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Belastungen von Kindern und Jugendlichen depressiver Eltern

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Academic year: 2021

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Fachbereich Soziale Arbeit, Bildung und Erziehung

Belastungen von Kindern und Jugendlichen

depressiver Eltern

Masterthesis

im Studiengang Beratung von

Volkmann, Annelie

Datum der Abgabe: 16.11.2018

Erstgutachterin: Prof. Dr. Claudia Nürnberg

Zweitgutachter: Prof. Dr. Andreas Speck

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Inhaltsverzeichnis

EINLEITUNG………..1

1 DEPRESSION- DIE DAME IN SCHWARZ 1.1 Das Krankheitsbild ... 3

1.2 Bedeutung für das Leben mit Kindern ... 5

1.2.1 Auswirkungen auf die Erziehungsfähigkeit ... 5

1.2.2 Beurteilung der Erziehungsfähigkeit bei affektiven Erkrankungen ... 7

1.3 Risikofaktoren der Familie ... 8

1.3.1 Genetische Disposition ... 9

1.3.2 Risikofaktoren der Eltern ... 11

1.3.3 Postnatale Depression ... 18

1.4 Resilienzfaktoren ... 20

1.4.1 Schutzfaktoren des Kindes ... 21

1.4.2 Schutzfaktoren der Familie ... 22

1.4.3 Schutzfaktoren der Umwelt ... 23

2 DIE PERSPEKTIVE DER KINDER 2.1 Wahrnehmung und Erleben der elterlichen Erkrankung ... 25

2.2 kindliche Gefühle und Gedanken ... 27

2.2.1 unmittelbare Probleme der elterlichen Erkrankung ... 28

2.2.2 Folgeprobleme der elterlichen Erkrankung ... 33

2.3 Auswirkungen der Erkrankung auf das Familienleben ... 35

2.3.1 Parentifizierung ... 37

2.3.2 Tabuisierung/ Kommunikationsverbot ... 41

2.3.3 Wissen der Kinder über die elterliche Erkrankung ... 44

3 INTERVENTIONS- UND UNTERSTÜTZUNGSANGEBOTE 3.1 Welche Hilfen werden gewünscht? ... 46

3.2 Möglichkeiten der Förderung sozialer Ressourcen ... 50

3.3 Familienorientierte Präventionsangebote 3.3.1 Erziehungsberatungsstelle ... 54

3.3.2 Der Ansatz nach Beardslee ... 55

3.3.3 Der CHIMPs-Ansatz ... 58

3.3.4 Das AURYN-Konzept ... 63

4 FAZIT ……….67

LITERATUR- UND QUELLENVERZEICHNIS………70

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Einleitung

„Ich kann mich noch genau an mein fünftes Lebensjahr erinnern wo ich das ers-te Mal merkers-te, daß etwas nicht stimmers-te. […]

Ich habe damals nicht verstanden, wie sich ein Mensch so schnell verändern kann […]. Wenn ich im Haus war, mußte ich Rücksicht nehmen und ganz be-sonders leise sein. Ich fand für nichts Erklärungen, ich fühlte mich nicht wirklich

geliebt, …] fühlte mich schuldig, nichts dagegen tun zu können, wenn es ihr schlechtging. Ich hatte den Verdacht, daß sie mich mit ihrer Krankheit bestrafen wolle, daß sie mir mit einer >>schlechten Zeit<< zeigen wolle, daß ich böse war und ihr nicht gehorchte, wenn ich doch einmal eine Freundin mit nach Hause

brachte. Manchmal war ich so wütend, daß ich, wenn es ihr gutging, extra schwierig und gemein zu ihr war, irgend etwas Böses zu ihr sagte, um sie zu verletzen. Ich bemerkte, daß ich meine Mutter damit traf, und ich empfand mich

als ekelhaft, boshaft und schlecht, weil ich sie doch eigentlich so liebte. Warum konnte ich so etwas tun? Heute weiß ich, daß ich damit demonstrieren wollte:

>>Hallo, halt, ich bin auch noch da! Habe mich lieb um meiner selbst willen, nutze mich nicht aus für deine Bestätigungen und beschneide mich nicht um meine Freiheit, die ich doch so brauche. Ich leide, Mama, und deine

Krank-heit belastet mich so sehr. <<“ (Bathe, 2000, S.38-40, retroperspektiv der heute 26-jährigen Autorin, Mutter leidet u.a. an einer endogenen1 Depression In Deutschland erkranken jährlich ca.13,5 % der Frauen und 4,4 % der Männer an einer Depression. Dies bedeutet, dass es ca. 7,8 Millionen Betroffene gibt. (Döbele & Becker, 2016, S. 87). Davon erleiden mehr als 80% der depressiv Erkrankten in ihrem Leben mehr als eine Krankheitsphase (Sarimski, 2013, S.32).

Sind die Eltern psychisch erkrankt, leiden vor allem auch ihre Kinder.

Über 500.000 Kinder wachsen mit einem psychisch erkrankten Elternteil auf. Allein über 300.000 Kinder davon haben mindestens einen Elternteil, der an einer Depression leidet. (Andresh, 2011; Schlüter-Müller, 2009, Folie 5; Weiss-man et al., 1984, S.845 ff.).

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Der überwiegende Anteil der erkrankten Eltern, lebt gemeinsam mit ihren min-derjährigen Kindern zusammen. Laut einer Studien von Lenz (2005, 2014) le-ben 77% der erkrankten Mütter und 60% der psychisch kranken Väter gemein-sam mit minderjährigen Kindern im selben Haushalt.

Verschiedene Prozentangaben gibt es zum Anteil der Patient/-innen mit minder-jährigen Kindern, die in der stationären Psychiatrie aufgenommen wurden. Hierbei schwanken die Zahlen zwischen 19% (Schone/Wagenblass 2002) bis 27% (Lenz 2005). Dies bedeutet, dass jede/-r 4. bzw. 5. Patient/-in der stationä-ren Psychiatrie minderjährige Kinder hat. Somit lag der Anteil der minderjähri-gen Kinder von stationär aufminderjähri-genommenen Patient/ -innen im Jahr 2012 allein bei 303.938 (Wagenblass, 2014, Folie 9 ff.).

Auch wenn in der modernen Gesellschaft die Chancengleichheit angestrebt wird, gibt es keine Chancengleichheit für Kinder psychisch Erkrankter (Schröder-Korf, Wienand-Kranz, Wiegand-Grefe, 2013, S.94).

Somit zeigen nicht nur die Zahlen die Bedeutung des Themas ‚Depression‘. Doch was bedeutet es, als Kind eines depressiv erkrankten Elternteils aufzu-wachsen? Um dieser Frage nachzugehen, werden zunächst die Symptome ei-ner Depression erläutert. Es ist wichtig, zuerst einmal die Erkrankung und die sich daraus ergebenen Besonderheiten und Herausforderung zu erörtern, um somit die kindlichen Belastungen die sich daraus ergeben, zu verstehen.

Ist ein, oder sind sogar beide Elternteile erkrankt, hat dies unmittelbare Auswir-kungen auf die gesamte Familie. Diese spüren auch die Kinder, die im Famili-ensystem aufwachsen und auf dieses angewiesen sind.

Im Mittelpunkt der Masterthesis stehen immer die Kinder- auch wenn es Ablei-tung zu den Eltern gibt, die aus eben beschriebenen Gründen erfolgen.

Meine Arbeit wird, insbesondere durch retroperspektive Aussagen von Kindern und Jugendlichen deren Eltern depressiv erkrankt sind, vervollständigt.

Für die Bearbeitung dieser Arbeit wurde zum großen Teil Literatur von den Ex-perten im Bereich von Kindern psychisch kranker Eltern genutzt, zu denen u.a. der Pädagoge, Soziologe sowie Psychologe Albert Lenz zählen, ebenso wie Fritz Mattejat, Angela Plass und Silke Wiegand-Grefe.

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1 Depression- Die Dame in Schwarz

Im folgenden Kapitel werden die Symptome einer Depression beschrieben und das Krankheitsbild mit seinen Auswirkungen etwas genauer erklärt. Diese Symptome der erkrankten Eltern haben nicht nur Auswirkungen auf sie selbst, sondern natürlich auch auf ihre Kinder. Die Krankheitsmerkmale können auch dazu führen, dass die elterliche Erziehungsfähigkeit eingeschränkt ist. Auch weitere Risikofaktoren ergeben sich für die Kinder durch die elterliche Erkran-kung, die in diesem Abschnitt etwas ausführlicher erläutert werden. Demgegen-über stehen einige Schutzfaktoren, welche Betrachtung finden.

1.1 Das Krankheitsbild

Zu den schwersten psychischen Erkrankungen gehören neben den Schizo-phrenien die affektiven Erkrankungen (Mattejat, 2000, S.66 ff.), welche im ICD-10 (=international classification of diseases ICD-10) unter F30-F39 klassifiziert sind (Krollner, 2018). Dazu zählen die (endogenen) Depressionen, manisch-depressive Erkrankungen und Manien. Bei diesen Krankheitsbildern zeigen sich die Probleme psychisch kranker Eltern am deutlichsten (Mattejat, 2000, S.66 ff.).

Diese zeichnen sich dadurch aus, dass sie durch krankhafte Veränderungen der Stimmungslage charakterisiert sind (Wiegand-Grefe, Halverscheid & Plass, 2011, S.53).

So definiert auch Plattner (2017) affektiven Erkrankungen wie folgt:

„Unter affektiven Erkrankungen sind Störungen zu verstehen, die mit einer ver-änderten Stimmungslage einhergehen“ (S.34).

Die Entstehung sowie die Ursachen affektiver Störungen sind multifaktoriell be-dingt. Häufig spielen genetische Faktoren und die biologische Disposition eine Rolle. Bei der Auslösung der Störung sind je nach Art der depressiven Erkran-kung auch psychoreaktive Faktoren von Bedeutung (Wiegand-Grefe, Halver-scheid & Plass, 2011, S.53).

Wie bereits angedeutet, werden im Wesentlichen zwischen zwei Arten affektiver Erkrankungen unterschieden (Plattner, 2017, S.34). Meist äußern diese sich in Richtung Depression oder Manie (Wiegand-Grefe, Halverscheid & Plass, 2011,

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S.53). Depressive Symptome weisen eine geminderte Stimmung auf, manische Symptome gehen mit gehobener Stimmung einher (Plattner, 2017, S.34).

Bei einer bipolaren Störung wechseln sich manische sowie depressive Phasen im Wechsel ab, bei einer unipolaren Störung hingegen besteht eine Depression oder eine Manie (Plattner, 2017, S.34). Auch nach Beardslee, Versage & Gla-dstone (1998, S.1134 ff.) ist es sinnvoll, die Unterscheidung zwischen elterli-chen unipolaren und bipolaren Störungen vorzunehmen, da es gut erforschte und belegte Auswirkungen für unipolare depressive Erkrankungen gibt. Die spezifischen Auswirkungen einer bipolaren Erkrankung der Eltern auf die psy-chische kindliche Gesundheit werden seit Anfang der 90-er untersucht (Wals et al., 2001, S.1094 ff.).

Die ‚Depressiven Episoden‘ sind im ICD-10 unter F32 zu finden (Krollner, 2018).

Bei ca. 60-80% der depressiv Erkrankten tritt komorbid mindestens eine weitere psychische Störung auf (Kessler et al., 2003, S.3095 ff.). Am häufigsten treten zusätzlich alle Formen von Angststörungen (Mufson et al. 1992, S.1 ff.; Plattner, 2017, S.35) auf, wie z.B. Agoraphobie, Panikstörung, eine generalisierte Angst-störung oder soziale oder spezifische Phobien (Plattner, 2017, S.35).

Es gibt viele Symptome, welche bei einer Depression typischerweise auftreten. Dazu gehören z.B. Müdigkeit, eine ängstliche Grundstimmung, Schlafstörun-gen, Interessenverlust, Druckgefühle, ein Morgentief, Schmerzen, Klagsamkeit, Wahn, Suizidalität, Schuldgefühle sowie Selbstzweifel und –vorwürfe, Nieder-geschlagenheit, verminderter Antrieb und ein verminderter Appetit (Plattner, 2017, S.37; Krollner, 2018). Bei vielen Betroffenen treten zusätzlich Ängste, Panikattacken sowie Zwangsgedanken auf. Auch dem Kind gegenüber werden häufig ambivalente Gefühle empfunden. Diese schwanken zwischen Ablehnung und übertriebener Sorge (Sarimski, 2013, S.30).

Es gibt verschiedene Schweregrade einer Depression. Bei einer leichten de-pressiven Episode (F32.0 ICD-10) ist der Patient im Allgemeinen von mindes-tens zwei oder drei genannten Krankheitsauswirkungen beeinträchtigt, jedoch oft noch in der Lage, den überwiegenden Teil der Aktivitäten fortzusetzen (Krollner, 2018).

Bei der mittelgradigen depressiven Episode (F32.1 ICD-10) sind gewöhnlich mindestens vier Krankheitsmerkmale vorhanden und der Erkrankte hat in den

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meisten Fällen große Schwierigkeiten, die alltäglichen Handlungen umzusetzen (edg.).

Eine schwere depressive Episode ohne psychotische Symptome (F.32.2 ICD-10) besteht dann, wenn es mehrere oben angegebene, quälende Anzeichen gibt. Hierfür ist typisch, dass sich Gefühle der Wertlosigkeit und Schuld einstel-len und es zum Verlust des Selbstwertgefühls kommt. Während dieser Episode liegen meist auch einige somatische Symptome vor und häufig kommt es zu Suizidgedanken- und Handlungen (Krollner, 2018).

Eine Manische Episode, welche im ICD-10 unter F.30 klassifiziert ist (Krollner, 2018), zeichnet sich dagegen durch andere Auswirkungen aus, wie z.B. Ideen-flucht, eine hohe Sprachproduktion, ein Stimmungshoch, Größenwahn, riskan-tes Verhalten und Selbstüberschätzung, gesteigerte sexuelle Aktivität, fehlen-des Krankheitsgefühl und vermehrter Antrieb (Plattner, 2017, S.37).

1.2 Bedeutung für das Leben mit Kindern

Die eben erwähnten Symptome der erkrankten Eltern haben zwangsläufig Auswirkungen auf ihre Kinder, die durch die Depression bzw. Manie ihrer Eltern eine Hochrisikogruppe (Mattejat, 2000, S.67 ff.) darstellen.

Einerseits werden die Kinder durch die genetische Weitergabe belastet, ande-rerseits durch die sozialen Faktoren, welche im Folgenden noch erläutert wer-den. Doch wann können depressiv erkrankte Eltern ihren Rechten und Pflichten auf Erziehung nicht mehr nachkommen und was ist die Folge?

1.2.1 Auswirkungen auf die Erziehungsfähigkeit

Während einer akuten mittelgradigen oder schweren Krankheitsphase ist die Erziehungsfähigkeit eines depressiven Elternteils stark beeinträchtigt. Beson-ders bei Säuglingen und jüngeren Kindern ist eine Gefährdung des körperlichen Kindeswohls bei depressiven elterlichen Erkrankungen bedrohlich. Es besteht auch die Gefahr einer Bindungsstörung (Plattner, 2017, S.43).

Ist ein Elternteil depressiv erkrankt, ist der Schutz des Kindes sowie eine zuver-lässige Versorgung eingeschränkt, da es bei depressiven Erkrankungen zu Konzentrations-, Aufmerksamkeitsstörungen und Antriebsschwäche kommt. Aus diesem Grund können betroffene Eltern auch in Gefahrensituationen nicht

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mehr angemessen reagieren. Ebenso ist die Belastbarkeit insgesamt einge-schränkt, da Depressive schnell ermüden und mehr Ruhephasen als gesunde Elternteile benötigen (siehe 1.1). Treten unbehandelte mittelgradige oder schwere Depressionen bei den Eltern auf, kommen diese nur erschwert aus dem Bett und die Kinder sind auf sich selbst angewiesen. Die emotionale An-sprechbarkeit und der emotionale Druck sind bei depressiven Erkrankungen eingeschränkt (Plattner, 2017, S.43).

Besteht auch die unbedingte Liebe zum Kind ist es für Erkrankte schwer, dies auch auf emotionaler Ebene auszudrücken und auf die kindlichen emotionalen Befindlichkeiten zu antworten. Aus diesem Grund entstehen auf Seiten der Kin-der emotionale Defizite, was sich z.B. darin äußert, dass sie bei Kin-der Regulation ihrer Emotionen wie großer Freude, Trauer oder Frustration auf sich selbst zu-rückgeworfen sind (Plattner, 2017, S.43).

Emotionale Vernachlässigung und seelische Misshandlung des Kindes kann durch die Überforderung des erkrankten Elternteils entstehen, welches sich evtl. in erhöhter Reizbarkeit und feindseliger Ablehnung des Kindes zeigt. Dies kann schwerwiegende Folgen für die seelische kindliche Entwicklung haben (Platt-ner, 2017, S.43).

Weitere Gefährdungsmomente treten auf, wenn es auch manische Phasen gibt. Die kindlichen Bedürfnisse nach Struktur und Ruhe können durch die elterliche Überaktivität nicht erkannt oder befriedigt werden (Plattner, 2017, S.43).

Wilson (2002) zeigt in dem Jugendbuch ‚Tattoo Mum‘ eindrucksvoll, wie an-strengend sich die Strukturlosigkeit für die Kinder gestaltet: die Mutter backt zum Geburtstag der Tochter gleichzeitig sieben Torten, von der keine fertig wird. Ein weiteres Beispiel ist, dass die Mutter während eines ausgedehnten Ausfluges nicht bemerkt, wie hungrig das Kind ist und dass es friert.

Letzteres Beispiel stellt eine körperliche Gefährdung des Kindes dar. Durch die Selbstüberschätzung und das riskante Verhalten ergeben sich weitere gefähr-dende Situationen, wie z.B. riskantes Fahrverhalten im Straßenverkehr (Platt-ner, 2017, S.44 ff.).

Die elterliche Diagnose alleine reicht jedoch nicht, um die ausreichende Erzie-hungsfähigkeit einzuschätzen. Es müssen weitere Kriterien betrachtet werden. Die allgemeine Tendenz für eine ungeeignete Erziehungsfähigkeit ist häufig gegeben, wenn die Eltern Wahn oder zusätzliche Persönlichkeitsstörungen

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ha-ben oder trotz Behandlung eine massive Symptomatik vorhanden ist, die kindli-chen Ressourcen zu gering sind und andere Hilfemöglichkeiten nicht ausrei-chen (edg.). Weitere Risikofaktoren neben einer psychisausrei-chen Erkrankung sind z.B. die eigene Herkunft aus zerrütteten Familienverhältnissen, Drogen- oder Alkoholabhängigkeit oder Gewalt in der Familie (Sarimski, 2013, S.34).

Eine Erhebung bei Jugendämtern ergab, dass bei ¼ der Fälle aller eingeleiteten Sorgerechtsverfahren wegen Kindeswohlgefährdung, enorme Belastungen durch eine elterliche psychische Erkrankung auftraten (Sarimski, 2013, S.34). Doch ab wann kann die elterliche Erziehungsfähigkeit nicht länger gewährt werden?

1.2.2 Beurteilung der Erziehungsfähigkeit bei affektiven Erkrankungen

Bei der Beurteilung der Erziehungsfähigkeit sind vor allem zwei Dinge zu be-achten. Zum einen darf das Kind nicht die Stabilisierung seiner Eltern gewähr-leisten, zum anderen ist eine psychische Erkrankung allein jedoch kein Grund, die Erziehungsunfähigkeit festzustellen (Plattner, 2017, S.30). Dies liegt u.a. daran, dass die Krankheitsverläufe sehr individuell und unterschiedlich sind (Wiedemann, 2013, S.6 ff.).

Können psychisch kranke Eltern das Kindeswohl nicht (mehr) gewährleisten, und zeigen keine Krankheitseinsicht bzw. nehmen dies billigend in Kauf und lehnen externe Hilfe ab, führt dies zu Problematik (Schone, 2000, S. 110). Bei dieser Haltung sind (Entwicklungs-) Schäden mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten. Treten diese ein, spricht man von einer ‚Kindeswohlgefährdung‘, bei der der zweite Satz, Artikel 6 Absatz 2 des Grundgesetzes greift: „Über ihre Be-tätigung wacht die staatliche Gemeinschaft“ (Schone, 2000, S.110).

Das Risiko für schwerwiegende Störungen des seelischen Kindeswohls ist vor allem dann erhöht, wenn der betreuende Elternteil bereits vor oder seit der Ge-burt erkrankt ist, oder in der frühen Lebenszeit des Kindes eine psychische Stö-rung entwickelt. Die weitere kindliche Belastung ist abhängig von weiteren Fak-toren wie die Schwere und Chronizität der psychischen Erkrankung und die vorhandenen Resilienzfaktoren des Kindes (siehe auch 1.4). Weitere Kriterien für die Beurteilung sind unterstützende soziale Netzwerke des Kindes, die elter-liche Kooperationsbereitschaft und das Hilfesuchverhalten, die Partnerbezie-hung der Eltern, die Qualität der Eltern-Kind-BeziePartnerbezie-hung sowie die Möglichkeit

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der Kompensation von Defiziten in der Erziehung. Des Weiteren müssen Ein-schätzungen zu Entwicklungsauffälligkeiten, soziale und psychische Auffällig-keiten sowie Ressourcen eingeschätzt werden. Die Fremdunterbringung stellt gesetzlich die letzte mögliche Maßnahme dar (Plattner, 2017, S.30 ff.).

Die Jugendhilfe hat nicht lediglich zur Aufgabe die Eltern bei der Erziehung ihrer Kinder zum Kindeswohl zu unterstützen, sondern auch das Kind gegen den Wil-len der Eltern vor Gefahren für sein Wohl zu schützen. Die Jugendämter haben demnach eine Doppelrolle den Eltern gegenüber: sie fungieren einerseits als familiärer Unterstützer, andererseits das Schützer der Kinder. Das Jugendamt ist verpflichtet, das zuständige Gericht zur Abwendung einer Kindeswohlgefähr-dung zu informieren, wenn die Eltern sich im Bedarfsfall nicht von der Inan-spruchnahme von Hilfen überzeugen lassen (Schone, 2000, S.110).

Jedoch kommt es in vielen Fällen auch zu keiner Kindeswohlgefährdung, was nicht bedeutet, dass es nicht weitere Risikofaktoren für die Kinder gibt.

1.3 Risikofaktoren der Familie

Die Kinder psychisch erkrankter Eltern stellen eine Hochrisikogruppe dar. Dies liegt auch an den elterlichen Risikofaktoren (Mattejat, 2000, S.67 ff.).

Kinder depressiv erkrankter Eltern sind anfälliger dafür, später selbst einmal eine depressive Episode zu erleben und so titelte auch das Statistische Bun-desamt: „Immer mehr Kinder und Jugendliche leiden an Depressionen“. Seit der Jahrtausendwende verdoppelte sich die Anzahl der stationären Behandlungs-fälle sogar. Durch die stark erhöhte Anzahl an Betroffenen rückte auch die WHO das Thema „Depression“ zum Weltgesundheitstag am 7. April 2017 in den Mittelpunkt (Destatis, 2017). Dies betont noch einmal die Wichtigkeit des Themas.

Es konnte nachgewiesen werden, dass genetische Komponenten die Manifes-tation einer affektiven Psychose zwar nicht allein erklären, jedoch eine wichtige Rolle bei der Vererbung spielen (Mattejat, 2000, S.67 ff.). Aus diesem Grund werden sie folglich genauer betrachtet.

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1.3.1 Genetische Disposition

„1988 machte ich mir auch Gedanken darüber, ob die Sache erblich sei. Ich dachte, ich würde nie Kinder haben wollen und können, weil ich

nie-mandem solche Phasen >>vorsätzlich<< zumuten wolle.“ (zu dem Zeitpunkt war die Autorin 17, Tochter der Familie H., 2000,

S.52)

Zum Teil ist die Verletzlichkeit bzw. Anfälligkeit bei Kindern psychisch erkrank-ter Elerkrank-tern durch die genetische Belastung für psychische Erkrankungen stark erhöht (Mattejat, 2000, S.69; Wüthrich, Mattejat, & Remschmidt, 1997, S.141). So ergaben bereits Beobachtungen von Janet, aus den 20-er Jahren, dass Kin-der ein erhöhtes Risiko für psychische Störung aufweisen (Plass, Wiegand-Grefe, 2012, S.19). Laut Wüthrich, Mattejat und Remschmidt (1997, S. 141 ff.) weisen Kinder, deren Eltern depressiv erkrankt sind, ein zwei- dreifaches erhöh-tes Risiko auf, ebenfalls affektiv zu erkranken. Plass und Wiegand-Grefe (2012, S.53) berichten sogar von einem sechsfach erhöhten Risiko und einem zwei- bis dreimal höherem Risiko für andere affektive Erkrankungen im Vergleich zur Gesamtbevölkerung. Eine elterliche Störung stelle dabei auch den Hauptrisiko-faktor für die Entwicklung einer psychischen Störung im Kindes- und Jugendal-ter dar.

Sind beide Eltern depressiv erkrankt, ist die Wahrscheinlichkeit für eine starke Depression sogar um das Sechsfache im Vergleich zu Kindern unauffälliger Eltern erhöht. Die Wahrscheinlichkeit im Leben irgendeine Form der Depression zu entwickeln steigt dann sogar auf 70%, (Plass & Wiegand-Grefe, 2012, S.54; Wüthrich, Mattejat & Remschmidt, 1997, S.141 ff.).

Auch für andere psychiatrische Störungen sind Kinder depressiver Eltern anfäl-liger. Dabei variiert die Rate allgemeiner psychopathologischer Auffälligkeiten zwischen 30% und 45% (Wüthrich, Mattejat, & Remschmidt, 1997, S.141 ff.). Die Risiken für die Entwicklung von Substanzabhängigkeit sowie Angststörun-gen steigt etwa um das Dreifache im Vergleich zu Kindern mit Eltern ohne De-pressionen (Plass & Wiegand-Grefe, 2012, S. 53). Bei ca. 50% der Kinder de-pressiver Eltern finden sich unspezifische Auffälligkeiten wie Lernprobleme so-wie externalisierende oder internalisierende Verhaltensauffälligkeiten (Beards-lee, Versage, Gladstone, 1998, S.1134 ff.) Auch Field et al. (1988, S.7 ff.) fan-den heraus, dass es eine Vielzahl von Anpassungsproblemen sowie

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Verhal-tensauffälligkeiten geben kann. Diese beziehen sich auf den emotionalen, sozi-alen und kognitiven Bereich. Dies wird auch von Beardslee, Versage und Gla-dstone (1998, S.1134 ff.) bestätigt. Bereits in frühster Kindheit können erste Anzeichen einer abweichenden Entwicklung beobachtet werden (Wüthrich, Mattejat & Remschmidt, 1997, S. 142). Ebenso treten häufiger Panikstörungen, Verminderungen im allgemeinen Funktionsniveau, Phobien, Einschränkungen in den interpersonalen Bindungsfähigkeiten und Sucht- und Abhängigkeitser-krankungen auf (Plass & Wiegand-Grefe, 2012, S. 55 ff.).

Auch Wüthrich, Mattejat und Remschmidt (1997, S.141) vermuten, dass geneti-sche Faktoren bei der Übertragung affektiver Erkrankungen von Bedeutung sind. Die Autoren stützen diese Aussage durch verschiedene Befunde. Zum einen zeigen Familienstudien, dass bei Kindern deren Eltern depressiv sind, im Vergleich zur Gesamtpopulation gehäuft depressive Erkrankungen auftreten.

Adoptionsstudien bestätigen, dass die biologische Verwandtschaft bezüglich

des Morbiditätsrisikos2 eine ausgeprägtere Rolle für eine depressive Erkran-kung einnimmt als bei Adoptionsverwandtschaften. Ebenso belegen Zwillings-studien, dass bei eineiigen Zwillingen eine ungefähr dreimal höhere Konkor-danzrate3 besteht, als bei zweieiigen Zwillingen. Diese Befunden bestätigen eine Bedeutung der genetischen Faktoren, verdeutlichen aber auch nur teilwei-se das Zusammenspiel zwischen der Erkrankung der Eltern sowie die Auffällig-keiten der Kinder. Es gibt andere Faktoren welche einen ebenso wichtigen Ein-fluss nehmen (Wüthrich, Mattejat, & Remschmidt, 1997, S. 141 ff.).

Die internationale Forschergruppe um Caspi und Kollegen (2003, S.386 ff.) un-tersuchten in einer repräsentativen Längsschnittstudie, wieso einige Menschen durch belastende Lebensumstände an einer Depression erkranken, andere wiederum nicht. Die Geburtenkohorte der Studie lag bei N>800. Diese epidemi-ologische Studie kam zu dem Ergebnis, dass es eine Gen-durch-Umwelt-Interaktion gibt.

In früheren Studien wurde belegt, dass eine Unterversorgung mit Serotonin4 die Entwicklung einer Depression bedingen kann. Das Serotonin-Transporter-Gen hat starken Einfluss auf den Serotonin-Stoffwechsel im Gehirn (Plass & Wie-gand-Grefe, 2012, S.33 ff.).

2 (Med.) Krankheitsstand; Erkrankungsziffer (Duden, 2006, S.703) 3 Übereinstimmung (Duden, 2006, S.597)

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Festzuhalten ist, dass lediglich eine Vulnerabilität ererbt wird, die genetischen Einflüsse bei der Entwicklung psychischer Störungen jedoch eine Rolle über-nehmen. Die weitere Entwicklung einer psychischen Störung hängt von Um-weltfaktoren ab. Es wird demnach nicht der Phänotyp vererbt, sondern lediglich der Genotyp (Plass & Wiegand-Grefe, 2012, S.35).

Somit sind bei der wissenschaftlichen Untersuchung von Kindern psychisch erkrankter Eltern eine Vielzahl von Faktoren zu berücksichtigen, welche die kindliche Entwicklung beeinflussen. Neben der genetischen Komponente gibt es also noch einen weiteren Faktorenkomplex, die psychosozialen Vermitt-lungsprozesse, denn Kinder psychisch erkrankter Eltern leben häufig mit be-deutenden psychischen sowie sozialen Belastungsfaktoren (Mattejat, 2000, S.69).

So untersuchten auch die Kinderpsychiater Rutter und Quinton (1984, S.53 ff.) den Zusammenhang zwischen den elterlichen psychischen Erkrankungen und dem Auftreten einer kindlichen psychischen in einer 4 Jahre angelegten pros-pektiven Studie. Dabei formulierten die Autoren, dass der Hauptrisikofaktor nicht in der psychischen Erkrankung der Eltern liege, sondern in den psychoso-zialen Belastungen der Familie, die damit assoziiert werden (Plass & Wiegand-Grefe, 2012, S.20).

Aus diesem Grund werden nun die elterlichen Risikofaktoren betrachtet.

1.3.2 Risikofaktoren der Eltern

Die elterliche Erkrankung kann verschiedene Auswirkungen auf die kindliche Entwicklung nehmen. Beeinflusst werden die Auswirkungen u.a. durch ver-schiedene Krankheitsparameter wie Dauer, Beginn, Chronizität und Schwere-grad der elterlichen Erkrankung (Wüthrich, Mattejat, & Remschmidt, 1997, S. 142). So belegen auch Zwillingsstudien, dass das Entwicklungsrisiko umso hö-her scheint, je länger ein Kind dem Einfluss der Erkrankung des Elternteils aus-gesetzt ist (Plass & Wiegand-Grefe, 2012, S.42). Natürlich ist auch wichtig, ob ein, oder beide Elternteile eine psychische Störung haben, denn laut Rutter & Quinton (1984) tendieren depressive Menschen dazu, eher eine Beziehung zu Menschen einzugehen, welche entweder selbst psychisch auffällig sind oder in deren Familiengeschichten sich psychische Erkrankungen gehäuft erkennen lassen (S.853 ff.).

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Ist die Mutter depressiv erkrankt, so geht auch die Häufigkeit einer depressiven Erkrankung der Söhne einher. Ebenso umgekehrt ist die väterliche depressive Erkrankung eher mit einer depressiven Störung der Töchter verknüpft. Ist die Mutter depressiv, erhöht dies das Risiko für die Kinder, eine Störung des Sub-stanzmissbrauchs zu entwickeln, während eine Erkrankung des Vaters eher Verhaltensauffälligkeiten der Kinder hervorruft (Wiegand-Grefe, Halverscheid & Plass, 2011, S.55).

Bisherige Forschungsergebnisse weisen zudem auf ein Problem der Mutterlas-tigkeit hin. So wurde erforscht, dass sich eine mütterliche depressive Störung allgemein stärker auf die Entwicklung des Kindes auswirkt, als die Erkrankung des Vaters (Wüthrich, Mattejat, & Remschmidt, 1997, S. 143).

Bereits während der Schwangerschaft wirkt sich eine mütterliche Depression auf das biochemische Gleichgewicht des Ungeborenen aus. Die Folge für den Säugling kann eine angeborene Dysfunktion neuroregulatorischer Mechanis-men sein (Plass & Wiegand-Grefe, 2012, S.52). Schon neonatal weisen Säug-linge physiologische und biochemische Verhaltensdysregulationen auf (Peter-mann, Petermann & Damm, 2008, S.243 ff.).

Ebenso zeigen Kleinkinder, dessen Mütter depressiv erkrankt sind, eine gerin-gere Responsivität5, weniger Engagement in sozialen Beziehungen und einen eingeschränkten Affektausdruck mit erhöhter Irritabilität, verglichen mit Kindern gesunder Mütter (Carter et al., 2001, S.18 ff.).

Auch Beobachtungsstudien konnten zeigen, dass depressiv erkrankte Mütter von Kleinkindern inkonsequentere und langsamere Reaktionen auf das Verhal-ten der Kinder zeigen, ebenso weniger Engagement, Interaktionen und weniger Disziplin und Struktur im Vergleich zu nicht-depressiven Müttern (Plass & Wie-gand-Grefe, 2012, S.52). Aus Verhaltensbeobachtungen von betroffenen Müt-tern in Interaktion mit ihren 8-10-jährigen Kindern geht hervor, dass sie sich ab-neigender und missbilligender Verhalten, als gesunde Mütter. Die Kinder, deren Mütter ihnen gegenüber negative Einstellungen äußern, zeigen die höchste Auf-fälligkeitsrate (Plass & Wiegand-Grefe, 2012, S.52). Weitere kindliche Probleme sind ein niedriges Selbstwertgefühl, eine emotionale Dysfunktion, Defizite der Aufmerksamkeit, Aggression, depressive Verstimmung, schlechte Beziehung zu

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Gleichaltrigen, ein oppositionelles Verhalten oder eine unsicher emotionale Bin-dung (Gelfand & Teti, 1990, S.329 ff.).

Letztere wird durch die elterliche Erkrankung nicht selten entwickelt und wird nun in Form einer Bindungs- und Beziehungsstörung beschrieben.

Bindungs- und Beziehungsstörungen

Eine Bindung ist eine besondere Beziehung, welche ein Kind zu seinen Eltern oder zu Personen entwickelt, die es betreuen (Grossmann & Grossmann, 2004, S.29). Für den Aufbau einer sicheren Bindung ist es wichtig, dass das Kind po-sitive Rückmeldungen auf seine Interaktion erfährt.

Die Depression der Mutter geht- wenn sie bereits vor oder seit der Geburt ent-wickelt wurde- jedoch häufig mit einer unsicheren Bindung im Kleinkind- und Vorschulalter einher (Plass & Wiegand-Grefe, 2012, S.52; Mattejat et al., 2000, S.165), denn depressive Mütter können nicht in ausreichendem Maße auf die kindlichen Signale reagieren.

Dies liegt u.a. daran, dass es bei psychisch kranken Elternteilen einige Ein-schränkungen gibt, die sich in elterlichen Interaktionsdefiziten äußern, wie z.B. passivem Verhalten, Formen der emotionalen Nicht-Erreichbarkeit oder einer begrenzten Ausruckfähigkeit. Dies kann direkte Auswirkungen auf die Bezie-hung zu den Kindern haben (Plass & Wiegand-Grefe, 2012, S.38).

Eine stabile Bindung aufzubauen, ist aufgrund der Störungen der elterlichen Fähigkeiten erschwert (Deneke & Lüders, 2003, S.172 ff.; Ramsauer, 2011, S.171 ff.). Darunter leidet die Qualität der Eltern-Kind-Beziehung. Eine sichere Bindung ist jedoch für die vertrauensvolle und positive kindliche Entwicklung sehr wichtig (Plass & Wiegand-Grefe, 2012, S.38). Durch die psychische Er-krankung der Eltern kann auch die spätere Eltern- Kind-Beziehung beeinträch-tigt sein (Gehrmann & Sumargo, 2009, S.383 ff.) und es kommt häufig zur Be-einträchtigung der familiären Beziehungsgestaltung und der Familiendynamik (Pollak, Bullinger & Wiegand-Grefe, 2011, S.357 ff.).

Sind die Mütter depressiv, geben sie negative Äußerungen gegenüber anderen Familienmitgliedern und dem Kind. Außerdem zeigen sie einen reduzierten af-fektiven Ausdruck und eine erhöhte Feindseligkeit und reagieren weniger positiv und unmittelbar auf die Aufmerksamkeitssuche ihrer Kinder (Mattejat; Wüthrich & Remschmidt, 2000, S.164).

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Laut Wiefel und Lehmkuhl (2004, S.29 ff.) wirke die „Maximalvariante“ depres-siver Verhaltensmerkmale auf Kleinkinder sogar wie eine reale Trennung. Die Verhaltensmerkmale zeichnen sich durch einen eingeschränkten Sprachge-brauch, verminderte Mimik und Motorik und herabgesetzte Affektivität aus. Kin-der schwer depressiv erkrankter Mütter erleben eine „psychische Trennung bei

physischer Anwesenheit der Bezugsperson“, bei der man von „anwesender Abwesenheit“ spricht (S.29).

Neben einer gehäuften Bindungs- und Beziehungsstörung treten bei einer de-pressiven Erkrankung der Eltern weitere allgemeine psychosoziale Risikofakto-ren auf.

Allgemeine psychosoziale Risikofaktoren

Familien, welche von seelischen Erkrankungen betroffen sind, haben häufig Angst, alleine Lösungen für ihre Lebenssituation entwickeln zu müssen, da die Familie ansonsten auseinanderreißen würde. Somit stellt sich, nicht lediglich aus diesem Grund, in der Regel bei längerer bestehender psychischer Krank-heit eine Verschlechterung der allgemeinen Lebensbedingungen für die be-troffene Familie ein. Somit lebt ein großer Anteil der bebe-troffenen Familien mit reichlichen psychosozialen Problemen (Denke, 2000, S.87 ff.), denn durch eine Wechselwirkung der psychosozialen Risikofaktoren kommt es zur Häufung psy-chosozialer Belastungsfaktoren (Mattejat et al., 2000, S.165; Plass & Wiegand-Grefe, 2012, S.35).

Diese bestehen beispielsweise aus Armut, sozialer Isolation, Arbeitslosigkeit, fehlenden Vertrauenspersonen für Eltern und Kinder, schlechten Wohnbedin-gungen, einem überproportionalen Anteil von Ein-Eltern-Familien und belaste-ten innerfamiliären Beziehungen (Deneke, 2000, S. 87 ff.).

Forschungen belegen sogar, dass dieser hohe Anteil an der Gesamtheit der Probleme stärkeren Einfluss auf die kindliche psychische Entwicklung nehmen, als die Krankheit der Eltern selbst (Deneke, 2000, S. 87 ff.).

Studien zufolge werden mindestens 1/3 psychisch Kranker als arm einge-schätzt, somit sind die sozioökonomischen Aspekte häufig suboptimal und es kommt zu unzureichenden Wohnverhältnissen, Arbeitslosigkeit und Armut (Wiegand-Grefe, 2010, S. 42 ff.).

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Neben den psychosozialen Faktoren können auch biologische Risikofaktoren auftreten, wie z.B. Alkohol- oder Nikotinkonsum während der Schwangerschaft oder Frühgeburten (Plass & Wiegand-Grefe, 2012, S.35).

Auch unabhängig einer depressiven elterlichen Erkrankung gibt es weitere wichtige Faktoren, welche die kindliche Entwicklung negativ beeinflussen. Zu diesen gehören z.B. eheliche Konflikte und Scheidung der Eltern, belastende Lebensereignisse, familiäre Disharmonie, eingeschränkte objektive Lebensbe-dingungen, soziale Isolation oder inadäquate soziale Unterstützung. Es kommt zur Verstärkung der Effekte bei multiplen psychosozialen Belastungen, da sich ein gemeinsames Vorkommen verschiedener psychosozialer Risikofaktoren speziell schwerwiegend auf die Entwicklung des Kindes auswirkt. Die Effekte addieren sich nicht nur lediglich, sondern werden wechselseitig verstärkt (Mattejat et al., 2000, S.165; Plass & Wiegand-Grefe, 2012, S.35).

Auch die psychische kindliche Auffälligkeit wird umso höher eingeschätzt, je negativer sich die Lebensqualität gestaltet und je höher die subjektive elterliche Belastung ist (Plass & Wiegand-Grefe, 2012, S.37).

Ebenso nehmen die soziokulturellen Aspekte eine Rolle ein, denn Familien mit psychisch Erkrankten haben häufig ein Unterstützungssystem, dass entweder unzureichend oder fehlend ist. Es kann zur kultureller Diskriminierung, sozialer Randständigkeit oder Isolation kommen. Dadurch erleben Kinder eine geringere emotionale oder reale Verfügbarkeit von Bezugspersonen, welche sich außer-halb der Familie befinden. Somit haben sie weniger Möglichkeiten, kompensie-rende Beziehungserfahrungen zu erleben (Plass & Wiegand-Grefe, 2012, S.44 ff.).

Weitere generelle Risikofaktoren sind ein geringer elterlicher Ausbildungsstand bzw. Berufsstand (Plass & Wiegand-Grefe, 2012, S.44 ff.).

Eheliche Krisen bilden einen weiteren wichtigen allgemeinen Risikofaktor, der bei depressiv Erkrankten gehäuft vorkommt. (Mattejat et al., 2000, S.165).

In betroffenen Familien treten deutlich häufiger Konflikte auf und verlaufen auch dramatischer als in Partnerschaften mit psychisch gesunden Eltern. So gibt es auch eine erhöhte Scheidungsrate und eine signifikant geringere Partner-schaftszufriedenheit (Downey & Coyne, 1990, S.50 ff.).

So beschreiben auch zwei Schwestern, wie sich eine wechselnd depressiv-, manische, starke Depression der Mutter, auf die familiären Beziehungen

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aus-wirkt. So entzog sich ihnen ebenso der Vater mit Hilfe von Alkohol, blieb passiv und emotional unerreichbar (S.W., 2000, S.27).

Es konnte vielfach nachgewiesen werden, dass das Risiko für eine kindliche psychische Störung erhöht wird, wenn es chronische Eheprobleme gibt. In die-sem Zusammenhang treten evtl. auch Loyalitätskonflikte innerhalb der Familie auf (Plass & Wiegand-Grefe, 2012, S.39).

Zu einem Auseinanderfallen der Familie kann es auch führen, wenn es durch einen chronischen und schweren Krankheitsverlauf zu einer langfristigen Tren-nung vom Erkrankten und dem Kind sowie seinem anderen Elternteil kommt. (Mattejat et al., 2000, S.165; Plass & Wiegand-Grefe, 2012, S.35).

Auch die Geburt eines Geschwisterkindes innerhalb der ersten zwei Lebensjah-re, erhöht das Risiko von Kindern psychisch kranker Eltern, später selbst an einer psychischen Erkrankung zu leiden (Mattejat, 2009, S.66 ff.).

Fehlangepasstes elterliches Verhalten

Unter einem fehlangepasstem elterlichen Verhalten versteht man die mangeln-de Fähigkeit, angemessen und flexibel auf die kindlichen Bedürfnisse einzuge-hen. Ein fehlangepasstes elterliches Verhalten ist wiederum signifikant und ein-hergehend für ein erhöhtes Risiko für depressive Störungen. Erleben die Ju-gendlichen im Verlauf der Kindheit ein unangemessenes Verhalten der Eltern, entwickeln sie meistens eine psychische Störung im Jugend- und Erwachse-nenalter. Die Erziehungskompetenz, welche nachfolgend kurz beschrieben wird, stellt einen Risikofaktor der Eltern dar, wenn es neben genannten Fakto-ren eine schlechte Einfühlung in die Kinder gibt (Plass & Wiegand-Grefe, 2012, S.40 ff.).

Gehrmann und Sumargo (2009, S.383 ff.) fanden heraus, dass Kinder psy-chisch kranker Elternteile ein zwei- bis fünffach erhöhtes Risiko haben, seeli-sche oder körperliche Misshandlung, sexuellen Missbrauch oder Vernachlässi-gung zu erfahren. Demnach gelten diese Familien als Hochrisikofamilien (Plass & Wiegand-Grefe, 2012, S.35).

Insbesondere depressive Mütter empfinden sich selbst weniger kompetent in der Erziehung. Mit mehr als einem Kind interagieren sie nur mit den verhaltens-auffälligen Kindern negativ, während sie eher positiv mit den unauffälligeren Kindern interagieren (Wiegand-Grefe, Halverscheid & Plass, 2011, S.54).

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Goodman & Gotlib (1990) sehen hierbei den Hinweis, dass die Mütter in ihren Erziehungsmustern und –rollen variieren können (S.458 ff.).

Erziehungskompetenzen der Eltern

Die Erziehungskompetenz beschreibt die Schaffung einer optimalen Überein-stimmung zwischen den altersgemäßen Bedürfnissen und der Gestaltung der kindlichen Umwelt und ist somit eng verbunden mit dem elterlichen Verhalten. Zu ihr gehört u.a. auch der Erziehungsstil (Plass & Wiegand-Grefe, 2012, S.39 ff.).

Zu den Komponenten der Erziehungskompetenz gehören Kommunikationsfä-higkeit, FörderfäKommunikationsfä-higkeit, BeziehungsfäKommunikationsfä-higkeit, VorbildfäKommunikationsfä-higkeit, Fähigkeit zum Alltagsmanagement und die Fähigkeit zur Grenzsetzung (Petermann & Peter-mann, 2006, S.1 ff.). Eine unzureichende Erziehungskompetenz stellt ein zent-rales Entwicklungsrisiko dar. Dieser Tatbestand ist besonders bei extremen fa-miliären Bedingungen gegeben, zu denen auch eine depressive elterliche Er-krankung gehört. Die Erziehungskompetenz ist bei psychisch erkrankten Eltern häufig eingeschränkt (Petermann, Petermann & Franz, 2010, S.67 ff., siehe auch 1.2).

Dies kann sich häufig im Mangel an Erziehungssicherheit und Durchsetzungs-vermögen, in permissivem Erziehungsstil oder Desorganisation und mangeln-der Kontingenz äußern. Betroffene fühlen sich bei mangeln-der Umsetzung erzieheri-scher Maßnahmen meist unsicher und zweifeln an ihren Kompetenzen (Plass & Wiegand-Grefe, 2012, S.40). Schneider (2009, S.843) weist darauf hin, dass ein autoritativer Erziehungsstil, der durch klare Konsequenzen, Regeln und eine hohe kindliche Wertschätzung charakterisiert ist, dem permissiven Erziehungs-stil überlegen ist. Es kommt zur negativen Auswirkung auf die Entwicklung des Kindes, wenn eine problematische Eltern-Kind-Beziehung mit unzureichender Sensitivität und mangelnder Wärme vorherrschen (Petermann & Petermann, 2006, S.1 ff.).

Die angespannte familiäre Situation kann auch mit einer risikohaften Krank-heitsverarbeitung einhergehen.

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Krankheitsverarbeitung als Risikofaktor

Singleton (2007, S.847 ff.) schreibt, dass die elterliche Krankheitsverarbeitung für die emotionale Befindlichkeit der Kinder relevant sei. Ein verleugnender und tabuisierender Umgang mit der eigenen Krankheit bilde ein folgenreiches Risi-ko, was auch Plass und Wiegand-Grefe (2012) bestätigen (S.41).

Zusätzlich kann das emotionale Familienklima durch Geheimnisse tiefgreifend beeinflusst werden (Plass & Wiegand-Grefe, 2012, S.41).

Auch Wagenblass (2001, S.513 ff.) konnte in retroperspektivischer Befragung an jungen Erwachsenen bestätigen, dass Angstgefühle und Verunsicherung durch die Tabuisierung der elterlichen Erkrankung hervorgerufen werden.

Ist die Aufklärung über die elterliche Erkrankung nicht entwicklungsgerecht oder fehlt, fühlen sich die Kinder verunsichert. (Plass & Wiegand-Grefe, 2012, S.42). Dieser Aspekt wird aus der kindlichen Perspektive noch näher in Punkt 2 erör-tert.

Die Erfassung entsprechender Risikofaktoren bei der Behandlung von Familien ist wichtig, um Ansatzpunkte für die präventive und therapeutische Arbeit mit den betroffenen Familien zu haben (Plass & Wiegand-Grefe, 2012, S.44 ff.). Ein Risikofaktor von besonderer Form, welcher ebenfalls häufig mit einer Bin-dungs- oder Beziehungsstörung einhergeht, ist die Postnatale Depression.

1.3.3 Postnatale Depression

Eine postnatale Depression wird diagnostiziert, wenn in der ersten Zeit nach der Geburt des Kindes Symptome einer depressiven Verstimmung bestehen, die länger als zwei Wochen andauern. Diese treten bei insgesamt 10-15% der Müt-ter auf (Plass & Wiegand-Grefe, 2012, S. 53; Wiegand-Grefe, Halverscheid & Plass, 2011, S.57).

Auch für die postnatale Depression gibt es Risikofaktoren, wie z.B. depressive Erkrankungen in Eigen- oder Familienanamnese, Partnerschaftsprobleme, De-pression oder Angst vor Frühschwangerschaften, Probleme im Umgang mit dem Säugling, mangelndes soziales Netzwerk, ungünstiges, inneres Elternmo-dell, sowie negative Ereignisse (Plass & Grefe, 2012, S. 53; Wiegand-Grefe, Halverscheid & Plass, 2011, S.57).

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Eine postnatale Depression stellt ein gravierendes Risiko für die Entwicklung der Eltern-Kind-Beziehung dar (Sarimski, 2013, S.32).

Die Symptome treten schleichend innerhalb der ersten Wochen nach der Ge-burt auf, können sich jedoch auch in den späteren Monaten des ersten postna-talen Jahres entwickeln (Plass & Wiegand-Grefe, 2012, S. 53). Es kann zu langfristigen Folgen für Mutter und Kind sowie für die gesamte Familiensituation kommen, wie z.B. emotionale Probleme und Verhaltensauffälligkeiten, kognitive kindliche Defizite oder eine unsichere Bindung (Ramsauer, 2011, S.171 ff.). Die mütterliche Feinfühligkeit und Responsivität sind während der Krankheits-phase vermindert. Dies führt häufig zu feindseligem oder zu instrusivem (ange-strengt-überstimulierendem) Verhalten der Mütter gegenüber ihren Kindern. Da sie nicht in der Lage sind, die kindlichen Signale zu erkennen oder zu deuten, können sie auch nicht adäquat auf diese reagieren. Die Mütter nehmen die aufmerksamen Blicke oder ein Anlächeln nicht wahr und interpretieren die Ab-wendung eines Blickes – die eine ganz natürliche kindliche Reaktion des Säug-lings zur kurzen Erholung ist- als Ablehnung (Sarimski, 2013, S.32).

„Die belasteten Interaktionserfahrungen führen im Sinne einer negativen

Rück-kopplung über dysphorisches6, passives und wenig responsives Verhalten des

Säuglings zu einer weiteren Hemmung der intuitiven elterlichen Verhaltensbe-reitschaften.“ (Sarimski, 2013, S.32).

Die Mütter erleben Schuldgefühle, fühlen sich unsicher und sind frustriert. Dadurch entstehen negative „Teufelskreise“. Durch Mutter-Kind-Interaktionsbeobachtungen wurde belegt, dass es bei depressiven Müttern zu gravierenden Problemen in der Interaktion kommt. Dabei erscheinen die Kinder insgesamt erschwert zugänglich, sie wenden ihren Blick oft ab und bauen sel-tener Blickkontakt auf. Dies sind Selbstregulationsversuche der Kinder, da die mütterlichen Regulationshilfen ausbleiben. Diese suchen den kindlichen Blick-kontakt weniger, vokalisieren nicht so stark. Die Mütter weisen eine monotone Stimmlage auf, haben eine variationsarme Mimik und zeigen im Dialog wenig spielerische Anregung. Die Kinder ziehen sich häufig aus der Interaktion zurück (Samirski, 2013, S.32).

Eine postnatale Depression kann Auswirkungen bis ins Schulalter haben, die kognitive Entwicklung wird langfristig schlechter prognostiziert (Plass &

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gand-Grefe, 2012, S. 53). Diese Aussage wird auch durch eine Studie von Co-ghill et al. (1986, S.1165 ff.) belegt, welche 4-jährige Kinder untersuchten, die postnatal depressive Mütter aus gehobenem sozioökonomischen Status haben. Die untersuchten Kinder wiesen einen um 10 IQ Punkte niedrigeren Wert auf der Mc Carthy-Skala auf. (Wiegand-Grefe, Halverscheid & Plass, 2011, S.57)

1.4 Resilienzfaktoren

„... der Fluss (ist) der Strom des Lebens. Niemand geht sicher am Ufer entlang. … Es gibt Gabelungen im Fluss, die zu leichten Strömungen oder in gefährliche Stromschnellen und Strudel führen. … Wie wird man,

wo immer man sich in dem Fluss befindet, …, ein guter Schwimmer? ’“

(Aaron Antonovsky 1997)

Aufgrund des Umfangs der Arbeit ist es nicht möglich, alle allgemeinen resilien-zfördernden Faktoren zu nennen. Aus diesem Grund werden folglich vor allem protektive Merkmale erwähnt, die sich auf die elterliche depressive Erkrankung beziehen.

Um Resilienzfaktoren zu ermitteln ist es wichtig, eine kurze Definition zum Be-griff ‚Resilienz‘ zu geben.

Das Wort ‚Resilienz‘ leitet sich aus dem englischen Wort ‚resilience‘ ab und deutet so viel wie ‚Spannkraft‘, ‚Elastizität‘ oder ‚Widerstandsfähigkeit‘. Sie be-schreibt, wie erfolgreich Menschen mit belastenden Lebensumständen sowie mit den Folgen von Stress umgehen. Eine mögliche Definition formuliert Wust-mann (2011) indem sie schreibt: „Resilienz meint eine psychische

Widerstands-fähigkeit von Kindern gegenüber biologischen, psychologischen und psychoso-zialen Entwicklungsrisiken.“ (S.18).

Obwohl das Risiko selbst zu erkranken bei Kindern depressiver Eltern durch die genetischen sowie psychosozialen Entwicklungsbedingungen deutlich erhöht ist, erkranken die meisten Kinder trotz multipler Belastungen nicht selbst (Lenz, 2005, S.16).

Ob Kinder später selbst erkranken und wie stark sich die Lebensbedingungen auf die Kinder auswirken, hängt von einer Reihe von Faktoren ab. Entscheiden-de Einflussgrößen für die kindliche Risikoeinschätzung sind Elternfaktoren,

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kindliche Einflussfaktoren sowie die psychosozialen Entwicklungsbedingungen (Plass & Wiegand-Grefe, 2012, S.80).

Kinder, welche in einem manisch-depressivem Milieu aufgewachsen sind, ent-wickelten eine hohe Sensibilität für die elterliche Erkrankung und besaßen gleichzeitig in ihren sozialen Beziehungen ein normales Einfühlungsvermögen. Eine vulnerable Phase stellte die Adoleszenz dar, vor allem dann, wenn das Kind ein weibliches Geschlecht aufwies. Trotz der teilweise impulsiven Adoles-zenz konnte eine Mehrzahl der Kinder die Schule erfolgreich besuchen (Lenz, 2005, S.17).

1.4.1 Schutzfaktoren des Kindes

Einen wichtigen Schutzfaktor stellt ein kontaktfreudiges, robustes und aktives Temperament dar. Weniger sensitiv für positive Hilfen aus der Umwelt und an-fälliger für negative familiäre Interaktion sind Kinder, die über ein schwieriges Temperament verfügen. Kinder mit einem schwierigen Temperament sind häu-figer Betroffene für elterliche Kritik und Feindseligkeit. Dadurch gibt es eine er-höhte Wahrscheinlichkeit für eine Störungsentwicklung (Lenz, 2005, S.17; Rut-ter & Quinton, 1984, S. 853 ff.). Ebenso kann ein schwieriges kindliches Tem-perament zur Belastung der Eltern-Kind-Beziehung führen, was Erziehungs-schwierigkeiten bedingen, oder vorhandene ErziehungsErziehungs-schwierigkeiten verstär-ken kann (Hammen et al., 1991, S. 341 ff.)

In besonderer Weise für Kinder psychisch Kranker relevant, sind die personalen Schutzfaktoren. Dazu gehören eine hohe Selbstwirksamkeit, ein hohes Selbst-wertgefühl sowie eine starke Problemlösekompetenz (Lenz & Kuhn, 2011, S.269 ff.), ebenso wie ein Resilienzglaube, ein positives Selbstkonzept und ein aktives, robustes Temperament (Gehrmann & Sumargo, 2009, S.383 ff.).

Weitere kindliche Schutzfaktoren sind Hobbys, die Fähigkeit zu planen, ein po-sitives Welt- und Menschenbild, Selbstvertrauen und Selbstwirksamkeitsglaube (Wagenblass, 2014, Folie 28).

Eine genügende entwicklungs- und altersadäquate kindliche Aufklärung über die elterliche Erkrankung und Behandlung stellt einen weiteren, bedeutsamen positiven Faktor dar (Lenz, 2005 S.18). Weitere, allgemeine Resilienzfaktoren sind z.B. bei Wustmann (2001) zu finden.

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1.4.2 Schutzfaktoren der Familie

Ein minderer Schweregrad gilt als ein protektiver Faktor für Kinder, dessen El-tern affektiv erkrankt sind. Das elterliche Intelligenz- und Ausbildungsniveau spielen bei den protektiven Faktoren ebenfalls eine Rolle, sowie eine dritte Per-son, die an der Erziehung beteiligt ist. Ein spätes Erkrankungsalter des Eltern-teils gilt ebenfalls als schützend, wie auch ein ausreichender Informationsgrad gegenüber den Kindern, was die Erkrankung und die Behandlung ihres Eltern-teils betrifft (Bohus et al., 1998, S.135).

Wichtiger Prädikator für die psychische kindliche Gesundheit eine gute Erzie-hung (Wiegand-Grefe, Halverscheid & Plass, 2011, S.56).

Ebenfalls hilfreich für die kindliche Entwicklung sind eine akzeptierende Haltung und die aktive Auseinandersetzung mit der Krankheit und ihren Konsequenzen (Plass & Wiegand-Grefe, 2012, S.78).

Eine Reihe von Beziehungsfaktoren, wie z.B. eine gute Erziehungskompetenz und eine positive elterliche Paarbeziehung stellen weitere Beispiele für familiäre Schutzfaktoren dar (Plass & Wiegand-Grefe, 2012, S.78). Des Weiteren gehö-ren zu den Schutzfaktogehö-ren innerhalb der Familie ein positiver Familienzusam-menhalt, eine gute Mutter-Kind-Beziehung, eine offene Krankheitsbewältigung der Familie und die Verfügbarkeit eines gesunden Elternteils (Lenz & Kuhn, 2011, S.269 ff.).

Wagenblass (2014, Folie 29) fügt noch hinzu, dass Religiosität, Modelle der positiven Bewältigung, sowie ein offenes unterstützendes Erziehungsklima (Re-geln, Rituale) positiv auf die kindliche Entwicklung wirken können.

Wie bereits erwähnt, kommt einer sicheren Bindung des Kindes an seine Be-zugsperson eine grundlegende protektive Bedeutung zu. Besteht eine warme, emotionale und stabile Beziehung zu einem Elternteil, kann dies eine starke Schutzfunktion gegenüber andere Stresssituationen darstellen. Die kindlichen Entwicklungsbedingungen können durch einen gesunden, kompensierenden Elternteil positiv beeinflusst werden. Eine Gefahr der Entwicklung internalisie-render Probleme und emotionaler Abhängigkeiten besteht jedoch, wenn keine altersgemäße Förderung der Ablösung besteht (Lenz, 2005, S.18).

Ist das emotionale Klima zugewandter und herzlicher, gibt es häufiger gemein-same Aktivitäten und gleichzeitig klare und feste Verhaltensregeln, was das Erziehungsklima positiv beeinflusst. Ist die elterliche Beziehung stabil, kann den

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Kindern auch in schwierigen Situationen Geborgenheit und Sicherheit vermittelt werden (Lenz, 2005, S.18).

Ein wichtiger Schutzfaktor für die kindliche Entwicklung ist der Umgang des er-krankten Elternteils mit der psychischen Erkrankung. Eine hilfreiche Haltung bildet eine krankheitsakzeptierende und fatalistische, bei der eine Auseinander-setzung mit der Krankheit und ihren Auswirkungen erfolgen kann. Ebenfalls hilf-reich ist das Nutzen von Hilfsmöglichkeiten im sozialen Netzwerk, eine Zusam-menarbeit im medizinisch-therapeutischem Bereich und das Anpassen der Si-tuation an die beruflichen bzw. schulischen Bedingungen (Lenz, 2005, S.19).

1.4.3 Schutzfaktoren der Umwelt

Zu den Schutzfaktoren der Umwelt gehören das Erleben von Erfolg und Leis-tung, ein Zugehörigkeitsgefühl, zuverlässige und vertrauensvolle soziale Bezie-hungen, positive Erfahrungen in Kindergarten und Schule und ein positives Kita- und Schulklima (Wagenblass, 2014, Folie 30).

Ein gutes soziales Netzwerk, soziale Beziehungen zu Freunden, Verwandten oder Bekannten und externe Unterstützungsangebote gelten ebenso als soziale Schutzfaktoren (Deneke, Beckmann, Dierks, 2008, S.63 ff.), die eine sehr hohe Bedeutung für die kindliche Entwicklung einnehmen. So wird ein wesentlicher Resilienzbeitrag durch die Inanspruchnahme sozialer Kontakte durch Verwand-te oder außensVerwand-tehende Personen geschaffen. Dazu gehören z.B. Freunde, Er-zieher/-innen und Lehrer/-innen und Schulkameraden. Diese sozialen Kontakte können Sicherheit und Rückhalt, gerade in Krisensituationen, bieten. Ebenso zeigen diese Kontakte Modelle für ein konstruktives und aktives Bewältigungs-verhalten, bieten ein Gefühl der Zugehörigkeit und bilden einen Beitrag zur un-mittelbaren Problemreduzierung. Natürlich ist dieser Resilienzfaktor auch von der Qualität und dem Umfang des sozialen Netzwerks abhängig (Lenz, 2005, S.19).

Das Resilienzkonzept beinhaltet wertvolle Ausgangspunkte für präventive sowie therapeutische Interventionen. Um einen Ausgangspunkt für eine wirksame In-tervention zu erschließen, lassen sich die allgemeinen, einzelnen und spezifi-schen Resilienzfaktoren erörtern (Plass & Wiegand-Grefe, 2012, S.79). Weitere

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Informationen zu Präventionsmaßnahmen und Interventionen finden sich in Punkt 3.

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2 Die Perspektive der Kinder

„Ich weiß zum Glück ja seit langem, wie ich damit umgehen soll, nur ist es schrecklich zu wissen, dass es nicht richtig ist, so wie es ist…“ (Plass

& Wiegand-Grefe, 2012, S. 16, Bericht einer Tochter)

In diesem Abschnitt wird das subjektive Empfinden der Kinder in dem Mittel-punkt gerückt. Dieser subjektive Zugang in das kindliche Erleben, eröffnet ebenso die Perspektive zu ihrer unmittelbaren Betroffenheit, in ihre Erfahrungs- und Erlebniswelten und in ihre Gefühle. Ebenso erfahren wir dadurch den Um-gang der Kinder mit Anforderungen des Alltags und den Belastungen, die im Zusammenleben mit einem psychisch kranken Elternteil auftreten (Lenz, 2008, S.24). Beginnend wird beschrieben, wie Kinder die Krankheit ihrer Eltern wahr-nehmen und erleben.

2.1 Wahrnehmung und Erleben der elterlichen Erkrankung

Kinder beobachten ihre erkrankten Eltern sehr genau, da sie emotional mit ihnen verbunden sind. Sie nehmen die Veränderungen ihrer Elternteile sensibel wahr und beobachten, ob es Anzeichen für eine Zustandsverschlechterung gibt oder nicht. Ihr Verhalten legen sie dementsprechend darauf aus (Lenz, 2008, S.24; Plass & Wiegand-Grefe, 2012, S. 23).

Das Belastungserleben der Kinder wird wesentlich beeinflusst durch die Dauer, akute Symptome, dem Krankheitsverlauf und den damit verbundenen Persön-lichkeitsveränderungen der Eltern. Neben der Erkrankung stellt die Verände-rung der elterlichen Persönlichkeit eine weitere Belastungsquelle für die Kinder dar, da diese eine Veränderung bei Mutter oder Vater häufig miterleben müs-sen. Diese Problematik führt nicht selten zu der Frage nach der Identität der kranken Mutter oder des erkrankten Vaters. Ganz besonders deutlich ist dies u.a. bei bipolaren affektiven Störungen, da hierbei das Denken, Handeln und Fühlen durch die Erkrankung beeinflusst wird (Lenz, 2008, S.24 ff.). Es entsteht eine emotionale Ambivalenz der Kinder gegenüber ihren erkrankten Elterntei-len, welche sich immer wieder in kindlichen Aussagen zeigt (Lenz, 2008, S.24 ff.). Kommt es zur beschriebenen Identitätsproblematik von Mutter oder Vater, wirkt sich dies auch vielseitig auf die kindliche Identitätsbildung aus. Kinder

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rea-gieren teilweise mit Trauer oder Wut auf den Erkrankten, da dieser lediglich un-zureichend in der Lage ist, auf die kindlichen Bedürfnisse einzugehen. Dadurch fühlen sich die Kinder häufig vernachlässigt, ungeliebt oder ungerecht behan-delt. Hierdurch fehlt eine ausreichende Grundlage, sich mit Mutter oder Vater zu identifizieren (Lenz, 2008, S.24 ff.).

„[…] weiß ich nicht, die hat doch viel mehr erlebt und ich mein ´ne Mutter nimmt man sich als Vorbild. Also, wenn die vor dir weint, dann weinst du, dann denkst du auch […] was ist los. Das geht doch nicht, die muss stark sein an deiner Sei-te, weil dann kannst du ja, dann denkst du ja auch irgendwie du kannst nicht zu ihr gehen und mit ihr über Probleme reden, weil die die wird dann dazu nichts sagen können. Deswegen, da habe ich auch schon irgendwie was so verloren,

so ein Stückchen. Sie müsste normalerweise die Stärkere sein.“ (w, 17 Jahre, aus Lenz, 2005, S.91).

Auch die Kinder- und Jugendpsychiaterin Deneke (2000, S.88 ff.) beschreibt die Auswirkungen der elterlichen psychischen Erkrankung auf die seelische Ent-wicklung der Kinder. Diese nehmen ihre Eltern über einen längeren Zeitraum oder wiederholend in extremen, für sie unverständlichen Gefühlszuständen wahr, in denen ihre Eltern große Nähe suchen oder aber unerreichbar schei-nen. Die Kinder empfinden eventuell ein Gefangensein der Eltern in einer oft bedrohlichen innerlichen Welt, in der sie entweder eng mit einbezogen werden sollen oder aber selbst ausgeschlossen sind (Deneke, 2000, S.88 ff.).

Ist ein Elternteil depressiv erkrankt, zeigt sich dies häufig durch Rückzugverhal-ten des ErkrankRückzugverhal-ten, was Einhergeht mit Interessenverlust, Ermüdung, Hoff-nungslosigkeit, Antriebslosigkeit, Grübeln und der Vernachlässigung von All-tagsaufgaben (siehe auch 1.1). Zu einer fast unerträglich belastenden Situation kommt es, wenn ein Elternteil in Folge einer Depression suizidal wird (Plass & Wiegand-Grefe, 2012, S.23 ff.):

„[…] ich weiß nicht. […] dass sie versucht, sich umzubringen […] dann habe ich

schreckliche Angst und alles […]. So schrecklich so, Herzklopfen. Weil immer, wenn ich was höre irgendwas mmh […]. Ja, nicht so gut eigentlich. Wenn ich

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dann traue ich mich gar nicht mehr dahin irgendwie, weil ich habe Angst, dass sie dann wirklich mal vor ‘nen Zug springt oder mit ‘nem Messer. Manchmal denke ich, sie ist jetzt krank, das muss man verstehen so, aber ja […].“ (6, w,

10 Jahre, aus Lenz, 2005, S.87).

Sind die Kinder verunsichert, versuchen sie einen engeren Kontakt mit dem gesunden Elternteil zu suchen und wenden sich dem Erkrankten gegenüber ab. In einigen Fällen ziehen sie sich auch enttäuscht zurück und beginnen, ihre Be-dürfnisse und Wünsche nicht zu zeigen (Lenz, 2005, S.24 ff.)

Im Folgenden Abschnitt werden eben bereits angedeutete Gefühle noch näher und beispielhafter beschrieben.

2.2 kindliche Gefühle und Gedanken

„Drei maßgebende Gefühle, die ich nicht wahrnehmen konnte, weil ich sie nicht

ertragen konnte: übergroße Schuld, Scham, Angst, selbst verrückt zu werden“

(S.W., 2000, S.28)

Ist mindestens ein Elternteil depressiv, erleben Kinder laut eigenen Angaben häufig eine Vielzahl von Gefühlen, welche im Zusammenhang mit der psychi-schen Erkrankung stehen. Dazu gehören z.B. Verlustgefühle, Ängste, Trauer und Schuld (Lenz, 2008, S.34).

Gerade bei längerem Krankheitsverlauf stellen sich häufig Gefühle der Resigna-tion, Hoffnungslosigkeit und Demoralisierung ein. Dies kann dazu führen, dass Kinder einerseits depressiv reagieren und es Gefühle von Ärger und Wut über das erkrankte Elternteil gibt. Es kommt durch die enge Verwobenheit von Ärger, Trauer, Schuld und Wut häufig zu erhöhter Reizbarkeit (Lenz, 2008, S.34). Ebenso stellt sich bei den Kindern nicht selten ein Gefühl der eigenen Unzu-länglichkeit ein, da sie dem betroffenen Elternteil nicht helfen können (Plass & Wiegand-Grefe, 2012, S.31 ff.).

Neben den bereits beschriebenen Gefühlen belegen Ergebnisse retrospektiver qualitativer Studien, dass die Kinder ebenso unter Loyalitätskonflikten leiden (Plass & Wiegand-Grefe, 2012, S. 22). Die Belastungen hinsichtlich Desorien-tierung, Parentifizierung (siehe 2.3.1) Tabuisierung (siehe 2.3.2) werden beson-ders deutlich:

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„Es war ein umgekehrtes Verhältnis. Sie war das Kind und ich die Mutter.“

(Plass & Wiegand-Grefe, 2012, S. 22).

Durch diese Vielzahl an vermischten Gefühlslagen kommt es zu enormen inne-ren psychischen Konflikten und Überforderungserleben (Plass & Wiegand-Grefe, 2012, S.31 ff.), die jedoch in einigen Fällen nicht zugelassen werden:

„Ich erlaubte mir keine Gefühle der Überforderung, Trauer oder Wut. Immer ging es jemandem schlechter, so daß ich mich nie traute, auch mal das Recht für mich in Anspruch zu nehmen, traurig oder wütend zu sein. Ich lernte schnell, daß Gefühle gefährlich sind, krank machen und daß es folglich besser ist,

mög-lichst keine angstmachenden Gefühle zu empfinden, geschweige denn sie zu zeigen. Aber nicht nur die >> negativen<< Gefühle (Traurigkeit und Wut), son-dern auch allzu große Glücksgefühle verbot ich mir, waren diese doch den

Ma-nien ähnlich.“ (S.W., 2000, S.27)

Da der Erkrankte geschont werden muss und diese Gefühle unzumutbar schei-nen, müssen sie meist unbewusst sein (Plass & Wiegand-Grefe, 2012, S.31 ff.). Auf der Grundlage biografischer Erfahrungen von Kindern psychisch kranker Eltern differenziert Wagenblass (2001, S.513 ff.) zwischen zwei Punkten. Einer beschreibt die unmittelbaren Probleme der elterlichen Erkrankung wie Schuld, Scham oder Hilflosigkeit.

Des Weiteren beschreibt die Autorin Folgeprobleme, wie z.B. Loyalitätskonflikte oder Abwertungserlebnisse (Wagenblass, 2001, S.513 ff.).

2.2.1 unmittelbare Probleme der elterlichen Erkrankung

Ein unmittelbares Problem der elterlichen Depression ist die Einsamkeit. Einsamkeit

„Außerdem vermißte ich meine Mutter, die ich so sehr liebte und auf die ich mich bis dahin immer hatte verlassen können. Was hätte ich gege-ben, wenn sie jetzt bei mir gewesen wäre, doch diese Mutter hatte mich

im Stich gelassen. Ich fühlte mich einsam und leer.“ (Bern, 24, 2000,

(31)

Die Autorin erinnert sich auch an den Moment, als ihre Oma bei ihr einzog:

“Endlich war ich mit meiner Angst nicht mehr allein- mit seiner Angst allein zu sein, das ist bis heute für mich das schlimmste Gefühl, das es gibt.“ (Bern,

2000, S.14)

Ebenso das Kinderbuch ‚Bei mir zuhause ist was anders‘ beschreibt durch kind-liche Zeichnungen und Aussagen, was Kinder psychisch kranker Eltern erleben. Dass Kinder sich alleingelassen und verunsichert fühlen, beschreibt z.B. die Aussage eines Kindes, das seine Mutter auf dem Bett malt: „…das ist meine

Mama, die im Bett liegt, das tut sie immer, wenn es ihr schlecht geht, darum liegt sie im Bett, viele Tage lang.“ (Hrsg. Kühnel & Koller, 2013, S.2).

Angst/ Sorge

Weitere Auswirkungen sind z.B. Ängste vor einer Krankheitsverschlimmerung oder einem erneuten Krankheitsausbruch (Plass & Wiegand-Grefe, 2012, S. 22; 31 ff.):

„Die Angst vor einem erneuten Krankheitsausbruch ist zu meinem ständigen Begleiter geworden […] Ich wünsche mir, daß diese Angst mich losläßt […] Manchmal dachte ich, daß diese Anspannung, unter der ich durch die Unge-wißheit eines Krankheitsausbruches ständig stehe, mich innerlich zerreißt. Zwar

habe ich mich entspannt nach dem letzten Ausbruch vor jetzt schon über zwei Jahren, aber gänzlich verlieren werde ich diese Angst wohl nie.“

(Bern, 2000, S.12)

Hinzu kommen insbesondere bei jüngeren Kindern Trennungsängste (Plass & Wiegand-Grefe, 2012, S. 22; 31 ff.) oder die bereits genannte Angst, den ge-liebten Elternteil zu verlieren, sei es durch einen stationären Aufenthalt oder selbstschädigendem Verhalten wie Suizid (Plass & Wiegand-Grefe, 2012, S.31 ff.):

„Wenn meine Mutter so ganz krank ist, ich gebe ihr dann sofort Tabletten, dass sie nicht zu krank wird, dass sie nicht wieder ins Krankenhaus kommt [...] ich habe immer Angst, dass ich nie wieder meine Mutter oder so sehe“ (w, 10

(32)

Klinikeinweisungen sind für Kinder besonders belastend. Mit einer Einweisung gehen häufig dramatische Umstände einher, was für die Kinder nicht selten ein traumatisches Erlebnis darstellt, zusätzlich mit dem Gefühl verbunden, allein gelassen worden zu sein. Auch eine Erschütterung des Elternbildes und der Beziehung des Erkrankten kann bei den Kindern entstehen, da diese Erfahrung einen Verlust von Autonomie und Autorität darstellt. Um dies verarbeiten zu können, kommt es zum emotionalen Rückzug der Kinder. Nach außen wirken sie häufig teilnahmslos, scheinbar unberührt vom Geschehen oder apathisch (Plass & Wiegand-Grefe, 2012, S.24).

Die Sorge, dass dem erkrankten Elternteil etwas zustoßen könnte oder dieser sich etwas antun könnte, ist vor allem bei jüngeren Kindern stark ausgeprägt (Lenz, 2008, S.34).

„Manchmal auch so, wenn sie gesund ist […] zum Beispiel am Abend in der Schule gibt es ja immer so Elternabend oder so […] und die ist mit dem Fahrrad

los gefahren, da war es schon ganz stockdunkel und ich hatte Angst, das ihr irgendwas passiert.“ (w, 9 Jahre, aus Lenz, 2005, S.87).

Erfolgt eine Klinikeinweisung durch Zwangsmaßnahmen, hat dies eine beson-ders traumatisierende Wirkung auf das Kind:

„Da hat sie sich richtig erschrocken, wo sie erfahren hat, dass, weil die haben gesagt, dass sie mit Polizei oder so abgeholt werden muss, weil sie wollte nicht

alleine. Und da, wo sie das erfahren hat, da hatte sie richtig so Angst gehabt, wie ‚echt jetzt‘ und dann hat mein Vater gesagt: ‚Sie kommen gleich‘. Da sagte

sie nur: ‚Bitte nicht, bitte nicht‘.‘“ (w, 10 Jahre, aus Lenz, 2005, S.84).

Eine Klinikeinweisung kann nach längerer akuter Krankheitsphase, welche durch eine angespannte Familienatmosphäre gekennzeichnet ist, für die Kinder jedoch auch entlastend wirken. Teilweise reagieren sie erleichtert, da jemand anderes die Verantwortung für die erkrankte Mutter oder den erkrankten Vater übernimmt (Knutsson-Medin, Edlund, & Ramklint, 2007, S. 744 ff.).

(33)

Ist der erkrankte Elternteil dann in Behandlung, besteht jedoch teilweise die Sorge, dass die erkrankte Mutter oder der erkrankte Vater nicht die Behandlung bekommt, die er oder sie benötigt und die Angst, dem erkrankten Elternteil kön-ne etwas zustoßen (Knutsson-Medin, Edlund & Ramklint, 2007, S.744 ff.). Bei einigen Kindern bestehen auch Ängste vor Gewalt (Pretis & Dimova, 2016, S.64) oder die Angst, in Zukunft selbst an der psychischen Krankheit zu leiden (Pretis & Dimova, 2016, S.64; Plass & Wiegand-Grefe, 2012, S.31 ff.).

Die Angst, selbst zu erkranken, tritt insbesondere bei älteren Kindern und Ju-gendlichen auf (Lenz, 2008, S.24 ff.; Lenz, 2008, S.34) und es stellt sich die Frage, wie groß die Wahrscheinlichkeit ist, im Laufe des Lebens ähnlichen Problemen wie der erkrankte Elternteil ausgesetzt zu sein (Lenz, 2008, S.24 ff.):

„…ich krieg die Krankheit vielleicht auch mal, davor hab ich echt Angst.“ (Hrsg.

Kühnel & Koller, 2013, S.8).

Häufig werden Ängste und Unsicherheiten meist vergrößert, da ungenaue In-formationen und Ungewissheit über die Erkrankung oft diffuse Annahmen und Vermutungen über die Ursachen der elterlichen Erkrankung auslösen (Lenz, 2008, S.24 ff.).

Neben den zahlreichen Ängsten können auch Schuldgefühle auftreten. Schuld

Von massiven Schuldgefühlen berichten retroperspektiv mehr als drei von vier Kindern psychisch erkrankter Eltern (Pretis & Dimova, 2016, S.62), so auch Be-troffene wie S.W. (2000, S.29) und Frau P. (2000, S.31).

Zu diesen kommt es, da Kinder glauben, sie haben an den psychischen Prob-lemen ihrer Eltern Anteil:

„Mama ist durcheinander, weil ich böse war und weil ich mich nicht genug um

sie gekümmert habe.“ (Mattejat, 2000, S. 72 ff.; Plass & Wiegand-Grefe, 2012,

(34)

Insbesondere jüngere Kinder ziehen sich häufig zurück, beginnen zu grübeln und werden unsicher, da sie sich dafür verantwortlich fühlen, dass es ihren El-ternteilen so schlecht geht (Lenz, 2008, S.34).

Die Kinder erleben in jungen Jahren, manchmal jedoch sogar bis ins Erwach-senenalter das Gefühl, für die psychische Stabilität oder das Leid ihres kranken Elternteils verantwortlich gewesen zu sein (Pretis & Dimova, 2016, S. 62). Auch als Erwachsener treten dadurch Gefühle zwischen Wut und Trauer auf, sogar Selbsthass, keine Hilfe bekommen zu haben oder nicht verstanden worden zu sein (Williams, 1998, S.73 ff.). Die Schuldgefühle werden häufig durch die Un-gewissheit genährt, was die elterliche psychische Erkrankung ausgelöst hat (Lenz, 2008, S.34).

Ältere Kinder belasten häufig Schuldgefühle nach den teilweise vehementen Abgrenzungs- und Distanzierungsversuchen (Lenz, 2008, S.34; Plass & Wie-gand-Grefe, 2012, S. 22).

Das jedoch nicht alle Kinder an Schuldgefühlen leiden, bestätigt das folgende, eindrucksvolle Zitat:

„Und noch mal, Mami: Es war sicher nicht alles so einfach für uns, aber niemals habe ich mich schuldig gefühlt, und Du solltest dich auch nicht >>schuldig<< fühlen. Ich denke, ich bin sehr >>gewachsen<< an diesen

Herausforderungen, vielleicht etwas früh und etwas schnell.“ (Tochter der Familie H., 2000, S.52)

Scham

Es gibt viele Kinder, die sich auch für ihre Eltern schämen: „…ich bring lieber

nicht meine Freundin mit nach Hause, weil die soll nicht sehen, wie‘s bei uns ausschaut.“ (Hrsg. Kühnel & Koller, 2013, S.4).

Desorientierung/ Verunsicherung

Ein weiteres Problem der Kinder stellt die Desorientierung dar. Da die Kinder die elterlichen Probleme nicht verstehen oder einordnen können, sind sie häufig verwirrt und geängstigt (Mattejat, 2000, S. 72 ff.).

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