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Psychotherapeutengesetz
Qualität bleibt auf der Strecke
N
och hat der von Bundes- gesundheitsminister Horst Seehofer (CSU) auf den Weg gebrachte Gesetz- entwurf für ein „Psychotherapeu- tengesetz" die parlamentarischen Hürden nicht genommen, schon wird das umstrittene Gesetzespa- ket von der CDU/CSU-Fraktion auf der Erfolgsseite der Regie- rungsarbeit verbucht.Es geht nicht nur, wie von sei- ten der Koalition immer wieder unterstrichen wird, um die bloße Etablierung und den Berufszu- gang zweier neuer akademischer Heilberufe, nämlich des Psycholo- gischen Psychotherapeuten und des Kinder- und Jugendlichen- Psychotherapeuten, vielmehr geht es auch um die kostenträchtige Eingliederung dieser beiden Be- rufe in das krankenversicherungs- rechtliche Reglement der Patien- tenversorgung.
Was aber viel gravierender ist: Die Qualifikation der beiden Heilberufe wird nur mehr schlecht als recht gesetzlich festgeschrie- ben. Mithin stehen die Qualität und die Qualitätssicherung auf dem Gebiet der Psychotherapie insgesamt auf dem Spiel.
Aber auch eine Reihe von formalen definitorischen Mängeln weist der Entwurf auf: So läßt er eine rechtssystematische Einord- nung der Psychologischen Psy- chotherapeuten (Dipl.-Psycholo- gen) weithin vermissen. Es ist doch zumindest irreführend, wenn durch die neue Legaldefinition
der Begriff „Psychotherapeut" für die Psychologischen Psychothera- peuten und die Kinder- sowie Ju- gendlichen-Psychotherapeuten eingeführt und für diese reserviert werden soll.
Mit Recht machen die Bun- desärztekammer und die Kassen- ärztliche Bundesvereinigung dar- auf aufmerksam, daß auch nieder- gelassene Vertragsärzte, die ärzt- liche Psychotherapie ausüben, im weitesten Sinne Psychotherapeu- ten sind, allerdings ärztliche Psy- chotherapeuten.
Der Gesetzestext müßte dies zumindest klarstellen und somit für den Patienten erkennbar wer- den lassen, ob es sich nun bei dem Psychotherapeuten um einen Arzt oder einen Psychologen handelt.
Für die Qualitätssicherung unverzichtbar ist eine Vorschrift, wonach ein Psychologischer Psy- chotherapeut die Behandlung ei- nes Patienten erst dann aufneh- men darf, wenn der Arzt somati- sche oder psychiatrische Ursachen der Erkrankung ausgeschlossen und die Indikation für eine Psy- chotherapie ärztlich bestätigt hat.
Dies ist im derzeitigen Stadium des Gesetzentwurfs nicht eindeu- tig berücksichtigt.
Überhaupt steht der Gesetz- entwurf auf Kriegsfuß mit den Vorschriften einer vertieften spe- zifischen und gesicherten Ausbil- dung von Psychotherapeuten.
Nach der derzeitigen Diktion des Entwurfs tritt ein qualitatives Gefälle zwischen ärztlichen
Psychotherapeuten und Psycholo- gischen Psychotherapeuten ein, wenn die Psychologen auch in sol- chen Verfahren ausgebildet wer- den, die in den bisherigen bewähr- ten Psychotherapie-Richtlinien nicht anerkannt sind.
Zudem soll nach dem Regie- rungsentwurf die Vermittlung von Grundkenntnissen in psychothe- rapeutischen Verfahren und von Schwerpunktkenntnissen in einem Verfahren ausreichen, um zu La- sten der Krankenkassen tätig wer- den zu dürfen — unabhängig da- von, ob dieses Verfahren auch im Rahmen der gesetzlichen Kran- kenversicherung abgerechnet wer- den kann.
Ein so nach dem Schnellsie- der-Prinzip vermittelter Kenntnis- und Erfahrungsstand wäre nicht — wie bei psychotherapeutisch täti- gen Ärzten — in eine medizinische Aus- und Weiterbildung eingebet- tet. Zudem: Eine isolierte Befug- nisdefinition der beiden neu zu schaffenden Heilberufe zur Teil- ausübung der Heilkunde im Be- reich der Psychotherapie vernach- lässigt vollends den Aspekt der ganzheitlichen Sicht von somati- schen und psychischen Ursachen sowie Symptomen der Krankhei- ten von Patienten.
Infolge der Herauslösung der rechtlichen Heilkundeausübungs- kompetenz im berufsrechtlichen Bereich der ärztlichen Mitverant- wortung wird der Patientenschutz weder fachlich noch rechtlich aus- reichend berücksichtigt. HC Deutsches Ärzteblatt 90, Heft 45, 12. November 1993 (1) A1-2953