wollte. Auf diese Weise soll nach der Begründung ein im Jahre 1977 zu erwartender gün- stiger Verlauf der Entwicklung der Arzneimittelausgaben stärker zur Geltung kommen.

• Das freiwillige Zusammenwirken von Ärzten und Patienten bei der Kostendämpfung im Jahre 1976 und 1977 soll also dadurch bestraftwer- den, daß das zahlenmäßige Ergebnis der sparsamen Arzneiverordnung zur Grundlage einer in die Zukunft wirkenden Durchschnittsberech- nung gemacht wird. Man ist ver- sucht, von einer Perversion bei der Wertung des Erfolges der Kosten- dämpfung zu sprechen. Es wäre auch keinesfalls verwunderlich, wenn die psychologische Wirkung dieser Bestimmung, falls sie so Ge- setz werden sollte, in der zweiten Hälfte des Jahres 1977 genau den gegenteiligen Effekt hätte .

e

Letztlich ist diese vom Ausschuß verabschiedete Regelung nichts an- deres als das gesetzliche Wiederauf- leben eines individualisierten Regel- betrages in veränderter Form, und es bedarf eigentlich nicht der Fest- stellung, daß wir auch diese Rege- lung mit allem Nachdruck ablehnen.

Die Arzneimittelrichtlinien des Bun- desausschusses der Ärzte und Kran- kenkassen sollen einen besonderen rechtlichen Charakter dadurch er- halten, daß sie der Zustimmung des Bundesministers für Arbeit und So- zialordnung bedürfen. Also von mehr Freiheit und mehr Handlungs- spielraum für die Selbstverwaltung und die Vertragsgestaltung kann auch hier ernstlich kaum gespro- chen werden.

Etwas völlig Neues hat sich die Mehrheit des A+S-Ausschusses bei den Vorschriften über die Zulassung einfallen lassen:

Bestimmungen darüber, daß der Verzicht auf die kassenärztliche Tä- tigkeit im Hinblick auf die Sicher- stellung der kassenärztlichen Ver-

(13)

ildamen

L-3-(;-Hydroxy-a-methyl- phenäthylamino)-3'-methoxy- propiophenon HCI

Novodigal -Acetyldigoxin

Heit<Z-d>r

Flu13-Kraft

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Die konzertierte Therapie kardialer lschämie und Insuffizienz

1. Die Folgen koronarer Herzerkrankung werden durch Steigerung der Myokarddurchblutung kompensiert

2. Die positiv inotrope Wirkung des Herzglykosids wird durch bessere Energiebereitstellung und -utilisation potenziert

3. Die herabgesetzte Kontraktilität des Myokards wird deutlich verbessert

4. ildamen-Novodigal bedeutet mehr Sicherheit für die Glykosidbehandlung bei Bradykardie

Indikationen: Herzinsuffizienz, vor allem, wenn gleichzeitig Symptome einer ischämischen Herzerkrankung (Angina pectoris, Koronarinsuffizienz, Myokardinfarkt) bestehen, namentlich, wenn eine Neigung zur Bradykardie vorliegt. Chronisches Cor pulmonale. Kontraindikationen: Bei Aorteninsuffizienz mit ausgeprägten hätno- dynamischen Veränderungen und bei subvalvulärer Aortenstenose sollte ildamen-Novodigal nicht verordnet werden. Bestehende Kafiummangelzustände sollen gleich- zeitig gesondert behandelt werden. Vorsicht bei gleichzeitiger intravenöser Kalziumtherapie! Nebenwirkungen: Während der Behandlung mit ildamen-haltigen Präparaten kann es ganz selten zu einer vorübergehenden

gleichzeitiger

bzw. einem vorübergehenden Verlust der Geschmacksempfindung kommen. Nach Absetzen des Präparates kehrte die volle Geschmacksempfindung in allen Fällen zurück. Herzwirksame Zusammensetzung:

Glykoside, wie auch Novodigal, können gelegentlich zu Ubelkeit und Brechreiz bzw.

Sehstörungen führen. Durch Reduzierung der Dosis werden diese Erscheinungen im allgemeinen beseitigt. Besondere Hinweise: Erfahrungsgemäß können Medikamente zu einer Schädigung der Leibesfrucht führen. Schwangeren und solchen Frauen, bei denen der Eintritt der Schwangerschaft während der Anwendung des Medikaments nicht auszuschließen ist, wird empfohlen, ärztlichen Rat einzuholen.

1 Tablette 0,2 mg 18 mg 0,2 mg

1 Tablette 0,1 mg 1 2 mg 0,1 mg

Handelsformen:

ildamen -Novodigal Originalpackungen Preise m. MWSt.

Tabletten 0,2 mg 50 Tabletten DM 14,50

100 Tabletten DM 26,20

Tabletten 0,1 mg 50 Tabletten DM 13,20

100 Tabletten DM 23,80

Dosierung: Die Art der kardialen Insuffizienz sowie die Glykosid-Ansprechbarkeit des Patiehten sind für die individuell festzulegende Dosierung maßgebend.

Chemiewerk Homburg

Zweigniederlassung der Degussa, Frankfurt/Main

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Zur mittelschnellen Sättigung:

1. bis 4. Tag täglich 3 x 1 Tablette 0,2 mg Erhaltungsdosis:

täglich 3 bis 4 Tabletten 0,1 mg

Die Einnahme der Tabletten erfolgt am besten unmittelbar vor den Mahlzeiten.

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