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Somatoforme Störungen

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Academic year: 2022

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H A L I D B A S

Was meint eigentlich somatoform?

Der Begriff «somatoform» stammt aus dem Amerikanischen und ist beschrei- bend. Kennzeichnend ist, dass die Pa- tientin oder der Patient Symptome schil- dert, die aus der organischen Medizin bekannt sind. «Somatoform ist ein tech- nischer Arbeitsbegriff», stellte Paul Hoff klar, «er ist deskriptiv und enthält keine Hypothese.» Allerdings stehen dieser Begriff und die damit assoziierten Dia - gnosen im Spannungsfeld der Leib- Seele-Problematik, des Dualismus, der kategoriale Unterschiede sieht zwischen organisch und psychogen. Die Neuro- wissenschaften haben dies längst rela - tiviert, denn auch bei «organischem»

Schmerz lassen sich «psychische» Phä- nomene mit geeigneten Untersuchungs- methoden als Hirnveränderung sichtbar machen. «Von ‹somatoform› ist der Be- griff ‹psychogen› abzugrenzen, der sug- geriert, wir wüssten Bescheid, aber oft wissen wir es nicht», präzisierte Paul Hoff, «auch ‹funktionell› meint etwas anderes, nämlich dass organisch nichts zu finden ist, aber ein funktionelles De- fizit besteht.»

Patienten mit somatoformen Störungen haben oft somatisch etwas, etwa eine Arthrose oder eine Hypothyreose. Für den Arzt erklären solche Befunde aber das ausgeprägte Beschwerdebild nicht, der Patient hingegen empfindet, dass ihm der Arzt nicht glaubt und ihn als Simulanten betrachtet, der er ja nicht ist.

Diagnosen und Epidemiologie

Mit den somatoformen Störungen hat die International Classification of Diseases (ICD) 10 einen breiten Oberbegriff ge- schaffen, den sie aufteilt in:

■Somatisierungsstörung (F45.0)

■Undifferenzierte Somatisierungsstö- rung (F45.1)

■Hypochondrische Störung (F45.2)

■Somatoforme autonome Funktions- störung (F45.3)

■Anhaltende somatoforme Schmerz- störung (F45.4).

Ätiologisch sind vielfältige Hypothesen vorgebracht worden, die Persönlichkeits - merkmale herausstreichen, Einflüsse des sozialen Lernens sehen und genetische Faktoren mit einbeziehen. Als patho- physiologisch wichtig werden auch ein erhöhtes Arousal sowie soziale, bei-

spielsweise iatrogene Verstärker disku- tiert.

Als relativ häufige, positiv charakteri- sierte Diagnosen kommen vor allem die Somatisierungsstörung und die anhal- tende somatoforme Schmerzstörung vor. Zur Epidemiologie der Somatisie- rungsstörung gibt es wenig gesicherte B E R I C H T

ARS MEDICI 20 2008

903

Somatoforme Störungen

Eine Herausforderung an die Arzt-Patient-Beziehung

Von somatoformen Störungen Betroffene sind eine unbeliebte Patienten- gruppe, da sie sehr schwierig sein können. Über den nicht ganz unproblema- tischen diagnostischen Begriff und die Betreuung solcher Patienten sprach Professor Dr. med., Dr. phil. Paul Hoff, Klinik für soziale Psychiatrie und Allgemeinpsychiatrie ZH West, Psychiatrische Univer sitätsklinik Zürich,

am «Rheuma Top» 2008 in Pfäffikon SZ.

Professor Paul Hoff

«Rheuma Top» ist ein anderthalbtägiges Fortbildungssymposium, das dieses Jahr erstmals gemeinsam von der Rheuma- klinik am Universitätsspital Zürich (Prof.

Beat A. Michel) und von der Universitäts- klinik für Rheumatologie und Klinische Immunologie/Allergologie am Inselspital Bern (Prof. Peter M. Villiger) organisiert wurde. Sponsor ist die Mepha Pharma AG. Das nächste «Rheuma Top» findet am 27./28. September 2009 statt.

Rheuma Top 2008 — Symposium für die Praxis

«Somatoform ist ein technischer

Arbeitsbegriff — er ist deskriptiv

und enthält keine Hypothese.»

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Daten, erklärte Paul Hoff. Frauen sind deutlich häufiger betroffen als Männer.

Einer Somatisierungsstörung begegnet

man vor allem unter ambulanten allge- meinmedizinischen Patienten. Die wirt- schaftliche Bedeutung ist evident, da es sich um einen häufigen Grund zur IV- Berentung handelt.

Für die Somatisierungsstörung gibt es diagnostische Kriterien:

■ Es bestehen über mindestens zwei Jahre multiple, wechselnde Beschwer- den ohne ausreichende somatische Erklä rung.

■ Die Betroffenen verlangen nach häu- figen spezialärztlichen Untersuchun- gen.

■ Die Versicherung, dass keine somati- sche Krankheit vorliege, wird nicht akzeptiert.

■ Es liegt eine Beeinträchtigung fami- liärer und sozialer Funktionen vor.

Auch für die anhaltende somatoforme Schmerzstörung gibt es wenig gesicherte Daten. Der Häufigkeitsgipfel liegt in der vierten und fünften Lebensdekade, und es besteht keine klare Geschlechtsdiffe- renz, ausser dass Frauen bei Fibromyal- gie, Unterbauch- und Spannungskopf- schmerz häufiger betroffen sind.

Die diagnostischen Kriterien für die an- haltende somatoforme Schmerzstörung umfassen:

■ Über sechs Monate anhaltender quä- lender Schmerz ohne ausreichende somatische Erklärung

■ Ständige Beschäftigung mit dem Schmerz

■ Zusammenhang mit emotionalen und psychosozialen Problemen

■ Das Beschwerdebild steht nicht im Rahmen einer Schizophrenie oder affektiven Störung.

«Die Diagnose von somatoformen Stö- rungen darf erst gestellt werden, wenn interdisziplinär viel gelaufen ist, nicht

als Ausschlussdiagnose, sondern anhand positiver psychologischer Kriterien», präzisierte der Psychiater. Auf dem Weg

dahin gilt es, organische Ursachen aus- zuschliessen, wichtig ist aber, die Dia - gnostik zu dosieren. Abklärungen sollen früh genug erfolgen, klar begründet werden und dürfen nicht unkritisch wie- derholt werden. Im Rahmen der Abklä- rung ist neben psychiatrischen Komor- biditäten der Kombination ungünstiger

Persönlichkeitszüge unbedingt Beach- tung zu schenken, was eine ausführliche biografische Anamnese erfordert, die oft ein Spannungsfeld zwischen ängstlich- zwanghaften Zügen und einem ordent - lichen, ehrgeizigen Wesen ergibt, das in Zusammenhang steht mit einer rigiden Herkunft. Versicherungen reagieren auf die Erwähnung von Persönlichkeitsmerk- malen oft negativ, weshalb in psychiat ri - schen Gutachten immer darauf hinge- wiesen werden muss, dass beschriebene Persönlichkeitscharakteristika im Hin- blick auf die Somatisierungsstörung nicht kausal aufgefasst werden dürfen.

Therapeutische Prinzipien

Die Behandlung muss interdisziplinär sein und Hausarzt, Rheumatologen, Neurologen und Physiotherapeuten so - wie Psychiater beziehungsweise Psycho- therapeut umfassen. Neben vorsichtig konfliktzentrierten Gesprächen kommen auch rehabilitative Massnahmen wie das Führen eines Schmerztagebuchs sowie eine Kombination mit Psychopharmaka zum Einsatz. Wunder darf man nicht er- warten, deutliche Erfolge sind im besten Fall bei rund 10 Prozent der Betroffenen zu erreichen. «Selektive Serotoninwieder- aufnahme-Hemmer (SSRI) sind spe ziell

bei somatoformer Schmerzstörung in einem recht hohen Prozentsatz wirk- sam, sie wirken günstig auf die Schmerz- wahrnehmung und auf begleitende de- pressive Symptome. Demgegenüber ist die Datenlage für Trizyklika schlechter, und die Nebenwirkungen sind limitie- rend», bemerkte Professor Hoff.

Im Gesprächskontakt ist grosse Be hut - samkeit gefordert, die Betroffenen ha - ben oft grosse Angst, als Simulanten oder als verrückt angesehen zu werden und im Irrenhaus zu enden. Werden Konflikte zur Sprache gebracht, reagie- ren sie sofort misstrauisch. Für diejeni- gen, die bei der Stange bleiben, sind psy- chotherapeutische Erfolge jedoch mög- lich. Einen gesicherten Platz hat in dafür

geeigneten Fällen die Verhaltensthera- pie. «Für die Therapie besonders wichtig ist es, mit dem ‹Krankheitskonzept› des Patienten zu arbeiten», die Arbeitsun - fähigkeitszeiten zu minimieren und re- habilitative Massnahmen, idealerweise am Arbeitsplatz, durchzuführen», sagte Paul Hoff. Zu den leitenden Gesichts- punkten für das ärztliche Handeln im Um- gang mit dieser Patientengruppe sagte er:

■ Man muss die schwierige Arzt- Patient-Beziehung akzeptieren. Der Kernpunkt dabei ist es, die Diskre- panz zwischen Befund und Befinden auszuhalten.

■ Cave «Gesichtsverlust» des Patien- ten! Wenn es gelingt, den Schmerz zu akzeptieren und den Patienten nicht einfach in die «Psychoecke» zu stellen, ist das schon ein grosser Erfolg.

■ Regelmässige, symptomunabhängige Konsultationen vereinbaren.

■ Wichtig ist auch die Kommunikation der verschiedenen Behandler unter-

einander.

Halid Bas

Interessenlage: Diese Berichterstattung wurde durch die Mepha Pharma AG, Aesch, unterstützt. Die Firma hat auf den Inhalt keinen Einfluss genommen.

B E R I C H T

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ARS MEDICI 20 2008

«Die Diagnose von somatoformen Störungen darf erst gestellt werden, wenn interdisziplinär viel gelaufen ist, nicht als Ausschluss - diagnose, sondern anhand positiver psychologischer Kriterien.»

«Wenn es gelingt, den Schmerz zu akzeptieren und den Patienten nicht

einfach in die ‹Psychoecke› zu stellen, ist das schon ein grosser Erfolg.»

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